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Ein breites Netzwerk aus Tech-Firmen, Stiftungen, Sicherheitsbehörden und PR-Agenturen lobbyiert auf höchster EU-Ebene für die Chatkontrolle. Eine Recherche von mehreren europäischen Medien deckt nun die millionenschweren Zusammenhänge auf.
Ashton Kutcher (rechts) ist nur das öffentliche Gesicht eines breiten Netzwerkes, das für die Chatkontrolle bei der EU-Kommission lobbyiert. – Twitter / Ylva JohanssonZeit Online, BalkanInsight und weitere europäische Medien zeichnen in einer umfangreichen Recherche nach, wie IT- und KI-Firmen zusammen mit Stiftungen, NGOs, Sicherheitsbehörden und PR-Agenturen seit Jahren und unter dem Einsatz von Millionen von US-Dollar für die sogenannte Chatkontrolle lobbyieren.
Bekannt war seit Langem auch durch Recherchen von netzpolitik.org, dass der US-Schauspieler Ashton Kutcher mit seiner Organisation Thorn für die Chatkontrolle lobbyiert, doch das Netzwerk ist weitaus größer.
So schreibt Zeit Online:
Ashton Kutcher, der Hollywoodstar, der KI-Unternehmer wurde, ist das öffentlich wahrnehmbare Gesicht dieser Industrie. Doch während zumindest Teile seines Engagements für die europäische Chatkontrolle öffentlich sind, läuft im Hintergrund der neuen EU-Gesetzgebung eine breite Lobbykampagne.
Laut der Recherchen gibt es neben Kutcher und seinen Aktivitäten „ein ganzes Geflecht von Lobbyvereinen und Organisationen“, das enge Verbindungen zur EU-Kommissionspräsidentin Ursula („Zensursula“) von der Leyen und der EU-Innenkommissarin Ylva Johansson pflegt.
Zugang zu höchster Ebene
Interne Dokumente der EU-Kommission zeigen laut der Recherche, dass sich Ursula von der Leyen und Ylva Johansson sehr eng von Thorn haben beraten lassen. Offiziell gibt sich die Firma als gemeinnützige Organisation, verkauft aber mit „Safer“ auch Software, die mit Hilfe sogenannter Künstlicher Intelligenz Darstellungen von Kindesmissbrauch aufspüren soll. Zu den Kunden zählt etwa das US-Ministerium für Heimatschutz, das sich die Anschaffung von Softwarelizenzen über vier Millionen US-Dollar kosten ließ, wie die Zeit berichtet.
Thorn habe hochkarätige Lobbyisten angeheuert – unter anderem die Lobbyfirma FGS Global. Allein im Jahr 2022 habe Thorn mehr als 600.000 Euro an FGS Global bezahlt, schreibt Zeit Online.
Das Engagement habe offensichtlich Erfolg gehabt, so nahmen Vertreter der PR-Firma für Thorn an Expertensitzungen teil und die EU-Kommission ermöglichte Thorn gleich mehrfach, bei wichtigen Entscheidungsterminen dabei zu sein. Es habe zudem laut der Recherche, die auch Kommunikationen auswertete, ein kontinuierlicher Mailkontakt bestanden.
Lobbyist und Mitarbeiter der Kommission in Personalunion
Neben Kutcher und seiner Stiftung Thorn lobbyiert laut den Recherchen zum Beispiel auch die Organisation WeProtect Global Alliance auf höchster Ebene. Dieser Organisation gehört Antonio Labrador Jimenez an, der gleichzeitig als ranghoher Mitarbeiter der Generaldirektion Inneres (DG Home) bei der EU-Kommission arbeitet – und dort für die umstrittene Gesetzesinitiative zuständig ist.
Bei WeProtect handelt es sich laut der Recherchen allerdings nicht um eine gewöhnliche zivilgesellschaftliche Organisation, sondern eine regierungsnahe Institution, der auch Unternehmen angehören. Zeit Online schreibt:
Sie ist aus zwei Regierungsinitiativen hervorgegangen, von denen die eine von der EU-Kommission und den US-Behörden und die andere vom britischen Innenministerium mitbegründet wurde. 2016 wurden beide Initiativen zu WeProtect zusammengelegt.
Im Board der Organisation sitzen laut der Recherche Regierungsvertreter und Sicherheitsbehörden, zu den Mitgliedern gehören neben Kinderschutzorganisationen, praktisch alle großen Intrernetkonzerne, aber auch zahlreiche Regierungen.
24 Millionen Dollar von der Oak Foundation
Laut Zeit Online ist WeProtect „so etwas wie ein Sammelbecken all jener Kräfte, die davon überzeugt sind, dass die Überwachung jedweder Kommunikation ein sinnvolles Mittel sei, um Missbrauchsbilder zu bekämpfen“. Mitglied im Board von WeProtect ist auch Douglas Griffiths, der wiederum Präsident der Oak Foundation ist.
Zeit Online bezeichnet ihn als den „wohl wichtigsten Geldgeber der Lobby rund um die Chatkontrolle“. Seine Oak Foundation habe nicht nur WeProtect mit „großzügiger Unterstützung für strategische Kommunikation“ versorgt, sondern ein enges Netz zivilgesellschaftlicher Organisationen und Lobbyisten finanziert, die den Kampf zugunsten von Johanssons Vorschlag nach Brüssel getragen hätten. Dieses Netzwerk sei unter dem Namen ECLAG organisiert. Laut der Recherchen von BalkanInsight hat die Oak Foundation seit 2019 mehr als 24 Millionen Dollar in verschiedene Organisationen wie Thorn oder ECPAT für Lobbying rund um die Chatkontrolle gesteckt.
Im Kern geht es den Organisationen darum, mit der Chatkontrolle in der EU einen Präzedenzfall für andere Regierungen zu schaffen, eine Zielvorgabe, die auch Ashton Kutcher bei Lobbyveranstaltungen vorbrachte.
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson posiert mit Vertreter:innen der Lobbyorganisation Brave. – Screenshot / Twitter
Aus der finanziellen Unterstützung der Oak Foundation ging laut den Recherchen auch die Organisation Brave hervor, die sich dann wiederum von der PR-Firma Purpose, die zu Capgemini SE gehört, beraten lassen hat. Die Kosten in Höhe von 1,9 Millionen Dollar übernahm erneut die Oak Foundation. Purpose hatte sich offenbar immer wieder mit Mitgliedern aus Ylva Johanssons Kabinett getroffen, darunter auch Antonio Labrador Jimenez. Johansson selbst tritt in einem von Purpose gedrehten Video auf – und verbreitet dieses auf ihrem Twitter-Account.
Auch Sicherheitsbehörden an Bord
Auch Sicherheitsbehörden seien an der Chatkontrolle interessiert, heißt es in der Recherche. Ein Thema sei dabei die Ausweitung der Chatkontrolle auf andere Kriminalitätsbereiche. Ein internes Dokument zeige, dass Vertreter von Europol dies bei einem Treffen im Juli 2022 anfragten:
„Es gibt andere Kriminalitätsbereiche“, die von der KI-gestützten Erkennung profitieren würden, wird Europol in dem Protokoll zitiert. Das geplante EU-Zentrum könnte doch auch für andere Zwecke genutzt werden als allein für die Suche nach Missbrauchsbildern.
In diesem Fall wies das Innen-Kommissariat darauf hin, dass Europol mit den Erwartungen realistisch sein müsse „angesichts der vielen Sensibilitäten rund um den Vorschlag“. Es zeigt aber, dass die Ausweitung der Chatkontrolle schon in den Startlöchern sitzt.
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Author: Markus Reuter