[Gegenaufklärung 2025]
(Quelle: Canva)
Demokratie und Universalismus stehen vor einer beispiellosen Bedrohung. Desinformation dominiert, Verschwörungserzählungen boomen und antidemokratische Narrative finden global immer mehr Gehör. Was treibt die Gegenaufklärung 2.0 an? Worauf berufen sich Antidemokrat*innen global im Jahr 2025? Was eint und trennt sie und wie lässt sich die Regression in den Neo-Feudalismus abwenden? Darum geht es in der Textreihe [Gegenaufklärung 2025].
Katharina Nocun ist Publizistin und Bürgerrechtlerin. Gemeinsam mit Pia Lamberty schrieb sie mehrere Bücher über Fake News und Verschwörungserzählungen. Zuletzt Gefährlicher Glaube: Die Gedankenwelt der radikalen Esoterik. Wir haben mit ihr über Verschwörungsideologien in den USA, notorische Lügner*innen und den Umgang mit der freien Presse gesprochen.
Belltower.News: Der Anlass dieser Textreihe war nicht zuletzt die erneute Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Jetzt ist er seit über 100 Tagen im Amt und hat die USA in eine Verfassungskrise befördert. Wäre seine Wiederwahl ohne Verschwörungsideologien möglich gewesen?Katharina Nocun: Die Verschwörungserzählungen, gerade zum Thema Medien, haben meiner Ansicht nach den Boden bereitet. Besonders wirkmächtig war vor allem die Verschwörungserzählung rund um einen angeblichen Deep State. Allein die Tatsache, dass Donald Trump mit Journalist*innen derart umgehen kann, wäre undenkbar, wenn nicht ein Teil seiner Anhängerschaft der Meinung wäre, dass kritische Journalist*innen feindliche Akteure sind.
Geradezu beispielhaft für den Umgang des Trump-Lagers mit kritischen Medien war die Ausladung der Associated Press (AP) vom Briefing im Weißen Haus. Das tragische ist, dass das aus meiner Sicht – und das sagen auch einige Medienschaffende aus den USA – der Punkt gewesen wäre, an dem andere Medien sich stärker solidarisch hätten zeigen müssen.
Und zwar wie?
Beispielsweise hätten andere seriöse Medien aus Protest nicht an den Briefings teilnehmen können, solange AP-Vertreter*innen ausgeladen bleiben. Die Frage bleibt dabei natürlich, ob Trump das nicht einfach ausgesessen hätte und ob langfristig nicht eben genau das sein Ziel ist: Alle kritischen Journalist*innen langfristig aus den Meetings ausschließen. Wenn letzteres der Fall wäre, hätte das Schweigen einiger Medien ihnen also nur etwas Zeit erkauft. Aus meiner Sicht kein guter Deal. Stattdessen werden nun nach und nach vollkommen unkritische Blogger und Medienschaffende aus seinem Unterstützungsmilieu eingeladen. Und aus dieser Richtung kommen auch immer wieder Fragen, die klarmachen, dass das eine Jubel-Veranstaltung ist und kein Raum für Kritik an der Regierung bleibt. Wer unkritische Fragen stellt, wird belohnt.
Und was hat das mit Verschwörungserzählungen zu tun?
In einer liberalen Demokratie ist die Existenz einer freien Presse, einer vierten Gewalt, unbedingt notwendig, damit eine kritische Meinungsbildung stattfinden kann. Donald Trump hat jedoch bereits angekündigt, dass finanzielle Zuwendungen für den öffentlichen Rundfunk in den USA gekürzt werden.
Wie haben die Sender darauf reagiert?
Direkt nach Amtsantritt haben einige Medien ähnlich wie bei vielen Universitäten, bei denen Mittel gekürzt wurden, zunächst eine Art Appeasement Strategie gefahren. Man war vorsichtig, vielleicht auch aus Angst, abgestraft oder mit juristischen Angriffen überzogen zu werden. Diese Strategie ist aber überhaupt nicht aufgegangen. Es ist nicht zu erkennen, dass Akteure, die sich in vorauseilendem Gehorsam den Forderungen von Donald Trump beugen, in irgendeiner Weise bevorzugt werden. Daher hoffe ich, dass es in den nächsten Monaten mehr Protest geben wird. Auch, weil Trumps Unterstützer*innen sehr genau wissen, was zu tun ist, wenn er Medien kritisiert.
Und was ist das?
Dass kritische Medienschaffende kurzerhand zu feindlichen Akteuren erklärt werden, ist ein Phänomen in der globalen extremen Rechten, auch in Deutschland. Vor einigen Jahren habe ich mal eine kritische Analyse des AfD-Wahlprogramms in meinem Blog veröffentlicht. Die AfD Baden-Württemberg hat daraufhin einen Beitrag über mich auf ihrer Website veröffentlicht, in dem mein Migrationshintergrund dann plötzlich Thema war. Darin hieß es: „Ihren polnischen Hintergrund, mit dem sie gerne kokettiert und den sie auch gegen die AfD anbringt, erwähne ich wegen Bedeutungslosigkeit nicht.“ Ich deute das mal so, als hätte ich sozusagen kein Recht als „nicht Biodeutsche” über das Programm zu urteilen.
