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Absurder Kulturkampf: Anti-Windkraft-Propaganda… mit Walen

Nein, Wale sterben nicht an Windkraft. Ein absurder Fake behauptet das jedoch. In den USA häufen sich in den letzten Jahren Meldungen zu Großwal-Strandungen an der US-Küste, die angeblich durch Windkraft gestorben sein sollen. Das ist Unsinn und basiert nicht auf einer ernsthaften Sorge um Wale, sondern wird mit dem Ziel verbreitet, Windkraft zu diskreditieren. Doch diese Fakes entstehen nicht aus Naivität oder Unwissenheit. Dahinter steckt eine regelrechte Anti-Windkraft-Lobby. So absurd läuft der Kulturkampf um Wale und Windkraft vor der US-Küste.

Wale stranden in den USA – Magazin macht daraus Fake News gegen Windkraft

Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Bettina Wurche, Biologin, Wissenschafts-Journalistin und Science-Bloggerin. Mehr von ihr findet ihr auf ihrer Homepage „Meertext„.

An der US-Ostküste stranden gerade vermehrt große Bartenwale: allein seit Dezember 2022 23 Tiere. Die großen Wale mit den langen Flippern sind vielen Menschen bekannt, mit ihren Sprüngen entzücken sie beim Whale watching auch vor der US-Küste. Große Wale sind Ikonen des Meeresschutzes und durch viele internationale und nationale Gesetze streng geschützt. Managementpläne überwachen die Bestände und ihre Lebensräume, in den USA ist vor allem die Nationale Ozean- und Atmosphärenbehörde NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) dafür zuständig.

Gleichzeitig werden in den letzten Jahren zum Schutz des Klimas zunehmend Windkraftwerke auch vor den US-Küsten installiert, die klimafreundliche Energie liefern. Und der Fossil-Lobby ein Dorn im Auge sind. Genau da wird es dann kritisch.

Denn jetzt werden die Walstrandungen an der US-Ostküste von Windkraft-Gegnern vereinnahmt: So behauptet das Anti-Windkraft-Magazin „Stop These Things“ wahrheitswidrig, dass die Wale angeblich durch die Windkraftanlagen vor der Küste sterben. Spoiler: Es gibt nicht einen einzigen Hinweis auf eine Verbindung zwischen toten Großwalen und Windparks. Vielmehr verweisen die Verletzungen vieler Wale auf andere Todesursachen: Schiffskollisionen und Fischergerät.

Walsterben an der US-Ostküste: Schiffskollisionen und Fischereileinen

Seit 2016 stranden an der US-Ostküste, vor allem in den Bundesstaaten New Jersey und New York, überdurchschnittlich viele große Wale – Buckelwale und Nordkaper. Ein großer Teil der Wale stirbt an den Folgen von Schiffskollisionen und dem Verheddern in Fischereigerät. Da Wale unter strengem Schutz stehen, müssen tote Tiere dokumentiert und wenn möglich untersucht werden. Das Vorgehen heißt „Nekropsie“. Diese wissenschaftliche Arbeit leitet die NOAA, gemeinsam mit anderen qualifizierten Institutionen (Universitäten, Forschungsaquarien, …) führen sie seit Jahrzehnten Nekropsien und weitere Forschungen durch.

Angesichts der hohen Todesrate hat die NOAA UMEs (Unusual Mass Mortality Event – ungewöhnliches Massensterben) ausgerufen. Im Fall eines UMEs kann die Behörde eine statistisch auffällig erhöhte Sterberate gesondert untersuchen, mit mehr Geldern und mehr Personal. Solche Untersuchungen reichen von der Nekropsie eines toten Wals bis zur Statistik. Gerade die Nekropsie eines Großwals kann nur durch ein eingespieltes größeres Team erfolgen, geleitet von auf Wale spezialisierten TierärztInnen.

Dabei werden die körperliche Konstitution und mögliche äußere und innere Verletzungen sowie andere Auffälligkeiten begutachtet. Mit der „Wal-Leichenschau“ können Veterinäre und BiologInnen oft die Todesursache feststellen. Dieser Artikel der New York Times gibt einen Eindruck von solch einer Untersuchung eines männlichen Buckelwals von ca. 30 Tonnen Gewicht. Wegen Größe und Gewicht des Tieres ist es körperlich schwere Arbeit unter freiem Himmel, auch bei widrigem Wetter.

