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Auftrittsverbot für Autor Jakob Springfeld an Leipziger Hochschule

Es war einer der Vorfälle, die so gut in die Rubrik „So geht sächsisch“ passen. Obwohl die Image-Kampagne des Freistaats wohl ganz anders gemeint ist, wenn sie laut offiziellem Selbstverständnis „standortrelevante Themen“ aufgreift, „um zu zeigen, wie wir denken und handeln, was uns ausmacht“.

Aber dann das, vergangene Woche ausgerechnet in der vermeintlich so weltoffenen Stadt Leipzig, geschieht es doch: Ein junger Autor, Jakob Springfeld, in Zwickau geboren und ausgewachsen, will an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) aus seinem Buch „Unter Nazis“ lesen, bei einer vom Studierendenrat gemeinsam mit der Campus-Buchhandlung organisierten Veranstaltung. Doch die Hochschulleitung untersagt die Lesung. „Zu politisch“, heißt es zur Begründung. Der Studierendenrat zitiert weiter aus der Erklärung der Hochschulleitung: Man wolle keine politischen Veranstaltungen – egal welcher Richtung – an der Hochschule, deren Auftrag schließlich Lehre und Forschung sei. Zudem gebe es angesichts aktueller politischer Entwicklungen Sicherheitsbedenken.

Autorin Anne Rabe empört

Die Autorin Anne Rabe aus Wismar, die vor ein paar Tagen gemeinsam mit Jakob Springfeld auf einer Bühne bei der Berliner Urania saß, kann die Entscheidung noch immer nicht so richtig fassen – und hält sie zugleich für in elender Weise typisch. Rabe landete in diesem Jahr mit ihrem Roman „Die Möglichkeit von Glück“ auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Sie ist beste eine der besten Kennerinnen ostdeutscher Befindlichkeiten.

Anne Rabe sagt dem Volksverpetzer zu dem Verbot der Lesung an der staatlich finanzierten Hochschule in Leipzig:

„Was wir seit vielen Jahren erleben, ist einerseits eine seltsame Forderung nach politischer Neutralität auf vielen Ebenen. Dabei frage ich mich schon länger, warum man eigentlich politisch neutral sein sollte? Und wie das genau aussehen soll. Politisch neutral gegenüber Faschisten und Rechtsextremisten? Ich habe viel mehr den Verdacht, dass der Aufruf zur politischen Neutralität rechten Akteuren Räume eröffnet und sichert.

Als Gegengewicht zur behaupteten linken Mainstreamkultur, die empirisch nicht belegt werden kann, treten dann rechte Akteure auf, auch solche, die ganz offen unsere Demokratie angreifen. Und die darüber hinaus besonders gut gegen angeblich linke Veranstaltungen mobilisieren. Sie inszenieren sich als unterdrückte Meinungen, bauen ein Drohszenario auf, vor dem Veranstalter dann einknicken. Dass die Mainstreamkultur in weiten Teilen Ostdeutschlands rechts ist, erkennt man schon daran, dass es eben vor allem antifaschistische, prodemokratische Veranstaltungen sind, die nicht stattfinden können.“

Angst vor Nestbeschmutzung

Und trotzdem pflegt Sachsen beharrlich das Image, dass Kritik an den sächsischen Verhältnissen und rechten Umtrieben als Nestbeschmutzung zu unterbinden ist. Und nimmt dabei eine ungute Vorbildrolle ein.

Im Tagebuch des 21-jährigen Jakob Springfeld findet sich kurz zuvor ein weiterer Eintrag aus dem November. Im Freitaler soziokulturellen Zentrum „LifeArt“ wollte er ebenfalls „Unter Nazis“ vorstellen, ein gemeinsamer Auftritt mit dem Leipziger Fotografen Martin Neuhof, der seine Bilder zeigen wollte.

Grund für die Absage in Freital: Die Veranstaltung wurde angemeldet von der sächsischen Linken-Landtagsfraktion. „Tag24“ zitiert Lydia Weber-Scholz, Sprecherin des Trägervereins des soziokulturellen Zentrums: „Wir haben erst zu spät erfahren, dass es sich um eine Veranstaltung der Linksfraktion handelt.“ Die Absage der Veranstaltung sei „keine Böswilligkeit, es war ein reiner Kommunikationsfehler“. Die Vereinssatzung schließe Parteipolitik aus, „wir wollen unsere Neutralität wahren“. Die Linken-Landesvorsitzende Antje Feiks sagte: „Ziel der Ausstellung war und ist es nicht, Parteipolitik zu machen, sondern Menschen zu würdigen, die sich für die Gesellschaft einsetzen.“

