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Gegen Mitglieder der Letzten Generation wird wegen „Bildung krimineller Vereinigungen“ ermittelt. Das ist ein neuer Höhepunkt der Eskalation beim Vorgehen gegen die Klimaaktivist*innen und ermöglicht den Behörden, die Gruppe verstärkt zu überwachen. Ein Kommentar.
„Letzte Generation“ bei einer Straßenblockade in München Anfang Dezember – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / aal.photoWenn es um Repressionen gegen die Letzte Generation geht, gewinnt man aktuell den Eindruck, die Forderungen werden jeden Tag absurder. Oft dauert es nicht lang, bis sie dann wirklich umgesetzt werden.
So geschehen am frühen Dienstagmorgen, als die Polizei die Wohnungen von elf Klimaaktivist*innen der Gruppe durchsuchte. Der Vorwurf: Bildung krimineller Vereinigungen, §129 Strafgesetzbuch. Laut Aussagen der Letzten Generation saßen mehrere der Aktivist*innen zum Zeitpunkt der Razzia in Präventivhaft, teilweise schreckten die Beamten stattdessen ihre Angehörigen aus dem Bett. Knapp zwei Wochen vorher forderten die Innenminister*innen von Bund und Ländern genau solche Ermittlungen.
„Schnüffelparagraf“ ermöglicht weitreichende Überwachung
Bildung krimineller Vereinigungen bedeutet: Mindestens drei Personen tun sich für eine gewisse, längere Dauer zu dem Zweck zusammen, gemeinsam bestimmte Straftaten zu begehen. Und: Dieser Zweck darf nicht von untergeordneter Bedeutung sein. Das ist ein scharfes Schwert – nach §129 können alle Mitglieder der Vereinigung zu bis zu fünf Jahren Haft verurteilt werden, unabhängig davon, was ihre genaue Rolle bei der Begehung der Straftaten war. Auch wer „eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt“, kann bis zu drei Jahre ins Gefängnis kommen.
Zu Verurteilungen kommt es allerdings selten. Stattdessen gibt der unter seinen Kritiker*innen auch als „Schnüffelparagraf“ bekannte §129 den Ermittlungsbehörden eine breite Palette von Überwachungsbefugnissen. Telefongespräche mithören, verschlüsselte Nachrichten mit Staatstrojanern auslesen, Wohnräume verwanzen – all das darf ein Gericht anordnen, ohne dass die Betroffenen etwas davon mitbekommen.
Das betrifft in diesem Fall nicht zwingend die gesamte Letzte Generation. Auslöser der Ermittlungen waren nicht etwa die Straßenblockaden der Gruppe, sondern dass einige Aktivist*innen im Frühjahr die PCK-Raffinerie im brandenburgischen Schwedt blockierten. Trotzdem ist der Paragraf bestens geeignet, um die internen Strukturen der Gruppe zu durchleuchten.
Allerdings dürften die Behörden auch ohne Überwachung bereits viel über die Mitglieder der Letzten Generation wissen. Die Aktivist*innen treten in den sozialen Medien oft unter Klarnamen auf, auch bei den Störungen der Pipeline, die die Ermittlungen ausgelöst hatten. Durch die tausenden bereits laufenden Strafverfahren dürften die Behörden die Identitäten vieler aktiver Mitglieder bereits kennen.
Neue Stufe der Eskalation
Ohnehin haben Ermittlungen auch noch einen anderen Zweck: Einschüchterung und Abschreckung. Die Durchsuchungen sind ein neuer Höhepunkt der Eskalation im Vorgehen gegen die Letzte Generation. In Bayern steckt die Polizei schon seit Wochen am laufenden Band Klimaaktivist*innen in Präventivhaft. Die Stadt München hat vergangene Woche kurzerhand jegliche Versammlungen verboten, bei denen sich die Teilnehmenden auf die Straße kleben. Die Letzte Generation macht trotzdem weiter.
Unterdessen überschlagen sich Politiker*innen mit Forderungen nach härteren Repressionen: Die CDU will das Strafrecht verschärfen. Andreas Scheuer (CSU) möchte die Aktivist*innen am Liebsten gleich hinter Gitter sehen. CDU-Vorsitzender Friedrich Merz nennt die Letzte Generation in einer Reihe mit rechtsextremen Netzwerken, die einen Putschversuch planten.
Auch für Vorwürfe von Terrorismus und Demokratiefeindlichkeit waren sich manche nicht zu schade. Steile Thesen über eine Gruppe, die sich explizit von Gewalt distanziert und deren aktuelle Forderungen ein Tempolimit und eine dauerhafte Einführung des 9-Euro-Tickets sind.
Umgang mit Klimaaktivist*innen wird rauer
Innenministerin Nancy Faeser hat inzwischen mehrere Aktionen der Gruppierung verurteilt und sich hinter ein hartes Vorgehen der Polizei gestellt. Und der Bundeskanzler höchstpersönlich rät jungen Menschen, doch lieber eine Karriere im öffentlichen Dienst anzustreben, als Flughäfen zu blockieren.
Die Bundesregierung verfehlt derweil ihre selbstgesteckten Klimaziele krachend und bricht damit internationale Verträge. Daran konnten mehrere Jahre legaler Großdemonstrationen nichts ändern. Eine Bundesregierung, die sich Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben hat, muss deshalb auch unbequemen Protest aushalten, der ihr Versagen anprangert.
Stattdessen wird der staatliche Umgang mit zivilem Ungehorsam aus der Klimabewegung immer rauer. Das trifft nicht nur die Letzte Generation. Zwei Aktivist*innen, die im September ein Braunkohlekraftwerk blockierten, saßen bis diesen Dienstag in Untersuchungshaft. Die Augsburger Polizei macht immer wieder mit ihrem Vorgehen gegen die lokale Klimabewegung Schlagzeilen. Auch in Nordrhein-Westfalen sitzen immer wieder Klimaaktivist*innen in Langzeitgewahrsam. Unterdessen bereitet Innenminister Herbert Reul die Räumung des Dorfes Lützeraths vor – auch rhetorisch, mit Drohungen gegen „Extremisten, gewaltbereite Gruppierungen und diejenigen, die sich mit ihnen solidarisieren“.
Es wird sich zeigen, wie die Taktiken der Klimabewegungen sich unter diesen Umständen entwickeln. Radikalisierung aber ist derzeit vor allem Politik und Behörden zu beobachten, die friedliche Formen des Protests einschränken und diskreditieren, während sich die Klimakrise weiter zuspitzt.
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Author: Franziska Rau