Todesursachen der Buckelwale vor der US-Ostküste – Leichenschau am Strand

189 Buckelwale sind zwischen 2016 und 2023 an der US-Ostküste zwischen Maine und Florida tot gestrandet, die meisten der bis zu 15 Meter großen Meeressäuger landeten an den sandigen Küsten New Jerseys und New Yorks.

Davon sind etwa die Hälfte per Nekropsie untersucht worden. Das Ergebnis: 40 % der toten Wale zeigten Spuren von Interaktionen mit menschlichen Aktivitäten wie Schiffskollisionen oder das Verheddern in Fischereigerät. Auf der Karte ist klar zu sehen, dass die meisten Totfunde zwischen Boston und dem Chesapeake-Ästuar liegen – diese Küstenabschnitte sind von vielen Menschen bewohnt, es gibt viele größere Städte und Häfen und dementsprechend viel Schiffsverkehr und Küstenfischerei.

Absurder Kulturkampf: Anti-Windkraft-Propaganda… mit Walen
Screenshot noaa.maps.arcgis.com

Schiffskollisionen sind eine häufige Wal-Todesursache, wenn in Küstenarealen ein hohes Schifffahrtsaufkommen auf die Wanderrouten der Meeressäuger trifft. Dicht unter der Wasseroberfläche schwimmende Wale, Nebel und Dunkelheit, hohe Geschwindigkeit oder mangelnde Aufmerksamkeit des Rudergängers sind die Unfallursachen. Wale bemerken die Schiffe ebenfalls oft nicht, vor allem, wenn sie gerade fressen oder schlafen. Solche Kollision mit dem stählernen Rumpf eines größeren Schiffs verursacht beim Wal ein stumpfes Trauma – äußerlich sichtbare Verletzungen, Knochenbrüche und ausgedehnte Hämatome unter der Haut. Auch die Spuren der Schiffsschrauben auf den Walen – meist auf den Rücken – sind deutliche Merkmale. Je nach Schwere der Verletzung stirbt der Wal unmittelbar oder schwimmt zunächst schwer verletzt weiter.

Fischereigerät (Entanglement) wie Netze und Leinen hinterlassen charakteristische „Netzmarken“ – die Kunststoffleinen schneiden tief ein in die Haut und das Bindegewebe. Die Wale verheddern sich vor allem mit dem Kopf, den Brustflossen und dem Schwanz in den Leinen und Netzen, tote Wale tragen die unzerreißbaren Kunststoffgewebe oft noch am Körper. Die Netze und Leinen samt Schwimmern können die Wale am Auftauchen und Atmen hindern. Meistens jedoch schwimmen sie mit der Last weiter, verletzt und geschwächt. Der Ballast oder Auftrieb hindert sie am Tauchen und Schwimmen zum Nahrungserwerb. Die Wunden entzünden sich und schwächen den Wal weiter, manchmal verlieren sie eine Flosse. Schließlich sterben sie an Entkräftung und Infektionen.

Angespülte Meeressäuger oft schon länger tot

Angespülte Meeressäuger sind irgendwo auf See gestorben und werden oft nicht frischtot angespült, sondern im fortgeschrittenen Zustand der Verwesung. Wegen der dicken Fettschicht schreitet die Verwesung extrem schnell voran, die Haut schält sich ab und die treibenden Kadaver zerfallen oder werden angefressen. Dann lässt sich oft keine eindeutige Todesursache mehr nachweisen.
Andere Wale sind an entlegenen Stellen gestrandet und sind für das Nekropsie-Team nur schlecht zugänglich. Die Nekropsie-Teams arbeiten den wissenschaftlichen Ansprüchen entsprechend sorgfältig: wenn sie keine eindeutige Todesursache nachweisen können, gilt der Tod als ungeklärt. Das erklärt den hohen Anteil an „unknown“ Todesursachen.

