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Irgendwas mit Internet: Der Exodus von Twitter zu Bluesky und die Hoffnung

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Bluesky ist das Social Network der Stunde. In der vergangenen Woche gab es einen massiven Nutzer:innen-Exodus von Twitter in Richtung des blauen Himmels. Das habe ich so bisher noch nicht erlebt. Aber ich habe dennoch leider wenig Hoffnung, dass sich dadurch etwas zum Besseren ändert.
Bluesky ist das Social Network der Stunde – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / SOPA ImagesHinter uns liegt ein turbulentes Jahr auf Twitter unter Elon Musk. Im vergangenen November übernahm der Multimilliardär und rechtsradikale Verschwörungsideologe die Plattform. Seitdem hat sich der dortige Diskurs immer weiter nach Rechtsaußen verschoben – durch Moderationsentscheidungen, technische Umstellungen und vor allem durch die eigene Rolle als reichweitenstärkster Account mit Inhalten, die teilweise selbst Donald Trump zivilisiert aussehen lassen.
Schon lange haben viele Twitter-Nutzer:innen den Wunsch, eine alternative Plattform zu finden. Bei Musks Übernahme im vergangenen Herbst kam es zum ersten Exodus Richtung Fediverse mit seinen zahlreichen Mastodon-Instanzen.
Das Fediverse war leider noch nicht so weit
Allerdings fühlten sich viele Neuankömmlinge dort nicht wohl und das hatte sowohl kulturelle als auch technische Gründe. Alteingesessene Fediverse-Nutzer:innen verhielten sich leider allzu häufig wie Platzwarte, die die Neuen aus der Twitter-Welt darauf hinwiesen, wie man im Fediverse gefälligst zu kommunizieren habe.
Die Dezentralität mit einer damals nicht funktionierenden globalen Suche und vielen unterschiedlichen Instanzen mit verschiedenen Regelwerken führten zu einer Unsicherheit, wenn man einfach nur mit seinen gewohnten Peer-Groups weiter kommunizieren wollte, wie es viele für mehr als ein Jahrzehnt lang auf Twitter getan hatten.
Auch die unterschiedlichen Apps stifteten Verwirrung und die Suche nach einer passenden Instanz sowie einer funktionierenden App geriet zur Grundsatzfrage, die der Suche nach einer passenden Linux-Distribution gleicht. Linux ist ein großartiges System, das viele Freiheiten gewährt, aber trotzdem wählen mehr Menschen einen Mac, weil sie eben nur ein Gerät zum Kommunizieren und nicht zum Basteln wollen.
Elon Musk vergrault viele
Es kam somit nicht zum erhofften großen Exodus ins Fediverse. Viele blieben auf Twitter und sahen im Geschäftsgebaren von Elon Musk das kleinere Übel. Das aber hat sich nun geändert. Bei dem aktuellen Herdentrieb Richtung Bluesky kamen verschiedene Faktoren zusammen.
Elon Musk twitterte in der vergangenen Woche Sympathien für die AfD. Hinzu kamen zahlreiche Ankündigungen für einen Umbau auf Twitter, das mittlerweile X heißt, die für viele auch die letzten Hoffnungen auf Besserung platzen ließen. In den vergangenen Wochen waren bereits viele Ur-Twitter:innen zu Bluesky gewechselt, das immer noch durch eine künstliche Verknappung einen Massenansturm zu verhindern sucht. Dort fühlt sich auch deshalb noch wie Twitter früher an und alle, die damals dabei waren, haben gerade wieder Spaß.
Reingelassen wird man nur, wenn man sich auf eine Warteliste setzen lässt oder einen Einladungs-Code nutzt, den bereits dort Aktive hier und da erhalten. Die Suche nach einem solchen Code wurde in den vergangenen Wochen für viele Twitter-Nutzer:innen zu einem Hobby. Mittlerweile ist eine kritische Masse dort aktiv, um mit ihren neuen Einladung-Codes immer mehr reinzulassen.
Der aktuelle Herdentrieb zeigt Netzwerkeffekte
Das führte in der vergangenen Woche dazu, dass viele reichweitenstarke Twitter-Accounts vor allem aus dem progressiven politischen Spektrum und der Medien- und Kommunikationsbubble hinübergewandert sind und teilweise ihre Brücke zu Twitter – in dem sie ihre Accounts löschten – zerstört haben.
Das ist auf der einen Seite faszinierend zu beobachten. Auf der anderen Seite ist die weitere Entwicklung aber auch teilweise vorgezeichnet: Denn auch hinter Bluesky steckt inzwischen Venture-Capital-Finanzierung und damit wächst der Druck, kommerziell erfolgreich zu sein. Die weitere Entwicklung ist damit – das zeigt die Geschichte – absehbar.
Was ist das Geschäftsmodell von Bluesky?
Zuerst kommen die Urbewohner:innen. Sie können viel ausprobieren und eine Kultur etablieren. Ab einer bestimmten Größe braucht es dann Content-Moderation. Dafür muss Geld investiert werden, was Unternehmen ungerne run, denn das Geld muss ja auch wieder reinkommen. Auf Basis der Nutzer.innendaten wird dann ein Geschäftsmodell entwickelt, das in der Regel auf personalisierte Werbung hinausläuft. Und um die Aufmerksamkeit der Nutzer:innen zu binden, kommen dann Mechanismen zum Einsatz, die wiederum mehr Interaktion hervorrufen sollen. Mit all den bekannten negativen Nebenwirkungen.
Das hat bisher immer so bei allen erfolgreichen Venture-Capital-getriebenen Social Networks funktioniert. Bluesky hat zwar das Image, Dezentralität anstreben zu wollen, aber abgesehen von weit zurückliegenden Aussagen ist davon derzeit noch nichts zu erkennen. Mal schauen, wie lange das gut geht.
Auf jeden Fall ist es erstmal schön, dass sehr viele Menschen kurzfristig den Absprung von Twitter schaffen, ohne sich auf viele andere Infrastrukturen zu verteilen. Ob sich Bluesky aber auch langfristig hält, steht derzeit in den Sternen. Denn noch ist unklar, was das Geschäftsmodell ist? Und was passiert, wenn der nächste durchgeknallte Milliardär die Plattform kurzerhand kauft?
Eine bessere digitale Welt ist möglich
Es ist sehr schade, dass das Fediverse noch nicht soweit ist, denn eine gemeinwohlorientierte alternative und dezentrale Kommunikationsinfrastruktur ohne diese intransparenten Werbemechanismen ist wichtig für eine sich entwickelnde digitale Öffentlichkeit. Wir müssen weiter daran bauen und dafür werben, denn eine bessere digitale Welt ist möglich.

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Author: Markus Beckedahl

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