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Kommentar zur Ost-West-Achse: ein Blick auf den „Scheinriese“

Report-K

Köln | Kommentar | Eine Stadt mit zwei hohen Kirchturmspitzen und dem tiefen langen Rhein, mit überschaubar vielen Tunnels und Geleisen und dem KVB-Verkehr. So könnte dieser weltbekannte Satz von Michael Ende aus „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ auf Köln umgeschrieben werden. In Endes Buch gibt es die Figur des „Scheinriesen“, der synonym für den Leuchtturm steht. Andi Goral betrachtet die Diskussion um die Ost-West-Achse und fragt sich: braucht Köln einen Herrn Tur Tur und wäre es nicht besser im Verkehrsausschuss und Rat kommende Woche – passend zur Vorweihnachtszeit –  eine Lesung aus dem herrlichen Ende-Buch statt der Debatte zu veranstalten?

Danke für das Engagement

Allen, die mehr als eine Wahlperiode lang, sich damit auseinandersetzten, wie der Verkehr auf der Ost-West-Achse neu gestaltet werden könnte, gebührt der Dank der Kölner:innen. Das vorausgeschickt. Das gilt für Ratsmitglieder, Mitarbeitende und Chefs in der städtischen Verwaltung, die vielen Aktivist:innen, die beauftragten Planungs- und Ingenieurbüros sowie die vielen Visualisierer und alle die, die jetzt vergessen wurden. Alle diese Menschen haben sich um die Insel Köln verdient gemacht und ihre Arbeit, ihre Debatten und Auseinandersetzungen müssten in einem Buch, wie auch alle Planungen, der Nachwelt im Historischen Archiv der Stadt Köln überliefert werden. Als Leitfaden und Leuchtturm. Denn: Ehre wem Ehre gebührt und dieses Buch wäre ein gutes Lehrbuch für zukünftige Generationen oder Masterplan für den Kölner Verkehr. Und noch eines vorweggeschickt: Alle Positionen haben viele Fürs, aber auch Widers.

Die Oberirdischen

Die Oberirdischen sind in diesem Fall die Grünen, Volt, Linke, Klimafreunde & Gut, Thor Zimmermann und die Fraktion. Sie könnten, gäbe es ihn – außer in Ehrenfeld – den Scheinriesen für sich reklamieren, denn da sie oben auf der Insel Köln bleiben wollen, können nur sie den Leuchtturm sehen. Die, die im Tunnel stecken, sehen, wenn, dann die Tunnelbohrmaschine. Da die Oberirdischen befürchten müssen, von den Unter-/Oberirdischen politisch schon 2025 bei den anstehenden Wahlen als Zukunftsverweigerer in Misskredit gezogen zu werden, lassen sie in ihrem Antrag wenigstens einen Spaten stehen, um vielleicht doch noch graben zu können. Die Oberirdischen fahren auf Sicht, daher bleiben sie oben, selbst auf die Gefahr hin, dass es einmal nebelig werden könnte. Es ist ihnen nicht gelungen die Unterirdischen durch ihre Argumente zu überzeugen.

Die Ober-/Unterirdischen

Die Ober-/Unterirdischen haben viele Bilder gemalt, auf denen sie den Kölner:innen ihre oberirdische Insel bunt und den schönsten Farben ausmalten. Die Ober-/Unterirdischen, das ist ein neues Bündnis aus SPD, CDU und FDP. Sie wollen alles und stellten einen Vorschlag vor, den die SPD und dort Andreas Pöttgen und Martin Börschel ganz zu Beginn der Ost-West-Tunnel-Debatte schon vom Grunde her einbrachten und ergänzten diesen: Oben und unten sollen KVB-Bähnchen durch die Kölner Innenstadt rollen, wenn denn genügend Lukass:innen und Jim:innen und Lokomotiven da sind. Und OK, es gab noch die ein oder andere Ergänzung und statt Stadtbahnen soll es Metrolinien geben sowie das KVB-Netz neu geknüpft werden.

