Rechtes Verschwörungsdenken auf pastellfarbenen Insta-Slides? In der Religionswissenschaft gilt Conspirituality als wachsendes Phänomen – das die Wellness-Community mit rechten Influencer*innen verbindet.
Das spirituelle Angebot von außerkörperlichen Erfahrungen und tiefen Bewusstseinszuständen führt oft direkt zu faschistischem Gedankengut.
(Quelle: Peggy_Marco auf Pixabay)
Peter Fitzek, selbsternannter „König von Deutschland“ und Anführer der wohl mitgliederstärksten Reichsbürgergruppierung in der Bundesrepublik, bietet auf seiner Website allerlei Seminare an: „Systemausstieg und Betriebsgründung“ oder „Vision und Tat“, Veranstaltungen mit vermeintlich praktischen Tipps aus dem Reichsbürger*innen-Universum. In einer Premium-Darmheilung können Teilnehmende aber auch mittels einer Entgiftungskur ihre „Altlasten“ loslassen. In einem Dunkel-Retreat geht es darum, außerkörperliche Erfahrungen und tiefe Bewusstseinszustände zu erreichen. Und in einem Medialitätsseminar soll erlernt werden, Kontakt zu feinstofflichen Welten aufzunehmen. Offenbar weiß auch der König von Deutschland, dass Esoterik weiterhin ein boomender Markt ist. Denn immer mehr Menschen sind gewillt, Zeit und Geld in ihre spirituelle Weiterentwicklung zu investieren.
Dass es hier nicht nur um Darmreinigung und Bewusstseinsdimensionen geht und New-Age-Esoterik in diesem Fall ein trojanisches Pferd ist für faschistisches Gedankengut, ist ziemlich offensichtlich. Der Verfassungsschutz hat Peter Fitzek schon lange auf dem Schirm, sein Gefolge gilt als besonders radikal. Emblematisch stehen die Umtriebe des selbsternannten Königs für die Pipeline von Spiritualität zu rechtsradikalem Gedankengut. Die US-amerikanische YouTuberin Natalie Wynn (Contra Points) taufte dieses Phänomen Granola Faschismus. Soziolog*innen sprechen von Conspirituality, einer Mischung also aus Spiritualität und Verschwörungsideologien. Der kanadische Terrorismusexperte Marc-André Argentino hat den Begriff Pastell QAnon geprägt, um auf das zunächst kontraintuitive Zusammenspiel aus harmlos anmutenden Instagram-Slides und den düsteren Erzählungen rechter Verschwörungssekten aufmerksam zu machen.
Ein Blick auf Instagram und TikTok reicht, um zu erkennen: Hier bricht sich eine Art alternative Online-Religion Bahn, deren Anhänger*innen erstens davon ausgehen, die Welt sei von teuflischen Mächten besessen und zweitens, dass sich die Menschheit momentan in einem Wandel hin zu einem neuen Zeitalter befinde. Die Conspiritualists der Gegenwart sind verbunden durch drei Grundannahmen: „Nichts ist, wie es scheint“, „Alles ist miteinander verbunden“ und „Nichts passiert durch Zufall“. Diese drei Aussagen sind im sogenannten magischen Denken zu verorten, im oft verzweifelten Versuch, sich die Welt durch vermeintliche Zusammenhänge zu erklären. Das wiederum ist vor allem unter Esoteriker*innen verbreitet – und kann den Weg ebnen in die düsteren Welten radikaler Verschwörungsmythen. Besonders Antisemitismus ist dabei nie weit.
Sauerteigbrot neben Verschwörungslügen
Auf dem Account einer Szene-Influencerin zeigt sich, wie das ganz praktisch funktioniert.
Fast unscheinbar daneben befindet sich ein Video mit der Beschreibung: „POV: Du hast gerade herausgefunden, dass Big Pharma eine gierige, lügende, kranke Organisation ist.“ Darin stellt die Influencerin Bücher vor. Eines davon: „Natürliche Heilmittel, von denen sie nicht wollen, dass du sie kennst“. Der Autor, Kevin Trudeau, behauptet, Sonnencreme verursache Krebs, AIDS sei eine Lüge der Pharma-Konzerne und, dass natürliche Heilmittel gegen Krebs und Multiple Sklerose bewusst von der US-Food and Drug Administration und der Federal Trade Admission geheim gehalten worden seien, um die Gewinne großer Medizinkonzerne anzukurbeln.
