Der Versuch einer Analyse des AfD-Wahlerfolgs: Obwohl die AfD im Osten stärkste Kraft ist, bekommt sie am meisten Zugewinne im Westen. Die stärksten Sprünge macht die AfD in den Bundesländern, in denen sie bislang am schwächsten war.
(Quelle: picture alliance/dpa | Patrick Pleul)
20 Prozent der Wähler*innen gaben am Sonntag ihre Stimmer einer rechtsextremen Partei. Wie konnte es so weit kommen?
Wo die AfD besonders triumphiert hat
Nach wie vor ist die AfD in Ostdeutschland am stärksten und das mit Abstand. Doch nun lediglich auf den Osten zu schauen, wäre fatal. Denn, auch im Westen holt die AfD auf. Teilweise sind die Zustimmungswerte in westdeutschen Bundesländern so hoch, wie in ostdeutschen bei der Bundestagswahl 2021. Die AfD holt hier also auf. So hatte die AfD in Mecklenburg-Vorpommern bei der Bundestagswahl 2021 ein Ergebnis von 18 Prozent erzielt. In Bayern, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Baden-Württemberg liegt die AfD bei dieser Bundestagswahl bereits über 18 Prozent, in Niedersachsen und Hessen liegt die AfD mit 17,8 Prozent fast genau auf dem Niveau von Mecklenburg-Vorpommern von 2021. Der Westen hinkt dem Osten bei der Zustimmung zur rechtsextremen AfD also nur knapp 4 Jahre hinterher und holt immer schneller auf.
Die verhältnismäßig größten Gewinne macht die AfD in den Bundesländern, in denen sie bislang am schwächsten war: In Nord-Westdeutschland, insbesondere in Niedersachsen (2025: 17,8 %; 2021: 6,1 %) und Schleswig-Holstein (20025: 20,7 %; 2021: 6,5 %). Im Vergleich zu 2021 hat die AfD in Niedersachsen und Schleswig-Holstein (jeweils knapp + 140 %) ihre Ergebnisse mehr als verdoppelt. Der geringste Zuwachs ist in Berlin (+61,7 %) zu verzeichnen (2025: 15,2 %; 2021: 9 %). Beim konkreten Wahlergebnis hat die AfD im Westen am stärksten im Saarland (11,5 % mehr Prozentpunkte als bei der letzten Wahl; 2025: 20,8 %; 20021: 9,8 %), gefolgt von Rheinland-Pfalz (+10,9 %; 2025: 19,2 %; 2021: 8,8 %) und Niedersachsen (+10,4 %) zugelegt. Die absoluten prozentualen Gewinne sind aber im Osten am stärksten: In Sachsen-Anhalt (+ 17,5 %; 2025: 37 %; 2021: 20,2 %), gefolgt von Thüringen (+14,6 %; 2025: 38,6 %; 2021: 23,7 %) und Brandenburg (+14,4 %; 2025: 32,5 %; 2021: 18,3 %). In Sachsen-Anhalt hat die AfD mit 37,1 % fast doppelt so viel Stimmen wie die zweitplatzierte CDU mit 19,2 % erzielt. Im Sommer 2026 wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. Es wird sich zeigen, ob dann noch eine Landesregierung ohne die AfD möglich sein wird und ob das die CDU in Sachsen-Anhalt überhaupt anstrebt.
Rechtsextreme Dominanz in Ostdeutschland
Der österreichische Rechtsextreme Martin Sellner schreibt in seinem Buch „Regime change von rechts“, auch in Bezug auf die AfD: Hegemonie wird nicht durch Wahlergebnisse erzielt, Wahlergebnisse sind Folge von Hegemonie. In Teilen von Ostdeutschland herrscht diese rechtsextreme Hegemonie bereits. Sie drückt sich jetzt auch in Wahlergebnissen aus: In einigen Gemeinden haben mehr als zweidrittel der Wählenden die AfD gewählt. Das ist nicht nur ein Erfolg der AfD, sie erntet auch viele Früchte von rechtsextremer Aufbauarbeit nach der Wende durch Kader von neonazistischen Parteien wie FAP und NPD oder auch durch die DVU. Aber auch die Rolle der DDR muss hier berücksichtigt werden. Solche Wahlergebnisse sind nicht alleine mit äußeren Faktoren zu erklären: Es geht hier auch um den nostalgisch verklärten Wunsch einer nationalsozialistischen Volksgemeinschaft.
