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Rezension: Die Shoah und die DDR

Belltower.News


Alexander Walther, Die Shoah und die DDR

(Quelle: Martin Jander)

Alexander Walther beantwortet seine Frage nach Akteuren und Aushandlungen im DDR-Antifaschismus, in drei chronologisch angeordneten Kapiteln. Für die Zeit 1945 bis etwa 1952 stellt der Autor eine „Pluralität“ der Zugänge zur Shoah fest. In der nachfolgenden Phase, bis etwa in die Mitte der 1980er Jahre, spricht er von einer „verborgenen Präsenz“ jüdischer Erinnerungen. Von der Mitte der 1980er Jahre bis zum Untergang der DDR konstatiert er eine „Selbstbehauptung“ jüdischer Überlebender und ihrer Kinder.

Das Zentrum des Buches bilden Geschichten einzelner Überlebender, der Schriftsteller Arnold Zweig, der Historiker Helmut Eschwege und die Schauspielerin Lin Jaldati. Ohne sie hätte es, sagt Walther, eine „verborgene Präsenz“ jüdischer Erinnerung an die Shoah in der DDR nicht gegeben. „Das antifaschistische Grundnarrativ“, so Walther, „war keineswegs völlig starr und konnte durch geschickte Argumentation andere Perspektiven inkorporieren.“

Das Buch hat drei große Mängel. Walther untersucht die Auseinandersetzungen um die Deutung der Shoah in der DDR wie Diskurse in demokratischen Gesellschaften. Den Streit von Autoren, Zensoren und SED-Propagandisten betrachtet Walther als geschichtspolitische Kontroversen, ganz so wie sie in demokratischen Gesellschaften geführt werden. Er unterschlägt mit diesem Verfahren den diktatorischen Charakter der DDR.

Die DDR vertrieb im Winter 1952/53 große Teile der Jüdinnen*Juden. Danach hagelte es Publikationsverbote, Zensur und die Zerstörung intellektueller Arbeiten. Walther nimmt solche Begriffe kaum in den Mund.

Außerdem nutzt der Autor die Erkenntnisse der bereits existierenden Publikationen zu seiner Frage nicht. Die beiden Ausstellungskataloge der Amadeu Antonio Stiftung („Das hat´s bei uns nicht gegeben!“ „Germany after 1945“), die ausgezeichneten Untersuchungen von Thomas Haury, Jeffrey Herf und Karin Hartewig, um nur die wichtigsten zu nennen, zeigen deutlich, dass es in der DDR nicht nur in der SED, sondern auch in der breiten Masse der Bevölkerung Antisemitismus gab. Er bildete ein Strukturelement der Gesellschaft.

Obwohl Walther im Nachlass des einzigen Holocaustforschers der DDR, Helmut Eschwege, recherchierte, erwähnt und analysiert er die Hälfte der von Eschwege meist nicht der DDR gedruckten, oder nur in Westdeutschland erschienenen Texte und ihr Schicksal nicht. Eschwege hat in seiner 1991 erschienene Autobiografie, „Fremd unter meinesgleichen“, bereits belegt, wie seine in der DDR publizierten Bücher, „Kennzeichen J“ und „Die Synagoge in der deutschen Geschichte“, nur inhaltlich entstellt auf den DDR-Markt kamen. Diese Entstellungen waren unmittelbare Folge der militärischen und ideologischen Unterstützung der DDR für die Staaten, die Krieg zur Vernichtung Israels führten. Sie setzten Zionismus und Rassismus gleich. Walter Ulbricht setzte 1967 Israels Umgang mit den Palästinenser*innen mit dem Nazi-Judenmord gleich. Über die Zerstörung des Lebenswerks von Eschwege, der 1959 eine erste Geschichte der Shoah schrieb, die nie gedruckt wurde, wird man in Walthers Buch nur unzulänglich informiert.