Bei den Buckelwalen kommt wohl noch hinzu, dass der Bestand des nordöstlichen Atlantiks sich nach dem Ende des kommerziellen Walfangs auf weit über 10.000 Tiere erholt hat. Wenn es wieder mehr Wale gibt, die sich wie Buckelwale gern küstennah herumtreiben, sterben auch mehr von ihnen. Seit 2014 werden so viele Buckelwale vor der Metropole New York gesichtet, dass dort mittlerweile Whale watching-Touren angeboten werden.

Nordkaper: Klimakrise und Meereserwärmung verschärfen Probleme für Wale

Die Nordkaper (oder Nördlichen Glattwale) sind vom Aussterben bedroht, zurzeit gibt es im gesamten Nordatlantik schätzungsweise noch 390 Tiere. Dieser Bestand lebt in US-amerikanischen und kanadischen Gewässern, beide Staaten kooperieren eng beim Wal-Management. Von 2017 bis 2023 sind im Rahmen des UME 97 tote Tiere gezählt worden, angesichts des geringen Bestands eine erschreckend hohe Zahl. Ein erheblicher Teil der Nordkaper stirbt im kanadischen St. Lawrence-Ästuar, ein weiterer Teil bei ihrer Wanderung nach Süden vor der US-Küste.

Dass seit 2016 trotz des Wal-Managements und vieler Schutzmaßnahmen vermehrt Wale durch menschliche Einwirkung sterben, dürfte an der Meereserwärmung in Folge der Klimakrise liegen: Dadurch verlagert sich das Vorkommen vieler Fisch- und Planktonarten nach Norden – so bleiben die Tiere in ihrer bevorzugten Wassertemperatur. Die Wale folgen ihrer Beute und verlagern ihre Areale ebenfalls. Gerade bei den Nordkapern hat das in den letzten Jahren dazu geführt, dass die behäbigen Meereswesen auf einmal im kanadischen St. Lawrence-Ästuar mitten in Schifffahrtslinien und der Küstenfischerei auftauchten, ähnliches passierte in den US-Gewässern etwa vor Maine.

Zum Wal-Management gehört auch, dass die Walexperten Areale, wo es vermehrt zu Interaktionen zwischen Walen und Menschen kommen könnte, identifizieren. Für solche Wal-Hot Spots können sie dann die Schifffahrt zu erhöhter Wachsamkeit auffordern, über das vermehrte Walaufkommen informieren und Geschwindigkeitsbegrenzungen für Schiffe einführen. Im Fall der Küstenfischerei kann während der Walwanderungen der Einsatz von Netzen zeitlich und räumlich begrenzt werden. Außerdem gibt es die Empfehlung zum Einsatz von walfreundlichem Fischereigerät. Durch die Verlagerung der Walrouten mussten die Wissenschaftler ihre Walschutz-Maßnahmen überdenken und anpassen.

Die Nordkaper sterben genauso wie die Buckelwale vor allem an Schiffskollisionen und durch Verheddern in Fischereileinen, die hohe Todesrate ist eine direkte Folge der Klimakrise und Ozeanerwärmung (Zum Weiterlesen: Ich hatte gerade auf meinem Scienceblog Meertext ausführlich darüber geschrieben).

Waltod durch Schallwellen ausgeschlossen – betroffene Wale nutzen keine Echolokation!

Zahnwale betreiben Echolokation – sie senden mit einem speziellen Schallapparat in der Stirn gebündelte Schallwellen aus, um damit Beute oder Hindernisse zu orten. Die an der Ostküste verstorbenen Nordkaper und Buckelwale sind jedoch Bartenwale, die keine Echolokation betreiben können. Bis heute ist keine Bartenwalstrandung in Folge von Schallwellen bekannt.

Zahnwale hingegen können tatsächlich durch laute Explosionen oder Marine-Sonar erschreckt, verletzt oder gar getötet werden. Der griechische Biologe Alexandros Frantzis hatte 1998 als erster den Zusammenhang zwischen dem Sonar-Einsatz und einem Schnabelwal-Massensterben in Nature publiziert. Die Arbeit trägt den Titel „Does acoustic testing strand whales?“ Andere Forscher und viele weitere Vorkommnisse bestätigten mittlerweile seine Forschungsergebnisse.