Wie es zumeist der Fall im verschwörungsideologischen Denken ist, verweist also auch dieser Autor auf vermeintliche Strippenzieher mit sinistren Absichten; gleichzeitig besteht der Account der Amerikanerin eben nicht nur aus wissenschaftsfeindlichen und antisemitisch konnotierten Verschwörungsmythen. Genau das macht Conspirituality aus: Einerseits die Aspekte des Verschwörungsdenkens; den Versuch also, die Umwelt durch das hintergründige Wirken einer bestimmten Gruppe zu erklären. Andererseits die esoterisch-spirituellen Aspekte, die vor allem auf Leiblichkeit und Gefühle setzen.
Kein neues Phänomen
Videos wie diese gibt es massenhaft auf TikTok. Und obwohl Conspirituality vor allem als eine Art neuer Online-Religion gilt, lohnt sich auch ein Blick in die Vergangenheit – denn die Verschränkung von Esoterik und rechtem Verschwörungsdenken ist schon über ein Jahrhundert alt.
Beispiel Julius Evola, 1898 in Rom geborener italienischer Philosoph, Esoteriker und Rassenfanatiker: Seine Behauptungen, etwa, dass die Tradition ein ewiges, übernatürliches Wissen sei und die Moderne nur ein vorübergehender Erfolg der Kräfte der Unordnung, halten sich bis heute. Denn sowohl in der modernen Esoterik als auch im Verschwörungsdenken wird eine idealisierte Vergangenheit herbeigewünscht – ein „Urzustand“ im Einklang mit der Natur oder, wenn es um rechtsextreme Vorstellungen geht, ein vermeintlich homogenes Volk. Auch Evola machte schon im 19. Jahrhundert in seinen Werken Werbung für die Vergangenheit. Zu seinen Ideen gehörte auch die Vorstellung einer prähistorischen und vorchristlichen Spiritualität, die sich auf das „Erwachen der Weißen“ bezieht. Er galt als Liebling der italienischen Faschisten, heute wirbt die griechische Neonazi-Partei Goldene Morgenröte für seine Werke.
2017 titelte The New Republic: Die Ära Trump entpuppt sich als ein goldenes Zeitalter für esoterische faschistische Intellektuelle. Statt genetischer Dominanz lautet das Credo nun: spirituelle Überlegenheit. Evola ist nicht der einzige rechts-esoterische Vordenker, den die radikalen Rechten wieder auferstehen lassen. Ein weiteres Beispiel ist Savitri Devi, eine mystische Verehrerin Adolf Hitlers, deren heutige Anhänger*innen auf eine baldige Wiederkehr des Nationalsozialismus vertrauen. Sowohl Evola als auch Devi dürften sich post-mortem über eine steigende Online-Popularität freuen – ihre Gedanken werden gefeiert in einem Milieu, das die gemeinsame Opposition gegen ein vermeintliches „Establishment“ betont. In dieser Vorstellung arbeitet das „Mainstream-Wissen“, also etwa institutionalisierte Medizin, gegen das „Wissen der Ahnen“ an, also gegen die vermeintlich wahre Weisheit. Denn im Denken der Conspirituality sind Verschwörungsmythen verstoßenes „Geheimwissen“. Sie werden von den verachteten „Normies“, von Universitäten, Instituten und Laboren abgelehnt – und, so die Schlussfolgerung, beinhalten genau deshalb revolutionäres Potenzial.
Conspirituality entzündet sich an globalen Krisen
Einen entscheidenden Anschub gab dieser Subkultur die Covid-19-Pandemie. Schon innerhalb weniger Monate nach den ersten dokumentierten Krankheitsfällen wurde klar, dass sich insbesondere innerhalb der Wellness-Szene eine Art Katastrophenspiritualität entwickelte. Eine Anti-Impf-Stimmung griff in weiten Teilen der Community um sich. Teilweise knüpfte die mühelos an antisemitisches Verschwörungsdenken aus der Vergangenheit an: Schon im Nationalsozialismus verbreitete sich das Stereotyp des Juden als Giftmischers, der durch seine Medikamente „arische“ Kinder erkranken lassen will. Heute nutzt man in der Szene anstelle der „Juden“ antisemitische Chiffren. Die Rede ist dann etwa von einer „Hochfinanz“, von „Big Pharma“ oder den „Globalisten“. Zugeschrieben werden jenen Codes dann jedoch genau die Attribute, die jüdischen Menschen im antisemitischen Denken schon seit Jahrhunderten zugeschrieben werden: also etwa Raffgier und Blutrünstigkeit.
