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Eklat bei Radioeins: Anti-asiatischer Rassismus live on air

Belltower.News

Anti-asiatischer Rassismus wird gesellschaftlich weit weniger besprochen als andere Formen der Diskriminierung. Oft tritt er als sogenannter positiver Rassismus auf. Warum daran nichts positiv ist und wieso diese Art des Rassismus schon eine lange Tradition hat, erklärt Hami Nguyen.

Von Hami Nguyen|

Radiomoderator stellt Bloggerin Sissi Chen rassistische Frage

(Quelle: Sissi Chen)

„Das Jahr der Schlange ist dann nicht… also Schlangensuppe gibt es nicht?“

Diese Frage wurde nicht in einer ProSieben Galileo Sendung aus den Neunzigern gestellt oder ist ein schlechter Witz von Thomas Gottschalk. Sie wurde von einem ausgebildeten Journalisten, Volker Wieprecht, an eine der bekanntesten Köchinnen chinesischer Küche in einem Radiointerview gestellt – und das live on air. Die Köchin Sissi Chen, auch als @eatinberlin in den Sozialen Netzwerken, wie Instagram und TikTok bekannt, gab am 31. Januar 2025 ein Live-Interview bei dem RBB-Radiosender radioeins. Es sollte unter anderem um das Mondneujahr oder auch chinesische Neujahr gehen, eines der wichtigsten Feste in Ost- und Südostasien. Jedes Jahr kommen Familien und Freund*innen zusammen, es wird gemeinsam traditionelles Essen gekocht und Kinder erhalten Li Xi, also Geldgeschenke von ihren Verwandten.

Dieses Fest wird je nach Region auch unterschiedlich gefeiert. Menschen, wie ich, die in der Diaspora aufgewachsen sind, erlebten ein ganz anderes Tết, so heißt es in Vietnam, mit den Mitteln, die uns hier zur Verfügung standen. Gerade in diasporischen Kontexten, hat das Neujahrsfest eine besondere Bedeutung, da es auch eine emotionale Verbindung zum Herkunftsort schafft. Was das Mondneujahr bedeutet und wie dieses gefeiert wird – darüber könnte so viel gesagt werden. Stattdessen griff der Journalist zu rassistischen Stereotypen und brachte Chen in eine Situation, in die sie niemals hätte geraten dürfen. Dieser unerwartete Vorfall mit Publikum holte bei Chen tief verankerte internalisierte Verhaltensmuster hoch: „Mir wurde immer beigebracht, nichts zu sagen, nicht aufzufallen oder eine andere Meinung zu äußern, um die gute Ausländerin zu sein. (…) Ich hinterfrage alles, was ich fühle bis ins kleinste Detail, nur um sicherzugehen, fair zu sein und niemand Unrecht zu tun.“ teilte sie später in ihrer Instagram-Story.  Was Chen bei diesem Interview erlebte, war kein Zufall oder einfach ein Ausrutscher des Moderators. Es war ein exemplarischer Fall von anti-asiatischen Rassismus.

Als 2020 die Covid-19 Pandemie ausbrach und sich herausstellte, dass das Virus in China ausbrach, gab es weltweit eine Welle von anti-asiatischen Rassismus, die sich in physischer und psychischer Gewalt äußerte. Die Erzählung, dass das Virus nur ausbrach, weil jemand in China angeblich ein Gürteltier oder eine Fledermaus gegessen habe, konnte sich nur so schnell verbreiten, weil dieses Bild der vermeintlichen „Unzivilisiertheit“ asiatisch gelesener Menschen bereits Konsens innerhalb der Dominanzgesellschaft war.

Anti-asiatischer Rassismus hat in Deutschland eine lange Tradition. 1897 wurde in Kiautschou, einem Gebiet in China, eine deutsche Kolonie errichtet. Das Ziel war es, die Menschen christlich zu missionieren, um sie zu „zivilisieren“. Laut damaligem europäischem Zeitgeist der Rassentheorie ordneten die Deutschen Chines*innen als ihnen unterlegen ein. Kaiser Wilhelm II. warnte 1900 vor der „Gelben Gefahr“ und postulierte, dass asiatisch wahrgenommene Menschen Überträger*innen von Krankheiten seien. Das Feindbild äußerte sich auch darin, dass die Deutschen sich schon im Jahr 1907 gegen die Einwanderung von Chines*innen gewehrt haben, weil sie die sogenannte „Chinesenpest“ bringen würden.

Diese Narrative wurden kontinuierlich, nur in abgewandelter Form, weiterverbreitet. Viele können sich wahrscheinlich an die bereits erwähnten Galileo-Sendungen erinnern, die Themen, wie „Die zehn ekligsten Gerichte der Welt“ behandelten. Fast immer waren Gerichte aus China oder einem anderen Land in Ost- und Südostasien auf Platz Eins. Für die meisten hierzulande war es absolut vorstellbar, dass eine Gürteltier-Pfanne die Ursache für COVID-19 war. Es hätte auch ein beliebiges anderes Tier sein können, wichtig war, dass es keines ist, das hierzulande verzehrt wird. Hier könnte generell die Frage gestellt werden: Warum ist es moralischer und weniger unhygienisch Schwein oder Rind zu essen? Im Prinzip ist beides unmoralisch, nur wird das eine zur Diskriminierung asiatisch gelesener Menschen eingesetzt, während das andere von der weiß-westlichen Gesellschaft legitimiert ist. Zudem weisen Erkrankungen, wie Schweinegrippe oder Salmonellen-Infektionen darauf hin, dass beim Verzehr nahezu jeglicher Tiere und Tierprodukte gefährliche Erreger übertragen werden können. Dieses Wissen wird jedoch ignoriert, denn im Grunde geht es nicht darum, dass ein Tier gegessen wird. Es geht um die Herabsetzung und Ausgrenzung der Lebensweise von Menschen in Ost- und Südostasien, sie als „unzivilisiert“ zu markieren und zu exotisieren. Die Deutungshoheit darüber, was akzeptabel und was moralisch verwerflich ist, liegt nach wie vor bei der weiß-westlichen Gesellschaft.

