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Besonders bei Corona: Zurückgezogene Studien bekommen mehr Reichweite

Hin und wieder müssen wissenschaftliche Studien auch nach ihrer Veröffentlichung wieder zurückgezogen werden. Das ist an sich kein Problem, denn es beweist, dass die Wissenschaft selbstkritisch bleibt. Doch es gibt in den letzten Jahren Indizien dafür, dass vor allem zum Thema Corona deutlich mehr Studien voreilig oder gar manipulativ veröffentlicht wurden. Eine neue Studie zeigt nun, dass diese zurückgezogenen Studien sogar mehr Reichweite bekommen. Eine gefährliche Entwicklung.

Fake News Nach Corona

Fake News, Verschwörungsmythen und eine hetzende Axel-Springer-Presse sind alles keine Erfindungen der letzten 3 Jahre. Doch seit Beginn der Corona-Pandemie erleben wir einen Schwall an Desinformation mit großer Reichweite, die selbst Faktenchecker überrascht und an ihre Grenzen bringt. In der Hochphase der Corona-Pandemie haben wir buchstäblich täglich Falschinformationen über die Gefährlichkeit der Pandemie, die Impfungen, die Maßnahmen oder auch den Ursprung des Virus widerlegen müssen. Und selbst dann konnten wir bei weitem nicht jede Fake-News aufklären. Wir haben riesige Faktenchecks zu notorischen Fake News-Schleudern wie Stefan Homburg, Boris Reitschuster oder Daniele Ganser gemacht.

Wir haben auch viel Kritik zu unserer Arbeit bekommen. In der Regel waren das Hass, Hetze und Morddrohungen, doch hin und wieder auch sinnvolle Hinweise dazu, dass wir auch mal auf dem Holzweg waren. Das haben wir dann auch transparent aufgeklärt und sogar nochmal einen Artikel dazu geschrieben. Unser Anspruch war und ist es immer, den aktuellen Stand der Wissenschaft als Grundlage unserer Argumentation zu haben. Dazu ist der Bezug auf Studien essenziell. Doch ebenfalls während Corona trat ein neues Phänomen gehäuft auf: Zurückgezogene Studien. Klingt erstmal nicht sehr dramatisch, könnte aber Symptom eines größeren Problems sein.

Beim Thema Corona gab es 5-mal so viele zurückgezogene Studien

Auf dieses unterschätzte Problem hat uns ein Blogeintrag vom US-amerikanischen Professor für Chirurgie David Gorski aufmerksam gemacht. Er verweist auf eine in der Fachzeitschrift Scienometrics erschienene neue Studie vom April 2023. In dieser Studie analysierten die Autor:innen die Reichweite zurückgezogener Studien. Die häufigsten Gründe für das Zurückziehen einer Studie sind im Nachhinein erkannte Fehler, mangelnde Reproduzierbarkeit der Ergebnisse und Fehlverhalten. Zurückgezogene Studien sind an sich also erst einmal vor allem ein Beweis dafür, dass die Wissenschaft selbstkritisch arbeitet. Doch schauen wir auf die oben erwähnte Studie in der Scienometrics, ergibt sich daraus auch ein Problem.

Denn die Studie stellte fest, dass die zurückgezogenen Studien eine signifikant höhere Reichweite hatten als der Durchschnitt. Das ist natürlich eine schlechte Nachricht, denn es zeigt ja: Die Studien, deren Ergebnisse sich als falsch herausstellten, bekamen mehr Aufmerksamkeit und wurden häufiger zitiert als die Studien, deren Ergebnisse nicht widerlegt wurden. Und besonders häufig beschäftigen sich diese zurückgezogenen Studien mit dem Thema Corona. Eine weitere Studie vom November 2020 kam zu dem Ergebnis, dass die „Rückzugsrate“ bei Studien aus dem Themengebiet Covid fünfmal so hoch ist wie in allen Biowissenschaften.

Dass gerade die Studien, die (vermeintlich) dem wissenschaftlichen Konsens widersprechen, mehr Reichweite erhalten, haben wir Anfang des Jahres mit der umstrittenen Cochrane-Meta-Studie gesehen, die mit einigen Tricks versuchte, die Tatsache zu leugnen, dass Masken vor Infektionen schützen. Etwas, dem mehrere andere Meta-Studien widersprechen.

Sorry, „Querdenker“: Überprüfung auf Wissenschaftlichkeit ist keine „Zensur“!

