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In Spanien berichten zahlreiche Mädchen, dass KI-generierte Nacktfotos von ihnen in der Schule zirkulieren. Der Fall wird jetzt zum nationalen Skandal – weil die Mütter der Betroffenen sich organisiert haben, um gegen die verantwortlichen Mitschüler vorzugehen.
Miriam Al Adib und die Mütter der betroffenen Mädchen von Almendralejo gehen an die Öffentlichkeit. – Alle Rechte vorbehalten Screenshot TV ExtremaduraNacktbilder, die von Telefon zu Telefon geschickt werden. Mehr als 20 Mädchen, die betroffen sind, die jüngste erst elf Jahre alt. In Spanien sorgt dieser Fall aus dem kleinen Ort Almendralejo mit seinen 30.000 Einwohnern derzeit für einen nationalen Skandal. Am Montag war die Mutter eines der betroffenen Mädchen – die Gynäkologin Miriam Al Adib – mit dem Fall an die Öffentlichkeit gegangen. Ihr Instagram-Kanal hat mehr als 130.000 Follower, das Video wurde hundertausendfach gesehen. Innerhalb weniger Tagen ist der Fall zu einem nationalen Eklat geworden. Die spanische Datenschutzbehörde hat sich eingeschaltet, ebenso die konservative Vorsitzende der Regionalregierung, sogar die spanische Justizministerin hat sich geäußert.
Von Tag zu Tag melden sich seitdem weitere Betroffene, derzeit sind es laut El Pais 22 Mädchen im Alter zwischen elf und 17 Jahren, deren Eltern Anzeige erstattet haben. Die örtliche Polizei hat inzwischen zehn Tatverdächtige identifiziert, teilte sie gestern mit. Es sind Mitschüler und Bekannte der Mädchen, alle selbst noch minderjährig. Nun diskutiert das Land, welche Strafen ihnen drohen und ob das Justizsystem überhaupt für einen solchen Fall gerüstet sei.
Bekannte Gewalt, ungekannte Aufmerksamkeit
Denn die Bilder, die die Jugendlichen laut Berichten in WhatsApp-Gruppen untereinander geteilt hatten, sind Fälschungen. Erstellt haben die Täter sie mit einer Webseite, die offen im Internet zugänglich ist – das Logo sei auf einigen der Bilder zu sehen gewesen, schreibt die spanische Zeitung El País. Sie mussten dazu lediglich Fotos der Mädchen hochladen, auf denen diese bekleidet sind. Wenige Sekunden später produziert die Seite ein manipuliertes Bild, auf dem es wirkt als seien die Mädchen nackt.
Deepnudes werden solche Bilder genannt, eine Wortschöpfung aus Deepfake und dem englischen Wort für Nacktbild. Im Internet gibt es zahlreiche Seiten und Apps, mit denen sie sich kostenlos erstellen lassen. In eigens dafür eingerichteten Foren diskutieren Nutzer, wie man die besten Ergebnisse erzielt. Die Bilder sehen inzwischen oft täuschend echt aus. „Würde ich nicht den Körper meiner Tochter kennen“, sagte auch Miriam Al Adib, „dieses Foto wirkte echt.“
Ihr Partner, der Vater des 14-Jährigen Mädchens, berichtet gegenüber der Online-Zeitung El Español, dass die Bilder im Ort bereits seit Juni zirkulierten – die betroffenen Mädchen hätten sich jedoch aus Angst nicht gemeldet. Miriam Al Adib und andere Mütter haben das jetzt geändert. Das macht den Fall auch über Spanien hinaus bemerkenswert, weil es oft an Gegenwehr, Solidarität und Öffentlichkeit fehlt.
Deepfakes vor allem pornografisch
Das Phänomen der gefälschten Nacktbilder ist nicht neu. Die dahinter stehende Technologie hat in den vergangenen Jahren allerdings rasante Sprünge gemacht. Brauchte man vor einigen Jahren noch viel Rechenleistung und einiges technisches Können, um glaubhafte Ergebnisse zu erzielen, bieten heute zahllose dubiose Anbieter im Netz ihre Dienste an – ein Klick und ein paar Euro genügen.
