Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.
DNS-Sperren: Deutsche Provider sperren Hunderte Websites – das sind die Gründe
Deutschlands größte Internetprovider haben bereits Netzsperren für mehr als 350 Domains hochgezogen. Die Gründe dafür werden immer vielfältiger. Sie reichen von Urheberrecht bis Jugendschutz.
Wer in Deutschland die Website des Hisbollah-Fernseh-Senders Al-Manar aufrufen will, bekommt in vielen Fällen nur eine Fehlermeldung angezeigt. „Seite wurde nicht gefunden“, steht dann dort. Es ist laut Medienaufsicht das erste Mal, dass in Deutschland eine Netzsperre wegen „extremistisch-propagandistischer Inhalte“ veranlasst wurde.
Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), ein gemeinsames Organ der 14 Landesmedienanstalten in Deutschland, hatte die fünf größten deutschen Internetprovider bereits Ende 2024 angewiesen, diese Seite zu sperren. Weniger später haben die ersten Provider den Zugang zur Seite geblockt.
Die Begründung der Medienanstalten für die Sperre: Der in Deutschland verbotene Sender verwende auf seiner Seite verfassungswidrige Kennzeichen wie das Senderlogo und die Fahne der Hisbollah und verstoße damit gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag.
In diesem Artikel liefern wir einen Überblick, aus welchen Gründen in Deutschland welche Websites gesperrt werden.
Pornoseiten im Visier der Medienaufsicht
Neben der Seite des Senders Al-Manar werden in Deutschland zahlreiche weitere Domains von den großen Providern gesperrt, ebenso auf Anordnung der Medienaufsicht. Darunter zum Beispiel auch die Domains der Pornoseiten: de.pornhub.com, de.youporn.com und de.xhamster.com.
Die für deren Sperranordnungen verantwortliche Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen befand, dass die Anbieter den Jugendschutz nicht ernst genug nehmen, da sie nicht die Ausweise ihrer Millionen Besucher*innen kontrollieren wollen. Für den Zugang reicht ein Klick auf einen Button, der beispielsweise besagt, „Ich bin volljährig“. Die Anbieter dahinter haben allerdings schnell reagiert und ihr Angebot einfach unter leicht geänderten Domains zugänglich gemacht.
Diesen simplen Trick hatte xHamster bereits 2022 angewandt und damit die Medienaufsicht vorgeführt, die sich kurz zuvor noch für ihren Erfolg gefeiert hatte. Auf ähnliche Weise ist danach Pornhub der Netzsperre entschlüpft, allerdings ohne größere öffentliche Aufmerksamkeit.
Um in diesem Katz-und-Maus-Spiel bessere Chancen zu haben, könnte die Medienaufsicht bald mehr Rechte bekommen, und zwar durch eine Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags. Die Novelle ist bereits fortgeschritten, die Länderchef*innen haben bereits zugestimmt; es fehlt noch die Zustimmung der Landesparlamente. Vorgesehen ist eine Regelung, die es erlaubt, auch rasche Sperren von Ausweichdomains anzuordnen, genauer gesagt: für Angebote, „die mit bereits zur Sperrung angeordneten Angeboten ganz oder im Wesentlichen inhaltsgleich sind“.
Netzsperren wegen Russland-Sanktionen
Eine große Zahl von Websites wird von den deutschen Providern gesperrt, weil die Seitenbetreiber, oft Nachrichtenredaktionen, unter die Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland fallen. Darunter sind zum Beispiel die Propagandamedien Russia Today und Sputnik. Laut Bundesnetzagentur dürfen 56 Domains aufgrund entsprechender EU-Beschlüsse gesperrt werden.
Bereits zu Beginn der Sanktionen im Jahr 2022 gab es daran breite Kritik, etwa von Reporter ohne Grenzen: „Der Einfluss dieser Medien auf die Meinungsbildung in Europa ist begrenzt, die zu erwartenden russischen Gegenmaßnahmen allerdings könnten eine unabhängige Berichterstattung aus Russland erschweren oder sogar unmöglich machen“, sagte damals Geschäftsführer Christian Mihr.
