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Lineker: Moderator widersetzt sich rechter Cancel Culture im ÖRR

In Großbritannien widersetzte sich ein prominenter Moderator einem rechts-konservativen Cancel-Versuch und zeigt damit die Doppelzüngigkeit der rechten Forderungen nach angeblicher Unparteilichkeit der BBC auf. Der ehemalige Fußballprofi Gary Lineker hatte die rassistische Rhetorik der Regierung gegenüber Flüchtenden mit klaren Worten kritisiert, woraufhin rechts-konservative Kreise seine Absetzung als Moderator einer prominenten BBC-Fußballsendung forderten – und die BBC ihn tatsächlich deswegen rauswarf.

Doch dank seiner Standhaftigkeit und der Solidarität seiner Kolleg:innen musste die BBC letztlich komplett zurückrudern. Der Fall wird damit nicht nur zu einem Lehrstück in Sachen Redefreiheit und Umgang mit rechts-konservativer Cancel-Culture. Er zeigt auch, wie sehr rechts-konservative Narrative den Diskurs in Großbritannien dominieren und linke und progressive Stimmen systematisch ausgeschlossen werden, in dem ihnen fehlende Unparteilichkeit vorgeworfen wird. Unparteilichkeit wird dabei zunehmend verstanden als nicht übereinstimmend mit der Meinung der konservativen Regierung. Ein Lehrstück auch für den deutschen Diskurs und den Forderungen von Zensur der Öffentlich-Rechtlichen auf Linie der Rechten.

Was war passiert? 

Gary Lineker ist ehemaliger britischer Fußballprofi und heute bekannter und hoch dotierter Fußballmoderator beim BBC, dem britischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Dort moderiert er die Samstagabendsendung „Match of the Day”, ungefähr das Äquivalent zur deutschen Sportschau. Auf Twitter hat er sich in der Vergangenheit immer wieder zu popkulturellen und tagespolitischen Themen geäußert. Bisher war das kein Problem.

Bis er am 7. März eine Videobotschaft der britischen Innenministerin Suella Braverman kommentierte. Braverman verkündete in dem Video ihre Pläne für einen neuen Gesetzesentwurf für den Umgang mit Menschen, die mit dem Boot von Frankreich aus nach Großbritannien gelangen, um dort Asyl zu beantragen. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Asylanträge dieser Menschen in Zukunft grundsätzlich als unzulässig gelten und sie ausnahmslos abgeschoben werden. Unter anderem ist geplant, Menschen in Abschiebezentren nach Ruanda zu verfrachten. 

Damit widerspricht der Gesetzesentwurf aufs Schärfste der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die ein Recht auf das Stellen eines Asylantrags vorsieht. Alle Menschen dürfen fliehen und in anderen Ländern um Schutz bitten. Ihnen dieses Recht pauschal zu verweigern, ist auch ein krasser Bruch mit der europäischen Menschenrechtskonvention und der Genfer Flüchtlingskonvention.

Der neue Gesetzesentwurf wird deswegen von zahlreichen Organisationen, darunter der UNCHR, scharf kritisiert. Unter anderem hatten 311 Migrationsexpert:innen erklärt, dass der Gesetzesentwurf “nicht evidenzbasiert, praktikabel oder nach den Menschenrechtsgesetzen legal” sei. Tatsächlich dürfte er, wenn er in Kraft tritt, einen langen Rechtsstreit zwischen Großbritannien und dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg nach sich ziehen. Zu dem Aspekt, inwiefern der Gesetzentwurf menschenrechtskonform ist, konnte Braverman in der Parlamentdebatte am 7. März nichts sagen. 

Lineke kritisiert die Regierung auf Twitter

Dennoch will die britische Regierung ihn unbedingt durchbringen. Unter dem Video, in dem Braverman den Gesetzesentwurf ankündigt, von einem großen Zustrom von Menschen spricht und davon, dass „genug genug“ sei und man die Boote stoppen müsse, kommentierte Lineker auf Twitter. Er schrieb: 

“Das ist mehr als schrecklich.”

und weiter:

“Es gibt keinen großen Zustrom. Wir nehmen viel weniger Menschen auf als andere große europäische Staaten. Das ist einfach eine unermesslich grausame Politik, die sich gegen die Schwächsten richtet. Und das in einer Sprache, die der Sprache, die in Deutschland in den 30ern verwendet wurde, nicht unähnlich ist. Oder liege ich daneben?”