Durch das sogenannte Low Frequency Active Sonar (LFAS) zur U-Boot-Jagd sterben vor allem Schnabelwale (Ziphiidae). Sie halten die niederfrequenten Laute vermutlich für Ortungslaute von Orcas, beides sind sehr ähnliche Frequenzen. Da Orcas die schlimmste Bedrohung für die Schnabelwale sind, geraten die tief tauchenden Schnabelwale dadurch in Panik und tauchen extrem schnell auf. Normalerweise steigen und sinken diese mittelgroßen Zahnwale langsam ab und auf, in bis unter 2900 Metern Tiefe, wie z B Cuvier-Wale.

Bei ihrem panischen Notaufstieg erleiden sie darum Barotraumen (Taucherkrankheit). Das Barotrauma ist an den zerstörten Innenohren zu erkennen, die sterbenden Meeressäuger bluten sichtbar aus den Ohren. Da Schnabelwale in Gruppen leben, sind fast immer mehrere Wale in einem fest umrissenen Seegebiet innerhalb eines kurzen Zeitfensters betroffen. Ein weiteres Zeichen für einen solchen Sonartod ist ein Marinemanöver in dem betreffenden Seegebiet.

Mittlerweile sind viele Schnabelwal-Massenstrandungen als Folgen der Anti-U-Boot-Waffen aus verschiedenen Meeresregionen bekannt geworden. Vermutlich sind auch andere Zahnwale manchmal davon betroffen, dafür fehlen aber noch die konkreten wissenschaftlichen Nachweise.

Auch Unterwasser-Explosionen können Wale töten oder vertreiben

Natürlich sind auch Explosionen unter Wasser eine große Gefahr für Wale. So sind etwa 2021 in der Ostsee nach der Sprengung von Minen aus dem 2. Weltkrieg durch die deutsche Marine mehrere Schweinswale tot angespült worden. Die Totfunde standen im klaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der Sprengung. Die zuständigen Wal-Veterinäre des ITAW haben bei 10 der Kleinwale eindeutige Zeichen gefunden, dass sie an den Folgen der Explosion gestorben sind. Bei den anderen toten Walen ließ sich die Todesursache nicht mehr eindeutig nachweisen.

Um bei geplanten Explosionen wie der Sprengung von Seeminen Wale zu schützen, sollen eigentlich sogenannte Blasenschleier eingesetzt werden: Der Blasenvorhang mindert die Stärke und Ausbreitung der Schallwellen unter Wasser signifikant. Solche Blasenschleier werden auch in europäischen/deutschen Gewässern beim Bau von Offshore-Windkraft-Anlagen eingesetzt. Sie hätten auch von der Bundesmarine in Absprache mit Umweltbehörden und WalexpertInnen eingesetzt werden müssen. Solche Blasenvorhänge (Bubble Curtains) werden längst auch bei Rammarbeiten für Offshore-Windkraftanlagen eingesetzt und mildern diesen Unterwasserlärm nachweislich.

Weltweit ist keine einzige Bartenwalstrandung als Folge eines Barotraumas im Kontext mit einem Sonareinsatz bekannt.
Auch das Strandungsschema passt nicht zu einem Barotrauma durch Explosionen oder Sonar: Die großen Wale stranden einzeln, über einen langen Zeitraum hinweg. Eine Explosion, ein Sonareinsatz oder Meereslärm durch Rammarbeiten hingegen hätten zu einer örtlich und zeitlich spezifischen Massenstrandung führen müssen. Die Behauptungen der Anti-Windkraft-Lobby sind also falsch, der Zusammenhang zwischen dem Walsterben und Windkraft ist faktenwidrig konstruiert.

Wer steckt dahinter? Anti-Windkraft-Propaganda – viel Gegenwind für Windkraft

Eifriger Verbreiter der Fake-These vom Waltod durch Windkraft ist die Anti-Windkraft-Website „Stop These Things“. „Stop These Things“ (STT) stellt dabei Behauptung in den Raum und macht sich nicht einmal ansatzweise die Mühe, irgendeine Erklärung zu konstruieren.

Im Banner des Magazins steht der WahlspruchWe are not here, to debate wind energy, we are here to DESTROY IT“, was die Intention unmissverständlich verdeutlicht: Das Ziel ist pure Anti-Windkraft-Propaganda. Ein Impressum gibt es nicht, auch keine Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit den Blatt-Machern.

