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Medienaufsicht in Erklärungsnot: Ist das Erotik oder schon Porno?

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Offene Erotik ist im Netz erlaubt, Pornografie nicht. Jüngst bekamen mehr als 200 Darsteller*innen deshalb Probleme mit der Medienaufsicht. Aber wie macht man es richtig? Auf Nachfrage will die Behörde ihre Regeln nicht näher erläutern. Wer es genau wissen möchte, soll sich persönlich melden.
Den Unterschied zwischen Erotik und Pornografie sollen Darsteller*innen selbst erfragen (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten Motiv: IMAGO / Panthermedia; Screenshot: kjm-kriterien.de; Montage: netzpolitik.orgDer Konflikt zwischen der deutschen Medienaufsicht und Porno-Darsteller*innen spitzt sich zu. Jüngst hat die Landesmedienanstalt Berlin und Brandenburg (mabb) 150 Twitter-Accounts wegen Verbreitung von Pornografie zur Anzeige gebracht. Die Behörde bezeichnet das als Aktion zur „Sensibilisierung“, Betroffenen sahen darin eher „Zensur“ und Abschreckung. Wir haben berichtet.
Inzwischen ist klar: Es wurden noch mehr Accounts hochgenommen. Zusätzlich zu den 150 Accounts haben zehn weitere Landesmedienanstalten jüngst 87 pornografische Twitter-Accounts gemeldet, das bestätigte die Direktorin der mabb Eva Flecken gegenüber netzpolitik.org. Das macht in der Summe 237 bekannte Fälle seit Dezember 2022.
Für viele Darsteller*innen sind Profile auf sozialen Medien der wichtigste Kanal zu ihren Kund*innen. Mit einem solchen Account kann die eigene finanzielle Existenz stehen und fallen. Andere verwenden die Kanäle, um sich mit Gleichgesinnten in einer bestimmtem Community zu vernetzen, etwa wenn es um einen seltenen Fetisch geht. Hinter den Sperrungen steht damit auch die gesellschaftliche Frage, welche Rolle Sexualität und sexuelle Selbstbestimmung im Internet spielen soll.
Das Internet ist derweil voll von frei zugänglichen Pornos, die alle in Deutschland offiziell verboten sind. Ohne strenge Alterskontrollen, etwa mit Personalausweis, dürften die Abermillionen Fotos und Videos nicht online sein. Begründung: Schutz der Jugend. Der Medienaufsicht fällt die schier unlösbare Aufgabe zu, dieses millionenfach gebrochene Recht durchzusetzen. Dabei beruft sie sich auf Regeln, die einer Kirchenpredigt aus dem letzten Jahrhundert entspringen könnten: Schlecht für die Jugend sind demnach etwa „bizarre“ Sexpraktiken und „Promiskuität“. So steht es in den Kriterien der gemeinsamen Kommission für Jugendmedienschutz.
Darsteller*innen melden Interesse an Regeltreue
Mehrere Vertreter*innen der Erotik-Branche machen klar: Sie haben nichts gegen Jugendschutz und wollen ihn auch nicht verletzen. Das betonen unter anderem die Branchenverbände Free Speech Coalition Europe und der US-amerikanische Schwesterverband gegenüber netzpolitik.org. Vertreter*innen der Medienaufsicht wiederum werden nicht müde zu betonen: Sie haben nichts gegen Pornografie und wollen sie nicht verbannen.
Es könnte so harmonisch sein, und trotzdem knirscht es heftig zwischen beiden Seiten. Da die Medienaufsicht nicht systematisch gegen Porno-Accounts vorgeht, kann der Eindruck entstehen, solche Accounts würden in Deutschland eigentlich geduldet. Aber darauf können sich Darsteller*innen nicht verlassen. Hinter dem punktuellen Vorgehen stecken vielmehr Entscheidungen der Behörden, wann sie auf das Thema Ressourcen werfen.
Bei der Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) waren es ein paar wenige studentische Mitarbeiter*innen, die in wenigen Tagen 150 pornografische Twitter-Accounts identifiziert haben. Das erklärt die Direktorin der Behörde, Eva Flecken, im Gespräch mit netzpolitik.org. Für viele Betroffene kommt so ein Vorgehen aus heiterem Himmel. Einige haben sich in den vergangenen Wochen hilfesuchend an netzpolitik.org gewandt. Sie berichten, dass von den Anzeigen vorrangig schwule Creator*innen betroffen seien. Hatte die Medienaufsicht beim Vorgehen gegen Porno-Accounts etwa einen homofeindlichen Bias?
