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Automatisierte Datenanalyse: Der Wilde Westen beim Data-Mining der Polizei ist vorbei

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist...
Das heutige Karlsruher Urteil ist ein Sieg für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Künftige Gesetze zur polizeilichen Datenanalyse müssen neue Vorgaben erfüllen, um zu starke Eingriffe der Polizei in die Privatsphäre Betroffener zu vermeiden. Ein Kommentar.
Wie eine Künstliche Intelligenz das Profiling von Menschen visualisiert (Diffusion Bee)Die bislang praktizierte automatisierte Datenauswertung bei der Polizei ist verfassungswidrig, entschied heute das Bundesverfassungsgericht. Natürlich ist das Urteil (pdf) ein Sieg für alle, die das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wertschätzen. Denn die Praxis, es durch absichtliche gesetzliche Nicht-Regelung allein der Polizei und deren Dienstleistern zu überlassen, wie weit sie in die Grundrechte von Bürgern eingreifen, ist heute faktisch beendet worden. Beide angegriffenen Regelungen aus Hamburg und Hessen sind zwar verfassungswidrig, allerdings bekommt Hessen eine Gnadenfrist bis September, um nachzubessern. Damit dürfte diese Nachbesserung bei der polizeilichen Datenanalyse in Hessen auch gleich zum Wahlkampfthema werden.
Das Gericht hat die Chance nicht verstreichen lassen, sich mit dem Einsatz von Technologien des maschinellen Lernens und auch prognostischer Software genauer auseinanderzusetzen. Schließlich fehlen in beiden gekippten Gesetzen technische und rechtliche Vorgaben, die das Gericht nun einfordert. Künftige gesetzliche Regelungen der automatisierten Datenanalyse werden nicht nur sehr viel detaillierter ausgestaltet und mit Blick auf die genutzten polizeilichen Datenquellen neu austariert werden müssen, um darzulegen, was konkret die Polizei beim Data-Mining darf und was nicht. Zusätzlich müssen sie auch neue Vorgaben des Gerichts erfüllen, welches die verlässliche Dokumentation von Informationen über die Datenanalyse-Software „in einer öffentlich zugänglichen Weise“ verlangt.
Die Anhörung im Dezember drehte sich vor allem um die Ausgestaltung eines konkreten Softwareproduktes des kommerziellen Unternehmens Palantir. Das bedient seit Jahren Polizei, Geheimdienste und Militär und hat vor einigen Jahren auch die deutschen Polizeien als lukrativen Markt entdeckt. Mit allzu anstrengenden Forderungen nach Transparenz oder auch nur sinnvollen Erklärungen dazu, was die teure Software denn technisch tatsächlich leistet oder was die Verträge mit der Polizei besagen, war Palantir bisher nicht konfrontiert. Das wird das heutige Urteil teilweise ändern, da es für die künftige Umsetzung von gesetzlichen Grundlagen fordert, dass die zuständigen Behörden sie nachvollziehbar dokumentieren und veröffentlichen.
Einschränkungen bei Massendatennutzung
Glaubt man der PR des Unternehmens, handelt es sich eine quasi-magische Software, unverzichtbar für Ermittler. In gewisser Weise spiegelt sich diese Darstellung auch im Urteil. Dass die Polizei seit Jahren solche Software einsetzt, trägt offenbar dazu bei, dass die Nutzung von automatisierter Datenanalyse nicht mehr als solche hinterfragt wird. Es hat sich in den Köpfen festgesetzt: Ohne solche digitalen Auguren könne eine moderne Polizei gar nicht mehr auskommen.
Obwohl der Fokus seitens des Gerichts in der Anhörung stark auf die spezielle Palantir-Anwendung in Hessen gerichtet war, erinnert das Urteil daran, was die gesetzlichen Befugnisse eigentlich erlaubt hätten. Denn was die Gesetze angeht, waren die polizeilichen Nutzer durch nichts daran gehindert, noch invasivere Technologien einzusetzen und auch noch ganz andere Datenarten zu verarbeiten als das aktuell praktiziert wird. Natürlich muss einer gesetzlichen Erlaubnis immer auch eine gewisse Technologienoffenheit innewohnen, allerdings konnte die Polizei qua Gesetz qualitativ und quantitativ ganz neue Kapitel aufschlagen.
In der Sprache des Gerichts heißt das „daten- und methodenoffene Ausgestaltung“. Mit diesem Wilden Westen beim Data-Mining der Polizei dürfte zunächst Schluss sein, insbesondere auch bei der Massendatennutzung wie bei den Funkzelleninformationen oder was beispielsweise biometrische Daten angeht. Deren Ausschluss bei der Datenanalyse benennt das Urteil explizit als eingriffsmildernd. Daten aus heimlicher Wohnraumüberwachung, von Staatstrojanereinsätzen oder ähnlich eingriffsintensiven Maßnahmen werden künftig nicht in den Systemen von Palantir landen.
Das Urteil fällt in eine Zeit, in der über Künstliche Intelligenz wieder viel gesprochen wird. Man kann sich über den Hype wundern und als technisch Interessierter auch manchmal darüber lachen: Aber aktuell wird vielen Menschen durch das Beispiel ChatGPT sehr bewusst, dass maschinelles Lernen in den Alltag eindringen wird. Da stellt sich durchaus die Frage, warum das Bundesverfassungsgericht zu Fragen des Einsatzes der Künstlichen Intelligenz bei der Polizei nicht grundsätzlicher wird. Es ist ja nicht so, als stünden diese Fragen nicht vor der Tür.
Doch im Grunde liefert das Urteil zahlreiche Details dazu, wie künftige Gesetzgeber Befugnisse bei der automatisierten Datenanalyse zu gestalten haben, was dabei „eingriffsverstärkend“, was „eingriffsmildernd“ ist und auch, wo die roten Linien verlaufen. Es wird und muss in Zukunft eine Art obere Grenze der Datenfracht geben, mit der eine Polizei-KI gefüttert werden darf, und auch eine qualitative Grenze in Bezug auf die Art der Daten. Dazu liegen nun detailreiche verfassungsrechtliche Anforderungen vor, an die sich Gesetzgeber zu halten haben. Das Gericht dürfte dennoch nicht das letzte Mal mit Fragen der automatisierten Datenanalyse beschäftigt sein, denn die Erfahrung lehrt: Gesetzgeber haben die Tendenz, sich an die Vorgaben aus Karlsruhe nicht immer zu halten.
Offenlegung: Ich war technische Sachverständige in dem Beschwerdeverfahren.

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Author: Constanze

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