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Die Bundesregierung hat einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der das Passwesen modernisieren soll. Tatsächlich aber ebnet der Entwurf der Altersverifikation im Netz und der biometrischen Identifizierung bei Videoüberwachungssystemen den Weg.
Die Bundesregierung will das „Umsetzungsdefizit“ beim automatisierten Lichtbildabruf für Sicherheitsbehörden beseitigen – IMAGO / Jochen TackIn der vergangenen Woche hat das Bundeskabinett den Gesetzesentwurf „zur Modernisierung des Pass-, des Ausweis- und des ausländerrechtlichen Dokumentenwesens“ beschlossen. Vorgelegt hatte ihn Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
In dem Entwurf sind aus digitalpolitischer Sicht besonders zwei Aspekte interessant. Zum einen sieht das Gesetzesvorhaben vor, das Mindestalter für die Nutzung des Online-Ausweises von derzeit 16 auf künftig 13 Jahre zu senken. Zum anderen sollen Sicherheitsbehörden fortan Lichtbilder aller Bürger:innen automatisiert und zu jeder Zeit bei Pass- und Personalausweisbehörden abrufen können.
Regierung ebnet Altersverifikation den Weg
Durch die Senkung der Altersschwelle sollen Jugendliche laut Bundesinnenministerium (BMI) „eine sichere Möglichkeit erhalten, für sie zugängliche Plattformen und soziale Medien zu nutzen“. Das betrifft insbesondere Angebote, die eine Altersbeschränkung haben.
Offiziell dürfen Jugendliche erst ab dem Alter von 13 Jahren soziale Netzwerke wie Instagram nutzen. Auch für Pornoseiten fordern viele Politiker:innen bereits seit langem einen verpflichtenden Altersnachweis. Und die geplante Verordnung der EU-Kommission zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder könnte Anbieter ebenfalls zu Alterskontrollen verpflichten.
Alterskontrollen lassen sich auf unterschiedliche Arten durchführen. Das Verfahren mit dem elektronischen Personalausweis gilt als eine vergleichsweise datenschutzfreundliche Form. Damit lässt sich übermitteln, ob eine Person ein bestimmtes Alter hat, ohne sonstige Daten wie Namen oder Adresse zu offenbaren. Dennoch haben die Pläne gleich mehrere Haken.
Gegen das Recht auf Anonymität
Denn eine strengere Prüfung des Alters könnte dazu führen, dass sich selbst Chatdienste nicht mehr ohne vorherige Ausweiskontrolle nutzen lassen. Dabei könnten es viele Anbieter nicht bei der reinen Altersverifikation belassen, sondern stattdessen die Gelegenheit nutzen, um weitere persönliche Angaben der Jugendlichen abzufragen. Solche Daten – das lehren etliche Hacks und Leaks der Vergangenheit – gelangen immer wieder ungewollt an die Öffentlichkeit und werden von Kriminellen missbraucht.
Elina Eickstädt, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, befürchtet zudem, dass sich Jugendliche frühzeitig an eine ständige Identifizierung im Internet gewöhnen. Das untergrabe ihr Recht auf Anonymität. Dieses Recht sei jedoch essenziell für die Demokratie: „Gerade für die politische Willensbildung ist es wichtig, dass Bürger:innen sich informieren und miteinander diskutieren können, ohne sich beobachtet oder verfolgt zu fühlen“, so Eickstädt.
Eine verpflichtende Altersverifikation würde zudem dazu führen, „dass Personen ohne Papiere generell keinen Zugriff auf grundlegende Kommunikationsdienste erhalten. Sie wären damit sowohl von wichtigen Partizipationswerkzeugen als auch von Hilfsangeboten ausgeschlossen“.
Automatisierter Lichtbildabruf zu jeder Zeit
Darüber hinaus soll das geplante Passgesetz ein „Umsetzungsdefizit“ beim automatisierten Lichtbildabruf für bestimmte Sicherheitsbehörden beseitigen. Zwar gibt es die entsprechende Befugnis seit bereits knapp sechs Jahren. Allerdings scheitere der Abruf laut BMI noch immer allzu oft an der technischen Umsetzung.