Das führt mich zurück zum Radiointerview: Als wäre die Frage nach der Schlangensuppe nicht schon anmaßend genug, sagte der Moderator weiter: „(…) überhaupt viele Dinge, von denen Sie sagen, die vermissen Sie in Europa, weil sie in China eben traditionell doch gegessen werden, ich will jetzt nicht von den viel beschriebenen Hunden anfangen (…)“ brachte ein bedrückendes kurzes Schweigen von Chen mit sich. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte Wieprecht als erfahrener Moderator und auch Mensch mit gewisser Empathiefähigkeit merken müssen, dass sein Verhalten unangebracht war. Das Essen von Hundefleisch wird hierzulande schon lange asiatisch wahrgenommenen Menschen zugeschrieben. Schon in der Schulzeit wurde mir nachgesagt, ich würde Hund essen. Die Annahme ist, dass angeblich alle aus „Asien“ das tun würden. Kleine Info am Rande, die wohl viele überraschen dürfte: Hundefleisch wird auch in Europa verzehrt, etwa in der Schweiz. Bei der Herstellung des Appenzeller Mostbrökli kommt in bestimmten Fleischereien, traditionellerweise Hundefleisch rein. Das passt natürlich vielen nicht in das Bild der zivilisierten, europäischen Gesellschaft und wird daher gern ausgeklammert.

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Die Exotisierung und Herabsetzung verbinden wohl die meisten Betroffenen mit schmerzhaften Erfahrungen von Ausgrenzung, Mobbing und Diskriminierung. Wie bei Chen, war auch mein Coping-Mechanismus, meine Gefühle zu hinterfragen und das Verhalten der anderen zu entschuldigen. Die Angst, negativ aufzufallen und noch mehr Angriffsfläche zu bieten, war groß. Auch das ist eine Folge des anti-asiatischen Rassismus und der damit verbundenen Mikroaggressionen. Als Teil der sogenannten „Vorzeigeminderheit“ wird von Betroffenen erwartet, angepasst und höflich zu sein – diese Form nennt sich positiver Rassismus. Die Beschreibung „positiv“ ist allerdings missverständlich. Denn auch hier findet eine Homogenisierung einer konstruierten Gruppe, aufgrund äußerer Merkmale, statt. Neben der Versagensangst und den damit verbundenen Konsequenzen, führt positiver Rassismus auch dazu, dass Rassismuserfahrungen aberkannt werden. Frei nach dem Credo: Wo es keine Probleme gibt, müssen wir auch keine lösen.

Das hat natürlich Auswirkungen auf das eigene Selbstbild. Werden meine Ängste und Erfahrungen nie gesehen oder kleingeredet, hat das Einfluss darauf, wie ich mit diesen umgehe. Als Teil der sogenannten „Vorzeigeminderheit“ sind Betroffene dennoch nicht vor rassistischen Übergriffen geschützt.  Ich denke hier an die Pogrome in Hoyerswerda 1991 und Rostock-Lichtenhagen 1992, bei denen vor allem vietnamesische Migrant*innen angegriffen wurden. Oder der rassistische Mord an der chinesischen Studentin Li Yangjie 2016 in Dessau, der auf die Hypersexualisierung und Fetischisierung asiatisch gelesener Frauen zurückzuführen ist. Der jüngste Fall auf Schloss Neuschwanstein sorgte in Deutschland für Aufsehen. Im Juni 2023 lockte ein weißer US-amerikanischer Tourist die beiden chinesisch-amerikanischen Frauen Eva Liu und Kelsey Chang bei einem Besuch des Schlosses in die Falle. Er vergewaltigte Eva Liu und stieß sie den Abhang herunter. Sie starb an ihren Verletzungen. Kurz vorher wurde die andere Frau, Kelsey Chang, nachdem sie ihn aufhalten wollte, sich an Liu zu vergehen, bereits hinuntergestoßen. Chang überlebte diesen schweren Übergriff. Es ist wichtig, diese Femizide als geschlechtsspezifische Gewalt und als Folge anti-asiatischen Rassismus zu benennen.

Anti-asiatischer Rassismus ist kein Kavaliersdelikt, sondern gehört, neben allen anderen Diskriminierungsformen, benannt und aufgearbeitet. Mittlerweile hat auch radioeins reagiert. Sie haben das Interview offline genommen und bitten um Entschuldigung. Der Vorfall soll in der Redaktion aufgearbeitet werden. Zu hoffen ist es.

Hami Nguyen ist 1989 in Vietnam geboren und 1991 mit ihrer Mutter nach Deutschland geflohen, wo ihr Vater als Vertragsarbeiter in der DDR gearbeitet hatte. Sie studierte VWL, Soziologie und Politikwissenschaften in Halle/Saale und Luzern. 2022 wurde sie vom Focus zu den 100 wichtigsten Frauen des Landes gewählt. 2024 wurde ihr Debüt Das Ende der Unsichtbarkeit – Warum wir über anti-asiatischen Rassismus sprechen müssen mit dem Buchpreis der Immigrationsbuchmesse ausgezeichnet. Sie arbeitet als Referentin in der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt/Main und setzt sich als Aktivistin unter @hamidala_ für eine gerechtere Gesellschaft ein.
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