Dass die STT-AutorInnen keine Ahnung von diesem Thema haben, ist am einfachsten an der groben Unkenntnis zu erkennen, dass sie nicht einmal zwischen Zahnwalen und Bartenwalen unterscheiden können. Die Behauptung, die Wale seien angeblich an Schallwellen verstorben, weil ihr Sonar gestört worden sei, ist anatomisch unmöglich. Die verstorbenen Buckelwale und Nordkaper sind Bartenwale. Und wie gesagt, sie haben kein Sonar und orten ihre Beute nicht akustisch. Stattdessen schwimmen sie durch dichte Schwärme von Krill und anderem Plankton sowie kleinen Schwarmfischen wie Heringen hindurch und nehmen dabei ein gewaltiges Maul voll auf.

Fake-Bild: Gestrandete Wale in Europa haben nichts mit Windkraft in den USA zu tun!

Sowohl im Text als auch in der Bebilderung zeigen sie wahllos Bilder toter Großwale, etwa hier Pottwale, Glattwale und Buckelwale. Es gibt keine Bildunterschriften. Sonst würde nämlich schnell klar: Die beiden toten Pottwalbullen sind sicher nicht an der US-Küste gestrandet, sondern in Europa.

Absurder Kulturkampf: Anti-Windkraft-Propaganda… mit Walen
Screenshot stopthesethings.com, Bearbeitung Volksverpetzer

An den nordwesteuropäischen Küsten Deutschlands, Belgiens, Englands und der Niederlande kommen wegen der jährlichen Wanderung der Pottwal-Bullen aus ihren Revieren vor Nord-Norwegen zu den Weibchen-Kind-Familien vor den Azoren regelmäßig Strandungen meist mehrerer Tiere vor. Diese Pottwale biegen aus Norden kommend falsch ab und stranden dann vor allem in den Wintermonaten in der flachen Nordsee. Sie sind seit über 500 Jahren dokumentiert, lange bevor es Windkraft gab. Historische Flugblätter etwa von holländischen Künstlern zeigen die an den Strand geworfenen großen Zahnwale mit dem charakteristischen Kastenkopf.

Dass diese Pottwal-Strandungen in den letzten Jahren häufiger auftreten, liegt vermutlich daran, dass sich nun Jahrzehnte nach dem Ende des Walfangs der Pottwalbestand im europäischen Nordpolarmeer erholt hat. Es gibt also wieder mehr Pottwale und somit auch mehr Strandungen. An der US-Küste gibt es keine solche Wanderung von Pottwalbullen und auch keine Strandungen mehrerer Bullen gleichzeitig. Das von STT missbrauchte Bild stammt aus einem Artikel des New Scientist und zeigt zwei an der UK-Küste gestrandete Bullen.

Doppelmoral: Windkraft kritisieren, bei fossilen Katastrophen schweigen

Außerdem sind die beim Bau von Windparks eingesetzten Maschinen wesentlich weniger laut als die Air Cannons bei der Gas- und Ölexploration, wie Erica Staaterman, eine Bioakustikerin des „Bureau of Ocean Energy Management’s Center for Marine Acoustics“ erklärt. Unterwasserlärm ist messbar und die Expertin für Geräusche und Lärm im Meer hat dafür die richtigen Messinstrumente und die Daten.

Aufgrund dieser vorliegenden Zahlen müssten die angeblichen WalschützerInnen also wesentlich vehementer gegen Öl- und Gasexploration lamentieren. Das ist aber nicht der Fall. Genauso wenig hört man sie gegen die Ölpest protestieren, die etwa 2010 nach der Explosion der „Deepwater Horizon“-Bohrinsel im Golf von Mexiko tatsächlich Hunderte von Walen getötet hat, darunter fast zwei vollständige Jahrgänge des Delphin-Nachwuchses.

An solchen Details wird sehr deutlich, wie faktenfern und tendenziös die Beiträge auf der SST-Seite sind.