Auch der damalige Abgeordnete des EU-Parlaments Patrick Breyer (Piraten) warnte: „Wie wir aus Erfahrung wissen, wird europäische Zensur Putin einen Vorwand liefern, um seine eigenen Bürger:innen von wichtigen Informationen abzuschneiden, die von europäischen öffentlich-rechtlichen Sendern bereitgestellt werden“.
Urheberrecht erschwert Zugang zu Wissen
Die Mehrheit der Netzsperren wird in Deutschland gegen mutmaßlich „strukturell urheberrechtsverletzende“ Angebote verhängt – 298 Domains sind betroffen. Die Rechtsgrundlage dafür ist das Digitale-Dienste-Gesetz, der Nachfolger des Telemediengesetzes.
Welche Seiten gesperrt werden entscheidet in vielen Fällen die die Clearingstelle Urheberrecht im Internet, kurz CUII, ein privatwirtschaftlicher Zusammenschluss der Inhaber von Rechten für zum Beispiel Musik oder Filme und den großen deutschen Internetprovidern. Unter den über die CUII gesperrten Seiten ist auch die der Wissenschaftsplattform Sci-Hub. Die Online-Bibliothek macht wissenschaftliche Aufsätze und Forschungsarbeiten kostenlos zugänglich, auch wenn die dahinter stehenden Verlage sie nur hinter einer Bezahlschranke veröffentlicht haben.
Die Sperrempfehlungen der CUII werden, so wie alle Sperren, von der Bundesnetzagentur beaufsichtigt. Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass die Sperrempfehlungen nicht mit der nötigen Sorgfalt erstellt und die gesperrten Seiten unzureichend beobachtet werden.
Internet-Provider könnten solche Empfehlungen zwar einfach ignorieren – die größten sind aber selbst CUII-Mitglieder und setzen die Sperren um. Dieses Konstrukt kritisierte schon 2021 Urheberrechts-Experte Felix Reda auf heise online als „private Sperrinfrastruktur“. Die Internetprovider seien vor dem Druck der Unterhaltungsindustrie eingeknickt.
Schwerer Eingriff, leichtfertig angewandt
Netzsperren gelten als besonders schwerer Eingriff, immerhin betreffen sie Grundrechte wie unter anderem Meinungs- und Informationsfreiheit. Im Fall von Medienangeboten ist auch die Pressefreiheit betroffen; im Fall von kommerziellen Angeboten die Berufsfreiheit. Oft verstoßen nicht alle Inhalte eines gesperrten Angebots gegen Gesetze, werden aber dennoch gesperrt, das nennt man Overblocking.
„Erforderlich ist stets eine Abwägung im Einzelfall“, schreibt etwa auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einer Zusammenfassung der Rechtslage im Jahr 2021. Netzsperren dürfen nur als letztes Mittel zur Anwendung kommen, wie aus der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs hervorgeht. Das heißt, bevor die Sperrung einer Seite angeordnet wird, muss klar sein, dass es keine andere Möglichkeit gibt, gegen etwaige Verstöße vorzugehen.
Im Fall des anfangs erwähnten TV-Senders Al-Manar argumentieren die Medienanstalten etwa folgendermaßen:
„Bei Eingriffen in die Medienfreiheit sieht die Rechtsordnung vor, dass wir grundsätzlich zunächst gegen den Verursacher selbst vorgehen sollen. Im vorliegenden Fall ist das die Hisbollah. Ein Vorgehen gegen die Hisbollah im Wege eines Verwaltungsaktes erweist sich indessen aus tatsächlichen wie aus Rechtsgründen als nicht erfolgversprechend.“
Trotz der vielschichtigen Einschränkungen gibt es also zahlreiche Akteure – von der Medienaufsicht bis hin zur CUII – die regelmäßig Netzsperren ausweiten.
Aktuell werden Netzsperren durch Internet-Provider in Form von DNS-Sperren umgesetzt. Das heißt, wenn Nutzer*innen eine betroffene URL ansteuern wollen, werden sie nicht auf die gewünschte Website weitergeleitet. Diese Art der Sperre lässt sich allerdings sehr leicht umgehen. Nutzer*innen können einfach einen alternativen DNS-Server wählen, sowie den Tor-Browser oder ein VPN nutzen.
Zur Quelle wechseln
Zur CC-Lizenz für diesen Artikel
Author: Martin Schwarzbeck