Die Bilder sind toll und ja, sie begeistern und daher müssen sie in das Buch über die Ost-West-Achse – sind sogar titelfähig. Von Ferne betrachtet wirken sie riesig, beschäftigt man sich mit der realen Situation vor Ort werden sie winzig. Die Visualisierung gibt ein Versprechen ab: Wer für Ober-/Unterirdisch ist, wird ein strahlendes und schönes, blitzsauberes sowie dörflich-urban anmutendes Innenstadt-Köln bekommen. Und das ist alleine dadurch zu erreichen, wenn der Verkehr neu geordnet wird und die Bahnen unterirdisch und oberirdisch fahren. Probleme des Individualverkehrs sollen irgendwie noch gelöst werden. Das ist cool und frech in einem.

Dort, wo die Ober-/Unterirdischen planen und zeichnen lassen, gäbe es die Option genau dies nur 100 Meter nördlich schon genau so realisiert zu haben, etwa um die Innenstadt Kölns attraktiver zu gestalten. Denn dort ist Kölns Fußgängerzone mit der Schildergasse und Mittelstraße nebst Platz an St. Apostel. Aber, sieht es dort so aus, wie auf diesen Visualisierungen die die Ober-/Unterirdischen herumzeigen und die Kölner Medien eifrig und fleißig publizieren? 100 Meter parallel von den Planungen könnten alle demokratischen Ratsfraktionen zusammen – ohne den Verkehr neu regeln zu müssen – eine attraktive Innenstadt gestalten. Eine attraktive Innenstadt für Tag und Nacht, also so gestalten wie auf den geilen Visualisierungen, die uns Kölsche jetzt so betören und von denen böse Zungen behaupten, dort fehle nur noch der röhrende Hirsch. Aber das, was die Visualisierungen zeigen, genau das, ist seit Jahrzehnten weder in den Kölner Fußgängerzonen noch Plätzen jemals gelungen. Aber auf der Parallelstrecke soll dies gelingen? Oder sind all diese Zeichnungen nur Träume?

Die Gefahren bannen

Wenn eine Insel einen Leuchtturm hat, will sie Gefahren – die ihr von außen drohen – bannen und Unheil vermeiden. Der Rat der Stadt Köln kennt seit rund einem Monat die aktuelle finanzielle Lage der Stadt Köln. Die Finanzen der Stadt sind schon ohne Tunnel und oberirdischer Lösung auf Kollisionskurs mit der kleinen Insel Köln und könnten sie zum Kippen bringen. Es drohen Überschuldung und Haushaltssicherung für Jahre. In dieser Wahlperiode wurde ein einziges Großprojekt eingeweiht: Das neue historische Archiv der Stadt Köln. Ein Archiv ist eine kommunale Pflichtaufgabe. In der Pipeline der Stadt Köln stehen zig Großprojekte, deren Kosten explodiert sind, die immer noch nicht begonnen sind und die fertiggestellt werden müssten. Es gibt unzählige Großprojekte wie mehrere Brückenneubauten oder Brückenerweiterungen, die der Rat der Stadt Köln bereits angestoßen hat.

Nun könnte man die Finanzlage der Stadt als „Scheinriese“ beschönigen: Also aus der Ferne sind die Probleme riesig, aber bei genauerem Hinsehen winzig. Nein, leider ist es hier genau andersherum, weil in Köln nicht erst ein Projekt abgeschlossen wird, bevor das kommende angegangen wird und das seit Jahren. Weil der Rat der Stadt Köln und seine Mitglieder inklusive der Verwaltung lieber ständig neue Ideen, Konzepte und Masterpläne schmieden. Was an sich kein Problem wäre, aber leider fangen sie auch an zu buddeln und werden mit dem Buddeln nicht fertig. Eine Auswahl: Bühnen der Stadt Köln, Stadtmuseum, Römisch-Germanisches Museum, Neue Mitte, Via Culturalis, Jüdisches Museum/archäologische Zone, Bastei, 2 neue Fahrradbrücken, eine neue Stadtbahnbrücke über den Rhein, Erweiterung Wallraf-Richartz-Museum und, und, und… . Zu der Finanzkrise der Stadt gesellen sich massive weitere Krisen: Industrieunternehmen schwächeln, die Wohnungsbaukrise und so weiter.