Quellen? FoxNews und viel Bauchgefühl

Stattdessen verlinkt die Seite für „Nachweise“ vorzugsweise auf das rechte FoxNews, die genauso solide wie Seifenblasen sind.
Die dort auftretenden ZeugInnen sind Aktivisten ohne Peilung von der Lebensweise von Meeressäugern. Stattdessen erzählen sie, dass sie einen Kontext von Walstrandung und Windkraft meinen, glauben oder fühlen. Fakten aus Nekropsien nennen sie an keiner Stelle. Wenig überraschend, denn es gibt keine. Es ist auch völlig offensichtlich, dass diese selbsternannten Walschützer niemals an einer Nekropsie teilgenommen haben und auch kein Hintergrundwissen über Walarten und ihre Lebensweise haben.

Die Windkraftgegner werfen viele einzelne Informationen – tote Wale und Windkraft – zusammen und konstruieren daraus einen Zusammenhang, der allen Fakten widerspricht und selbst durch keinerlei Fakten gestützt wird. Genauso ignorieren sie, dass der Bau und Betrieb von Offshore-Windkraftanlagen durch wissenschaftliches Monitoring eng begleitet wird, weil auch WalforscherInnen sicherstellen wollen, dass die saubere Energie nicht zulasten der Meerestiere geht. Keines der durch mehrere verschiedene Institutionen Projekte durchgeführte Projekte hat Probleme für Großwale gefunden.

Bewusstes Ignorieren von Fakten und Konstruieren eines falschen Zusammenhangs, aggressive Schuldzuweisung gegen sachlich agierende Akteure (NOAA, Windkraft-Firmen), extreme Wortwahl und emotionales Aufhetzen gegen einen Sündenbock sind typische Vorgehensweisen von Extremisten.

Ein Beispiel ist etwa dieser Auftritt der Fischerei-Vertreterin Meghan Lapp in Fox News: Sie behauptet, dass es seit Beginn des Wal-Massensterbens im Ozean als einzige Veränderung den Bau von Windkraft-Anlagen gibt. Die durch Zahlen gut belegte Klimakrise und Ozeanerwärmung unterschlägt sie. Dabei können gerade Fischer diese Verlagerung von Tierbeständen nach Norden besonders unmittelbar verfolgen, etwa in Alaska.

Stattdessen ignoriert die Fischerei-Lobbyistin diese Erfahrungen der Leute, die sie vertreten soll und wissenschaftliche Fakten. Wenig verwunderlich, denn die Fischerei-Lobby ist sauer auf Wal-Wissenschaftler, die zum Walschutz immer wieder die Begrenzung der Fischerei empfehlen. Vor der Ostküste wehren sich gerade die Hummerfischer vor Maine gegen Schutzmaßnahmen für Nördliche Glattwale.

Instrumentalisierung des Walsterbens von Rechts

Gerade die charismatischen Großwale sind in westlichen Industrienationen zu heiligen Kühen erhoben worden und emotional stark aufgeladen. Ohne Kenntnisse der Arten und ihrer Biologie werden sie romantisch verklärt. Wale sind als heilige Kühe der Meere die idealen Projektionsflächen, um den Volkszorn zu entfesseln. So haben die Windkraft-Feinde jetzt viele Menschen mobilisiert, die gegen Windkraft und Waltod demonstrieren. Republikanische PolitkerInnen sind als fleischgewordene FossilLobby und Klimaschutz-GegnerInnen natürlich an vorderster Front dabei. Unbeeindruckt von den wissenschaftlichen Fakten (dass das Gros der Wale durch Fischerei und Schifffahrt stirbt) fordern sie den sofortigen Stopp des Windkraftausbaus.

Die Umweltbehörde des Bundesstaats New Jersey, an dessen Küsten besonders viele Buckelwale angespült wurden, gibt auf ihrer Seite eine sachliche Übersicht über durchgeführte Forschungsprojekte und, dass es keinen Nachweis zwischen Windkraft und Waltod gibt. New Jersey wird von einem demokratischen Gouverneur regiert. Darum haben die Republikaner natürlich begeistert die Chance ergriffen, gegen Clean Energy Stimmung zu machen. Lauthals fordern sie gemeinsam mit Bürgermeistern der am Meer liegenden Gemeinden ein Moratorium der Wind-Energie.

