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Neue Tracking-Firma Utiq: Wie Telekom, o2 und Vodafone im Datengeschäft mitmischen

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Telefonanbieter wollen im großen Stil das Surfverhalten von Mobilfunknutzer:innen in Deutschland auswerten. Die Konzerne Deutsche Telekom, Telefónica/o2, Vodafone und Orange haben zu diesem Zweck die Tracking-Firma Utiq als gemeinsames Tochterunternehmen gegründet. Davor warnt der digitalpolitische Verein D64 heute in einer umfassenden Stellungnahme [PDF]. In der begleitenden Pressemitteilung bezeichnet der Verein Utiq als „Big Brother made in Germany“.

Das neue Tracking-Verfahren nutzt das Wissen der Telekommunikationskonzerne darüber, wem welcher Internetanschluss gehört, um Websites und Online-Werbung zu personalisieren. Die Methode wird von den Machern bewusst als europäische und datenschutzfreundliche Alternative in der AdTech-Branche positioniert. „Utiq ist der authentische Einwilligungs-Service, der verantwortungsvolles digitales Marketing ermöglicht.“

D64 ist mit diesem Framing gar nicht einverstanden. In der heute veröffentlichten Stellungnahme nimmt der Verein die Funktionsweise von Utiq genau unter die Lupe und äußert zahlreiche Kritikpunkte. Unter anderem warnt D64 vor der Entstehung eines neuen Überwachungsmonopols, das auch von Kriminellen und Geheimdiensten missbraucht werden könnte.

Telefonanbieter ordnen Nutzer:innen Werbe-IDs zu

Nach Angaben von Utiq ist der Dienst aktuell auf 64 deutschen Websites eingebunden. Darunter große Medien wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung, das Handelsblatt, die Hamburger Morgenpost und Medien der Ippen Gruppe.

Die Mobilfunkanbieter haben gegenüber dem herkömmlichen Tracking mit Cookies einen besonderen Vorteil: Während jenes darauf basiert, dass zur Wiedererkennung kleine Dateien auf den Geräten der Nutzer:innen gespeichert werden, die gelöscht werden können, sehen Telekom und Co. genau, wer welche Website besucht und wissen, wem welcher Internetanschluss gehört. Stimmen die Nutzer:innen zu, wird ihr Verhalten getrackt und sie können bei späteren Besuchen der ursprünglichen Webseite oder auch anderer Webseiten, die den Tracking-Service von Utiq nutzen, wiedererkannt werden.

Die genaue Funktionsweise von Utiq beschreibt D64 so:

Als Tochter von vier der größten europäischen Telekommunikationsanbietern greift Utiq auf die Mobilfunk-IDs von potenziell hundert Millionen Kund:innen in ganz Europa zu. Über ein pseudonymisierendes Verfahren wird aus den IDs eine neue Kennung. Über diese neue Kennung können Werbetreibende Webseiten-Besucher:innen identifizieren und auf anderen Webseiten mit personalisierter Werbung ansprechen. Auch ist es über die Utiq-Kennung möglich, Websites zu personalisieren, also bspw. Kund:innen in Webshops bestimmte Artikel anzuzeigen, die zu ihrem bisherigen Surf-Verhalten passen.

Praktisch bedeutet das: Wenn man als Kunde von Vodafone, o2 oder der Telekom mit dem Smartphone eine teilnehmende Website besucht, übermittelt Utiq die IP-Adresse an den Telefonanbieter. Dieser ermittelt anhand der IP-Adresse die Anschlussinhaber:innen und erstellt eine Advertising-ID, also eine gleichbleibende pseudonyme Kennung, die Utiq als „Network Signal“ bezeichnet. Anhand dieser Kennung werden die Nutzer:innen dann wiedererkannt, auch wenn sie zum Beispiel ein anderes Gerät nutzen sollten. Utiq kann so umfassende Profile der Nutzer:innen erstellen, die entweder genutzt werden, um Werbung auf sie zuzuschneiden oder Websites zu personalisieren. Die Werbe-ID bleibt für 24 Stunden gültig, die Kennung für die Personalisierung von Websites 90 Tage.

Auf Anfrage von netzpolitik.org betont Utiq, dass die bgrenzte Lebensdauer der IDs ein „wesentliches Alleinstellungsmerkmal von Utiq“ sei. Dies habe zur Folge, „dass mit unserer Technologie keine umfassenden Aktivitäts- oder Verhaltensprofile von Nutzern über einen längeren Zeitraum erstellt werden können.“ Mit den IDs könnten zudem nur die Surfaktivitäten eines Nutzers auf einer begrenzten Anzahl von Websites gesammelt werden, die von demselben für die Datenverarbeitung Verantwortlichen betrieben werden.