Was den AfD-Erfolg antreibt: Die Ursachen im Blick
Die tiefen gesellschaftlichen Transformationsprozesse und die multiplen Krisendynamiken spielen der AfD in die Karten. Seit einiger Zeit sinken die Konjunkturprognosen für Deutschland, gleichzeitig steigt die Inflation. Laut Infratest dimap, beurteilen 96 Prozent der AfD-Wähler*innen die wirtschaftliche Lage als schlecht, gefolgt von 90 % der Unions-Wähler*innen. Die AfD punktet offenbar bei Menschen, die ihre wirtschaftliche Situation als schlecht einschätzen.
Strukturschwache Gegenden, mit wenig Perspektive und viel Wegzug von jungen Leuten gelten schon länger als Hochburgen der AfD im Osten und zuvor als Hochburgen von Neonazi-Parteien. Auch im Westen ist es gut abzulesen, wo sie ihre Hochburgen hat – neben ländlichen Regionen auch in Großstädten wie Gelsenkirchen, Kaiserslautern und Pforzheim. Was die Gründe sind, dass es gerade diese und nicht (auch) andere Großstädte sind, liegt aber nicht immer direkt auf der Hand. Pforzheim war schon oft eine rechte Hochburg: In den 1960/70er Jahren für die NPD, in den 1990er Jahre für die Republikaner. Dieser „Vererbungseffekt“ reicht zurück bis in die Zeit des Nationalsozialismus. Im Osten sind aus den NPD-Hochburgen, die der AfD geworden. Auch Pforzheim hat seit jeher eine aktive Neonazi-Szene, deren Präsenz womöglich zu einer Normalisierung rechtsextremer Ideologie in der Stadt geführt haben könnte.
Die AfD als die neue Arbeiterpartei?
Gelsenkirchen ist stark vom Strukturwandel betroffen. Viele Gemeinden in Südwestdeutschland, in denen die AfD teils ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln konnten, ebenso. So sind im Saarland viele von der Krise der Stahlindustrie betroffen. Sehr auffällig ist auch, dass die AfD unter den Arbeiter*innen und Erwerbslosen mit Abstand die meistgewählte Partei ist. Aber das ist eben nur eine Teilerklärung. Analysen und Nachwahlbefragungen zeigen, ein Hauptgrund die AfD zu wählen, ist die Zustimmung zu deren nationalistischen, rassistischen und rechtsextremen Agenda. Es spielen also viele Aspekte eine Rolle, um den Wahlerfolg zu erklären, regionale Unterschiede sollten dabei stets berücksichtigt werden.
Alarmierende Normalisierung rechtsextremer Ideologien
Mit dem Erfolg der AfD geht eine immer schneller werdende Normalisierung ihrer rechtsextremen Inhalte einher. Das zeigt sich auch in der Sprache. Und auch die Hemmschwelle, die AfD zu wählen, sinkt rapide. Bis zu 33 % der Wählenden haben schon mal darüber nachgedacht, die AfD zu wählen. Dass sie trotz der schlimmen Terroranschläge in Magdeburg, Aschaffenburg und München in den letzten zwei Monaten kaum noch zulegen konnte, zeigt aber auch, dass kein Automatismus in einer immer stärker zulegenden AfD besteht.
Zivilgesellschaft unter Druck: Ihre Rolle in dieser entscheidenden Zeit
Noch nie war die extreme Rechte seit Gründung der Bundesrepublik so stark gesellschaftlich verankert und akzeptiert wie aktuell. Dennoch ist die Demokratie gefestigt. Das liegt auch an den vielen Menschen, die sich täglich in Vereinen und Verbänden für Demokratie und gegen Rechtsextremismus einsetzen. Doch die Zivilgesellschaft gerät zunehmend unter Druck. Ohne sie gibt es keine funktionierende Demokratie. Die extreme Rechte weiß das und greift sie daher mit aller Macht an.
Rund 48,5 Millionen Wahlberechtigte (82,5 %) haben ihre Stimme abgegeben. Es war die höchste Wahlbeteiligung seit 1990. Davon wählten etwa 10 Millionen die rechtsextreme AfD. Gleichzeitig hat die Mehrheit Parteien gewählt, die sich für demokratische Werte einsetzen. Auffällig ist auch, dass der sogenannte radical right gender gap – die These, dass Männer bevorzugt extrem rechte Parteien wählen – kleiner wird. 24 % der Männer wählen die AfD und 18 % der Frauen. Mit 12 % Zuwachs bei Männern und 10 % Zuwachs bei Frauen ist der radical right gender gap relativ gering. Auch die Einstellungsforschung (Autoritarismus und Mitte-Studie) bestätigt, dass Geschlecht bei ideologischer Einstellung keine besondere Relevanz hat. Dennoch wählen junge Frauen progressiver, wie die Wahlergebnisse der Linken zeigen. Der größte Unterschied besteht wohl zwischen älteren Männern auf dem Land und jungen Frauen in Städten.