Holocaustüberlebende sieht dieselben Parallelen

Mit seiner Einschätzung zu der von der Regierung angewendeten Sprache ist Lineker nicht alleine. Erst kürzlich hatte die Holocaustüberlebende Joan Salter die Innenministerin Braverman öffentlich mit ähnlichen Worten konfrontiert. Im Rahmen einer Veranstaltung hatte sie gesagt: 

„Wenn ich höre, wie Sie Worte gegen Flüchtende verwenden wie ‚Schwärme‘ oder ‚Invasionen‘, dann erinnert mich das an die Sprache, die verwendet wurde, um meiner Familie und Millionen anderer zu entmenschlichen und ihre Ermordung zu rechtfertigen. Warum glauben Sie, diese Art von Sprache verwenden zu müssen?“

Braverman antwortete daraufhin, dass sie sich nicht für ihre Sprache entschuldigen würde. Schon im vergangenen November hatte sie im Zusammenhang mit den Menschen, die per Boot nach Großbritannien kamen, um einen Asylantrag zu stellen, von einer Invasion gesprochen

Sprache und Gewalt

In der Gewalt- und Holocaustforschung gilt es als vollkommen unumstritten, dass diffamierende Sprache, die gegen eine bestimmte Gruppe verwendet wird, wesentlich dazu beiträgt, dass Gewalt gegen diese Gruppe wahrscheinlich wird. Die Markierung von bestimmten Menschen als unaufhaltsame Gefahr für das Gemeinwohl, als Tiere, Parasiten oder Krankheiten sind ein wichtiges Warnsignal für eine sich gefährlich entwickelnde gesellschaftliche Stimmung.

Diesen Aspekt hatte auch das Auschwitz Museum erst vor kurzem in einem Tweet betont. Darin stellte es heraus:

“Auschwitz ist nicht vom Himmel gefallen. Auschwitz brauchte Zeit. Das industrielle Morden stand am Ende eines langen Prozesses, der mit der Ideenfindung begann. Worte und Propaganda verstärkten Stereotypen und Vorurteile. Der rechtlichen Ausgrenzung und Entmenschlichung folgte eine Eskalation der Gewalt.”

Rechter „Cancel-Culture“ Sturm 

Die Sprache von einer „Invasion“ im Zusammenhang mit Menschen, die Asyl suchen, ist definitiv eine Sprache, die Feindbilder schafft und eine Gruppe als gefährlich brandmarkt. Insofern ist Linekers Tweet eine absolut richtige Feststellung. Dennoch löste er damit ein wahres Erdbeben im britischen politisch-öffentlichen Leben aus. Zahlreiche Abgeordnete der konservativen Tories kritisieren ihn scharf, auch die Innenministerin Braverman und der Ministerpräsident Rishi Sunak äußerten sich.

Aber statt zurück zu rudern, blieb Lineker klar. Er erklärte:

“Ich werde weiterhin für diejenigen armen Seelen sprechen, die keine Stimme haben”. 

BBC suspendiert Lineker

Am Freitag, den 10.3. veröffentlichte der BBC ein Statement, in dem es hieß, Lineker werde vorerst nicht mehr Match of the Day moderieren. Seine Social Media Aktivitäten wären ein Bruch mit den Guidelines gewesen. Die Absprache sei gewesen, „er sollte davon Abstand nehmen, in parteipolitischen Fragen oder politischen Kontroversen Partei zu ergreifen“. 

Aber damit kommt die Geschäftsführung des Senders nicht durch. Zahlreiche Kolleg:innen solidarisierten sich mit Lineker, sodass der Sender Sendepläne umstellen muss und Spiele unkommentiert gezeigt wurden. Am letzten Montag ruderte der BBC dann zurück. In einem erneuten Statement kündigte der Generaldirektor an, dass Lineker als Moderator zurückkehren werde. Er hob die Wichtigkeit von Unparteilichkeit hervor und sprach von Graubereichen in den Richtlinien für den Social Media-Auftritt von BBC-Personal und Freelancern.

Was es mit dieser Unparteilichkeit auf sich hat

Ein Verstoß gegen das Prinzip der Unparteilichkeit ist es also, was Lineker vorgeworfen wird. Und Unparteilichkeit, so heißt es beim BBC, wird großgeschrieben. Der aktuelle Generaldirektor Tim Davie, der die Entscheidung zur Absetzung und die Rücknahme der Absetzung Linekers verantwortetet, hatte bei seinem Amtsantritt 2020 eine große Agenda unter dem Titel der Unparteilichkeit durchgeführt. Angestellten der BBC wurde verboten, sich privat auf Social Media zu politischen Themen zu äußern.

Als Grund dafür wurden angebliche Links-Tendenzen des Senders angeführt, die aus politisch-konservativen Kreisen immer wieder erhoben wurden. Eine politische Comedyshow, sich regelmäßig über die Tory-Regierung lustig machte, wurde zum ersten Opfer des neuen Windes. Zwar wurden die Inhalte nie offiziell als Grund für die Streichung der Sendung genannt – aber die Leitung der BBC dementierte diese Gerüchte und Vorwürfe auch nie.