Ergänzung zu herkömmlichem Tracking

„Nutzer:innen von Online-Diensten ist die zentralisierte Sammlung und Verwertung ihrer Daten meist nicht bekannt“, warnt D64. Dabei haben Nutzer:innen bei Utiq eigentlich die Möglichkeit, der Datennutzung durch ein globales Opt-Out zu widersprechen. Hierfür bietet das Unternehmen ein zentrales ConsentHub an. Doch viele Nutzer:innen würden das Einwilligungsbanner von Utiq für ein weiteres, normales Cookie-Banner halten. Dabei hat die Utiq-Einwilligung weitgehende Konsequenzen, ermöglicht sie doch die Auswertung des Online-Verhaltens über Websites und Geräte hinweg.

Von der Funktionalität her stellt Utiq keinen großen Unterschied zum aktuellen Ökosystem der Online-Werbung dar. Erst im vergangenen Jahr hatten wir gemeinsam mit TheMarkup enthüllt, dass die Tracking-Industrie Menschen auf Basis ihres Verhaltens in hunderttausende Kategorien einsortiert. Dahinter steckt ein undurchsichtiges Netzwerk tausender Firmen, die die Daten sammeln, aggregieren und untereinander handeln. Dominiert wird diese Welt von Google und Meta, schon länger arbeiten die großen Tech-Konzerne aus den USA daran, die Zahl der Akteure in der AdTech-Welt zu reduzieren.

Die Identifikationslösung von Utiq sei deshalb keine Alternative, sondern eine Ergänzung zu herkömmlichen Tracking-Mechanismen, stellt D64 klar. Weil gewohnte Methoden zur Verfolgung von Online-Aktivitäten wie Google Analytics oder Werbe-Cookies zunehmende reguliert und durch Nutzer:innen blockiert würden, werde das Tracking von Nutzer:innen immer schwieriger. In diese Lücke stoßen die Telekommunikationsunternehmen nun vor, indem Utiq „das Tracken von hundert Millionen potenziellen Werbekund:innen über deren Mobilfunk-IDs übernimmt und automatisiert das Auktionieren und Verteilen der Werbebanner vornimmt“.

Der Gründung von Utiq war 2022 eine längere Testphase unter dem Namen TrustPid vorausgegangen. Dass Tracking-Verfahren wurde von Kritiker:innen zwar als Super-Cookie bezeichnet, weil es eine umfassende Auswertung des Verhaltens ermöglicht. Doch der Bundesdatenschutzbeauftragte hatte dem Verfahren – wenn auch mit Bauchschmerzen – grünes Licht gegeben. Zu den Kritikppunkte gehörte etwa, dass Utiq sicherstellen muss, dass Internetnutzer:innen nicht anhand ihrer pseudonymen Werbe-IDs reidentifiziert werden können. Das Unternehmen betont, diese Kritikpunkte gelöst zu haben. Am 10. Februar 2023 hatte die Europäische Kommission die Gründung des neuen Ad-Tech-Joint-Ventures genehmigt.

Alles steht und fällt mit der Einwilligung

D64 kommt in der Analyse zu dem Schluss, dass Utiq im Vergleich zum aktuellen Status Quo bei der Online-Werbung zwar tatsächlich einige Verbesserungen mit sich bringe, insgesamt aber trotzdem problematisch sei.

Das fängt mit der zentralen Voraussetzung für das Tracking an: der Einwilligung der Nutzer:innen. D64 begrüßt hier etwa, dass das ConsentHub zur Verwaltung bereits erteilter Zustimmungen verständlich gestaltet wurde und dass Utiq beim Einholen der Einwilligung nicht auf Dark Patterns setzt. „Der Informationstext des Banners verwendet jedoch ein sehr positives Framing, wodurch unerfahrenen Nutzer:innen nicht klar sein könnte, dass Utiq, ebenso wie andere Tracking-Verfahren, der Profilbildung und Nachverfolgung des eigenen Online-Verhaltens dient“, kritisiert die NGO. Gegenwärtig mangele es zudem noch an detaillierteren Darstellungen der gesamten Datenverarbeitung. Das wäre nötig, damit Nutzer:innen die Funktionsweise von Utiq nachvollziehen können. Hierfür fordert D64 ein umfassendes Datenflussdiagramm.

