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Nach den Wahlen: Faschismus benennen, Solidarität zeigen, Zivilgesellschaft stärken

Belltower.News

So denkt die Zivilgesellschaft in Sachsen und Thüringen nach den Landtagswahlen.

Von Kirsten Achtelik|

Auch in Thüringen demonstrierten Bürger*innen gegen die rechtsextreme AfD.

(Quelle: picture alliance/dpa | Hannes P Albert)

Die Voraussagen haben sich bewahrheitet, eine extrem rechte Partei hat in Thüringen die meisten Stimmen bekommen. Obwohl es niemanden wirklich überrascht, die Sorgen in der Zivilgesellschaft hatten zugenommen, je näher die Wahlen rückten.

In Thüringen und Sachsen gilt die AfD als gesichert rechts­extremistisch. Trotzdem oder gerade deswegen ist die Partei als stärkste und zweitstärkste Kraft aus den Wahlen hervorgegangen. Der Leipziger Soziologe Thorsten Mense denkt, dass die Wahlergebnisse „dem autoritär-rassistischen Milieu weiteren Aufschwung und ein noch stärkeres Selbstbewusstsein geben werden. Dies wird sich in vielen Landesteilen Sachsens und Thüringens im Alltag und auf den Straßen bemerkbar machen und stellt bereits jetzt, auch ohne eine Regierungsbeteiligung der AfD, eine konkrete Gefahr dar.“

Die Debatten über vermeintliche Protestwähler*innen müssten angesichts dieser Ergebnisse aufhören: „Zum ersten Mal seit Ende des Nationalsozialismus hat eine rechtsextreme Partei eine Landtagswahl gewonnen. Noch dazu mit einem Landesverband, der von einem völkischen Nationalisten angeführt wird, der gerichtlich bestätigt als Faschist bezeichnet werden darf. Dass die AfD dort trotz Björn Höcke, oder vielleicht gerade wegen ihm, zur Wahlsiegerin wurde, sollte alle Diskussionen darüber beenden, ob die Menschen aus Protest oder Unzufriedenheit die Partei wählen,“ so Mense im Gespräch mit Belltower.News. Über 32 Prozent der wählenden Bevölkerung habe bewusst ihre Stimme für einen „neuen Faschismus“ gegeben. „Erschreckend ist außerdem, dass die AfD ihren Stimmenzuwachs an zweiter Stelle vorherigen Linken-Wähler*innen zu verdanken hat, was das autoritäre Potenzial in diesem Lager deutlich sichtbar macht“, sagt der Soziologe.

Autoritäre Mehrheit

In Sachsen sei zwar das Schlimmste abgewendet worden, Grund zur Entwarnung sei das aber keineswegs: „Vielmehr zeigt sich hier die fortschreitende autoritäre Entwicklung breiter Schichten der Gesellschaft. Bei den Themen Migration, Genderpolitik und dem Verhältnis zu Putins Russland sind die Positionen von CDU, BSW und AfD im Freistaat schon längst nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Fast 75 Prozent der Wähler*innen in Sachsen stimmten also für eine autoritäre, rassistische und antifeministische Politik. Auch ohne die AfD an der Regierung wird diese autoritäre Entwicklung in Politik und Gesellschaft die nächsten Jahre deutlich spürbar sein,“ bilanziert Mense, der zusammen mit Judith Goetz soeben den Sammelband Rechts, wo die Mitte ist. Die AfD und die Modernisierung des Rechtsextremismus herausgegeben hat.

Fatma Kar aus dem Vorstand des Netzwerk Polylux e.V. betont gegenüber Belltower.News, dass es jetzt vor allem darauf ankomme, die Projekte zu unterstützen, die sich der AfD und der Gefährdung der Demokratie  entgegenstellen. Poylux fördert unbürokratisch vor allem kleinere Initiativen, die sich oft nicht anders finanzieren können, weil Förderung häufig nur für neue Projekte möglich ist, oder die Regelungen zu kompliziert sind.

Nach den Europawahlen habe das Netzwerk viele neue Fördermitglieder und Spenden bekommen. Kar befürchtet, dass durch einen Machtzuwachs der AfD auch größere Projekte und Beratungsstellen in Finanzierungsschwierigkeiten geraten, diesen Bedarf könne das Netzwerk dann nicht mehr auffangen. „Die AfD ist nicht das einzige Problem“, sagt Kar: „Die drei Parteien mit den meisten Stimmen sind sich ähnlich in ihren Feindbildern, Migration, queere Menschen, Feminismus. Da kommt noch was auf uns zu. Mir macht es aber Mut, dass jetzt neue Projekte entstehen, dass Menschen sich zusammenfinden, die nicht resignieren, sondern sich sagen, ‚Jetzt erst recht!‘“. Der Osten sei nicht verloren, „es ist jetzt unsere gemeinsame Verantwortung als Antifaschist*innen, uns solidarisch zu zeigen und zu unterstützen!“

Mehr Bildung soll helfen

Der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, hatte sich schon vor den Wahlen per Brief an die Wähler*innen in Thüringen gewandt. Darin warnte er eindringlich vor der NS-Verharmlosung der AfD und den positiven Bezügen der Partei auf den Nationalsozialismus. Wagner erinnerte die Wähler*innen an die Forderung des Thüringer Parteichefs Björn Höcke nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ und mahnte, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen „grundlegend für unsere Demokratie“ sei. Nach diesem Brief hat Wagner Drohungen erhalten, in der Gedenkstätte Mittelbau-Dora wurde sein Bild auf eine Todesmarschstele geklebt. Nach dem Bekanntwerden der Wahlergebnisse twitterte die Stiftung der Gedenkstätten: „Die Antwort auf die heutigen Wahlen kann nur heißen, die historisch-politische Bildung zu intensivieren: Geschichte begreifen – für die Zukunft handeln.“

