Drücken Sie „Enter“, um den Inhalte zu überspringen

Sorry Querdenker: So viel erfolgreicher war Neuseeland als Schweden

Zwei Länder sind im Laufe der Covid-Pandemie fast schon synonym mit ihren jeweiligen Corona-Maßnahmen geworden. Das eine galt lange Zeit als Vorzeigeland für Null-Covid, das andere ist für Maßnahmenkritiker:innen zum absoluten Freiheitstraum avanciert. Neuseeland und Schweden halten im pandemischen Kontext seit einigen Jahren als Symbolsysteme her. Während Neuseeland seine strenge Null-Covid-Strategie mit Lockdowns, Kontakt- und Einreiseverboten erst Ende 2021 beendete, kamen ähnlich verpflichtende Maßnahmen in Schweden nur sehr schleppend bis gar nicht an.

Damit galt das Land insbesondere in den extremistischen „Querdenken“-Kreisen lange Zeit als großes Vorbild und zudem (fälschlicherweise) als besonders erfolgreich. Neuseeland, das auf Null-Covid setzte, wurde derweil von den gleichen Leuten verteufelt. Eine Bilanz der beiden Strategien war lange Zeit nur schwer möglich, weil die Distanz sowie die nötigen Daten fehlten. Nun sind aber beide gegeben und die Daten der Übersterblichkeit zeigen deutlich: Neuseelands Null-Covid-Strategie war offenbar die erfolgreichere.

Our world in data

Freiwilliges Engagement vs. Vier-Stufen-System

Dass es in Schweden gar keine Maßnahmen gab, ist aber ein Mythos, der sich hartnäckig hält. Auch im nordischen Land ging das Leben nicht ganz normal weiter. Stattdessen wurden zeitweise die EU-Grenzen dichtgemacht, es gab Testpflichten zur Einreise ins Land, klare Vorgaben, wie viele Menschen sich wann versammeln durften sowie Besuchsverbote für Alten- und Pflegeheime. Zudem wurden Universitäten und Schulen ab der 9. Klasse geschlossen, gastronomische Einrichtungen mussten früher schließen oder durften nur bedingt Alkohol ausschenken. Und auch Kulturhäuser mussten zwischendurch schließen oder waren in ihren Öffnungszeiten beschränkt. Darüber hinaus verließ sich der schwedische Sonderweg tatsächlich größtenteils auf Empfehlungen. Statt also Menschen zu verpflichten, eine Maske im öffentlichen Nahverkehr zu tragen, wurden diese auf freiwilliger Basis dazu angehalten. Doch auch diese Empfehlung kam reichlich spät – ebenso wie einige andere Maßnahmen.

In Neuseeland sahen die Maßnahmen – und Fallzahlen – etwas anders aus. Gleich Ende März startete der erste Lockdown, ein Vier-Stufen-System wurde eingeführt. Stufe eins bedeutete, dass das Virus im Land unter Kontrolle ist und lediglich Grenzüberschreitungen eingeschränkt sind. Trat Stufe zwei ein, mussten sich Unternehmen an Gesundheitsrichtlinien inklusive Abstand und Datenerfassung halten. Zudem durften sich höchstens hundert Menschen versammeln und Masken waren im öffentlichen Nahverkehr vonnöten.

Level drei und vier glichen einem Lockdown, Menschen sollten möglichst zu Hause bleiben und sich außerhalb des eigenen Haushalts isolieren. Kinder lernten und Erwachsene arbeiteten möglichst ebenfalls von zu Hause aus. Dienstleistungen mit nahem Körperkontakt mussten zudem eingestellt werden, kulturelle, gastronomische und sportliche Einrichtungen schließen. Während eines Lockdowns der Stufe vier waren jegliche Unternehmen (abgesehen von den essenziellen) sowie Schulen und Universitäten geschlossen.

Erst als die Bevölkerung durch Impfungen abgesichert war, öffnete Neuseeland

Dieses Vorgehen ermöglichte es Neuseeland lange Zeit, die Fallzahlen quasi auf dem Nullpunkt zu halten. Sobald nur ein einziger oder einige wenige Menschen positiv auf Covid-19 getestet wurden, traten in der betroffenen Gegend Stufe drei oder vier in Kraft, im restlichen Land mindestens Stufe zwei. Auch aufgrund des Inselstatus‘ schaffte es das Virus dank des Vier-Stufen-Systems nicht wesentlich über diese niedrigen Fallzahlen hinaus.

Erst im Oktober 2021 verkündete die neuseeländische Regierung, die Strategie zu wechseln. Das hing insbesondere mit der Delta-Variante zusammen, die eine Rückkehr zu nicht-existenten Fallzahlen schwierig gestalten würde. Zudem betonte Premierministerin Jacinda Ardern: „Die Eliminierung [von Covid-19] war [bisher] wichtig, weil es bei uns keine Impfungen gab. Jetzt haben wir welche. Wir können also anfangen, die Art und Weise zu ändern, wie wir Dinge handhaben.“ Zum damaligen Zeitpunkt waren bereits 46 Prozent der Einwohner:innen über 11 Jahre vollständig und 76 Prozent zumindest einmal geimpft.