Die Conspiritualists, die schon vor der Pandemie ihren Content online posteten, erfreuten sich also mit Einbruch der Pandemie über ein Millionenpublikum. Denn gezwungenermaßen zogen sich die Menschen ins Internet zurück – im Frühjahr 2020 sammelten sich dort User*innen, die durch die neue pandemische Situation völlig verängstigt waren und in einer Zeit, die immer wieder laut nach kollektiver Anstrengung und Zusammenhalt verlangte, nach individuellen Lösungen suchten. Die Versprechen, die ihnen dort begegneten: innerer Frieden, ein gesunder Körper und eine unterstützende Community. Studien, die während der Pandemie durchgeführt wurden, zeigen, dass die Social-Media-Accounts von Anti-Impf-Influencer*innen 2020 um fast acht Millionen Follower*innen zunahmen. Die Influencer*innen nutzten die allgemeine Verunsicherung, das teils fehlende Vertrauen in wissenschaftliche Institutionen und die ungewohnt hohe Geschwindigkeit, mit der die Covid-19-Impfstoffe zugelassen wurden, für ihre eigene Agenda und beruhigten die Gemüter ihrer verstörten Follower*innen: dort das „böse Außen“, hier das „gute Selbst“. Ähnlich wie während der Pandemie gehen nun auch die Conspiritualists der Klimakrise vor. Als Hawaii im vergangenen Jahr vom größten Unwetter der „nationalen Geschichte” heimgesucht wurde, verlautbart Wellness-Influencerin @truth_crunchy_momma (mehr als 40.000 Follower*innen auf Instagram, mehr als 13.000 auf TikTok): „Die Regierung wird so lange Waldbrände legen, bis wir uns alle ihrer Klima-Agenda unterwerfen.” Auf den ersten Blick mag das überraschend erscheinen. Schließlich wird auf den pastellfarbenen Accounts jener Influencer*innen gewohntermaßen eine starke Naturverbundenheit betont. Studien deuten jedoch in eine andere Richtung.
CAAD-Researcher*innen stellten eine Liste von 154 Wellness-Influencer*innen auf Instagram zusammen, die in irgendeiner Weise Conspirituality förderten, etwa durch gesundheitsbezogene Desinformation. Dazu gehörten klassische esoterische Accounts, die sich auf Tarotkarten und Kristalle spezialisieren. Fitness-Influencer*innen, die über Yoga informieren. „Alternative” Gesundheitspraktiker, darunter etwa Kräuterheiler*innen. Und Erziehungsinfluencer*innen, die aus der Szene der Free-Birther kommen oder „natürliche Mutterschaft” bewerben. Die Forscher*innen beobachteten die Accounts über ein Jahr hinweg und stießen auf 140 Beiträge, die mit Klima und Umwelt zu tun hatten. Doch dabei ging es nicht etwa um verifizierte Daten zur Klimakrise, grüne Energie oder ein tatsächlich umweltfreundliches Leben. Viel eher bewarben die Influencer*innen klassische Wellness-Desinformation – etwa, dass der Klimawandel eine Folge davon sei, nicht genug mit den Kräften des Universums verbunden zu sein; oder dass der Klimawandel von der Regierung als Deckmantel genutzt werde für durch Impfstoffe hervorgerufene Gesundheitskrisen. Auch Verschwörungsmythen von vermeintlichen „satanischen Eliten” waren im Umlauf.
Klar ist: Conspirituality stellt längst auch eine reale Einflussnahme auf Politik im analogen Leben dar. Es lohnt sich etwa ein Blick auf die US-Wahlen. Der wohl bekannteste Impfgegner und Verschwörungsideologe im Land, Robert F. Kennedy Jr., wurde nun von Trump als Gesundheitsminister berufen. Er gilt als Anführer der „Make America Healthy Again”-Bewegung. In seinen Bestrebungen geht es ihm jedoch nicht um die Krankenversicherung oder eine bezahlbare Gesundheitsversorgung – er setzt stattdessen auf pseudowissenschaftliche Influencer*innen und macht gemeinsam mit ihnen Stimmung gegen bekannte Cornflakes-Unternehmen, denen er das weitläufige Erkranken Amerikas zuschiebt.