Kurz darauf habe ich Morddrohungen bekommen und ich gehe davon aus, dass es bei vielen Journalistinnen und Journalisten die sich kritisch mit der AfD auseinandersetzen ähnlich ist. Es ist auch erschreckend, dass nun einige Menschen, die kritisch über Trump hier in Deutschland schreiben, vorsorglich derzeit davon absehen in die USA zu reisen. Aktuell weiß man nicht, ob Kritik bei der Einreise Folgen haben kann, eben weil es Fälle gab, in denen Menschen willkürlich an den Grenzen festgehalten wurden. Das schafft einen Angstraum.
Trump verbreitet häufig plumpe Lügen, die leicht aufzudecken sind. Beispielsweise das sehr offensichtlich bearbeitete Bild scheinbarer Gang-Tattoos des nun zu Unrecht abgeschobenen Kilmar Abrego Garcia. Was ist die Absicht dahinter?40 falsche Aussagen zu tätigen. Das hat eine Dimension, die sehr eindeutig über das normale Maß bei Politiker*innen, die sich schließlich auch mal irren, hinausgeht. Es scheint, als würde Trump voll und ganz auf die Karte setzen, dass ein großer Teil seiner Anhängerschaft diese Verschwörungserzählungen über das Mediensystem glaubt und er auf dieser Grundlage seine eigene Realität schaffen kann, wobei ihn keine Faktenchecks kümmern müssen.
Das ist die große Gefahr bei Verschwörungserzählungen über Medien. Autoritäre Akteure attackieren ganz bewusst alle Instanzen, die ihre Autorität untergraben können. Das können Medien sein, aber auch Gerichte oder eben die Wissenschaft. Wir haben schon Fälle gesehen, in denen die Trump-Regierung Gerichtsurteile ignoriert. Ein weiteres Ziel ist die Wissenschaft, weil auch sie Dinge infrage stellen kann, beispielsweise Aussagen zur Klimakrise. Ich sehe das als Strategie, die geradezu aus dem Playbook zum Umbau zu einem autokratischen Staat stammen könnte.
Und das kann man wiederum auf Verschwörungserzählungen zurückführen?
Manche Aussagen von Trump sind derart offensichtlich falsch, es bedarf nur wenige Klicks im Internet, um sie zu enttarnen. Weite Teile desTrump-Milieus sind jedoch verschwörungsideologisch derart “imprägniert” dass sie das nicht stört. Diese Menschen gehen einfach von grundlegenden anderen Parametern der Realität aus. Wenn man glaubt, dass es tatsächlich einen sogenannten Deep State gibt, das ist ja sozusagen die große Verschwörungserzählung aus dem MAGA-Milieu, dann ist man stark darauf getrimmt, staatlichen Akteure erstmal als potentiell feindlich zu sehen. Auf Außenstehende wirkt es befremdlich, wenn Personen wie Elon Musk auf politische Entscheidungspositionen gesetzt werden, die offensichtlich zu Interessenkonflikten führen werden. Dass Musk beispielsweise massiv beim Consumer Financial Protection Bureau gekürzt hat, ist bedenklich, weil er über X selbst Zahlungsdienstleistungen anbieten möchte. Dass es keine echten Checks and Balances mehr gibt, die bei Korruption oder Machtmissbrauch einschreiten könnten, wird ignoriert und zur angeblichen Demokratisierung des Systems erklärt.
Was hat das zur Folge?
Das führt tatsächlich zu einer sehr verdrehten Situation. Für viele ist klar: Es handelt sich um eine Aushöhlung von Regulierung und Kontrollstrukturen. Es schafft außerdem den Raum für eine gewisse Selbstbedienungsmentalität, Lobbyismus und Korruption. Aber Menschen mit einem verschwörungsideologischen Mindset denken eben genau das Gegenteil, weil sie über Jahre darauf getrimmt wurden, den Staat als feindlichen Akteur zu sehen.
Die Masse an Donald Trumps Falschaussagen ist kaum mehr nachzuverfolgen. Faktenchecks seiner Reden sind mehrere Seiten lang. Gibt es keine Möglichkeit, seine Anhängerschaft zu erreichen?
Aktuell gibt es einen gewissen Realitätscheck, zumindest bei einigen. Den Turbulenzen auf dem Finanzmarkt können sich auch MAGA-Anhänger*innen nicht entziehen. Das setzte, aus meiner Sicht, die US-Regierung unter Druck, was auch an Trumps unbeständigen Verhalten in Zollfragen zu erkennen ist. Es gibt ein Narrativ in der QAnon-Bewegung, das heißt „Trust the plan”. Also immer, wenn Probleme auftreten, wird gesagt: Du musst einfach dem Plan vertrauen.
Das funktioniert nicht mehr?
