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Schränkt der reichste Mann Europas die Pressefreiheit ein?

Der Chefreporter der französischen Finanzzeitung Les Echos, Nicolas Barré, wurde Ende März entlassen. Warum wir darüber berichten? Weil es skandalös ist und doch nur ein Symptom eines strukturellen Problems darstellt. Offenbar hat ein kritischer Artikel dem Eigentümer von Les Echos, Bernard Arnault, nicht gefallen. Problematisch ist dabei nicht nur, dass so investigative Arbeit aufgrund von Konzerninteressen unterdrückt wird. Generell sind die Besitzverhältnisse, die nicht nur die französische Medienlandschaft prägen, erschreckend: Wenigen Reichen gehört der Großteil der Medien – das gilt auch für Deutschland. Die Pressefreiheit leidet darunter.

Kritisch berichtet, jetzt gefeuert: Was ist in Frankreich los?

Schauen wir uns den Fall Barré mal etwas genauer an, um zu verstehen, was da los war und warum das auch für die deutsche Medienlandschaft relevant ist. Dem französischen Milliardär Bernard Arnault, offiziell reichster Mann Europas und vielleicht sogar der Welt, gehört der Luxusgüterkonzern LVMH. Darunter fallen Modemarken wie Louis Vuitton, Dior, Givenchy & Co. Diesem Konzern wiederum gehört die französische Zeitung Les Echos. Ende März wurde der Chefredakteur von Les Echos, Nicolas Barré, entlassen, nachdem in der Zeitung eine kritische Buchrezension über Vincent Bolloré erschienen ist – die dritte Figur in diesem Medienpolitdrama.

Vincent Bolloré, ein weiterer Superreicher Frankreichs, ist Besitzer der Bolloré Group, zu der unter anderem der Medienkonzern Vivendi gehört. In einer der Fernsehsendungen von Vivendi, CNews, erhielt der ehemalige französische Präsidentschaftskandidat Éric Zemmour vor seiner Kandidatur das notwendige Sprachrohr, um überhaupt erst bekannt zu werden und gegen Macron 2022 antreten zu können. Zemmour ist übrigens vorbestrafter Rassist, verteidigt den Antisemitismus und sticht sogar unter Rechtsextremen für seine Fremdenfeindlichkeit hervor. CNews entpuppt sich immer mehr als das französische Pendant zu dem amerikanischen Hetze-Sender Fox News – sogar Marine Le Pen, eine Rechtsextremistin, wie sie im Buche steht, wird dort als „Linke“ betitelt.

CNews: das französische Fox News?

Ich glaube, man versteht, warum es durchaus sinnvoll ist, kritisch über Bolloré zu berichten, wie es der entlassene Chefredakteur tat, oder? Falls euch die Story von oben noch nicht reicht: Bolloré pusht in seinen Medien die Leute, die seine rechts-konservativen Ansichten vertreten – sie bekommen die beste Sendezeit. Kritische, linke Leute tauchen erst mitten in der Nacht auf, auch eine Reportage über Schwangerschaftsabbrüche hat der Sender aus dem Programm genommen. Bevor Zemmour Kandidat wurde, hielt er in den Talkshows von CNews regelmäßig seine Monologe, verbreitete dort seine antisemitische und ausländerfeindliche Propaganda und wurde so bekannt. Seitdem die französische Medienaufsicht regelmäßige Auftritte des Rassisten unterband, propagandieren die Moderatoren dort trotzdem munter weiter und diskutieren, ob nicht auf die Flüchtlinge an der belarussischen Grenze geschossen werden sollte.

