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Antisemitismus: So sehr hat sich Elon Musk radikalisiert

Wer durch Elons Musks Twitterfeed der letzten Monate scrollt, bemerkt schnell, dass er sich auf einem gefährlichen Weg befindet. Seine Übernahme Twitters wurde von Rechten und Rechtsextremen gefeiert, zeigte sich doch schnell, dass Musks Version von „extremer Redefreiheit“, die er versprochen hatte, vor allem eines bedeutet:  freie Fahrt für Rassisten und Antisemiten, die ihren Hass weitgehend ohne Konsequenzen über die Plattform verbreiten können. 

Nun zeigte Musk, dass seine Radikalisierung anscheinend noch weiter fortgeschritten ist, als bisher zu erkennen war: Er schrieb auf Twitter, George Soros, ein in Ungarn geborener Milliardär jüdischer Abstammung, der vor allem progressive Unternehmungen unterstützt, erinnere ihn an „Magneto“, einen Comic-Bösewicht aus dem Marvel-Universum.

Soros: Altbekannte rechte Hassfigur – der jüdische Milliardär

George Soros dient der Rechten schon lange als Hassfigur. Die Publizistin Marina Weisband sagte mir, weshalb sie Musks Äußerungen über Soros so besorgniserregend findet: „Soros ist an sich in antisemitischen Kreisen schon oft ein Code für ,die Juden’. Dass hier nicht die konkrete Person kritisiert wird, sieht man allein daran, dass keine konkrete Handlung und Politik kritisiert wird, sondern er wird mit einem jüdischen Bösewicht verglichen.“ In Bezug auf den Magneto-Vergleich erklärt sie, er sei ein „jüdischer Comic-Bösewicht, dessen Erfahrung als Holocaust-Überlebender ihm eine dunkle Motivation gibt.“ 

Katharina Nocun, Autorin und Expertin für Verschwörungsmythen, sagt mir gegenüber:

„Ein besonderer Dorn im Auge ist Rechten und Rechtsextremen Soros’ gesellschaftliches Engagement. Die von Soros gegründete und mit einem Großteil seines Privatvermögens ausgestattete Stiftung Open Society Foundations fördert weltweit Projekte, die sich für Demokratie, Menschenrechte und eine offene und liberale Gesellschaft einsetzen. Der Name der Stiftung lehnt sich an eines von Karl Poppers berühmtesten Werken an: ,Die offene Gesellschaft und ihre Feinde’. Darin skizziert der Philosoph eine pluralistische Gesellschaft als Gegenmodell zum Totalitarismus.“ 

Solche antisemitischen Verschwörungserzählungen rund um das politische Engagement von George Soros seien nicht nur in den USA beliebt bei Rechten – sondern bildeten ein antisemitisches Framing, das von Reaktionären, Verschwörungsgläubigen und Rechtsextremen auf der ganzen Welt genutzt werde, ergänzt Nocun:

„Auch Viktor Orbán nutzte das Feindbild Soros immer wieder in Wahlkämpfen. 2018 beschimpfte er beispielsweise Oppositionelle als ,Soros-Söldner’. Dabei hat Orbán selbst in seiner Jugend Förderung für seine Ausbildung durch eine von Soros geförderte Institution bekommen.(…) In Polen greifen ebenfalls Politiker der PiS häufiger ähnliche Narrative auf. Auch in den USA verbreiten immer wieder Politiker der Republikaner Mythen, worin es beispielsweise heißt, Soros hätte Migranten bezahlt, damit sie in die USA kommen oder Teilnehmer bei Demos würden systematisch bezahlt werden. Auch russische Staatsmedien verbreiten immer wieder entsprechende Feindbilder.“ 

Musk macht seine antisemitische Anspielung deutlicher

Als sei seine antisemitische Dog Whistle nicht schon deutlich genug, legte Musk in einem weiteren Tweet nach und antwortete auf einen Einwand bezüglich seines Magneto-Vergleichs: „Du gehst davon aus, dass es sich hier um gute Absichten handelt. Das ist nicht der Fall. Er will die Struktur der Zivilisation aushöhlen. Soros hasst die Menschheit.“

