Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.
Aktionismus gegen Deepfakes: „Da würde eine neue Technik pauschal unter Strafe gestellt“
Der Bundesrat legt ein Gesetz gegen Deepfakes vor. Es ist nur die aktuellste in einer Reihe hauptsächlich symbolischer, aktionistischer Regelungsbestrebungen. Aber selbst wenn dieses Gesetz nie verabschiedet wird: Ein Gesetz zum Thema Deepfakes wird kommen. Wir haben uns deshalb mit dem Entwurf auseinandergesetzt.
Der Bundeskanzler will die AfD verbieten, führt die Dönerpreisbremse ein, schlägt einen Passanten auf der Reeperbahn und spielt in einem Porno mit: Das alles ist in sogenannten Deepfake-Videos zu sehen. Sie sind ein Tor zu alternativen Realitäten. Sie zeigen Dinge und machen Aussagen hörbar, die so nie geschehen sind oder getroffen wurden.
Der Bundesrat hat gerade auf Initiative Bayerns einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Verbreitung von Deepfakes generell unter Strafe stellen würde. Dabei sind die mit sogenannter Künstlicher Intelligenz generierten Fotos, Videos und Sprachaufnahmen von der aktuellen Gesetzeslage bereits umfänglich abgedeckt. Auch für sie gelten das Persönlichkeitsrecht und das Urheberrecht und auch hier zieht der Betrugsparagraf aus dem Strafgesetzbuch. Es gibt bereits prominente Beispiele, wie Deepfakes auf Grundlage bestehender Gesetze aus dem Netz genommen wurden.
Der Gesetzentwurf passt somit zu weiteren Regelungsvorhaben aus dem Digitalbereich – der Forderung der Innenministerkonferenz vom Juni, Cybermobbing zu einem eigenen Straftatbestand zu erklären; oder der Verschärfung des Aufenthaltsgesetzes, die eine Ausweisung aufgrund eines falschen Likes ermöglicht – die alle eines gemeinsam haben: Die zugrundeliegenden Verfehlungen können auch mit bestehenden Gesetzen verfolgt werden. Es scheint, als würde die Unsicherheit im Umgang mit Digitalthemen in der Bundesregierung vor allem zu Aktionismus führen. Die Situation erinnert ein wenig an die panische Debatte um Social-Bots und Fakenews im Jahr 2016, bei der vieles durcheinander ging.
Die Begründung des neuen Gesetzentwurfs sieht in Deepfakes auf drei Ebenen ein Problem: Sie könnten Persönlichkeitsrechte verletzen, mit ihrer Hilfe können Straftaten begangen werden – wenn beispielsweise die Stimme einer unbeteiligten Person benutzt wird, um Geld anzufordern – und sie könnten auch als Desinformation den demokratischen Willensbildungsprozess stören.
Forderung: Bis zu fünf Jahre Haft für das Teilen eines Videos
Des Kanzlers angeblicher Wunsch nach einem AfD-Verbot stammt aus einem Video des Zentrums für politische Schönheit. Mit sogenannter Künstlicher Intelligenz konnten die Aktivist*innen ihn tun und sagen lassen, was sie wollten. Der Kanzler und seine Mitarbeiter*innen gingen gegen das Video vor, ließen es von zahlreichen Plattformen nehmen. Weil das Persönlichkeitsrecht von Olaf Scholz als Person des öffentlichen Lebens kaum geschützt ist, nutzte sein Team den Hebel des Markenrechts – denn Flaggenstab und Bundesadler, die auch im Video zu sehen sind, seien, obwohl verfremdet, als Insignien des Kanzlers durchaus geschützt. Was Olaf Scholz’ Team nicht konnte: Die Aktivist*innen mit Strafandrohungen belegen.
Das soll aber künftig möglich sein, zumindest wenn es nach dem Bundesrat geht. Der legte dem Bundestag gerade einen Gesetzentwurf vor, der für Verstöße gegen das Persönlichkeitsrecht mittels Deepfake-Technologie eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren vorsieht. Ist der „höchstpersönliche Lebensbereich“ betroffen – zum Beispiel wenn es um Nacktbilder oder pornografisches Material geht – drohen sogar bis zu fünf Jahre Haft. Zwar gibt es Ausnahmen für Kunst und Wissenschaft, „aber bei besonderem öffentlichem Interesse könnte die Staatsanwaltschaft erstmal ermitteln – und erst später würde sich zeigen, ob das unter Satire fällt“, sagt Benjamin Lück, Jurist bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte.
Gesetzesvorschläge des Bundesrats werden in den seltensten Fällen zu gültiger Rechtsprechung. Doch es wird ein Gesetz zum Thema Deepfakes kommen. Das erzwingt allein die EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, diese muss von den Mitgliedsländern bis 2027 in nationales Recht umgesetzt werden. Mutmaßlich arbeitet das Justizministerium bereits an der Ausarbeitung eines eigenen Entwurfs. Deshalb ist es interessant, was für eine Variante der Bundesrat hier zur Diskussion stellt. Auch wenn sie nie verabschiedet wird, ist sie die aktuellste Wortmeldung in einer schwelenden Debatte. Wir haben sie deshalb mit Lück einmal durchdiskutiert.