Die Neuseeland-Strategie rettete Leben

Schweden überließ seine Einwohner:innen also relativ früh ihrer eigenen Moralvorstellung, während Neuseeland damit wartete, bis zumindest beinahe die Hälfte der Menschen geimpft waren, die sich impfen lassen können. Ein Blick auf die schwedische Übersterblichkeit im Zeitraum zwischen 2020 und 2023 und die neuseeländische Untersterblichkeit weist darauf hin, dass diese Strategie Leben rettete. Zwar steigt die Übersterblichkeit in Neuseeland seit Beendigung von Null-Covid wieder an – und verzeichnet den stärksten Anstieg in hundert Jahren.

Das liegt aber insbesondere daran, dass durch Null-Covid auch Grippewellen und andere Atemwegserkrankungen vermieden wurden, die nun Leben kosten. Zudem hat die Null-Covid-Strategie in den vergangenen Corona-Jahren zu einer Untersterblichkeit geführt, die jetzt aus statistischen Gründen für einen stärkeren Anstieg hin zur Übersterblichkeit sorgt. Epidemiologie Michael Baker ist sich sicher: Die Übersterblichkeit wäre schlimmer gewesen, wenn Neuseeland nicht so schnell mit Maßnahmen auf die Pandemie reagiert hätte.

Nun gibt es ohnehin zurecht Einwände gegen einen solchen Vergleich der Übersterblichkeit. So wird aktuell anhand eben dieser Übersterblichkeit beispielsweise das schwedische System als besonders erfolgreich dargestellt. Tatsächlich ist es aber gar nicht so einfach, die schwedische Übersterblichkeit mit der anderer europäischer Länder zu vergleichen.

Denn: In Schweden erlebte die Sterblichkeit in den letzten Jahren vor der Pandemie ohnehin einen Abwärtstrend, der jedoch bei der Berechnung der aktuellen Übersterblichkeit nicht einberechnet wird. Würde er einberechnet werden, könnte die Übersterblichkeit in Schweden bereits ganz anders aussehen. Sprich: „Übersterblichkeit“ wird ja relativ zu der Sterblichkeit der Vorjahre berechnet und gerade die war in Schweden besonders niedrig. Ein Vergleich mit den vergleichbaren Nachbarländern zeigt ebenfalls das schlechteste Abschneiden.

Our World in Data

Schwedens Sonderweg forderte etwa siebenmal so viele Covid-Tode

Doch allein Spekulationen stellen uns nicht zufrieden. Daher ein anderer Vergleich: Die Weltgesundheitsorganisation hält auf eigens für die Pandemie angelegten Websites genau fest, welches Land wann wie viele Corona-Fälle und bestätigte -tode verzeichnete. Auch hier wird eindrücklich deutlich, dass Neuseeland im Rahmen der Null-Covid-Strategie jegliche Corona-Ausbrüche größtenteils vermeiden konnte. Dennoch ist klar sichtbar, dass das Land seit Beendigung der Strategie leider sowohl an Fallzahlen als auch an bestätigten Corona-Todesfällen aufholt. Mittlerweile kommen auf über rund zwei Millionen Covid-Fälle etwa 2.500 Todesfälle.

World Health Organization

Ein Blick auf die schwedischen Daten zeigt jedoch, dass Neuseeland damit vergleichsweise ziemlich gut fährt. Zwar verzeichnet Schweden mit knapp 2,7 Millionen Fällen ‚nur‘ etwa 500.000 Corona-Fälle mehr – Neuseeland hat also innerhalb kürzester Zeit aufgeholt. Aber während in Neuseeland bisher lediglich 2.548 Menschen am Virus gestorben sind, weist Schweden mit 23.731 Toten etwa neunmal so viele Todesfälle auf. Das heißt: In Neuseeland sind bisher rund 0,12 Prozent der Infizierten an einer Corona-Infektion gestorben, während es in Schweden rund 0,88 Prozent sind. (In Deutschland sind übrigens 0,44 Prozent der Infizierten an Covid-19 gestorben). Die vorhandenen Daten legen nahe: Das neuseeländische Warten auf höhere Impfquoten hat sich offenbar gelohnt.

Word Health Organization

Neuseeland schaffte, wovon andere Länder träumten

Nun lassen sich Schweden und Neuseeland natürlich nicht komplett vergleichen – schließlich handelt es sich bei Neuseeland um eine Insel, zudem sind die Arten der Zählweise und Berechnung (siehe die Übersterblichkeit) unter Umständen unterschiedlich. Auch der Vergleich mit Deutschland hinkt. Aber diesen Vergleich machen ja nicht wir, sondern er wird von „Querdenker:innen“ (mit aus dem Kontext gerissenen Zahlen) gemacht, um Schweden mit seinen wenigen Maßnahmen immer noch zu loben und Neuseeland mit seiner Strategie zu verteufeln. Aber wenn man sich auf diesen (durchaus schiefen) Vergleich einlässt, schnitt Neuseeland eben besser ab.

Neuseeland hat geschafft, was alle anderen Länder irgendwie bestrebt und nur zeitweise geschafft haben: Eine Übersterblichkeit abzuwenden und die Corona-Toten niedrig zu halten. Möglich machte es auch eine Null-Covid-Politik, die beinahe von Tag eins strukturiert und konsequent durchgeführt wurde, bis dann genügend Menschen geimpft waren, um Schritt für Schritt wieder zum pre-COVID-Alltag zurückzukehren. Corona war (und ist) gefährlich, Maßnahmen haben geholfen, die Impfung wirkt und ist sicher.

Studien: Je weniger Impfungen, desto mehr Übersterblichkeit