Wir haben mabb-Direktorin Eva Flecken darauf angesprochen. Es sei absolut bedauerlich, wenn dieser Eindruck entstehe, erklärte sie. Die Medienaufsicht achte allein darauf, ob Inhalte pornografisch seien, mehr nicht. Auch auf direkte Nachfrage erhielten wir von der Behörde allerdings keine Information darüber, wie viele der zur Anzeige gebrachten Accounts denn schwule Pornografie gezeigt hätten. Eine solche Kategorie gebe es intern nicht, daher könne man dazu nichts sagen. Den Vorwurf einer Benachteiligung homosexueller Darsteller*innen können wir daher weder ausräumen noch bestätigen.
Aufsicht rückt keine weiteren Zahlen heraus
Zusätzlich zur Aktion der mabb haben zehn Landesmedienanstalten insgesamt 87 weitere Accounts bei Twitter gemeldet, erklärt Flecken. Es seien besonders reichweitenstarke Accounts gewesen, ausgewählt aus einem Pool von 350 entdeckten Profilen. Der Anlass war eine Art Kräftemessen zwischen Twitter und der Medienaufsicht, wie aus dem Gespräch hervorgeht.
Twitter habe nach der Übernahme durch Elon Musk nicht mehr wie üblich auf Anfragen der Medienaufsicht reagiert, sondern zusätzliche Papiere gefordert. Durch die gesammelten Meldungen hätten die Behörden prüfen wollen, ob Twitter weiterhin den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Die gemeldeten 87 Accounts seien inzwischen nicht mehr aus Deutschland abrufbar.
Sechs dieser 87 Accounts habe die mabb selbst gemeldet, allerdings keine Anzeige gestellt, wie aus dem Gespräch mit Flecken hervorgeht. Eine Strafanzeige ist also nicht zwingend, nachdem die Medienaufsicht einen pornografischen Account entdeckt hat. Umso mehr sind die Anzeigen bei den 150 Accounts als Eskalation zu verstehen.
Nach Erfahrung der mabb würden Strafanzeigen wegen Verbreitung von Pornografie üblicherweise gegen ein Bußfeld von 300 Euro eingestellt, wie eine Sprecherin erklärt. Vorausgesetzt, der betreffende Inhalt werde gelöscht und es sei das erste Vergehen dieser Art.
237 Accounts im Visier der Aufsicht – aber ist das wirklich alles? Bereits vor Ostern wollten wir von den anderen Landesmedienanstalten wissen, wie viele weitere pornografische Accounts sie möglicherweise gemeldet oder zur Anzeige gebracht haben. Uns wurde zunächst eine gesammelte Antwort angekündigt. Erhalten haben wir sie bis heute nicht. Stattdessen verweist die Medienaufsicht darauf, dass sie „kontinuierlich“ unzulässige Inhalte sichte.
Behörde will keine Beispiele für Erotik nennen
Es bräuchte nicht einmal eine Reform des Strafrechts, um den Konflikt zwischen Medienaufsicht und Darsteller*innen zu entschärfen. Schon heute erlaubt sind in Deutschland offen zugängliche erotische Aufnahmen. Sie dürfen bloß nicht die Grenze zur Pornografie überschreiten. Aber da gibt es ein Problem: Die Regeln sind so unscharf formuliert, dass Darsteller*innen damit wenig anfangen können.
In den Regeln steht zum Beispiel, Pornografie sei eine Darstellung, „die unter Ausklammerung sonstiger menschlicher Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher Weise in den Vordergrund rückt“. Daraus geht zumindest für Laien nicht eindeutig hervor, was man nun zeigen darf und was nicht: Knutschen, Brüste drücken, Penispropeller – ja oder nein? Erschwerend hinzu kommt, dass im Zweifel stets der Einzelfall entscheidet.
Rund 150 Strafanzeigen fürs Twittern von Pornos

„Es braucht einen sehr eindeutigen Leitfaden für Creator*innen mit bebilderten Beispielen“, sagte Sexarbeiterin Fabienne Freymadl Anfang April gegenüber netzpolitik.org. Im Gespräch mit netzpolitik.org reagierte die Medienaufsicht gegenüber diesem Wunsch mit Ablehnung.