Problematisch findet D64 zudem, dass Nutzer:innen, die Utiq schon einmal eine Absage erteilt haben, trotzdem erneut nach der Einwilligung gefragt werden. Ein zentraler Opt-Out könnte so versehentlich durch einen Opt-In auf einer Website überschrieben werden. Darüber hinaus kritisiert D64, dass eine getätigte Opt-out Entscheidung nach einem Jahr erlischt und dann erneuert werden muss.

Auf Anfrage von netzpolitik.org widerspricht Utiq dieser Darstellung: „Im Gegenteil, zwei der Hauptmerkmale von Utiq sind die Zugänglichkeit der Informationen, die den Nutzern über die Art und Weise der Verwendung ihrer Daten gegeben werden, wenn sie der Aktivierung von Utiq auf einer bestimmten Website zustimmen, sowie die Tatsache, dass diese Informationen umfassend und lesbar sind.“ Unter anderem verpflichte man Websites dazu, standardisierte Infotexte und faire Einwilligungsbanner zu nutzen. „Es ist immer ein Spagat, einerseits so detailliert wie möglich zu beschreiben und andererseits so, dass auch Menschen ohne weitere Kenntnisse verstehen können, wozu sie ihre Zustimmung geben.“

Attraktiv für Kriminelle und Geheimdienste?

Grundsätzliche Bedenken hat D64 auch, weil der Tracking-Mechanismus auf der Infrastruktur der Netzbetreiber beruht. Positiv daran sei zwar, dass es sich hier mit Ausnahme von Vodafone und im Unterschied zu global verteilten Data Brokern um wenige Telekommunikationsunternehmen mit Sitz in der EU handelt und damit die Durchsetzung der DSGVO leichter möglich sei. „Mit der Erweiterung des Geschäftsbereichs großer europäischer Telekommunikationsunternehmen geht jedoch die Problematik einher, dass eine weitere Zentralisierung in der bereits von Monopolen geprägten digitalen Wirtschaft stattfindet.“ Somit finde eine weitere Konzentration der unter der Kontrolle einzelner Akteure statt.

Schlussendlich betont der Verein auch das Missbrauchsrisiko. Die von Utiq erstellt umfassende Sammlung der von den Nutzer:innen in den letzten 90 Tagen besuchten Webseiten sei nicht nur für Werbetreibende, sondern auch für Cyberkriminelle und Strafverfolgungsbehörden interessant. „Kann ein Dritter auf die bei Utiq und dem Telekommunikationsunternehmen gespeicherten Daten zugreifen, sei es durch einen rechtswidrigen Angriff oder auf Basis einer behördlichen Anordnung, ließe sich das pseudonyme Network Signal auf die Anschlussinhaber:innen zurückführen. Die nur für Werbezwecke gedachte und pseudonyme Datensammlung würde so eine umfassende Auskunft über die Internetaktivitäten einer Person ermöglichen, mithilfe derer sich ein umfassendes Persönlichkeitsprofil mit intimen Details erstellen lässt.“

Auf Anfrage von netzpolitik.org betont Utiq, dass der Tracking-Mechanismus auf Dezentralisierung und das Prinzip der Datenminimierung setze. Das bedeute, dass keine Partei alle Daten habe und diese nur nach dem „Need to know“-Prinzip geteilt würden. Utiq habe beispielsweise keinen Zugang zu personenbezogenen Daten der Mobilfunkanbieter, sondern erhalte von diesen lediglich die pseudonymen Kennungen der Nutzer:innen. Auf eine Datenanfrage von Sicherheitsbehörden könne Utiq deshalb gar nicht antworten, „da wir keine detaillierten Browsing-Profile führen und auch keine Personen wieder identifizieren können, da wir in keiner Phase des Prozesses irgendwelche Informationen oder Methoden zur Re-Identifizierung erhalten“.

Alles in allem, so das Fazit von D64, sei trotzdem zweifelhaft, ob das Internet zu einem besseren Ort werde, wenn Nutzer:innen in Zukunft ein weiteres Einwilligungsbanner wegklicken müssen. Für den Schutz der Privatsphäre im Internet wäre es stattdessen erforderlich, so D64, dass sich echte Alternativen zum permanenten Tracking im digitalen Raum durchsetzen, beispielsweise kontextbasierte Werbung.

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Author: Ingo Dachwitz

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