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Pride in der Provinz: Während die AfD hetzt, feiert Eberswalde den CSD

Belltower.News


Beim CSD in Eberswalde ziehen 2.000 Menschen durch die Straßen.

(Quelle: Dominik Lenze)

Das bunte Eberswalde ist lauter: Rund 2.000 Menschen beteiligten sich am Samstag, dem 21. Juni, beim Christopher Street Day (CSD) in der mittelgroßen Stadt im Nordosten Brandenburgs, fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Die Versammlung war laut, bunt und, das ist wohl das Wichtigste: Sie verlief ohne größere Angriffe und Störversuche, obwohl die AfD am selben Tag ein queerfeindliches „Sommerfest“ in Eberswalde abgehalten hat.

Als der CSD den Marktplatz von Eberswalde passierte, an dem das AfD-Fest stattfand, schallte es in Sprechchören durch die Stadt: „Siamo tutti Antifascisti“ oder „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“. Hunderte Teilnehmer*innen spannten Schirme in Regenbogenfarben in Richtung des Marktplatzes auf, eine Konfetti-Kanone schoss Glitzer in die Luft. Auf Seiten der AfD standen, wenn überhaupt, hundert Leute, die missmutig auf die CSD-Teilnehmenden blickten.

Es war erst der zweite CSD überhaupt in der brandenburgischen Mittelstadt. Organisiert wurden die Prides von einem Team um Maximilian Armonies (27). Armonies ist vor zwei Jahren nach Eberswalde gezogen. „Ich habe eine queere Vernetzung vermisst, die tiefer geht“, sagt Armonies. Es habe lediglich einen Stammtisch und eine Chat-Gruppe gegeben, „aber keine Events, zu wenig Sichtbarkeit“, so Armonies. Im vergangenen Jahr verlief der CSD, zu dem etwa 1.000 Leute gekommen sind, friedlich und ohne Zwischenfälle.

Die Sorge, dass es in diesem Jahr anders hätte ausgehen können, beschäftigte viele Teilnehmer*innen. Erst vor einer Woche hatten Vermummte ein Fest für Vielfalt im nahe gelegenen Bad Freienwalde angegriffen. Einer der Angreifer war mutmaßlich ein bekanntes Mitglied der Neonazi-Partei „Der Dritte Weg“, die Polizei durchsuchte wenige Tage später die Wohnung des Verdächtigen, stellte Kleidungsstücke und Mobiltelefone sicher. Der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer distanzierte sich pro forma von Gewalt, derweil verbreiteten andere Parteimitglieder Verschwörungserzählungen über die Attacke.

Zahlreiche Teilnehmer*innen reisten aus dem Umland an, um den CSD in Eberswalde zu unterstützen. Für Berliner*innen startete der CSD gewissermaßen schon am Bahnhof Gesundbrunnen. „Wir wollen Solidarität zeigen mit Queers in ländlichen Regionen“, erklärten zwei Teilnehmer*innen. Zudem gebe es „viele tolle Prides im sogenannten Hinterland“ und Engagierte, die Unterstützung verdienen.

Der CSD am vergangenen Samstag war der feierliche Abschluss einer ganzen Reihe queerer Veranstaltungen. Seit dem 6. Juni fanden die ersten queeren Wochen in Eberswalde statt. Die Community organisierte Ausstellungen, Workshops, ein Konzert, einen queeren Poetry Slam und vieles mehr.

Wenige Tage vor dem CSD mobilisierten Rechtsextreme aus dem Ort zu einer Kinderbuchlesung, die im Rahmen der Queeren Wochen in der Stadtbibliothek stattfand. „Am Ende kamen aber nur acht Leute, die sehr, sehr laut geplärrt haben“, berichtet Armonies. Die queere Community konnte hingegen rund 100 Leute spontan organisieren, die sich schützend vor die Veranstaltung stellten. „Die Rechten sind hier nicht in der Mehrzahl“, so Armonies.

Dieser Eindruck bestätigte sich am Samstag beim CSD: Viele Eberswalde*innen begrüßten die queere Parade mit Pride-Flaggen an ihren Wohnungsfenstern oder vor Geschäften. Die Teilnehmer*innen grüßten zurück, mit fröhlichen Trillern und Jubeln.

Eine besonders einprägsame Rede steuerte Eva La Bosse vom Verein „AndersArtig“ bei, die von ihren Erfahrungen in den Neunzigern in Eberswalde berichtete. „Ich war auch Opfer rechter Gewalt und war zum Unmut aller so dreist, das auch zu benennen“, sagt sie. Dafür gab es an diesem Tag keinen Unmut, sondern Applaus. „Erst 2014 erkannte der damalige Bürgermeister dieser Stadt an, dass – Zitat – die Neunziger schwierig waren“, berichtete sie weiter. „Es war nicht allein schwierig, es war vor allem Angst um die eigene Unversehrtheit. Schwierig und eigentlich unerträglich war das Wegducken derjenigen, die für unsere Unversehrtheit hätten eintreten müssen“, sagte La Bosse

Das Wegducken, wegschauen, weglügen ist aber kein Phänomen der Neunziger: Der Bürgermeister von Bad Freienwalde, Ralf Lehmann (CDU), verharmloste die brutale Attacke auf das Fest der Vielfalt als „Störaktion“. Angriff auf Unschuldige und Verteidigung gegen Täter waren für ihn einerlei, wie er im RBB ausführte: „Da sind welche gewesen und wollten stören – und ein anderer wollte ihn festhalten, um rauszufinden, wer ist es“, sagte er.

Ähnlich ist es in Berlin-Lichtenberg, einer der Bezirke der Hauptstadt, der besonders von rechtsextremer Gewalt betroffen ist: Der dortige CDU-Fraktionschef zog auf der letzten Sitzung des Bezirksparlaments in Zweifel, ob es überhaupt eine Gefahr durch Neonazis gebe: „Als ob hier Schlägertrupps durch die Straßen ziehen“, spottete der Lokalpolitiker Benjamin Hudler. Drei Tage nach dem Spott der CDU griffen zwei Neonazis Teilnehmer*innen eines Prides im Berliner Ortsteil Marzahn an.

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