Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.
Fragwürdige Beschlagnahme: Absurdes Prüftheater um den Adenauer-Protestbus
Die Polizei hatte vor gut einer Woche den Protestbus des Zentrums für politische Schönheit beschlagnahmt – und verhinderte so dessen Teilnahme an mehreren Anti-AfD-Protesten. Bei der heutigen Prüfung fallen die Beschlagnahmegründe in sich zusammen.
So einen Aufmarsch hat die Dekra-Stelle in der Blankenburger Straße im Berliner Norden wohl noch nie gesehen. Ein halbes Dutzend Polizist:innen, ebensoviele Dekra-Prüfer, ein Polizist aus der Pressestelle mit Kamera, der Fahrzeughalter der Künstlergruppe und sein Anwalt, ein Gutachter mit Aktenordner, der grüne Abgeordnete Vasili Franco als Beobachter, ein filmender Kameramann der Aktionskünstler und eine Handvoll Veranstaltungstechniker sind gekommen. Sie alle wollten am Montag dabeisein, als der beschlagnahmte „Adenauer SRP+“ überprüft wurde. Dazu warteten noch zwei Personen der „Bergungsleitung“, die den beschlagnahmten Bus am Morgen vom Polizeigelände zur Prüfstelle geschleppt hatten.
Die Berliner Polizei hatte am vorletzten Sonntag am Rande einer Demonstration gegen AfD und CDU in Berlin den Bus der Aktionskünstler:innen des Zentrums für politische Schönheit wegen angeblich nicht gültiger Betriebserlaubnis sichergestellt – und dabei auch noch ein manipuliertes Foto verbreitet.
Im Beschlagnahmeprotokoll, das netzpolitik.org einsehen konnte, gibt die Polizei an, dass der „Adenauer SRP+“ unzulässige Dachaufbauten inklusive Reling und betriebsbereiter Sirene habe, dazu einen Totschalter zur Simulation eines Fahrzeugschadens. Es gäbe die Möglichkeit zum Absenken des Fahrzeuges und es fehle eine „Sicherungsfolie des Fahrtenschreiberdruckers“. Die Mängel konnte die Polizei laut Beschlagnahmeprotokoll vor Ort auf der Demo nicht beweiskräftig dokumentieren – sie beschlagnahmt das Fahrzeug, um es zu einer technischen Untersuchung zu schicken.
Der Fall eskalierte in den vergangenen Tagen bis in den Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses, sogar die Innensenatorin musste sich äußern und wiederholte die polizeiliche Mängelliste im Parlament.
Beschlagnahmegründe lösen sich in Luft auf
Doch am Ende findet die Prüfstelle weder einen Totschalter zur Pannensimulation noch eine „Absenk-Einrichtung“. Der Anwalt der Künstlergruppe berichtet anschließend, dass auch der bei der Auswertung der Untersuchung anwesende Polizist nicht erklären konnte, was eine „Sicherungsfolie des Fahrtenschreiberdruckers“ ist. Die Dachreling und die Ladung auf dem Dach gibt die Dekra als sicher frei, auch an der Sirene gibt es nichts zu beanstanden.
Zwischenzeitlich fragt der zuständige Polizist sogar die beiden Männer vom Abschleppdienst, ob sie den Totschalter finden könnten – doch auch die werden nicht fündig. Immer wieder wird von Seiten der Polizei und des Abgeordneten telefoniert, die höchste Dienstebene der Polizei scheint involviert. Der Bus ist und bleibt ein Politikum.
Dann irgendwann gegen 16 Uhr die Entscheidung der Dekra: Was den Bus verkehrsuntauglich macht ist, dass er im untersuchten Zustand Antennen, Kameras und eine Sirene auf dem Dach auf mehr als sechs Meter hochfahren kann. Doch diese Funktionen sind nur für den Einsatz auf Demonstrationen gedacht – und auf diesen auch nicht verboten. Auf einer solchen hatte die Polizei das Fahrzeug beschlagnahmt und den Aktionskünstlern verboten, die Druckluft-Vorrichtung zum Aufstellen der Gerätschaften wieder abzustellen.