rechter Terror in Freital

In Freital bei Dresden entwickelte sich aus einer Bürgerwehr, die in einer Stadtbuslinie Kontrollfahrten gegen Geflüchtete organisierte, die rechtsterroristische Gruppe Freital, deren Mitglieder 2018 zu Haftstrafen zwischen vier und acht Jahren verurteilt worden sind. Es ist eine Stadt, über die ihr Oberbürgermeister Uwe Rumberg schon 2016 sagte: Eine Neonaziszene, wie man sie klischeehaft aus den 1990ern kennt, gibt es in Freital nicht.“ Ein Oberbürgermeister, der 2020 die CDU verließ, weil sie ihm – ausgerechnet in Sachsen! – zu links geworden war. Und der im Zusammenhang mit Asylsuchenden von „Glücksrittern“, sprach, „die nach Deutschland kommen, um auf Kosten der Gemeinschaft ein sorgloses Leben ohne Gegenleistung zu führen“.

Stoff also zum Diskutieren in Freital, in Leipzig, Sachsen und darüber hinaus. Juli, die Kulturreferentin des Studierendenrats der HTWK, unterstreicht das mit Blick auf das Erstarken der AfD „mit teils nachweislich rechtsextremen Landesverbänden“. Sie erklärt: „In einer solchen Zeit kann eine sächsische Hochschule Weltoffenheit nicht mit Neutralität erreichen. Sich nicht gegen Rechtsextremismus zu positionieren und diese Lesung an der Hochschule zu verhindern, halten wir entgegen aller vermeintlichen Neutralitätsgebote für falsch. Denn das spielt letztlich nur den Rechtsextremen in die Hände.”

Lesung in Kneipe verlegt

Jakob Springfeld derweil will sich auf keinen Fall entmutigen lassen. Seine eigentlich an der HTWK geplante Lesung in Leipzig ließ sich kurzfristig in die Kneipe „Tschoch“ im Süden der Stadt verlegen, dort war es dann rappelvoll.

Insgesamt war der Autor inzwischen mehr als 90-mal zu Lesungen unterwegs, geschätzt gut ein Drittel davon fanden in seinem Heimat-Bundesland Sachsen statt. Er betont, „mit den verschiedensten Menschen“ ins Gespräch kommen zu wollen. Und bisher „nicht nur in linken Zentren“ aufgetreten zu sein, sondern beispielsweise auch in Schulen, Volkshochschulen und sogar bei der Bundeswehr.

Am vergangenen Freitag organisierte die Stadtverwaltung der Großen Kreisstadt Geithain eine Lesung mit dem Autor Thilo Sarrazin, der immer wieder mit rassistischen Aussagen für Furore sorgt. Die als „scharfsinnige Lesung mit dem Bestseller-Autor und Denker“ Sarrazin war ausverkauft. Springfeld ließ sich für den gleichen Abend von engagierten Antifaschist:innen in die Kulturwerkstatt Geithain zum Kontrastprogramm einladen.

Angst vor Anschlägen

Jakob Springfeld sagt dem Volksverpetzer, sein Auftrittsverbot an der Leipziger Hochschule habe ihn überrascht. „Für mich war diese Absage erschütternd. Wenn selbst in Leipzig gehadert wird, wenn es um die Verteidigung der Demokratie und um das Thematisieren von rechter Gewalt geht, dann hat das Land ein großes Problem. Dass ihm ein Auftritt unter dem Vorwand untersagt werde, dieser sei „zu politisch“, sei „ein beschissenes Gefühl“. Und: „Für mich zeigt das auch, dass die Realität von rechter Hegemonie im ländlicheren Raum in vielen Großstädten noch immer nicht angekommen ist.“

Was wiederum nicht nur ein sächsisches Problem ist. Wie der Autor Ronen Steinke gerade erlebte, als er in Greifswald aus seinem neuen Buch „Verfassungsschutz“ lesen wollte. Auf Bluesky berichtete Steinke: „Ich mache eine Lesung in einem Kulturzentrum, die Buchhändlerin bringt vor Beginn eine Kiste Bücher rein und zieht dann sofort wieder ab. Sie habe Angst vor Anschlägen. Die Polizei, die Schutz des Gebäudes zugesichert hatte, taucht gar nicht erst auf.“

Das Buch von Jakob Springfeld „Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts“ ist gemeinsam mit dem Journalisten Issio Ehrich 2022 im Quadriga-Verlag erschienen. Artikelbild: Trainspotter, CC BY-SA 3.0

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