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Gescheitertes Transparenzgesetz: Eine verpasste Jahrhundertchance
Es hätte das legislative Kronjuwel einer progressiven Regierung werden können: Das Transparenzgesetz sollte die demokratische Kontrolle stärken und die Digitalisierung der Verwaltung voranbringen. Doch Innenministerin Nancy Faeser legte ihren Fokus lieber auf Überwachung als auf Transparenz. Ein Kommentar.
Am Ende wird abgerechnet, das gilt auch für Legislaturperioden. Und so wurde in dieser letzten Sitzungswoche des 20. Bundestages nochmal schmerzlich bewusst, was die selbsternannte Fortschrittskoalition aus SPD, Grünen und FDP nicht erreicht hat. Ob bei der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen oder der Entkriminalisierung von Fahren ohne Fahrschein, die Ampel hat nicht geliefert. Von der langen Liste der uneingelösten digitalpolitischen Versprechen ist eines besonders bitter: Das Transparenzgesetz.
Nach 16 Jahren merkelschem Stillstand wollte die Ampel eigentlich vieles anderes machen. Nicht erst nach den jüngsten Korruptionsskandalen um Masken-Deals oder Bestechung aus Aserbaidschan war der Handlungsdruck groß. Das Transparenzgesetz sollte nicht nur das dringend sanierungsbedürftige Informationsfreiheitsgesetz von 2005 überholen, sondern gleichzeitig endlich ernst machen mit einem Rechtsanspruch auf Open Data.
Der Gesetzentwurf war eigentlich fertig
Mit der proaktiven Veröffentlichung von Dokumenten, Verträgen, Daten und anderen staatlichen Informationen auf einem Transparenzportal hätte das Transparenzgesetz zum legislativen Kronjuwel einer echten Fortschrittskoalition werden können. Zahlt es doch gleich auf zwei Kernziele progressiver Politik ein: Erstens stärkt Transparenz die Demokratie. Bürger:innen, Journalist:innen und Forscher:innen könnten dem Staat auf die Finger schauen und besser informiert am politischen Diskurs teilnehmen.
Zweitens hätte das Transparenzgesetz ein Motor der Verwaltungsdigitalisierung sein können: Elektronische Aktenführung, einfache Veröffentlichungsprozesse, definierte Standards, klare Regeln. Auch die viele Arbeit bei der (Nicht-)Beantwortung von Informationsfreiheitsanfragen, über die Behörden so häufig stöhnen, hätte ein Ende gehabt. Weniger Bürokratie, mehr Demokratie.
Ein weitgehend fertiger Gesetzentwurf lag offenbar schon seit längerem in den Schubladen des Innenministeriums, so jedenfalls konnte man den parlamentarischen Staatsekretär Johann Saathoff im November 2024 auf einer Veranstaltung der SPD-Fraktion verstehen. Dass das Gesetz trotzdem nicht gekommen ist, haben wir Innenministerin Nancy Faeser von der SPD zu verdanken. Ganz in der Tradition ihrer konservativen Amtsvorgänger hat die Ministerin sich lieber für mehr Überwachung von Bürger:innen eingesetzt als für mehr Transparenz des Staates.
Wollte Faeser nicht oder konnte sie nicht?
Peinlich ist die Sache für IT-Staatssekretär Markus Richter. Der hatte zu Beginn der Legislaturperiode, offenbar ermutigt von seiner Ministerin, offensiv den Dialog mit der Zivilgesellschaft gesucht und sich dabei weit aus dem Fenster gelehnt. Im Herbst 2022 nahm Richter den Gesetzentwurf eines zivilgesellschaftlichen Bündnisses entgegen und stellte rasche Fortschritte in Aussicht: Bis Ende des Jahres solle es Eckpunkte zum Gesetz geben, mit etwas Glück schon 2023 einen Gesetzentwurf.
Seitdem geschah vor allem eines: Das Vorhaben wurde immer weiter nach hinten verschoben. Ende 2022 waren die Eckpunkte nicht in Sicht, auch im Sommer 2023 nicht. Wenig später hieß es dann, der Gesetzentwurf werde frühestens Ende 2024 veröffentlicht. So ein heikles Vorhaben in die letzte Phase einer wackligen Koalition schieben, noch dazu in den beginnen Wahlkampf – das konnte nicht gut gehen.
Die Verantwortung für das Debakel tragen selbstverständlich nicht die Staatssekretäre, sondern die Ministerin. Von außen kann man nur rätseln: Wollte Faeser von Anfang an nicht mehr Transparenz? Hat sie das Projekt bei ihrer autoritären 180-Grad-Wende einfach aus dem Blick verloren? Oder war sie einfach nicht stark genug, sich in einem traditionell transparenzfeindlichen Ministerium durchzusetzen? Man weiß nicht, welche Variante schlimmer wäre.
Fest steht: Es ist schon das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit, dass eine Sozialdemokratin ein fast fertiges Transparenzgesetz beerdigt. Erst vor wenigen Jahren hatte Franziska Giffey auf Landesebene in Berlin einen Kompromiss mit den damaligen Koalitionspartnern von Grünen und Linken in letzter Minute blockiert. Auf die Einlösung des Versprechens, gemeinsam mit dem neuen Koalitionspartner CDU ein Transparenzgesetz zu verwirklichen, wartet man in Berlin vergeblich.
Nur die Linke verspricht noch ein Transparenzgesetz
Bestätigt dürfen sich all jene sehen, die von Anfang an darauf hinwiesen, dass es wenig vielversprechend ist, ausgerechnet jenem Ministerium das Vorhaben zu überlassen, das ausgerechnet gegen den Bundesbeauftragten für Informationsfreiheit vor Gericht zog.
Warnungen aus der Zivilgesellschaft gab es wahrlich genug. Vorwürfe müssen sich deshalb auch zuständige Abgeordnete von SPD, Grünen und FDP machen. Mit Konstantin Kuhle und Maximilian Funke-Kaiser von der FDP, Konstantin von Notz und Misbah Khan von den Grünen, SPD-Parteichefin Saskia Esken und anderen gibt es in ihren Reihen eigentlich starke Verfechter der Transparenz.
Spätestens als das Innenministerium nach dem Bruch der Ampel-Koalition doch noch manch einen fertigen Entwurf in die Gesetzgebung brachte, den für das Transparenzgesetz aber im Panzerschrank verschloss, wäre der Zeitpunkt für eine Initiative aus der Mitte des Parlaments gewesen. Da das Innenministerium zu diesem Zeitpunkt Anfragen nach dem eigenen Gesetzentwurf mit fadenscheinigen Begründungen ablehnte, hätten die Abgeordneten einfach mit dem Entwurf aus der Zivilgesellschaft arbeiten können.
So aber hat die Ampel eine historische Chance verspielt. Es könnte auf absehbare Zeit das letzte mal gewesen sein, dass es eine progressive Mehrheit im Parlament für echte Transparenz gab. Ein Blick auf die Wahlprogramme zeigt: Nicht mal mehr SPD und Grüne versprechen ein Transparenzgesetz, die CDU/CSU schon gar nicht. Tatsächlich ist die einzige Partei, die noch prominent ein Transparenzgesetz verspricht, die Linke.
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Author: Ingo Dachwitz