Zwischen Demokraten, die hier für wissenschaftsbasierten Umweltschutz und Klimaschutz stehen und Republikanern, die die Fossil-Lobby vertreten und sich oft durch antiwissenschaftliche Klimakrisen-Leugnung und andere Verschwörungsmythen hervortun, ist längst ein Kulturkampf ausgebrochen, wie einige US-amerikanische Medien treffend beschreiben. Und die lautstarke Seite der Fossil-Lobby, Republikaner und Verschwörer scheint den Informationskrieg um die Deutungshoheit zu gewinnen, wie Joseph Reynolds von Save Coastal Wildlife organization in seinem Essay „Stop Lying About Whale Deaths“ beschreibt. Der „Kulturkampf“ beschreibt die Situation im postfaktischen Zeitalter, in der wissenschaftsbasierte Sachargumente keine Bedeutung mehr haben.

Die extreme Sprache der Rechtspopulisten: Schreien, Lügen, Manipulieren

Die Wal-Beiträge von „Stop These Things“ folgen klar den Mustern der Rechtspopulisten:

  • Ein emotionaler Aufreger (toter Wal), wird laut schreiend (extreme Wortwahl) beklagt, um einen politisch unliebsamen Sündenbock zu benennen (Windkraft) und zu wütendem Aktionismus zu animieren, sowohl auf politischer als auch auf Aktivisten-Ebene.
    Ebenfalls typisch ist, dass sämtliche wissenschaftlichen Fakten ignoriert oder Wissenschaftler verleugnet werden.
  • WissenschaftlerInnen und demokratische Regierung werden pauschal als Lügner und „Elite“ dargestellt, die sich auf Kosten der Bürger bereichern wollen. Damit werden wissenschaftliche Fakten unglaubwürdig gemacht, ohne dafür Beweise liefern zu müssen. Die Bereicherung der Rechtspopulisten auf Kosten der Bürger bleibt unerwähnt.
  • Die wissenschaftlichen Daten zeigen die Todesursachen der Wale auf – vor allem Schiffskollisionen und Fischerei – es gibt nicht keinen Hinweis für einen Zusammenhang mit der Windkraft. Die Beiträge und Äußerungen der Windkraftgegner sind also absichtlich falsch und widersprechen den Fakten, sodass sie als vorsätzliche Lügen einzuordnen sind.
  • Rechtspopulisten, Windkraft-Gegner, Öl-Lobby und andere Lobbyisten bedienen sich dieser extremistischen Taktiken, die eine sachliche Auseinandersetzung unmöglich machen.
  • Damit ist die Anti-Windkraft-Lobby deutlich als typische Lobby-Organisation positioniert.
    NOAA und Walforscher hingegen legen ihre Daten offen und argumentieren sachlich, werden aber ignoriert.
  • Stattdessen führen Rechtspopulisten und Fossil-Lobby einen emotionalen, lautstarken Kulturkampf gegen die als „links“, „woke“ und „Establishment“ geframten KlimaschützerInnen, WissenschaftlerInnen und DemokratInnen.
  • Wenn die Anti-Windkraft-Lobby konstruiert, Windkraft sei schlecht für Wale, drehen sie den tatsächlichen Sachverhalt um, was besonders zynisch ist. Als Wissenschaftlerin halte ich im Kampf gegen die Klimakrise Windkraft für unbedingt notwendig, darum befürworte ich auch die Offshore-Windparks. Auch wenn mir bewusst ist, dass Bau und Betrieb der großen Anlagen für die Meeresfauna nicht ganz unkritisch sind, wiegt ihr Beitrag zum Klimaschutz stärker. Das Fördern und Verfeuern von Kohle, Öl und Gas hat über Ölpest und Meereserwärmung einen viel höheren negativen Impact auf Meere und Wale. Darum dient Windkraft letztendlich auch dem Walschutz.
  • Rhetorik, Ideologie und Identität der Rechtspopulisten tragen Merkmale des Extremismus und setzen spezifische extremistische Sprachformen ein, wie etwa ein Feindbild mit Sündenbock. Etwa „wir“ (Republikaner an der Seite des „kleinen Bürgers“) gegen „das Establishment“ (Demokratische Regierung, Umweltbehörden, KlimaschützerInnen, Wissenschaft, …).

False Balancing – auch beim ZDF

Andere Medien übernehmen diese Behauptungen der Anti-Windkraft-Lobby ungeprüft als „Theorie“ und wiederholen die falschen Aussagen, ob wissentlich oder nicht, z B hier, hier und hier.