Marina Weisband erklärt, dass Musk hier einen der ältesten antisemitischen Verschwörungsmythen wiedergibt, die seit der Antike im Umlauf sind und zur Legitimation von Mord und Gewalt gegen Juden verwendet wurden: „Ihm wird Hass auf die Menschheit vorgeworfen. Diese Unterstellung – ,odium humani generis’ – ist seinerseits eine seit 2000 Jahren verwendete antisemitische Dog Whistle.“ Auf Twitter erklärt sie weiter: „‘Ich bin mit seiner Politik nicht einverstanden’ wäre die nicht antisemitische Variante dieser Aussage. Aber er [Musk] hat das aus Gründen so nicht gesagt.“ 

Ein reicher Jude hasst die Menschen, musk?

Denn bei Musk geht es nicht um Kritik an Soros, sondern um ein antisemitisches Framing: Die Behauptung, ein prominenter, reicher Jude wolle „die Struktur der Zivilisation zerstören“ und „hasse die Menschheit“, folgt der Argumentation der im modernen Antisemitismus wohl einflussreichten Hetzschrift gegen Juden, eine Fälschung, die Anfang des 20. Jahrhunderts veröffentlicht wurde – den  „Protokollen der Weisen von Zion“. Auch der Historiker Jared Yates Sexton warnt:

„Die Vorstellung, dass jüdische Marionettenspieler heimlich die Zivilisation angreifen, ist eine Wiederholung der ,Protokolle der Weisen von Zion’, einer Fälschung, die von autoritären Rechten bevorzugt wird, weil sie Gewalt und antidemokratische Aktionen legitimiert.“ 

Die Protokolle waren nicht nur in Europa im Umlauf, sondern wurden auch in den USA verbreitet, vor allem durch einen zutiefst antisemitischen Geschäftsmann: Henry Ford. Der Faschismus-Experte Jason Stanley schreibt in seinem Buch „Die Anatomie des Faschismus“:

„In den 1920er Jahren wurden Millionen von Exemplaren auf der ganzen Welt verkauft, auch in den Vereinigten Staaten, wo der Automobilhersteller Henry Ford bis 1925 eine halbe Million Exemplare in Massenproduktion produzierte und vertrieb.“ 

Die Parallelen zwischen Musk und Ford

Tatsächlich gibt es Parallelen zwischen Musk und Ford – und zwar keine schmeichelhaften. Beide Männer feierten zunächst immense Erfolge, wurden als Revolutionäre der Automobilindustrie verehrt und galten als Geschäfts-Genies. Doch Fords Erfolg wurde schnell von seiner Paranoia und seinem Antisemitismus überschattet – von da an ging es steil bergab. Weitere Parallelen finden sich leicht: Musk kaufte Twitter und nutzt das Medium seitdem, um rechtsextremen Verschwörungsideologen Reichweite zu verschaffen und ihre Inhalte zu teilen  – Ford kaufte 1918 eine Zeitung, den Dearborne Independent, und ließ dort seinen Hass verbreiten. David Zipper, Gastwissenschaftler an der Harvard Kennedy School, schreibt dazu:

„Zu einer Zeit, als Hunderttausende von Juden vor Pogromen in Europa flohen, veröffentlichte die Zeitung eine Flut von bösartigem Antisemitismus wie die berüchtigten ,Protokolle der Weisen von Zion’ und eine Serie mit dem Titel ,Der Internationale Jude. Ein Weltproblem’ Laut Steven Watts‘ Buch The People’s Tycoon (Der Tycoon des Volkes) führten die daraus resultierenden Reaktionen unter anderem zu einer Verurteilung durch die ehemaligen Präsidenten William Taft und Woodrow Wilson und dazu, dass mindestens ein Ford-Händler (in Iowa) seine Geschäftsbeziehung mit dem Unternehmen beendete.“

Unter Musks heutigem Tweet verbreiten derweil rechtsextreme Accounts Falschinformationen über Soros wie die Behauptung, dass er während des Holocausts für die Verschleppung von Juden verantwortlich gewesen sei – eine Lüge. Soros war ein Kind während des Holocausts und auch nicht, wie häufig von Rechtsextremen behauptet, am Diebstahl jüdischen Besitzes beteiligt. 