Auch die zweite zentrale Biografie der Untersuchung Walthers, das Leben und die Interventionen des Schriftstellers Arnold Zweig, wird in seinem Buch nur bruchstückhaft wiedergegeben. In der bereits 1998 erschienenen Biografie Wilhelm von Sternburgs, „Um Deutschland geht es uns: Arnold Zweig“, war bereits zu lesen, dass die DDR den Ruhm des Schriftstellers instrumentalisierte. Er selbst ließ sich im Kalten Krieg auch nicht gegen die DDR in Stellung bringen. Aber, das von ihm in DDR neu erarbeitete Buch über seine „Freundschaft mit Freud“ druckten DDR-Verlage nicht. DDR-Antifaschismus war nicht kompatibel mit Zweigs, an Sigmund Freud geschulter Gesellschaftsanalyse. Auch diese massive Zensur Zweigs erwähnt Walther mit keinem Wort.

Der dritte Konstruktionsfehler des Buches besteht darin, dass Walther die soziale Integration großer Teile der früheren nationalsozialistischen Gesellschaft in die DDR und die sich daraus ergebenden Folgen für ihre Kinder und Enkel kaum thematisiert. Auch dazu liegen bereits wichtige Studien von Henry Leide, Harry Waibel und Sabine Moller vor.

Walther erkennt nicht, dass der deutsch-kommunistische Antifaschismus sich vor allem den Ex-Tätern öffnete. Die antifaschistische Erinnerungskultur betrachtet sie als Verführte, die von einer kleinen Clique faschistischer Kapitalisten in einen Krieg gehetzt worden waren. Das 1960 eingeweihte „Mahnmal der Opfer des Faschismus und Militarismus“ unter den Linden zum Beispiel zeigte die Urnen eines unbekannten deutschen Soldaten und eines unbekannten Widerstandskämpfers, die in die Erde von ehemaligen Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges und aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern gebettet waren.

Diese Version des DDR-Antifaschismus setzte deutsche Soldaten mit ihren Opfern gleich. Das Schweigen der Täter in ihren Familien und die verordnete öffentliche antifaschistische Erinnerungskultur führten dazu, dass die Kinder und Enkel der Nazis in der DDR, wie Sabine Moller in „Vielfache Vergangenheit“ zeigte, ihre Vorfahren entweder als Opfer oder sogar Gegner der Nazis wahrnahmen.

Dass es in der DDR auch hin und wieder Veröffentlichungen zu jüdischer Lyrik, von Dokumenten zur Judenvernichtung und Romanen zur Shoah gab, wie etwa das 1966 erschienene jiddische Liederbuch der jüdisch-niederländischen Schauspielerin, Tänzerin und Sängerin Lin Jaldati „Es brennt, Brüder es brennt“, kann nicht als Regel, sondern nur als große Ausnahme betrachtet werden. Eine ihre Vergangenheit offen diskutierende Gesellschaft, in der jüdische Überlebende eine wichtige Stimme hatten, wurde die DDR vor ihrem Untergang nicht.

Das antifaschistische Grundnarrativ der DDR war, hier ist Walther zuzustimmen, keineswegs völlig starr. Es öffnete sich aber nur sehr selten für jüdische Perspektiven. Der umfassende Vernichtungsplan der Deutschen, alle Jüdinnen*Juden auf dem Planeten umzubringen, wie er etwa von Helmut Eschwege analysiert wurde, konnte jedoch nicht benannt werden. Hauptsächlich, das behandelt Walther in seinem Buch nicht, öffnete sich der DDR-Antifaschismus für die Selbstexkulpation von Tätern. Sie wurden als Opfer angesehen, wie die von ihnen ermordeten Juden, Polen, Sinti und Roma und viele andere. Das Schuldbekenntnis der DDR-Volkskammer vom 12. April 1990 kam viel zu spät.

Alexander Walther, Die Shoah und die DDR. Akteure und Aushandlungen im Antifaschismus, Göttingen 2025, 566 S., ISBN 978-3-8353-5840-9, 44 Euro.

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