Einer der Hosts der Sendung forderte deswegen immer wieder, der BBC solle entweder die Gerüchte klar zurückweisen, oder dazu stehen, dass die Streichung Teil eines „war on woke“ sei. Andernfalls hätte es den Effekt, dass Programmschaffende sich selbst zensieren würden, um einer Streichung zu entgehen.

Tendenz wohin? 

Während rechts-konservativer Akteure also immer wieder die angebliche Links-Tendenz des BBC kritisieren und in Folge dessen Angestellte in ihrer Meinungsfreiheit massiv eingeschränkt wurden, dürfte das Problem gerade auf der anderen Seite liegen. Denn tatsächlich sind sowohl Tim Davie als auch der Präsident Richard Sharp eng mit den Tories verbunden. So eng, dass Bestechungsvorwürfe im Zusammenhang mit der Ernennung Sharps im Raum stehen. Im Guardian hieß es dazu: 

“Davies Vorsitzender, Richard Sharp, steht im Mittelpunkt zweier Untersuchungen zu seiner Ernennung, nachdem sich herausstellte, dass er 400.000 Pfund an die Konservativen gespendet und dazu beigetragen hatte, Boris Johnson ein Darlehen in Höhe von 800.000 Pfund zu ermöglichen, Wochen bevor der damalige Premierminister ihn für den Job empfahl.

Davie hat seine eigenen Verbindungen zu den Tories. Er war in den 1990er Jahren stellvertretender Vorsitzender der Hammersmith and Fulham Conservative Party und trat 1993 und 1994 erfolglos als Ratsmitglied an.

Er bleibt gut mit dem Tory-Peer Stephen Greenhalgh befreundet, der bis letztes Jahr Minister in Johnsons Regierung war und Davies Ernennung 2020 in einem Tweet feierte: „Herzlichen Glückwunsch an meinen Kumpel Tim Davie, der gerade zum @BBC-Generaldirektor ernannt wurde“.”

„Linke“ werden im ÖRR zensiert?

Kürzlich veröffentlichte The Guardian einen Artikel, der geleakte Nachrichten enthält, in denen BBC Chefreporter ihren Journalist:innen Anweisungen direkt aus dem Büro des Präsidenten weitergeben, wie über bestimmte Themen berichtet werden sollte. Dieses Video geht näher auf diesen Artikel ein: 

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Der Ruf nach Unparteilichkeit wird also zunehmend zu einer Keule, um progressive Stimmen beim BBC zu canceln. Während Anweisungen aus dem Regierungsbüro direkt an Angestellte weitergegeben werden, zugleich aber Kritik an der Regierung durch einen Freelancer wie Lineker, noch dazu auf dem privaten Twitteraccount, zu dessen Rauswurf führen sollen, dann geht es nicht um Unparteilichkeit, sondern um Diskurshoheit. Gesagt werden darf, was dem rechts-konservativen Narrativ entspricht – alles andere wird als Unparteilichkeit gebrandmarkt.

Neutralität und Unparteilichkeit

Und genau hier liegt das Problem: Unparteilichkeit und Neutralität werden gerne als wohlklingende Schlagwörter verwendet, insbesondere wenn es um Journalismus geht. Zeitungen, Sender und Blogs haben neutral zu sein, heißt es. Aber was genau mit Neutralität gemeint ist, das wird in der Regel nicht weiter ausgeführt. Und genau damit wird das Wort zu einer Waffe, mit der kritische Stimmen stillgelegt werden können.

Wer Neutralität versteht als „jede Meinung und Behauptung ist gleich wichtig und muss gleich dargestellt werden, egal wie inhaltlich falsch oder menschenverachtend sie ist“, der verabschiedet sich von jedem humanistisch-aufklärerischen Anspruch. Neutralität im Journalismus muss heißen, dass Argumente unvoreingenommen betrachtet werden – das heißt, dass man sie inhaltlich untersucht, unabhängig davon, wer sie äußert.

Aber schlechte oder unwahre Argumente als solche zu benennen, muss oberste Aufgabe von Journalismus sein, weil nur so Aufklärung stattfinden kann. Zu verbieten, eine offenkundig gefährliche Rhetorik der Regierung als solche zu benennen, hat nichts mit Unparteilichkeit zu tun – sondern mit Zensur kritischer Stimmen.

Die Lineker-Debatte ist auch ein Mahnzeichen für den deutschen Diskurs. Mit ständigen – und sehr oft falschen – Vorwürfen versuchen rechte Politiker:innen und Medien, eine ähnliche Zensur-Stimmung im deutschen ÖR zu erzeugen, in der „linke“ Stimmen unmöglich werden. Ebenso wird gleichzeitig eine rechte Opferhaltung inszeniert – die eben oft auch herbeifantasiert ist.

Artikelbild: Christian Charisius/dpa

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