„Porno ist Porno“, sagte Marc Jan Eumann, Direktor der Landesmedienanstalt Rheinland-Pfalz und ehemals SPD-Politiker. Da sei, glaube er, die Unterscheidung klar. Seine Berliner Amtskollegin Eva Flecken sagte, die aktuell auf der Webseite verfügbaren Kriterien seien doch bereits so etwas wie ein Leitfaden.
Die betroffenen Darsteller*innen sehen das anders. Auch wir können aus den öffentlich verfügbaren Definitionen zu Erotik und Pornografie keine praktisch umsetzbaren Tipps ableiten, welche sexy Aufnahmen noch erlaubt sind und welche nicht.
Sowohl im Gespräch mit den beiden Behörden-Spitzen als auch via E-Mail haben wir nach konkreten Beispielen für erlaubte Fotos gefragt. Was darf man zum Beispiel zeigen? Keine Antwort. Im Gespräch nannte mabb-Direktorin Flecken lediglich Beispiele dafür, was nicht erlaubt sei, etwa erigierte Geschlechtsteile oder Sextoys bei einer Penetration. Per E-Mail baten wir zumindest um Links zu Creator*innen, die alles richtig machen. Wieder keine Antwort. „Wir heben in aller Regel einzelne Fälle nicht besonders hervor“, schreibt eine Sprecherin.
Direkte Beratung für Darsteller*innen möglich
Das Fazit: Die Medienaufsicht droht Porno-Darsteller*innen mit Strafanzeige, wenn sie sich nicht an die Regeln für zulässige Erotik halten. Sie behauptet, die Regeln seien klar. Aber auch bei der wiederholten Frage nach konkreten Beispielen mauert die Behörde. Was sie stattdessen anbietet: direkte Beratung am Telefon, und zwar für alle, die sich mit Nachfragen melden.
Mabb-Direktorin Flecken berichtet im Gespräch mit netzpolitik.org von Darsteller*innen, die sich bereits per Telefon bei ihrer Behörde erkundigt haben. Demnach erhalten Interessierte von der Medienaufsicht Ratschläge, wie sie ihren erotischen Online-Auftritt regelkonform gestalten können. Helfen könnten außerdem Jugendschutzbeauftragte. Möchten Darsteller*innen einer möglichen Strafanzeige entgehen oder einfach nur ihren Beitrag zum Jugendmedienschutz leisten, ist eine Beratung wohl unerlässlich.
In Ermangelung eines Leitfadens für alle müssen Darsteller*innen wohl einzeln zum Hörer greifen. Zuständig sind jeweils die Landesmedienanstalten für das eigene Bundesland, die teils unterschiedliche Kontaktwege anbieten. Hier ist eine Übersicht der insgesamt 14 Behörden mit ihren jeweiligen Kontaktdaten.
Wir möchten weiter über das Thema berichten. Bist du selbst Darsteller*in und hast dich von einer Landesmedienanstalt beraten lassen? Wir freuen uns, wenn du von deinen Erfahrungen berichtest. Hier kannst du Sebastian kontaktieren.
Einen ungefähren Eindruck zu den Grenzen des Erlaubten können zumindest deutsche Pornoseiten liefern, die sich an die strengen Alterskontrollen der Medienaufsicht halten. Eine davon ist etwa die Website Fundorado, die von Nutzer*innen einen Ausweis verlangt.
Auf den offen zugänglichen Vorschaubildern zeigen Darsteller*innen beispielsweise ihre Nippel. Gelegentlich drückt ein Darsteller bedeckte Brüste oder leckt an nackten Fußzehen. Gut möglich, dass sich solche Abbildungen innerhalb der Grenzen zulässiger Erotik bewegen. Sollten sie das nicht tun, könnte bereits eine bloße Verlinkung dieser Seite eine Straftat darstellen. Denn auch Links zu Pornografie sind nicht erlaubt, wie die Medienaufsicht klarstellt.
Offenlegung: netzpolitik.org-Gründer Markus Beckedahl ist seit 2010 Mitglied des Medienrats der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb).

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Author: Sebastian Meineck

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