Seitdem betreffen sexualisierte Deepfakes nicht nur Schauspielerinnen und Politikerinnen, sondern auch ganz normale Privatpersonen. Eine Analyse aus dem Jahr 2019 kam damals schon zu dem Ergebnis, dass mehr als 95 Prozent der existierenden Deepfakes nicht-einvernehmliche Pornografie sei. Laut einer Studie aus Großbritannien, Australien und Neuseeland waren bei etwa jedem dritten Fall die Bilder digital manipuliert worden.
Meist verschleiern die Anbieter, wer hinter den Diensten steckt. So auch im Fall der Seite, die in Almendralejo anscheinend den jugendlichen Tätern gute Dienste leistete. Die Domain ist in den USA registriert, ihre Identität halten die Betreiber versteckt. Ein lapidarer Satz steht auf ihrer Webseite: „We do not take any responsibility for images created using the website.“ Verantwortlich für die Bilder seien lediglich diejenigen, die sie erstellen.
Ein Update zu digitaler Gewalt
„Habt keine Angst, schämt euch nicht“
Fachleute nennen solche Bilder bildbasierte Gewalt. Denn neben „Spaß“ geben viele Täter an, dass sie mit den Bildern Frauen und Mädchen beschämen wollten. Betroffen sind überwiegend Mädchen und Frauen oder queere Personen. Bislang waren sie mit der Scham und Demütigung weitgehend allein. In Deutschland sind erst vereinzelt Fälle bekannt geworden – etwa von Influencer:innen. Studien gibt es hierzulande nicht, das kritisierte kürzlich der Deutsche Juristinnenbund in einem Positionspapier. Betroffene berichten, Strafverfolgungsbehörden wüssten oft nicht mit den Fällen umzugehen, Täter werden nur selten ermittelt und müssen selten Konsequenzen fürchten.
Auch deswegen lässt der Fall aus Spanien aufhorchen. Die Mütter der Mädchen haben es geschafft die Fälle binnen weniger Tage auf die nationale Ebene zu bringen. Medien berichten in Dauerschleife. Die nationale Datenschutzaufsicht hat sich eingeschaltet. Sie weist nicht nur auf Wege hin, wie Betroffene die Bilder melden können, um sie aus dem Internet entfernen zu lassen. Sie macht auch klar, dass hohe Strafen drohen – selbst im Fall von minderjährigen Tätern. Sind sie über 14 Jahre alt, würden ihre Eltern belangt werden, erklärte die Behördenleiterin Mar España.
Das zehn Minuten lange Video von Miriam Al Adib hat mutmaßlich für ein Momentum gesorgt, das es unmöglich gemacht hat, die Fälle klein zu halten. Vor allem hat sie die Schuldlogik ausgehebelt: Nicht die betroffenen Mädchen sollten sich schämen, sagte sie, sondern die Täter. „Mädchen, habt keine Angst, solche Taten anzuprangern, sagt es euren Müttern“, hatte sie am Montag im Begleittext zu ihrem Video geschrieben. Und in einem späteren Post: „Habt keine Angst, schämt euch nicht, fühlt euch nicht schuldig. Wir unterstützen euch als ganze Gesellschaft, bedingungslos.“
Großer Abschreckungseffekt
Auf Fernsehaufnahmen aus dem Ort ist zu sehen, wie die Mütter interviews geben, sich untereinander austauschen. Die Ermittlung gegen die Jugendlichen ist weiterhin offen, sagt die Polizei.
Während erwachsenen Täter:innen für die Verbreitung so genannter Kinderpornografie in Spanien bis zu fünf Jahre Gefängnis drohen, wird für die zwischen zwölf und vierzehn Jahre alten Täter das Jugendstrafrecht gelten. Der Abschreckungseffekt aber dürfte riesig sein, denn die Jugendlichen werden womöglich der Schule verwiesen, in Erziehungsmaßnahmen gesteckt und ihre Eltern werden hohe Geldstrafen zahlen müssen. Dazu kommt, dass das ganze Land nun über sie spricht – und sich mit den Mädchen solidarisiert. Das macht den Fall jetzt schon einzigartig.
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Author: Chris Köver