Drücken Sie „Enter“, um den Inhalte zu überspringen

Koalitionsverhandlungen in Berlin: CDU lässt Microsoft-Lobbyistin über Digitalisierung verhandeln [Update]

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Seit Jahren steht die Abhängigkeit der öffentlichen Verwaltung von Microsoft in der Kritik. Nun darf die deutsche Chef-Lobbyistin des US-Konzern in den Reihen der CDU die künftige Berliner Digital- und Verwaltungspolitik mit verhandeln. Das birgt erhebliche Interessenkonflikte.
Regierungspartner in spe? Der Berliner CDU-Chef Kai Wegner mit SPD-Co-Chefin Franziska Giffey – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Bernd ElmenthalerKai Wegner hat Großes vor in Berlin. Mehr oder weniger. Eine „funktionierende Stadt“ versprach der Landeschef der CDU im Wahlkampf. Schließlich kommt Deutschland bei der Digitalisierung der Verwaltung nicht vom Fleck. Wenn dann auch noch, so wie in Berlin, die analoge Verwaltung extrem langsam arbeitet und die Hauptstadt nicht einmal Wahlen rechtssicher organisieren kann, kommt leicht das Gefühl auf: Nichts funktioniert.
Das Versprechen von der funktionierenden Stadt hat offenbar gezogen. Kai Wegner hat die Nachwahl gewonnen und SPD-Chefin Franziska Giffey möchte ihn zum Regierenden Bürgermeister machen. Doch der Druck ist groß: Wenn die Große Koalition zustande kommt, muss Wegner liefern. Die Vorgänger-Regierungen sind nicht nur an progressiven Projekten wie einem Transparenzgesetz gescheitert, sondern schon an den Basics der digitalen Verwaltung. Die Einführung der elektronischen Akte in der Berliner Verwaltung droht zu scheitern und für die meisten Behördengänge muss man in Berlin noch immer persönlich zum Amt.
Das scheint auch die CDU zu verunsichern. Anders lässt sich eine Personalie kaum erklären, die die Frage aufkommen lässt, für wen die Stadt künftig funktionieren soll: Für Bürger:innen oder für Unternehmen? Denn in die Koalitionsverhandlungen zum Thema Verwaltungsreform und Digitalisierung schickt die Partei ausgerechnet die deutsche Chef-Lobbyistin von US-Tech-Konzerns Microsoft ins Rennen: Tanja Böhm. Das geht aus einer Liste der Verhandlungs-Teams hervor, welche die Berliner Zeitung veröffentlicht hat.
Interessenkonflikt vorprogrammiert
Tanja Böhm ist seit 2010 für Microsoft tätig. Seit 2017 ist die Juristin Direktorin für Corporate Affairs und Leiterin von Microsofts Hauptstadtrepräsentanz in Berlin. In die Politik und insbesondere in die CDU hat die 48-Jährige beste Kontakte, hat sie doch lange im Umfeld der Partei gearbeitet, bevor sie zu Microsoft ging. Für die Koalitionsverhandlungen ist ein Interessenkonflikt vorprogrammiert, hat Microsoft doch veritable Geschäftsinteressen an bestimmten Weichenstellungen bei der Verwaltungsdigitalisierung.

Update: Nach unserer Presseanfrage haben Tanja Böhm und die CDU offenbar entschieden, dass die Microsoft-Lobbyistin nicht mehr an den Koalitionsverhandlungen teilnimmt. Mehr dazu am Ende dieses Artikels.

