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KW 15: Die Woche, als ein Gesetz gegen „Digitale Gewalt“ seinen Namen nicht verdiente

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Die 15. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 14 neue Texte mit insgesamt 96.409 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.
Liebe Leser:innen,
ich weiß nicht mehr genau, wann ich den Begriff digitale Gewalt das erste Mal gehört habe. Ich weiß nur noch, von wem. Anne Roth, netzpolitische Referentin der Linksfraktion im Bundestag und feministische Aktivistin, hat ihn verwendet. Der Begriff lieferte endlich einen eingängigen Namen für all die verschiedenen Formen von Gewalt, die vor allem Frauen, nicht-binäre oder trans* Personen täglich in einer vernetzen Gesellschaft erleben.
Der Vortrag, den Anne Roth dazu 2018 auf dem Chaos Communication Congress hielt, war in meiner Wahrnehmung das Ereignis, mit dem diese Phänomene auch außerhalb feministischer Bubbles endlich wahrgenommen wurden. Ein Wendepunkt.
Digitale Gewalt, das machte Anne damals schon sehr deutlich, ist erst mal gar nichts grundlegend Neues. Sie kommt nur im neuen Gewand daher, ein alter Bekannter mit besseren Werkzeugen. Stalking oder sexistische Beleidigungen via Social Media, überwachte Handys oder intime Bilder, die gegen den Willen der Gezeigten auf Pornoplattformen landeten – als das sah vielleicht neu aus. Dahinter stehen aber die immer gleichen, uralten Formen von patriarchaler, sexistischer Gewalt, die wir leider allzu gut kennen.
Fünf Jahre nach Annes Vortrag  – unfassbar, dass das erst fünf Jahre her ist – kam diese Woche aus dem Justizministerium nun der Vorschlag für ein „Gesetz gegen Digitale Gewalt“. Das Gesetz war schon im Koalitionsvertrag angekündigt worden und die Erwartungen hätten nicht größer sein können. Allein, dass der Begriff überhaupt im Koalitionsvertrag erwähnt wurde, hatte bei mir für schwitzige Finger gesorgt. Vielleicht, ganz vielleicht, würde eine Bundesregierung sich mal um dieses Thema kümmern, zu dem Beratungsstellen, Fachleute, feministische Aktivist*innen seit so langer Zeit schon Alarm schlagen.
Nur, das Gesetz verdient seinen Namen nicht. Was laut den diese Woche vorgestellten Eckpunkten vorgesehen ist: Wer unter anderem online gegen Personen hetzt, soll künftig leichter zur Verantwortung gezogen werden können. Mein Kollege Sebastian berichtet hier über die Details der Auflagen, zu denen Internetprovider und Anbieter wie Facebook in Zukunft verpflichtet werden sollen. Es ist ein Gesetz für mehr Auskunftspflichten im Internet – und in Teilen könnte das auch hilfreich sein. Nur ein Gesetz gegen digitale Gewalt ist es nicht.
Auskunftspflichten können durchaus eine Hilfe sein für Betroffene geschlechtsspezifischer Gewalt. Aber das ist nur ein Puzzleteil. Die meisten Betroffenen suchen wegen digitalem Stalking und bildbasierter Gewalt Beratung, das berichtet etwa eine Referentin des Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. Auskunftsrechte helfen wenig, wenn intime Bilder auf einer Pornoplattform kursieren oder man rund um die Uhr von einem Arbeitskollegen oder Ex-Partner gestalkt wird. Und selbst für jene, die tatsächlich Hetze auf Twitter, Facebook oder Instagram erleben, liegen die Auskunftsrechte hinter hohen Hürden. Zum Beispiel müssen sie sich die Kosten für Anwält:innen leisten können, um ihre Rechte durchzusetzen.
Einladung, auf Lücken hinzuweisen
Noch weniger, nämlich gar nichts, bringt das geplante Gesetz für die dünn ausgestatteten Beratungsstellen, die ihr bestes geben, um sich auf die neue Bedrohungslage einzustellen. Für die Berater:innen, die sich hierzu weiterbilden, und die doch meist um ihre Stellen und eine sichere Finanzierung bangen. Die mehr und besser helfen könnten, wenn sie mehr Geld hätten. Im neuesten Gleichstellungsbericht hatten Sachverständige unter anderem einen „Schutzschirm“ für Betroffene digitaler Gewalt von der Bundesregierung gefordert, der auch mehr Geld für Beratungsstellen bringen sollte.
Stattdessen weitet das geplante Gesetz Auskunftsrechte umfassend aus, wie Anna und Andre berichten, und zwar auch gegen schlechte Restaurantbewertungen und Verletzungen des Urheberrechts. Das geht viel zu sehr in die Breite gegen alle möglichen Delikte, die mit sexualisierter digitaler Gewalt wirklich rein gar nichts zu tun haben.
Vielleicht hätte das Justizministerium einen weniger hoch aufgehängten Namen für dieses Gesetzesvorhaben wählen sollen. So wirkt es fast wie eine Einladung, auf all die Maßnahmen gegen digitale Gewalt hinzuweisen, die darin nach wie vor fehlen. Das Ministerium bittet nun Fachleute um Feedback für das Eckpunktepapier – und ich hoffe, dieses Feedback wird gehört.
Ich wünsche euch ein angenehmes Wochenende
Chris

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Author: Chris Köver

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