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Gegen den KI-Hype: Die große Science-Fiction-Show

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
„Künstliche Intelligenz“ verändert alles und könnte uns vernichten – diese Erzählung zieht gerade Teile der Öffentlichkeit in ihren Bann. Aber der aktuelle KI-Hype ist eine inszenierte Täuschung, die vor allem Geld bringen soll. Ein Kommentar.
Symbolbild für den KI-Hype – Motiv: DALL-E-2 („science-fiction, machines, angels, fire, miracles, hype, future, haeaven, blue, clouds“); Sprechblase: IMAGO / agefotostockEs ist die wohl genialste Marketing-Kampagne des Jahres, die sich gerade rund um ChatGPT und sogenannte KI entfaltet. Während der millionenfach genutzte Chatbot auf Wunsch Texte generiert, überhöhen einige Fachleute und Nachrichtenmedien die Durchbrüche bei KI-Systemen zur Science-Fiction-Show. Sie fabulieren, wie die KI wahlweise die Menschheit vernichten oder zu atemberaubenden Höhen führen kann. Dafür ist ihnen offenbar keine Behauptung zu übertrieben.
Jüngst warnte eine Reihe von Fachleuten sogar vor dem Weltuntergang, und Nachrichtenmedien wie der NDR legitimierten die Behauptung durch Schlagzeilen wie: „Experten warnen vor Auslöschung der Menschheit durch KI“. Zumindest hat der NDR das durch einen hinterher geschickten Kommentar relativiert. Doch schon die Nachricht hätte lauten müssen: Branchen-Vertreter*innen überhöhen den KI-Hype ins Absurde.
Der NDR ist dabei nur eine von sehr vielen Stimmen im dystopischen Chor. „Jeder Zweite sieht in KI eine Gefahr für die Demokratie“, titelte im Mai etwa die Deutsche Presse-Agentur, und Zeit Online schrieb im April: „Mehr als die Hälfte der Deutschen hat Angst vor KI“. Die eigentliche Nachricht ist: Immer mehr Menschen fallen auf den KI-Hype rein.
„Wie ein utopischer Tech-Bro“
Die Dystopie ist das eine Extrem der polarisierten Erzählung. Das andere Extrem ist eine Utopie. Der führende Kopf hinter ChatGPT ist Sam Altman, CEO von OpenAI, dem aktuell meist gehypten Tech-Unternehmen der Welt. „Ich hasse es, wie ein utopischer Tech-Bro zu klingen“, sagte Altman im Frühjahr als Gast in einem Podcast-Interview. Nur um daraufhin zu sagen:
Wir können die Welt wunderbar machen, und wir können das Leben der Menschen wunderbar machen. Wir können Krankheiten heilen. Wir können den materiellen Wohlstand steigern. Wir können den Menschen helfen, glücklicher und erfüllter zu leben.
So eine grenzenlose Überhöhung der Technologie findet sich auch in wissenschaftlichen Papern. So haben Forschende etwa getestet, ob Chatbots die Zukunft vorhersagen können. Überraschung: Es hat nicht geklappt.
Utopie und Dystopie, die beiden Pole der Erzählung erfüllen gemeinsam eine Funktion. Sie verengen die Debatte auf eine Entweder-oder-Frage: Bringt die KI enormes Glück oder enormen Schrecken? In den Hintergrund rückt dabei die Frage, inwiefern große Teile des Hypes bloß heiße Luft sind. Davon angetrieben propellert der KI-Hype durch politische, mediale und wissenschaftliche Debatten – und er verspricht Vorteile für alle, die mitmachen.
Der Hype lässt sich Geld ummünzen
Zehn Milliarden US-Dollar, so viel hat Microsoft in Sam Altmans Firma OpenAI investiert. Tech-Konzerne liefern sich ein Wettrennen um die Marktmacht bei generativer KI. Wer dabei Milliarden-Summen einsammeln möchte, muss Investor*innen von der eigenen Relevanz überzeugen. Und wohl nichts erzeugt mehr Relevanz als die Erzählung vom Untergang der Menschheit. Je mächtiger, verheißungsvoller und gefährlicher die Technologie erscheint, desto mehr Geld lässt sich damit machen. Der KI-Hype ist das beste Marketing, das sich Tech-Konzerne wünschen könnten.
Auf erstaunlich wenig Widerrede stößt der Hype, weil intelligente Maschinen seit Jahrzehnten zur Popkultur gehören. Ob Skynet aus „Terminator“, HAL 9000 aus „2001 – A Space Odyssey“, R2D2 aus „Star Wars“, Data aus „Star Trek“, Ava aus „Ex Machina“ oder die Zylonen aus „Battlestar Galactica“ – kaum eine populäre Science-Fiction-Geschichte kommt ohne intelligente Maschinen aus. Die dystopischen und utopischen Erzählungen des KI-Hypes klingen nur deshalb nicht völlig absurd, weil wir sie seit unserer Kindheit kennen.
Es ist eine Ironie des Schicksals: Während sich manche fragen, ob wir durch KI-basierte Bildgeneratoren noch zwischen Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden sollen, sind große Teile der Öffentlichkeit längst den Science-Fiction-Erzählungen rund um KI zum Opfer gefallen.
Von Wundern, Helden und der Hölle