Die Bundesregierung will daher die rund 4.300 kommunalen Meldeämter hierzulande dazu verpflichten, „den automatisierten Lichtbildabruf für die hierzu berechtigten Behörden zu jeder Zeit zu ermöglichen“. Dazu werde es laut Gesetzentwurf „vermutlich eine Spiegeldatenbank auf Länderebene geben, in welcher die einzelnen Pass- und Ausweisbehörden ihre Informationen hochladen bzw. abrufen können“.
Im Mai 2017 hatte die Große Koalition den Geheimdiensten das Recht eingeräumt, Biometriedaten aus Ausweisen und Pässen automatisiert abrufen zu dürfen – ohne diese Datenweitergabe an nennenswerte Bedingungen zu knüpfen. Ausschlaggebend ist nach § 25 Personalausweisgesetz (PAuswG) allein, dass die Geheimdienste damit der „Erfüllung ihrer Aufgaben“ nachkommen.
Gegen diese weitgehend unbeschränkte Abrufbefugnis hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) im Jahr 2018 Verfassungsbeschwerde eingelegt, entschieden wurde darüber jedoch noch nicht. Die Klageschrift kritisiert, dass angesichts „der heute sehr weit vorangeschrittenen Vernetzung der Behörden untereinander […] funktional eine bundesweite Datenbank für biometrische Merkmale errichtet“ werde. Eine solche Datenbank schließt das Personalausweisgesetz eigentlich aus. Dort heißt es: „Eine bundesweite Datenbank der biometrischen Merkmale wird nicht errichtet.“ Klageführer sind unter anderem Markus Beckedahl und Andre Meister von netzpolitik.org.
Biometrische Bilder für die Videoüberwachung
Den Ausbau einer biometrischen Schattendankbank will die Bundesregierung mit ihrem aktuellen Gesetzesentwurf offenkundig weiter vorantreiben. Die darin enthaltenen Daten könnten die Sicherheitsbehörden auch für retrograde biometrische Identifizierung bei Videoüberwachungssystemen einsetzen, also für eine nachträgliche Auswertung von Bild- und Videomaterial.
Für diese Form der Überwachung spricht sich die Bundesregierung offen aus. So hat sie in den aktuellen Verhandlungen zum europäischen AI Act zwar die Echtzeitauswertung mit Gesichtserkennungsverfahren ausgeschlossen. Allerdings befürwortet sie es, dass Videoaufnahmen oder andere Überwachungsmaterialien quasi auf Vorrat vorgehalten werden, damit diese im Nachgang mit Hilfe biometrischer Verfahren analysiert werden können.
Dass die geplante Modernisierung des Passwesens „den Kreis zur Positionierung der Bundesregierung im AI Act“ schließt, befürchtet auch Elina Eickstädt vom CCC. Damit aber würde die Ampel-Regierung gegen den eigenen Koalitionsvertrag verstoßen. Dort heißt es explizit: „Flächendeckende Videoüberwachung und den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken lehnen wir ab. Das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet ist zu gewährleisten.“
Auch aus diesem Grund erfährt der Kabinettsentwurf bereits Gegenwind aus Reihen der Koalition. Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, hatte die „Aufrüstung der Geheimdienste“ unter der Großen Koalition im Jahr 2017 noch als „bürgerrechtsfeindlichen Hammer“ bezeichnet. Auf eine aktuelle Anfrage von netzpolitik.org betonte er, „dass bei der Verarbeitung von teilweise besonders sensiblen personenbezogenen Pass- und Ausweisdaten die Einhaltung von höchsten IT-Sicherheits- und Datenschutzstandards strukturell sichergestellt werden“ müsse, um die Freiheitsrechte zu schützen. Die Grünen würden daher sehr genau prüfen, „ob und inwiefern im parlamentarischen Verfahren nachgebessert werden muss, um diesem Anspruch umfassend gerecht zu werden.“
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Author: Daniel Leisegang