Es wird schwieriger, dem Plan zu vertrauen, wenn die eigene Altersvorsorge zwischenzeitlich beispielsweise um 20 Prozent eingebrochen ist, besonders für Menschen, die bald in Rente gehen. Oder wenn das eigene Unternehmen plötzlich wegen der Zölle von finanziellen Engpässen oder Schließung bedroht ist. Besonders die Wechselwähler*innen, die Trump gewählt haben, sind vermutlich nicht sehr ideologisch gefestigt. Da sieht man auch, dass er zuletzt an Zustimmung einbüßte. Die Frage ist nur, ob der Druck von einzelnen Personen innerhalb der Republikaner oder von Unternehmern , die seine Zollpolitik kritisieren, so groß wird, dass er zumindest in Wirtschaftsfragen einlenkt. Aber hier gilt leider: Das bedeutet noch lange nicht, dass die autoritäre Aushöhlung der Demokratie gestoppt wird.
Akzeptiert Trump diesen Negativ-Trend?
Nein. Ich finde es auch besonders bedrohlich, dass er zuletzt sehr aggressiv gegen Medien gepoltert hat, die Meinungsumfragen veröffentlichen, in denen er schlecht abschneidet. Er versucht, sich die Realität zurechtzulegen und anzueignen. Aber solche Meinungsumfragen haben eine Auswirkung.Gerade, wenn es darum geht, Protest zu formieren. Menschen realisieren: “Ich bin nicht allein mit meinem Unmut.”
Aus demokratietheoretischer Sicht finde ich es persönlich aber unglaublich traurig, dass es anscheinend eher Wirtschaftsfragen sind, die die Trendumkehr befeuern und nicht beispielsweise die Ankündigung, womöglich auch US-Staatsbürger*innen nach El Salvador auszuweisen.
Also ist für Trump-Anhänger*innen der Realitäts-Check wirksamer als der Faktencheck. Wie ist denn die allgemeine Wirksamkeit von Faktenchecks? Gerade, wenn sie oft online oder sogar hinter Paywalls stattfinden.
Es braucht eine realistische Haltung, was und wen Faktenchecks erreichen können, und wen vielleicht auch nicht. Faktenchecks sind zum Beispiel extrem wichtig für Menschen, die in ihrem familiären Umfeld oder Bekanntenkreis jemanden haben, der auf der Kippe steht und unsicher ist, wo die Wahrheit liegt. Da kann man mit Faktenchecks und inhaltlichen Diskussionen noch einiges erreichen. Man muss sich aber klarmachen, dass Teile des Milieus gar nicht auf Faktenchecks klicken werden, weil sie ja vom „politischen Feind” kommen.
Welche anderen Möglichkeiten gibt es denn?
Bei Menschen aus dem persönlichen Umfeld ist es oft geschickter, sich das Mindset einer Person anzuschauen und zu überlegen, an welcher Stelle man überhaupt noch durchdringen kann. Und sich auch zu fragen: Was macht diese Weltbilder auf psychologischer Ebene so anziehend? Warum will die Person so etwas glauben? Was gibt ihr das? Ist es die Illusion eines großen Plans? Ist es das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein? Oder die Sündenbockfunktion von Verschwörungserzählungen? Deradikalisierungsprozesse sind unfassbar aufwendig und auch langwierig. Es handelt sich schließlich um Personen, die ihr Weltbild womöglich über viele Jahre hinweg gebaut haben. Das in kurzer Zeit zu verändern, ist nur schwer möglich.
Medien müssen sich außerdem überlegen, wie man mit einem Akteur umgeht, der regelmäßig lügt. Ich halte es für keine gute Idee, Live-Wahlsendungen ohne Live-Faktencheck zu machen, wenn Menschen dabei sind, die wirklich systematisch lügen. Nachträgliche Online-Faktenchecks werden kaum wahrgenommen. Die Akteure verbreiten anschließend nur die “guten” Passagen der Interviews auf Social Media. Die Anhängerschaft bekommt dann nur die positiven Schnipsel mit, nicht aber die offizielle Richtigstellung. Da wünsche ich mir von Redaktionen mehr Vorüberlegungen dazu, welche Formate in diesem Kontext funktionieren und welche nicht. Man könnte beispielsweise auch stärker mit der Wissenschaft kooperieren. Es gibt viel Forschung zum Thema Umgang mit Desinformation, etwa, welche Form Faktenchecks aufweisen müssen, damit sie funktionieren oder wie man Überschriften gestaltet, damit man die Lüge nicht weiterverbreitet.
Braucht es weitere Änderungen im Umgang mit solchen Akteuren?
Ich halte es für keine gute Idee, Player, die offensichtlich regelmäßig foulen, denselben Regeln zu unterwerfen. Wenn eine Person etwas Falsches sagt, aber dann zurückrudert und sich entschuldigt – vielleicht auch aus Angst vor einem Image-Schaden–, ist das ein anderes Verhalten. Bei Akteuren wie Trump oder bei der AfD passiert das nicht, sie fürchten keinen Image-Schaden mehr durchs Erwischt Werden beim Lügen, weil sie eine verschwörungsideologisch Radikalisierte Anhängerschaft haben. Unter diesen Umständen darf man diese Leute entweder einfach nicht einladen oder man muss sich Formate überlegen, die diesem Umstand angemessen gerecht werden. Das sehe ich derzeit bei vielen Medien nicht.