Da liegt mindestens – zusätzlich zu den städtischen Pflichtaufgaben – alleine in der Fertigstellung eine Wahlperiode Arbeit vor den Ratsherr:innen. Nur ist diese unsexy, da diese Projekte von anderen Kommunalpolitiker:innen angestoßen wurden, die sich den Orden dafür an die Brust heften. Fürs Fertigmachen gibt es keine Orden. Wäre vielleicht mal eine Idee, statt Konzepten das Abschließen von Projekten auszuzeichnen.

Wer zur Ost-West-Achse seine Stimme erhebt, sollte sagen können, wie er realistisch dieses Projekt neben all den anderen stemmen will: personell und finanziell sowie in welchem Zeitrahmen. Sonst spricht Köln hier nicht über einen Scheinriesen, sondern wirklich riesige Probleme. Die Antworten auf die Frage nach dem Personal, den Finanzen und dem Zeitrahmen bleiben übrigens die Ober-/Unterirdischen schuldig beziehungsweise verschieben diese in die Zukunft.

Versöhnen

Seit mehr als dieser Wahlperiode gibt es die beiden unterschiedlichen Positionen zur Ost-West-Achse. Sie haben sich eigentlich nicht wirklich verändert, es wurde lediglich um politische Mehrheiten gerungen und hier und da etwas thematisch ergänzt. Die Mehrheiten gibt es mit Blick auf die demokratischen Fraktionen im Rat bis heute nicht. Dabei droht den Ober-/Unterirdischen die Gefahr bei geheimer Abstimmung im Rat zur Ost-West-Achse ausgerechnet mit den Stimmen der AfD ihr Ziel durchzusetzen.

In Michael Endes wunderbarem Buch überwinden Jim und Lukas ihre Angst und nähern sich dem Scheinriesen Tur Tur. So wurden sie gute Freunde und Tur Tur wurde zum Leuchtturm. Die Insel war von außen geschützt und von innen wurde ein Weg sichtbar, gemeinsam das Beste zu erreichen.

Was wäre wenn…

Die demokratischen Kräfte im Rat bräuchten eine Frau oder Herrn Tur Tur, dem sie sich gemeinsam nähern und so ihren Konflikt und ihr Buhlen um die Meinungsführerschaft, beenden könnten. Sowie müssten sie den Kölner:innen reines kölsches Wasser einschenken: was ist aktuell zu stemmen und was sind aktuell Luftschlösser. So könnten sie einen Leuchtturm schaffen, ohne ihn real bauen zu müssen, der Köln den Weg weist und verbindet. Keine der Planungsarbeiten an der Ost-West-Achse sind verloren oder Geld verbrannt. Sie können zur richtigen Zeit wieder genutzt werden. Alle Initiativen müssen gewürdigt und dokumentiert werden, damit die guten Ansätze dann genutzt werden können, wenn die Zeit reif dafür ist.

Bis es soweit ist braucht Köln in Bezug auf die Ost-West-Achse eine realistische, pragmatische und finanzierbare Lösung. Und damit sind wir wieder bei Herrn Tur Tur. Wer behauptet, dass ohne sofortigen Ausbau auf der Ost-West-Achse der Verkehr jetzt und in Zukunft zusammenbricht, der malt einen Scheinriesen in den Himmel über die kölsche Insel und deren Geleise und KVB ohne Fahrplan. Wer sich diesem Scheinriesen nähert sieht, dass vor den anderen Problemen der Stadt, dieser winzig ist.

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