Musk verkehrt mit Rechtsradikalen und stimmt ihren Verschwörungsmythen zu

Seit seiner Übernahme von Twitter hat Musk vor allem mit radikalsten Elementen der amerikanischen politischen Rechten interagiert, ihren gefährlichen Verschwörungsmythen zugestimmt und ihnen somit Reichweite verschafft. Seine eigene ist erheblich – Musks Account folgen über 139,7 Millionen Menschen auf Twitter. Er kommuniziert freundlich mit White Nationalists wie Jack Posobiec, dem rechtsextremen Troll-Account „Catturd“, interagierte (Stand März) 24 Mal mit dem reichweitenstarken QAnon Account „Kanekoa und lobte dessen Tweets als „sehr wichtigen Thread“ und „interessanten Thread“.

Musk tauscht sich auf Twitter mit dem rechtsextremen Andy Ngo aus, unterstützt Impfgegner und Covid-Leugner, stimmt Charlie Kirk, dem Vorsitzenden der rechten Denkfabrik „Turning Point USA“ dabei zu, dass die USA eine „Invasion“ von Flüchtlingen erlebe, nutzt Rhetorik des „White Replacement“-Verschwörungsmythos und ist scheinbar besessen von sinkenden Geburtenraten Weißer Menschen – eine klassisches Dog Whistle für „White Replacement“. Der Verschwörungsmythos hat mehrere White SupremacistMassenmörder zu ihren Taten inspiriert. „Tiefgreifende Verschwörungen, die auf demografischen Mythen und Ängsten vor ,Ersatz’ beruhen, setzen Trends frei, die zu völkermörderischer Gewalt führen könnten”, warnt Siva Vaidhyanathan, ein amerikanischer Historiker im Guardian

Hier geht es buchstäblich um NS-Ideologien

Auch Yale-Professor Jason Stanley warnt vor der Gewalt, die „White Replacement“ als Verschwörungsideologie inspiriert und zeigt ihre historischen Wurzeln auf:

„Die Theorie vom White Replacement war die vorherrschende strukturierende Erzählung der NS-Ideologie. Adolf Hitler verkündete seine völkermörderischen Absichten auch in einem langen Manifest über die angebliche jüdische Bedrohung der weißen Zivilisation mit dem Titel ,Mein Kampf’, das 1924 veröffentlicht wurde. Hitler war auch von der Masseneinwanderung und der damit verbundenen Bedrohung der ,weißen Zivilisation’ besessen. Gegenwärtig ist die Theorie des weißen Ersatzes massiv popularisiert und normalisiert worden, […] sie rückt immer mehr in den Mittelpunkt des Mainstream-Narrativs der Republikanischen Partei in Amerika.“ 

Die Verschwörungserzählung vom „Great Replacement“ oder „White Replacement“ ist mittlerweile im Mainstream der Republikanischen Partei angekommen – trotz (oder wegen) der Gewalt, die sie inspiriert. Gewählte Republikanische Politiker nutzen die Erzählung immer wieder, um Furcht vor Flüchtlingen zu schüren, wie der frisch gewählte Senator für Arizona J.D. Vance, Senator Ron Johnson aus Wisconsin und Senator Marco Rubio aus Florida. Auch der Attentäter von Allen, Texas, der am 6. Mai acht Menschen, darunter drei Kinder, tötete, war ein White Supremacist und bezog sich in seinen Texten auf den Verschwörungmythos. Elon Musk, der im November letzten Jahres verkündet hatte, 2024 Ron DeSantis unterstützen zu wollen, verbreitete Falschinformationen zum Attentäter auf seinem Twitter-Account, die wohl von der rechtsextremen Gesinnung des Täters ablenken sollten. 