Genau diesen Mann, dem ein derartiger Hetzsender gehört, nimmt Arnault, der Chef von Les Echos, nun in Schutz und deckt ihm den Rücken, indem auf kritische Meinungen in seiner Zeitung mit Zensur und Rausschmissen reagiert wird. Wie heißt es doch so schön in Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte:

„Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit mit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“

Zwar wird die Pressefreiheit in Frankreich nicht, wie in Deutschland, über die Verfassung geschützt. Dennoch ist die Pressefreiheit ein notwendiger Bestandteil der Meinungsfreiheit. Wenn superreiche Medieneigentümer ihre Chefredakteure feuern, weil diese kritische Artikel veröffentlichen, dann ist das definitiv eine Bedrohung für Presse- und Meinungsfreiheit. Das Schlimme daran ist, dass der Fall Barré kein Einzelfall war. Er zeigt, wie die Medien in Frankreich und auch in Deutschland funktionieren, nämlich über Medienoligopole. Ein Oligopol ist ein Markt, auf dem es nur wenige Anbieter gibt, die dadurch große Marktmacht haben.

Medienoligopole sind nicht nur ein Problem Frankreichs – die Pressefreiheit steht auf dem Spiel

Wenn jetzt manche glauben wollen, dass es halt das Problem Frankreichs ist, Pressefreiheit besser zu schützen und Medienoligopole zu verhindern, dann müssen wir euch leider enttäuschen. Das läuft in Deutschland und anderswo sehr ähnlich. Schauen wir beispielsweise auf die USA, Großbritannien und Australien. Da besitzt Rupert Murdoch mit Fox News und The Sun zwei ultrarechte Plattformen, mit denen Trump und Brexit erst zu der Katastrophe wurden, die sie heute sind. In der Schweiz erschuf Multimilliardär Christoph Blocher ein Zeitschriftenimperium, mit dem er die öffentliche Meinung auf rechts trimmt. Auch in Österreich, in Italien und in Osteuropa wird die Konzentration medialer Macht in der Hand von Superreichen zum waschechten Problem für die Pressefreiheit. Der Kauf von Twitter durch Elon Musk war ein prominentes Beispiel dafür, auch wir haben hier berichtet:

Deutschlands Medienskandale bringen unabhängigen Journalismus und Pressefreiheit in Gefahr

Auch in Deutschland werden investigative Arbeit und unabhängige Recherche unterdrückt, weil Konzerninteressen – oder die Interessen des Superreichen an der Spitze des Konzerns – dem Prinzip der redaktionellen Freiheit entgegenstehen. 2021 beispielsweise. Vielleicht erinnert ihr euch – der damalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, dem grobes Fehlverhalten am Arbeitsplatz vorgeworfen wurde, stand in der Kritik. Reichelt soll Mobbing, Begünstigungen und toxisches Arbeitsklima promotet und viele Affären mit jüngeren Kolleginnen, oftmals Praktikantinnen, gehabt haben. Ein Investigativ-Team des Mediums „Ippen Investigativ“ hatte monatelang zum Fall „Reichelt“ recherchiert und wollte die Recherche logischerweise veröffentlichen. Zur Ippen Group gehört beispielsweise der Münchner Merkur oder die Frankfurter Rundschau. Ihr ahnt es: Der Konzern-Boss Dirk Ippen kappte die Veröffentlichung in letzter Minute und schützte seinen vermeintlichen Konkurrenten, den Verlag Axel Springer, zu dem BILD gehört.

Auch über diese Unterdrückung von unabhängigem Journalismus berichtete Volksverpetzer:

Der vorgetäuschte Grund des Ippen-Verlages war, man hätte vermeiden wollen, „eine publizistische Veröffentlichung mit dem wirtschaftlichen Interesse zu verbinden, dem Wettbewerber zu schaden.“ Tatsächlich aber soll der Axel-Springer-Verlag auf Ippen eingewirkt haben, um eine Veröffentlichung zu vermeiden – was hinterher natürlich dementiert wurde.

