Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.
Das Verwaltungsgericht in Düsseldorf soll über die Zukunft von Online-Pornos in Deutschland entscheiden. Drohen Pornoseiten künftig flächendeckende Ausweiskontrollen oder Netzsperren? In mehreren Verfahren wollen Vertreter*innen von Medienaufsicht, Internet-Providern und Pornobranche geklärt wissen, was im Namen des Jugendschutzes passieren muss und was nicht.
Hintergrund ist das inzwischen jahrelange Vorgehen der deutschen Medienaufsicht gegen Pornoseiten. Als zuständig betrachtet sich die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen (LfM). Unter Berufung auf den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) verlangt sie, dass Pornoseiten das Alter aller Besucher*innen peinlich genau kontrollieren – etwa per Ausweis oder biometrischem Gesichtsscan. Andernfalls drohen Netzsperren.
Die Betreiber*innen der weltgrößten Pornoseiten sind davon nicht begeistert. Ihre Angebote gehören zu den meistbesuchten Websites der Welt. Sie wollen ihre Millionen Besucher*innen nicht mit Ausweiskontrollen gängeln.
Im Fall von zwei Pornoseiten hat der Konflikt nun eine neue Eskalationsstufe erreicht. Es geht um Pornhub und YouPorn, beides Angebote von Aylo, einem der größten Porno-Imperien der Welt. Weil die Seiten die rigorosen Alterskontrollen verweigern, hatte die Medienaufsicht bereits ab Ende 2023 bei Deutschlands größten Internet-Providern Netzsperren verlangt. Das nennt man Sperrverfügung. Betroffene Provider sollten dann ihren Kund*innen den Zugang zu den Seiten erschweren.
Pornhub trotz Sperre erreichbar
Wie Vodafone, Telekom, 1&1 und PYÜR auf Anfrage von netzpolitik.org bestätigen, wurden diese Netzsperren auch umgesetzt. Die meisten Porno-Fans dürften davon jedoch wenig mitbekommen haben, denn die betroffenen Pornoseiten haben schlicht ihre Domain geändert. So ist Pornhub derzeit unter „de.pornhub.org“ erreichbar; die angeordnete Sperre bezog sich nur auf „de.pornhub.com“.
Ein ähnliches Katz-und-Maus-Spiel hatte sich im Jahr 2022 die Pornoseite xHamster mit der Medienaufsicht geliefert. Hinzu kommt, dass Nutzer*innen eine Netzsperre auch kinderleicht umgehen können, etwa mit alternativen DNS-Servern oder einem VPN. Dennoch gelten Netzsperren als besonders harte Maßnahme, weil sie Grundprinzipien wie Netzneutralität und Informationsfreiheit einschränken.
Zwei Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf drehen sich also um die Frage, ob die Sperrverfügungen durch die Medienaufsicht überhaupt zulässig sind: einmal im Fall von Pornhub, einmal im Fall von YouPorn. Klägerin ist Vodafone mit Sitz in Düsseldorf.
Vodafone sieht Verantwortung bei EU-Kommission
Die anderen deutschen Internet-Provider dürften das mit Interesse verfolgen. So teilte etwa der Berliner Anbieter PYÜR (Tele Columbus AG) mit, ebenso in Berlin Klage gegen die Sperrverfügung eingereicht zu haben. Der Provider habe sich jedoch mit der Berliner Medienaufsicht darauf geeinigt, dieses Verfahren „ruhend zu stellen“. Einfach ausgedrückt: Die Berliner warten ab, was in Düsseldorf passiert.
Ähnlich läuft es bei 1&1: Auch dieser Provider teilt uns auf Anfrage mit, geklagt zu haben; auch diese Verfahren würden ruhen. Also muss Vodafone das jetzt alleine durchfechten.
Gegen die Sperrverfügungen führt Vodafone ein auf den ersten Blick simples Argument an: Die Medienaufsicht sei schlicht nicht mehr zuständig. Stattdessen verlagere das neue Gesetz über digitale Dienste (DSA) die Verantwortung zur EU-Kommission nach Brüssel. Das würde bedeuten: Vodafone und die anderen Internet-Provider müssten sich, wenn es um Pornos geht, nichts mehr von der LfM aus Düsseldorf sagen lassen.
So erklärt ein Vodafone-Sprecher auf Anfrage von netzpolitik.org:
Der DSA stellt nach unserem Verständnis eine Vollharmonisierung dar, sodass seit dessen Geltung die LfM nicht mehr ermächtigt ist, entsprechende Verfügungen zu erlassen. Denn der DSA regelt auch den Jugendschutz im Internet. Insoweit werden die Vorschriften des JMStV unanwendbar.
Ähnlich sieht das die Tele Columbus AG: Die von der Medienaufsicht zur Begründung vorgelegten gesetzlichen Vorschriften seien ihrer Auffassung nach „keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für die Sperrverfügungen“.
Brüssel statt Düsseldorf
Die Medienaufsicht dürfte das anders sehen. Welche Behörde möchte schon gerne Kompetenzen aus der Hand geben – und damit weniger wichtig werden? Auf Anfrage von netzpolitik.org gibt sich die Landesmedienanstalt NRW jedoch schmallippig. Man wolle sich „aktuell aus Verfahrensgründen nicht äußern“.