Hierfür hätten sie nur die Druckluft ablassen und einen kleinen Schlauch entfernen müssen. Weil diese noch angeschlossen sind, kommt die Dekra zum Schluss, dass das Fahrzeug nicht verkehrstauglich ist, weil man während der Fahrt die Aufbauten hätte hochfahren können. Die Dekra empfiehlt dennoch die Freigabe an das ZPS und die Weiterfahrt, nachdem die entsprechende Pneumatik außer Betrieb genommen wird. Die Aktionskünstler dürfen ihr Fahrzeug am späten Nachmittag also selbstständig vom Platz fahren, um in der nächsten Werkstatt die Mängel zu beseitigen. Sie verbreiten auf Bluesky: „Er ist frei“.
Gegenüber netzpolitik.org kritisiert Stefan Pelzer vom Zentrum für politische Schönheit: „Die heutige Untersuchung hat eindeutig bewiesen, dass alle vier schriftlich aufgeführten Beschlagnahmegründe in Wirklichkeit gar nicht vorlagen, sondern eine reine Halluzination der Berliner Polizei waren.“ Übrig blieben Mängel, „die bei typischen TÜV-Terminen eine Behebung und Wiedervorführung innerhalb von vier Wochen erforderlich machen“.
„Fragwürdige Grundlage“
Auch der anwesende Abgeordnete Vasili Franco kritisiert: „Die Beschlagnahme des Busses stand von vorne herein auf einer fragwürdigen Grundlage. Nach der heutigen Begutachtung konnten die allermeisten Gründe für die Beschlagnahme als nicht zutreffend ausgeräumt werden.“ Die offenen Mängel würden jetzt behoben, die einzig relevanten Einwände seien darüber hinaus nicht alleine aus verkehrsrechtlicher, sondern auch aus versammlungsrechtlicher Perspektive zu betrachten, so Franco weiter. „Auf Versammlungen gelten andere Regelungen zu Aufbauten als im normalen Straßenverkehr, was von Seiten der Polizei nicht dementiert, aber auch nicht ausreichend berücksichtigt wurde.“
Franco hofft, dass der „Adenauer SRP+“ noch an Versammlungen im Vorfeld der Bundestagswahl präsent sein kann. Der Berliner Innenpolitiker wünscht sich, dass „dann von vorne herein eine konstruktive Lösungsfindung angestrebt wird, welche die Versammlungsfreiheit gewährleistet und nicht untergräbt“.
Das Zentrum wirft der Berliner Polizei nun vor, ein Problem konstruiert zu haben, das nie existiert habe. Die Polizei twitterte als Reaktion auf den Dekra-Bericht einen angeblichen „Faktencheck“ und versucht, die Beschlagnahme zu rechtfertigen. So sei der Bus als „verkehrsunsicher“ eingestuft worden. Doch diese Einstufung hätte es wohl nicht gegeben, wenn das Fahrzeug im normalen Zustand und nicht im Demo-Zustand untersucht worden wäre.
Wer war verantwortlich?
Ob die Beschlagnahme ein parlamentarisches Nachspiel haben wird und wie genau es zu der Beschlagnahme kam, ist noch unklar. Die Aktionskünstler hatten vor, mit dem Bus verschiedene Proteste gegen Rechts zu unterstützen und mussten laut eigener Aussage mehr als ein Dutzend Teilnahmen wegen Polizeikontrollen und den Prüfungen absagen.
Hinzu kommt, dass teure Veranstaltungstechnik bei Eis und Schnee draußen stand und möglicherweise beschädigt wurde. Die Polizei hatte im Beschlagnahmeprotokoll die Verwahrung in einer Halle zugesichert – und den Bus dann draußen in Berlin-Mahrzahn auf einem Polizeigelände abgestellt.
Stefan Pelzer vom Zentrum für politische Schönheit kritisiert die „rechtswidrige Beschlagnahme und unsachgemäße Verwahrung“. Es sei ein „Schaden von deutlich mehr als 50.000 Euro entstanden“, den die Berliner Polizei ersetzen müsse. „Den Schaden an unseren Grundrechten aber kann uns niemand ersetzen“, so Pelzer. „Die rechtswidrige Beschlagnahme hat unseren legitimen Protest gegen die faschistische AfD für den Großteil der heißen Phase vor der Bundestagswahl sabotiert. Für uns ist das ein absichtlicher Angriff auf die Versammlungs- und Kunstfreiheit.“
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Author: Markus Reuter