Natürlich ruft das Ganze „Querdenker:innen“ und Impfgegner:innen auf den Plan. Während es bislang keine Untersuchungen zu den einzelnen Ergebnissen der zurückgezogenen Studien gibt, fühlen diese sich schon mal präventiv in der Opferrolle. Dabei müssten sie als „kritische Denker“ es doch super finden, wenn die Wissenschaft sich selbst kritisch hinterfragt und gegebenenfalls auch falsche Ergebnisse verwirft? Spaß beiseite, natürlich geht es ihnen wie immer vor allem darum, die eigene Meinung durchzusetzen. Auch wir haben schon mehrfach über zurückgezogene Studien berichten, die versuchten, mit schlechter Wissenschaft Impfungen oder Masken zu diskreditieren.

Professor Gorski nimmt in seinem Beitrag als prominentes Beispiel dafür den US-Impfgegner Peter McCullough. Der log zum Beispiel bereits zu Impfungen in Malaysia oder auch einfach zu Impfungen generell. Ihr findet hier eine ganze Sammlung von seinen Lügen. Dieser in Deutschland kursierende Fake zu angeblichen Impftoten oder sogar dieser Zeitungsartikel mit Corona-Fakes beruhen auf seiner Desinformation. Natürlich sind es wieder solche Leute, die die kritische Überprüfung auf Wissenschaftlichkeit als „Zensur“ diffamieren wollen, da ja alles böse und „Zensur“ ist, was nicht ihrer Meinung entspricht.

Zurückgezogene Studien: Auch für uns Symptom eines Problems

Okay, es ist naheliegend, dass „Querdenker:innen“ meckern, wenn „ihre“ Studien zurückgezogen werden. Wie wir in einem anderen Artikel berichteten, schleusen Wissenschaftsleugner:innen zuletzt gezielt Studien in renommierte Journals ein, um ihre Meinung mit nur scheinbar wissenschaftlichen Fakten zu hinterlegen. Wenn diese Fakes dann doch noch enttarnt und zurückgezogen werden, ist die Wut natürlich groß. Dennoch ist der Schaden schon einmal angerichtet.

Einen Fake in die Welt zu setzen, geht recht schnell, geübte Fake News-Schleudern schaffen das in wenigen Minuten. Die Hintergründe zu recherchieren, Expert:innen zu befragen, zurückgezogene Studien überhaupt zu entdecken, das ist für Faktencheck-Seiten viel aufwendiger. Verschärft wird das Ganze, wie wir gesehen haben, dadurch, dass zurückgezogene Studien statistisch sogar deutlich mehr Reichweite erhalten, als die große Masse der anderen Studien.

Doch die Problematik „zurückgezogene Studien“ hat noch eine weitere Dimension. Denn unsere Arbeit (und die aller Faktencheck-Seiten) verlässt sich ja auf die Wissenschaft als vertrauenswürdige Grundlage, als kleinstem gemeinsamen Konsens, auf dem demokratische Debatten basieren sollten. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass die Expert:innen gute Arbeit machen und die Fachjournals vertrauenswürdige Quellen sind.

Und in den meisten Fällen ist das auch so. Die Ausnahmen kann man in der Regel gut erkennen, weil es immer wieder die gleichen Pappenheimer sind, die Fake News verbreiten. Aber wir sollten dennoch immer auf dem Schirm haben: Fake News sind nicht immer die anderen – und gerade wenn Fake News die eigene Meinung scheinbar bestärken, läuft man Gefahr, diese nicht zu erkennen. Dieses Phänomen nennt sich confirmation bias und man sollte es immer im Hinterkopf behalten, denn niemand ist davor völlig sicher.

Fazit

Es ist und bleibt also schwierig, gegen Fake News zu kämpfen. Wer auf volksverpetzer.de kommt in der Hoffnung, hier die endgültige und allgemeine Wahrheit zu finden, den muss ich leider enttäuschen. Wir geben 110 %, um Fake News kritisch zu hinterfragen, um den Stand der Wissenschaft und die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu verteidigen. Aber wie ihr in diesem Artikel gesehen habt, ist auch der Stand der Wissenschaft kein Nonplusultra.

Ganz im Gegenteil lebt die Wissenschaft davon, dass sie sich immer wieder revidiert, sich selbst kritisch hinterfragt und eben auch widerlegte Erkenntnisse verwirft. Das ist gut so und darüber sollten wir froh sein. Doch lasst uns auch nicht vergessen: Dieser Prozess ist aktuell ein Einfallstor für Fake News und Desinformation. Die wissenschaftlichen Journals sollten immer weiter an ihrer Qualitätssicherung arbeiten und wir sollten skeptisch und kritisch bleiben. Nur so können wir den Sturm an Fake News überstehen, der in den letzten Jahren immer stärker wird. Keine Demokratie ohne Fakten!

Artikelbild: Canva.com

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