Die EU-Kommission wiederum dürfte sich über mehr Kompetenzen freuen. Wir wollten von der Kommission wissen, wer ihrer Meinung nach für Alterskontrollen auf Pornoseiten zuständig ist, Brüssel oder Düsseldorf? Die Antwort der Kommission ist differenziert, lässt sich aber auf ein Wort herunterdampfen: Brüssel.
Im Detail schreibt eine Kommissions-Sprecherin:
Wir sind der festen Überzeugung, dass Maßnahmen auf EU-Ebene wirksamer sind, um Minderjährige vor schädlichen Inhalten auf Online-Plattformen zu schützen, da diese Dienste grenzüberschreitend sind und den Nutzern in der gesamten EU ein einheitliches Schutzniveau geboten werden muss. […] Der DSA sieht ein klares Aufsichts- und Durchsetzungssystem vor, in dem die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten und der Kommission festgelegt sind. […] Für den Erfolg unserer gemeinsamen Pionierarbeit zur Regulierung der sehr großen Online-Plattformen ist es von entscheidender Bedeutung, dass dieses System von den Mitgliedstaaten respektiert wird.
Auch konkret für Alterskontrollen habe die EU schon einen eigenen Plan, wie die Sprecherin ausführt. Die Kommission arbeite an einer EU-weiten, interoperablen und den Datenschutz wahrenden App; Hintergrund sind die Bemühungen um die digitale Brieftasche. Die Fortschritte bespreche man regelmäßig mit nationalen Behörden.
Für die LfM heißt das, sie bekommt gerade Gegenwind aus drei Richtungen: Pornoseiten, Internet-Provider und EU-Kommission sind nicht zufrieden damit, wie die Medienwächter*innen aus Düsseldorf Pornoseiten regulieren.
Und es gibt noch eine vierte Richtung mit Gegenwind: Neben dem föderal angelegten Jugendschutz über die Landesmedienanstalten gibt es auch noch den Jugendschutz auf Bundesebene, und zwar über die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz. Sie ist laut Digitale-Dienste-Gesetz zuständig für Vorsorgemaßnahmen bei Online-Diensten, die für Minderjährige zugänglich sind.
„Komplexe und umfangreiche Verfahren“
Um die Frage der Zuständigkeit kreisen also die weiteren Verfahren am Verwaltungsgericht Düsseldorf; wieder eines je für Pornhub und YouPorn. Einfach gesagt wollen die beiden Pornoseiten vom Gericht hören, dass die Medienaufsicht ihnen nichts mehr vorschreiben darf.
Juristischer drückt das der Sprecher der Verwaltungsgerichts aus: Demnach „begehren“ die Anbieter „die Aufhebung der verfügten Beanstandung und Untersagung unter Hinweis auf eine zwischenzeitlich eingetretene Rechtsänderung.“ Auch gegen die Netzsperren hätten die Anbieter Klage erhoben und einen Eilantrag gestellt.
Die Gemengelage aus Jugendschützer*innen auf EU-, Landes- und Bundesebene ist nicht nur für Laien verwirrend. Auch der Sprecher des Verwaltungsgerichts schreibt von „außerordentlich komplexen und umfangreichen Verfahren“. Derzeit würden die Beteiligten Schriftsätze austauschen. Pornhub-Mutterkonzern Aylo ließ unsere Presseanfrage zu dem Thema unbeantwortet.
Aylo dürfte derzeit darauf hoffen, künftig nicht mehr aus Düsseldorf reguliert zu werden. Damit hätte der Pornokonzern zumindest eine Sorge weniger. Denn es gibt weltweit Bestrebungen, die Besucher*innen von Pornoseiten zu Ausweiskontrollen zu drängen; darunter sind mehr als ein Dutzend US-Bundesstaaten. Dort fährt Pornhub jedoch eine andere Strategie und blockt von sich aus den Zugang zur Seite. Das Thema liegt nun sogar beim Obersten Gerichtshof.
Pornhub will keine „sehr große“ Plattform sein
Auch die EU-Kommission dürfte es Aylo künftig nicht leicht machen. Sie hat Aylo-Tochter Pornhub bereits als „sehr große Plattform“ („very large online platform“, kurz: VLOP) eingestuft. Das ist mit einigen Aufgaben verbunden, darunter Einblicke in die Inhaltsmoderation und weitere Transparenzpflichten. Pornoseiten lassen sich aber ungern in die Karten schauen. Pornhub wehrt sich gemeinsam mit anderen großen Pornoseiten gegen die Einstufung als VLOP und behauptet, in Wahrheit gar nicht so groß zu sein.
Sehr große Plattformen sind laut DSA dazu verpflichtet, Risiken zu mindern. Alterskontrollen sind hierfür keine Pflicht, aber eine von mehreren Optionen. Welchen Spielraum Pornoseiten für andere Maßnahmen als Alterskontrollen hätten, ist nicht abschließend geklärt. Zumindest ein weiteres EU-Gesetz verlangt für Inhalte wie Pornos „strengste“ Maßnahmen: die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-RL). Gut möglich also, dass Pornoseiten auch in Zukunft Anlass haben, vor Gericht zu ziehen.
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Author: Sebastian Meineck