Absurder Kulturkampf: Anti-Windkraft-Propaganda… mit Walen
Absurder Kulturkampf: Anti-Windkraft-Propaganda… mit Walen
Dieser Artikel ist von Politico, das zum Axel-Springer-Verlag gehört

Mittlerweile gibt es auch einen „Faktencheck“ des ZDF dazu. Der ÖRR bekleckert sich dabei nicht mit Ruhm, sondern tappt mal wieder in die Falle des False Balancing. Der ZDF-Beitrag ist immer noch ungenügend, weil

  • Die Quellen offenbar nicht überprüft worden sind: Sowohl die Seite „StopTheseThings“ als auch FoxNews haben mit ihrer extremistischen Propaganda eine klare Agenda gegen Klimaschutz und Wissenschaft. Da diese Agenda bekannt ist, sollte gerade ein ÖRR-Sender solche Aussagen nicht ungeprüft und unkommentiert übernehmen.
  • Tote Wale als Windkraftopfer in einen Kontext gestellt werden, für den es keine Fakten gibt.
  • Die falschen Behauptungen der Anti-Windkraft-Lobby werden den Aussagen der NOAA gegenübergestellt – damit steht eine offensichtlich politisch motivierte Meinung aus dem rechtspopulistischen Spektrum gegen fundierte Fakten vieler WissenschaftlerInnen. Mit diesem False Balancing werden hier Windkraftgegner fälschlich aufgewertet.
  • Eine unüberprüfte Behauptung fälschlich als „Theorie“ bezeichnet wird. Eine Theorie ist eine wissenschaftliche Hypothese, die Beweise anführt. Das trifft auf die hier gemachte Aussage der SST nicht zu, es handelt sich vielmehr um eine Behauptung. Verschwörungs-Expertinnen erklären immer wieder, dass darum Verschwörungserzählungen keine Theorien sind, sondern Mythen.

Fazit: Windkraft ist nicht Schuld am Walsterben, US-Rechte sind einfach nicht mehr an Sachdiskussion interessiert

Im ZDF-Beitrag wäre es gut gewesen, zur Einordnung der Behauptung weitere Quellen zu befragen, z.B. in diese Studie nicht involvierte Experten wie deutsche WalforscherInnen. Immerhin zitiert das ZDF die US-Datenjournalistin Jaclyn Jeffrey-Wilensky, die die Behauptungen klar als Propaganda der Antiwindkraft-Lobby einordnet. Aber auch diese Aussage bleibt ungewichtet stehen.

Weiterhin ist im Faktencheck die Rede vom „Konservativen Spektrum“, das hätte man für deutsche Lesende besser einordnen sollen. In den USA bedeutet „konservativ“ mittlerweile rechtspopulistische Propaganda in der postfaktischen Ära. Ob das allen deutschen ZDF-LeserInnen bewusst ist, wage ich zu bezweifeln. In dem Kontext wäre auch gut gewesen, zu erwähnen dass dieses konservative Spektrum an einer Sachdiskussion überhaupt nicht mehr interessiert ist, wie SST ja im Header offen zugibt. Statt einer Sachdiskussion tobt stattdessen längst ein Kulturkampf, wie das Online-Magazin Mother Jones in seinem Beitrag Whale Deaths Are Now Culture War Fodder sehr gut analysiert hat.

Bleibt als Fazit: Windkraft ist gut für das Klima und Klimaschutz ist gut für die Wale. Wer Walschutz gegen Windkraft ausspielt, ist naiv oder lügt bewusst. Dass Bartenwale an Windkraft sterben, ist aus zoologischer Sicht ähnlich überzeugend, wie beim Anblick einer Herde Shetland-Ponys im Nebel „Einhorn“ zu rufen. Auch wenn es nahezu unmöglich ist, ist das Gegenteil schwierig zu beweisen. Es sei denn, die Buckelwale wären hoch genug gesprungen, um in die Rotoren zu geraten. Aber das ist bei einem 30-Tonner schwer vorstellbar.

Auch in Europa gibt es übrigens dubiose Lobby-Netzwerke, die Propaganda gegen Windkraft verbreiten. Wir berichteten:

Artikelbild: Canva

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Criminals – mjm news. Meet joe collins.