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Auch unter Künstler*innen waren die Befürchtungen vor den Wahlen groß. Belltower.News sprach mit Tony Milano, Puppenspieler*in am tjg. theater junge generation in Dresden, einem der größten Kinder- und Jugendtheater in Europa. Milano hat nach den Europawahlen einen Antrag auf Einbürgerung gestellt, weil das Kind italienischer Gastarbeiter*innen vom Gerede über „Remigration“ mitgemeint fühlt. Einen Antrag auf Anpassung des Geschlechtseintrags nach dem Selbstbestimmungsgesetz will Milano erst nach der Einbürgerung stellen, da Milano mit dem Eintrag „divers“ Diskriminierung im Einbürgerungsverfahren befürchtet. „Ich habe auch Angst, dass nach den Wahlen noch mehr im Kunst- und Kulturbereich gespart wird“, sagt Milano.

„Es heißt, man müsse die Sorgen der Bürger*innen ernst nehmen – wie wäre es denn, wenn man zu Abwechslung die Sorgen derjenigen ernst nimmt, die vom Rechtsextremismus bedroht werden?“ fragt sich J. aus Thüringen, Der seinen vollständigen Namen nicht gedruckt sehen will. Er ist Jude und befürchtet, dass er sich nur deswegen halbwegs sicher bewegen kann, weil er als weiß wahrgenommen wird. Sicher sei es in Thüringen schon lange nicht mehr: „Die Tatwaffe, mit der der CDU-Politiker Walter Lübcke 2019 von Nazis erschossen wurde, kam aus Thüringen. 13 Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU, der ebenfalls aus Thüringen kam, ist eine Nazipartei die stärkste Partei in Thüringen. Hierin drückt sich das ganze Versagen deutscher Politik aus.“

Die Reaktionen der demokratischen Parteien auf das Wahlergebnis sieht er sehr kritisch: „Dass die Parteien der sogenannten Mitte jetzt meinen, man müsse nach der Wahl erst recht die von der AfD gesetzten Themen bearbeiten, lässt für die Zukunft nichts Gutes ahnen. So geht das seit Jahren: Alle reden über die Themen der AfD, der Diskurs verschiebt sich nach rechts, und am Ende profitiert die AfD.“ J. findet die vielen kämpferischen Apelle zwar richtig, will aber eigentlich lieber das Leben genießen, anstatt kämpfen zu müssen. Deswegen überlegt er wegzuziehen: „Aber es gibt so viele Leute, die ich nicht im Stich lassen möchte – diese Dinge sind jeden Tag in meinem Kopf und das ist sehr, sehr anstrengend.“

Solidarität mit Betroffenen

Der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) rief vor den Wahlen mit einer Kampagne dazu auf, Solidarität, Feminismus und Inklusion zu wählen. Eine Befragung der Mitgliedsorganisationen vor Ort sollte die konkreten Befürchtungen und Bedarfe vor Ort herausfinden. Geschäftsführerin Katharina Göpner bilanziert: „Antifeministische, rassistische, trans- und queerfeindliche, antisemitische und behindertenfeindliche Angriffe nehmen immer weiter zu und gehören leider zu Alltagsrealität in Deutschland, nicht nur in den östlichen Bundesländern. Beratungsstellen und Vereine, die sich dem entgegenstellen und Betroffene von Gewalt und Diskriminierung unterstützen, werden oft zur Zielscheibe rechter Angriffe und Androhungen.“ Viele zivilgesellschaftliche Organisationen hätten schon jetzt Angst, sich öffentlich politisch zu äußern und klar gegen rechts zu stellen, um ihre Gemeinnützigkeit nicht zu gefährden: „Sie befürchten die Kürzung oder gar Streichung ihrer finanziellen Mittel – bei einer ohnehin sehr prekären Finanzierung ihrer wichtigen Arbeit“, erklärt Göpner. „Deswegen brauchen wir breite solidarische Bündnisse und mehr Engagement gegen Gewalt und Diskriminierung. Auf Bundesebene muss das Gemeinnützigkeitsrecht zur Stärkung der Zivilgesellschaft geändert werden und es braucht ein Gewalthilfegesetz noch in dieser Legislatur!“

„Vor fünf Jahren haben wir nach den Wahlen immer wieder betont, dass zwei Drittel der Wähler*innen demokratische Parteien gewählt hätten“, erinnert sich Michael Nattke, der Geschäftsführer vom Kulturbüro Sachsen. „‚Wir sind mehr!‘ kann man jetzt wirklich nicht mehr sagen. Es gibt die anderen demokratischen Kräfte, aber das ist nicht mehr die Mehrheit.“ Nattke befürchtet, dass in der Ursachenforschung für die Wahlergebnisse wie so oft das Narrativ der abgehängte, verunsicherten und verängstigten Ostdeutschen bedient würde. „Das stimmt aber nicht, die Leute wählen bewusst Faschisten. Dagegen helfen keine Dialogformate, das gibt ihnen nur noch mehr Raum. Es wird wirklich allerhöchste Zeit, dass wir stattdessen den Mut haben, Faschisten und Nazis auszugrenzen.“

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