Es wäre die Aufgabe von Journalist*innen, diesen Hype zu entzaubern. Stattdessen feuern viele Beiträge den Hype weiter an; wohl auch weil es Zeit und Mühe kosten würde, den Science-Fiction-Erzählungen etwas entgegenzusetzen. Ein drastisches Beispiel ist ein Beitrag des ZDF heute journals vom 30. April. Die Redaktion hat sich von ChatGPT Antworten erzeugen lassen, und das Ergebnis als Interview präsentiert. Schon das Wort „Interview“ ist irreführend, weil es die Erzeugnisse des Textgenerators überhöht und vermenschlicht. Der Textgenerator hat keine Persönlichkeit und keine Meinung, er berechnet bloß Sätze. Zu allem Überfluss ließ das ZDF die Antworten auch noch von einer KI-generierten weiblichen Figur aufsagen, die sie „Jenny“ nannten – als hätte das Gegenüber tatsächlich eine Identität. Das Ergebnis ist eine journalistisch bedenkliche Science-Fiction-Show, und das in einer der wichtigsten Nachrichtensendungen Deutschlands.
Der Hype hinterlässt auch in der Politik Spuren. Das Digitalministerium verglich KI-Systeme jüngst mit dem fiktiven Roboter R2D2 und twitterte am Star-Wars-Tag, dem 4. Mai: „Kein #StarWars ohne KI. Denkt an #R2D2: Der Droide ist ein #KI-Superheld!“ Dazu postete das Ministerium ein Foto mit Digitalminister Volker Wissing (FDP), und dem Spruch: „Vor der KI dich nicht fürchten musst. Unterstützen sie dich soll.“ Das Zitat in der Sprechweise der Figur Yoda ist eine Anspielung auf die „Macht“, eine galaktische Kraft im Star-Wars-Universum, die sich für das Gute und das Böse einsetzen lässt. Offensichtlich spielt hier auch das Ministerium mit der Polarisierung aus utopischer und dystopischer KI. Nichts anderes tat die Europa-Abgeordnete und Digital-Politikerin Alexandra Geese (Grüne), als sie laut heise online von KI-Systemen als „Wunderwerkzeugen und Höllensystemen“ sprach.
Die Realität von Künstlicher Intelligenz ist im Vergleich deutlich profaner. KI ist ein grober Sammelbegriff für Anwendungen, die viele Daten zueinander in Beziehung setzen und auf dieser Grundlage Antworten berechnen. Der gehypte Dienst ChatGPT macht das mit Wörtern. Er reiht aneinander, was laut Trainingsdaten gut zusammenpasst, und erzeugt dadurch überzeugend klingende Texte. Auf diese Weise sind ChatGPT (und ähnliche Chatbots) die ausgefeiltesten Autocomplete-Systeme, die bisher entwickelt wurden. Weltweit probieren Menschen aus, was man damit sinnvollerweise machen kann. Das Fazit ist gemischt. Manches klappt sehr gut, manches nicht. Der Chatbot ist unter anderem großartig darin, kreative Anregungen zu sammeln – und wenig nützlich für Fachtexte, die inhaltlich korrekt sein müssen.
Fokus auf ChatGPT ist Ablenkung
ChatGPT-Fans veröffentlichen reihenweise Tutorials darüber, in welchen Bereichen ChatGPT und sein Nachfolger GPT-4 brillieren soll. Einiges davon könnte ganze Berufszweige umkrempeln, etwa für Entwickler*innen. Auch können Textgeneratoren bewirken, dass wir Suchmaschinen und Online-Dienste vermehrt mit Befehlen in natürlicher Sprache bedienen. Manches wiederum erweist sich bei näherer Betrachtung als Käse. Hier soll es aber nicht darum gehen, in welchen Bereichen Textgeneratoren unser Leben verändern werden, und in welchen es bei ein paar Testläufen bleibt, denn schon der Fokus auf Chatbots ist verkürzt. Längst gibt es viele weitere KI-Systeme mit jeweils eigenen, spezifischen Problemen.
Zum Beispiel fahnden Kameras mit biometrischer Gesichtserkennung nach Kriminellen und machen Unschuldige zu Verdächtigen; Software sortiert Job-Bewerbungen und verwehrt unter anderem Frauen den Zugang zu guten Positionen; Lügen-Detektoren sollen Alarm schlagen, wenn Ausländer*innen bei der Grenzkontrolle nervös zucken. Das Schicksal der gesamten Menschheit steht hier nicht auf dem Spiel, trotzdem sind solche Probleme ernst und werden jetzt gerade im Rahmen des AI Acts auf EU-Ebene verhandelt. Wer solche Probleme bekämpfen will, stößt auf harte Widerstände: etwa auf staatliche Überwachungsfantasien, auf das menschenfeindliche Grenzregime der EU, auf Rassismus und Sexismus.
Kein Wunder, dass manche Politiker*innen lieber vom „KI-Superhelden“ R2D2 twittern – und dass vor allem weiße, männliche, reiche Tech-Visionäre solche Gegenwarts-Probleme gerne beiseite schieben und den Blick auf eine ferne Science-Fiction-Zukunft richten. „Aus Gründen der Publicity inszenierte Täuschung“, so lautet eine Definition des Wortes Hype im Duden, und der aktuelle KI-Hype ist genau das. Um die Risiken von KI-Systemen seriös zu diskutieren, muss man diese Täuschung durchschauen, sonst wird man selbst Teil der Inszenierung.

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Author: Sebastian Meineck

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