„Nicht die Strafbarkeit aktionistisch ausweiten“
„Deepfake ist ein Problem, das will ich nicht kleinreden“, sagt der Jurist Lück. Ihm und auch der Begründung der Bundesratsinitiative zufolge sind das Hauptproblem dabei nonkonsensual verbreitete Nacktaufnahmen und pornografisches Material – und deren Verbreitung ist jetzt schon weitgehend strafbar. Direkt vor dem Paragrafen 201b des Strafgesetzbuches, den der Bundesrat gerne neu einfügen würde, steht der Paragraf 201a. Absatz zwei sagt: „Ebenso wird bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht.“
Das stellt auch Deepfakes unter Strafe, wenn sie dem Ansehen der Betroffenen erheblich schaden. „Diese Relevanzschwelle vermisse ich im Bundesratsentwurf. Da würde eine neue Technik pauschal unter Strafe gestellt“, sagt Benjamin Lück von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Der Befund, das sehr vieles schon strafbar ist, findet sich auch in der Begründung des Bundesrats. „Dann sollte man dem auch Rechnung tragen und nicht die Strafbarkeit aktionistisch ausweiten wollen“, sagt Lück.
Persönlichkeitsrechtsverletzungen können, auch wenn sie dem Ansehen der Betroffenen nicht erheblich schaden, jetzt schon im Zivilrechtsweg verboten werden. „Eine generelle Strafbarkeit von Deepfakes könnte aber Auswirkungen auf die Notice-and-take-down-Verfahren der Plattformen haben, da diese Inhalte dann als illegal im Sinne des Digital Services Act gelten“, sagt Lück.
Er sieht in dem Bundesratsentwurf auch keine geeignete Option, die EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in nationales Recht umzusetzen. Denn nach dieser ist nicht nur die Verbreitung, sondern auch die Herstellung von manipuliertem Bildmaterial im Bereich von Nacktbildern und pornografischer Inhalte unter Strafe zu stellen. Die Herstellung bliebe aber nach dem Entwurf des Bundesrats legal.
Aktionistische Forderungen nach neuen Gesetzen
Problematisch sieht Lück auch die Verbreiterstrafbarkeit, die mit dem Bundesratsentwurf einherginge. Verboten wird damit nicht nur die Erstverbreitung, sondern generell, das Werk anderen zugänglich zu machen. „Da reicht eine Direktnachricht. Das wird zu Folgeproblemen und erheblichem Arbeitsaufwand führen, wenn die Strafverfolgungsbehörden einem viralen Deepfake nachgehen“, sagt Lück. Bei der Verschärfung der Strafbarkeit von Darstellungen, die sexualisierte Gewalt an Kindern zeigen, trat ein ähnliches Problem auf. Hier musste das Justizministerium zurückrudern, damit sich nicht Lehrer:innen, die solches Material entdeckten, strafbar machten.
Lück sieht den Gesetzesvorschlag zu Deepfakes ganz ähnlich gelagert wie den Wunsch der Innenministerkonferenz nach einem Straftatbestand Cybermobbing: „Die bestehenden Gesetze sind da schon recht weit. Die Frage wäre: Wenn sie nicht angewandt werden – warum ist das so?“ Das Problem sei eher eines der mangelnden Durchsetzung als fehlender Gesetzesgrundlagen. Auch das Cybermobbing könne bereits mit einer Reihe von Straftatbeständen bekämpft werden.
„Da kann es um Bedrohung gehen, um Nötigung, um Erpressung, um Beleidigung, um Stalking. Aber man hört selten, dass in diesen Bereichen angeklagt oder verurteilt wird, zum Teil findet es in Kontexten statt, wo die Täter*innen noch nicht strafmündig sind. Manche der Vorschläge wirken so eher wie gesetzgeberischer Aktionismus, als dass sie den Betroffenen von diesen Formen digitaler Gewalt real helfen.“
Auch die Aufenthaltsrechtsverschärfung, die ermöglicht, Asylsuchende aus Deutschland auszuweisen, die mit einem Like in sozialen Medien Terrorismus unterstützen, ist dementsprechend zu lesen. Denn bereits zuvor hatte die Bundesregierung die Möglichkeit, Menschen ohne Gerichtsurteil auszuweisen, wenn sie eine Straftat auch nur vermutet. Obwohl die geltende Rechtsprechung auch im Internet gilt, gibt es offensichtlich große Sorgen, dass dieser Raum ungenügend geregelt ist. Die Angst vor den digitalen Möglichkeiten sorgt dann für drakonische Gesetzespakete – die die Probleme nicht bei ihren Wurzeln greifen, dafür aber Grundrechte bedrohen und Menschen schaden können, die nicht dafür verantwortlich sind.
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Author: Martin Schwarzbeck