Klar, Julian Reichelt ist kein BILD-Chefredakteur mehr. Sein Unwesen in den deutschen Medien treibt er dennoch munter weiter. Und lässt sich erneut von Superreichen hofieren und unterstützen. Frank Gotthardt, dessen Familie über ein Vermögen von mehr als einer Milliarde Euro verfügt, ist offenbar einer der Unterstützer von Reichelts neuem Projekt „Achtung, Reichelt!“, in dem der Ex-Chefredakteur seiner rechten Propaganda freien Lauf lässt. Gotthardt selbst ist im Regionalfernsehen tätig und bastelt sich dieses à la BILD zusammen. So soll er beispielsweise von seinen Regionalsendern verlangt haben, getreu der BILD „jede Woche eine neue Sau durchs Dorf zu treiben“.

Superreiche diktieren den von ihnen gekauften Medien, was und wie sie zu veröffentlichen haben und was nicht? Klingt ziemlich doll nach Untergrabung der Demokratie und ist brandgefährlich. Doch die Strukturen der deutschen Medien favorisieren redaktionelle Abhängigkeit.

An Deutschlands Mediensystem ändert sich trotz Skandalen nichts

Die Medienkonzentration ist in Deutschland nach wie vor hoch. Das heißt: Einige wenige Verlage besitzen die meisten Medien wie Zeitungen und Fernsehsender, ein Medienoligopol also. Die Marktanteile der zehn auflagenstärksten Verlagsgruppen sind seit 2020 weitgehend konstant geblieben. Auf Platz 1 steht dabei immer noch die Verlagsgruppe Stuttgarter Zeitung mit 11,8 % in 2022, dicht gefolgt von Axel Springer mit 10,6 %. Bei den Kaufzeitungen füllen einige wenige Verlagsriesen fast die gesamte Teilbranche aus. Gründe für die stark ausgeprägte Medienkonzentration durch die Verlagsgruppen ist die Strategie der Gewinnmaximierung. Viele kleine Zeitungen oder Verlage halten dem Wettbewerb nicht mehr stand und geben auf. Auch das Aufkaufen kleinerer Zeitungen durch große Konzerne ist ein Problem. Nicht immer schafft es das Bundeskartellamt, Fusionen zu verhindern.

Fazit: Guter Journalismus braucht Geld, keine Oligopole

Ich denke, uns allen ist klar, wie verheerend die Folgen von zu viel Macht von Konzerninteressen und Superreichen in den Medien sein können und schon sind, wie die Beispiele zeigen. Klar, auch wenn beispielsweise dem französischen Unternehmer Arnault (siehe Eingangsbeispiel) eine Zeitung gehört, kann er sie nicht vollständig steuern. Trotzdem ist es komplizierter für diese Blätter, gewisse Themen kritisch zu beleuchten. Welche Lösungen aber gibt es, der Medienkonzentration entgegenzuwirken? Erst einmal müssen Fusionen gestoppt und nicht durch irgendwelche Hintertüren doch noch Deals erreicht werden können. Und wir brauchen mehr finanzielle Unterstützung vom Staat, damit sich auch weniger zahlungskräftige Bürgerinnen und Bürger über kostenpflichtige Medien ordentlich recherchierte und unabhängige Informationen holen können. Es ist wichtig, Geld für guten Journalismus auszugeben. Wir haben gesehen: Wenn uns gute Informationen nichts wert sind, dann nutzen Konzerne das aus und schränken die Pressefreiheit ein.

Übrigens: Wusstest du, dass der Volksverpetzer finanziell und ideologisch vollkommen unabhängig ist? Wir finanzieren uns zu 100 % aus Spenden und den Einnahmen aus unserem Shop. Die freiheitlich demokratische Grundordnung und wissenschaftliche Fakten bestimmen unsere Arbeit, keine Konzerninteressen. An dieser Stelle Tausend Dank an alle da draußen, die uns schon mit Spenden unterstützen! Und falls ihr gerade selbst knapp bei Kasse seid, dann helft ihr uns einfach, indem ihr uns lest und teilt.

Artikelbild: canva.com

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