Mit einem geschätzten Wert von 1,7 Billionen Dollar ist Microsoft derzeit das zweitwertvollste Unternehmen der Welt hinter Apple. Mit Office-Anwendungen wie Word und Excel, der weltweiten Dominanz des Betriebssystems Windows, der Bürokommunikations-Plattform Teams und seinem Cloud-Dienst Azure ist der Tech-Konzern für viele Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen unersetzlich. Wie groß die Abhängigkeit ist, verdeutlichte erst im Januar ein temporärer Ausfall einiger Microsoft-Dienste wegen eines Netzwerk-Konfigurationsfehlers: In vielen Büros ging stundenlang gar nichts mehr.
Der Konzern profitiert von dieser Vormachtstellung und tut viel dafür, sie zu halten. Im Jahr 2022 machte er nach eigenen Angaben 198 Milliarden Dollar Umsatz und einen Gewinn von 83 Milliarden Dollar. Deutschland ist für Microsoft ein Milliardenmarkt. Allein die Ausgaben der Bundesregierung für Microsoft-Lizenzen haben sich in der Zeit von 2015 bis 2020 fast verfünffacht, auf gut 205 Millionen Euro jährlich.
Wie hoch die Kosten im Land Berlin sind, ist nicht bekannt. Doch allein für verlängerten Support für die Sicherung tausender Computer mit veralteten Betriebssystemen muss das Land seit langem Millionenbeträge an Microsoft zahlen.
Fatale Abhängigkeit
Die Abhängigkeit von Microsoft steht seit Jahren parteiübergreifend in der Kritik. Zum Beispiel, weil der Konzern seine Vormachtstellung nutzt, um die Preise zu diktieren. Regelmäßig gerät er in Konflikt mit Kartellbehörden. Auch mit der Datenschutzaufsicht liegt Microsoft im Dauerclinch. Zuletzt kamen die deutschen Aufsichtsbehörden zu dem Schluss, dass das Cloud-basierte Office 365 nicht rechtssicher betrieben werden kann.
Und überhaupt: Warum zahlt der Staat eigentlich Milliarden für die Nutzung proprietärer Software statt mit dem Geld eigene und offene Lösungen zu finanzieren?
Selbst dem Bundesinnenministerium ist Microsofts Verwaltungsmonopol aus geopolitischen Gründen ein Dorn im Auge. Die verheerende Abhängigkeit von dem US-Unternehmen ließ sich das damals noch CDU-geführte Bundesinnenministerium 2019 von einer Beratungsgesellschaft bestätigen. IT-Staatssekretär und Bundes-CIO Markus Richter, ebenfalls CDU. ließ daraufhin gemeinsam mit einigen Bundesländern eine „Strategie zur Stärkung der Digitalen Souveränität der Öffentlichen Verwaltung“ ausarbeiten. Stoßrichtung: Die öffentliche Verwaltung sollte weniger abhängig von einigen Unternehmen werden und mehr auf Open Source setzen.
Die Berliner CDU aber holt die Cheflobbyistin des Konzerns an den Verhandlungstisch, um die IT-Politik und damit auch die Beschaffungspolitik der Hauptstadt mit zu verhandeln.
Karriere im Umfeld der CDU
In der CDU ist Böhm bestens vernetzt. So war sie neben dem Studium als Tagungsleiterin für die parteinahe Konrad-Adenauer-Stiftung tätig. Direkt nach dem Studium übernahm sie 2003 die Büroleitung des damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden im niedersächsischen Landtag, David McAllister.
Von 2005 bis 2006 war Böhm Kabinettsreferentin im niedersächsischen Wissenschaftsministerium, das damals der CDU-Politiker Lutz Stratmann führte. Von dort wechselte sie in die Staatskanzlei zu Ministerpräsident Christian Wulff und leitete bis 2010 das Referat Politische Koordinierung. Ob die Lobbyistin CDU-Mitglied ist, wollten am Montag weder sie noch die CDU beantworten. Auf eine Anfrage von netzpolitik.org per Mail und Telefon reagierte die Pressestelle der Partei nicht.
Unter Böhms Führung hat Microsoft den Lobbyismus in Berlin deutlich ausgebaut. Das Hauptstadtbüro an der Prachtstraße Unter den Linden verfügt neben einem Restaurant in Coworking-Space-Anmutung namens „Digital Eatery“ auch über großzügige Veranstaltungsflächen. Regelmäßig bringt der Konzern hier hochkarätige Speaker:innen und vor allem relevante Politiker:innen zusammen. In der digitalen Zivilgesellschaft in der Hauptstadt scherzte man vor der Pandemie bisweilen bitter, dass die netzpolitischen Sprecher der Großen Koalition im Bundestag häufiger auf Microsoft-Events anzutreffen seien, als auf allen zivilgesellschaftlichen Veranstaltungen zusammengenommen.
Auch die SPD zeigte hier bislang keine Berührungsängste, veranstaltete sogar eigene Events wie „Netzpolitische Abende“ im Anschluss an die Netzkonferenz re:publica in den Räumen des US-Konzerns. Die Partei zur Personalie Böhm steht und den Interessenkonflikten in den Koalitionsverhandlungen steht, ist bislang unklar. Auch die Pressestelle der Berlin SPD reagierte bislang weder auf Anrufe, noch auf E-Mails.

Update, 13.03.2023, 20:12 Uhr
Laut Tagesspiegel-Journalisten Robert Kiesel erklärte Microsoft-Lobbyistin Tanja Böhm am heutigen Abend, dass sie nicht mehr für die CDU an den Koalitionsverhandlungen teilnehmen werde. Mit ihrem Rücktritt aus der Fachgruppe wolle sie „dem Verdacht eines Interessenkonflikts vorbeugen“, so berichtet es Kiesel auf Twitter. Damit ist auch die Frage geklärt, warum heute weder CDU noch SPD auf E-Mails und Telefonanrufe zu dem Thema reagierten: Sie wollten der Veröffentlichung eines kritischen Artikels offenbar zuvorkommen.

Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen. Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
Zur Quelle wechseln
Zur CC-Lizenz für diesen Artikel

Author: Ingo Dachwitz

The future of news content on social media : meta’s strategic shift away from news. Gonzaga bulldogs – mjm news.