Musk radikalisiert sich immer mehr und hilft Neonazis

Immer deutlicher zeichnet sich ab: Einer der reichsten Männer der Welt driftet immer weiter in extreme Online-Räume ab und interagiert zunehmend mit extremen Akteuren der Szene, wie White Nationalist Paul Ramsey. Musk veranlasste außerdem die Aufhebung der Sperrung von Accounts von Rechtsextremen und Neonazis, darunter Nick Fuentes. Fuentes wurde zwar einen Tag später erneut gesperrt, nachdem er offen seiner Bewunderung für Hitler Ausdruck verliehen und den Unabomber gelobt hatte, aber zahlreiche andere Nazis haben weiterhin Kontrolle über ihre Accounts – wie beispielsweise der von Andrew Anglin, der seit 2013 gesperrt war. Anglin ist der Gründer der Neo-Nazi-Website „Daily Stormer“, nach dem Vorbild des Nazi-Blatts „Der Stürmer“. Anglin wird per Haftbefehl gesucht. 

Doch Musk lässt nicht nur Rechtsextreme zurück auf seine Plattform, sondern er unterstützt auch Teile ihrer Behauptungen: Im November stimmte er einer erfundenen Behauptung des rechtsextremen Verschwörungstheoretikers Dinesh D’Souza zu, der verkündete, Twitter habe vor Musks Übernahme nur konservative Accounts gesperrt – und somit den Mythos von „Diskriminierung gegen Konservative“ auf Online-Plattformen wie Twitter verbreitet. Auf D’Souza’s widerlegte Behauptung „Wir hören nicht viel darüber, dass Demokraten und Linke wieder auf Twitter zugelassen werden. Warum? Weil sie gar nicht erst rausgeschmissen wurden. Ihre Lügen und Fehlinformationen entgingen einfach jeder Prüfung. Die Zensur wurde als Einbahnstraße gegen Konservative eingesetzt“, antwortete Musk: „Korrekt.“

Er verteidigt rechtsextreme und verharmlost Putschversuche

Musk schloss sich außerdem den Verteidigern von Jacob Chansley, dem sogenannten „QAnon-Schamanen“ an, der nach seinem Sturm auf das Kapitol zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Musk twitterte „Befreit Jacob Chansley!” und bezeichnete den gewaltvollen Sturm der von Trump aufgehetzten Menge auf das Kapitol als „nicht-gewaltvolle, von Polizisten begleitete Tour“. 

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Musk auf Soros eingeschossen hat. Schon vor ein paar Wochen interagierte Musk mit einem weiteren rechten Account und spekulierte darüber, dass Soros’ Sohn seine Finanzen kontrolliere. Der Accountinhaber fragte daraufhin: „Warum würde der Sohn von Soros Amerika unbewohnbar machen wollen?“ Musks Antwort: „Da bin ich überfragt. Wahrscheinlich ist ein gewisser Elfenbeinturm-Pseudointellektualismus daran schuld.“ Schon im Januar hatte Musk eine Frage an Soros gerichtet: „Weißt du, wohin dein Geld fließt?“ – implizierend, dass dem nicht so sei. 

Nicht die erste antisemitische Verschwörungserzählung

Im Februar diesen Jahres hatte Musk bereits auf einer Konferenz eine antisemitische Verschwörungserzählung verbreitet: „Ich denke, wir sollten vielleicht ein wenig besorgt sein, dass wir zu sehr zu einer einzigen Weltregierung werden“, sagte Musk dem Publikum und warnte vor dem „Ende der Zivilisation“ durch eine solche Regierung. Er wiederholte damit den antisemitischen Verschwörungsmythos von der „New World Order“ – der Eine-Welt-Regierung, die Kulturen zerstört und unterjocht, gesteuert, so die antisemitische Erzählung, von geheimen Eliten. 

Eine Ursache für Musks Eskalation seiner antisemitischen Rhetorik gegenüber Soros dürfte darin liegen, dass der Milliardär seine Tesla-Aktien im Wert von 16,3 Millionen Dollar verkauft hat. Kombiniert mit Musks zunehmender Radikalisierung, ist der Ausbruch nicht überraschend – aber umso besorgniserregender. In den drei Monaten nach Musks Übernahme von Twitter hat sich die Anzahl von antisemitischen Tweets bis März mehr als verdoppelt, das besagt eine Untersuchung des Institutes for Strategic Dialogue. Die Zahl neu kreierter Accounts, die Antisemitismus verbreiten, hat sich in diesem Zeitraum mehr als verdreifacht. Es bleibt wenig Hoffnung, dass sich Musk nicht in den Fußstapfen von Henry Ford bewegt. 

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