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In den Zusammenbruch von Twitter aka X kommt immer mehr Bewegung. Nun sind relevante Teile der deutschen Twitter-Community zum Konkurrenten Bluesky gewechselt. Wir haben uns umgehört, was dahinter steckt und warum die Wechselbewegung in Richtung Mastodon weniger Momentum hatte.
Wie blau ist der Himmel eigentlich? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com AvessSeit dem langen Wochenende brummt die Twitter-Alternative Bluesky. Heerscharen bekannter und unbekannter Twitter-Accounts, sehr viele Journalist:innen und die ersten Medien (auch wir) klicken sich einen Account auf dem Dienst. Der ist in der Architektur zwar grundsätzlich dezentral angelegt, aber die Plattform ist in der Hand eines Unternehmens.
Im Gegensatz zu den Exodus-Bewegungen seit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk zum föderierten Mastodon macht sich ein Gefühl breit, dass dies nun der Beginn eines tatsächlichen Wechsels sein könnte. Vor allem aber gibt es Freude darüber, zumindest vorübergehend ohne die ganzen Trolle und rechtsradikalen Accounts kommunizieren zu können. Das kann auch daran liegen, dass man sich bei Bluesky derzeit nur mit einem Einladungscode anmelden kann.
Doch was steckt hinter dem Hype und warum konnte Mastodon diesen nicht in dieser Form entfesseln? Warum kommt nun plötzlich Bewegung rein und was kann Bluesky, was Mastodon nicht kann? Begeben sich nun alle in die Hand der nächsten kommerziellen Plattform – oder wird nun alles anders? Oder kann Mastodon gar etwas vom Bluesky-Hype lernen?
Wir haben uns umgehört.
„Eine Welle weg von Twitter“
Luca Hammer, ein langjähriger Datenspezialist für die Auswertung von Twitter und Autor von diversen Umzugstools zur Flucht aus Twitter, sieht einen Tweet von Elon Musk als Auslöser für die neuerliche Welle. Der Milliardär hatte dort indirekt zur Wahl der rechtsradikalen AfD aufgerufen. „Daraufhin haben Accounts demonstrativ ihren Abschied bekannt gegeben, was andere aktiviert hat, sich ebenfalls zu positionieren und auch Angst des Absprung verpassens erzeugt hat“, schreibt Hammer auf Nachfrage von netzpolitik.org.
Auch die Netzaktivistin Anne Roth, die nach eigener Aussage seit zwanzig Jahren nach dem idealen sozialen Netzwerk sucht, sieht Musks Tweet als einen der Gründe: „Wenn Elon Musk etwas ändert oder etwas besonders Abstoßendes äußert, setzt eine Welle ein weg von Twitter.“
Den Post von Musk sieht auch die Publizistin und Twitter-Urgestein Ingrid Brodnig als einen der Gründe, ein anderer seien „Herdeneffekte“ in sozialen Medien. Außerdem seien durch die Umstellung auf ein Bezahlsystem bei Twitter eher unangenehm auftretende Kanäle mit dem blauen Haken umso deutlicher in Erscheinung getreten, was das Feeling auf der Plattform weiter verschlechtert habe.
„Eine nostalgisch verklärte Version von Twitter“
Dass Mastodon damals nicht diese Art von Wechselstimmung erzeugt habe, könne daran liegen, dass Mastodon als kompliziert wahrgenommen würde. „Viele schreiben, dass sie Bluesky weniger umständlich, weniger kompliziert finden und spontan besser damit klarkämen“, sagt Anne Roth.
Das sieht auch Luca Hammer so. Aus dieser Wahrnehmung von Mastodon habe Bluesky offenbar gelernt. Denn das Internetprotokoll hinter Bluesky (AT Protokoll) sei komplizierter als das Activity-Pub-Protokoll von Mastodon. „Bluesky verbirgt diese Komplexität bewusst“, sagt Hammer. Es mache den Umstieg genauso einfach wie die Nutzung von Twitter.
Bluesky erfülle so den Wunsch der Menschen, sich und ihre Gewohnheiten nicht ändern zu müssen. „Es wird eine nostalgisch verklärte Version von Twitter verkauft“, sagt Hammer. Brodnig sieht das ähnlich: „Was einige Leute suchen, ist einfach ein Twitter, das nicht Elon Musk gehört.“
Anne Roth fragt sich auch, warum es eigentlich soviel Zuversicht gäbe, dass mit Bluesky alles besser werde: „Aktuell im Beta-Stadium funktioniert vieles nicht, was wir von Twitter gewohnt sind: Keine DMs, keine Hashtags, keine Gifs oder Videos und die Verifizierung des eigenen Accounts ist noch komplizierter als bei Mastodon“, so Roth. Es gebe zudem wenig Möglichkeiten, sich vor Angriffen zu schützen, denn der eigene Account kann nicht auf ‚protected‘ umgestellt werden und alles am eigenen Verhalten sei öffentlich, selbst die Blocklisten.
Clash von Netzkulturen
Ein weiterer Grund, den viele für den Erfolg von Bluesky und als Problem von Mastodon nennen, sei die Rechthaberei bei Mastodon und die ungebetenen Erklärungen, schreibt Anne Roth. „Sehr, sehr häufig gibt es zu Posts bei Mastodon ungebetene Erklärungen, oft von oben herab, klassisches Mansplaining.“
Luca Hammer sieht dieses Problem auch, wenn auch in anderen Worten. Es liege daran, dass das Fediverse eine eigene Kultur entwickelt hätte, lange bevor Musk Twitter übernommen habe. Wenn alte Nutzer:innen die Neuen auf diese Kultur oder etablierte Verhaltensweisen hingewiesen hätten, habe sich das für die Neuen wie Ablehnung angefühlt.
Dennoch ist Hammer nicht der Meinung, dass sich das Fediverse und Mastodon grundsätzlich ändern müssten, denn es wolle ja nicht Twitter ersetzen, sondern es besser machen. So setze Mastodon auf Rücksicht und Gemeinschaft statt maximale Reichweite für emotionale Themen. Es würde aber helfen, wenn das Standard-Interface von Mastodon verbessert würde und sich z. B. an elk.zone orientiere und wenn die Nutzer:innen rücksichtsvoller mit den Neuen umgehen würden.
Benutzbarkeit als zentraler Faktor
Auch Roth sieht die Benutzbarkeit von Mastodon als elementar an: „Ganz offensichtlich spielt UI/UX eine zentrale Rolle, also Usability, gewissermaßen die ‚Haptik‘ bei der Benutzung. Da würden eingefleischte Fediverse-Fans sagen: Es steht ja allen frei, alles kann angepasst werden, aber das ist der Mehrzahl der Nutzer:innen natürlich nicht mal eben so einfach möglich.“
Hinzu komme, dass Mastodon bewusst keine Algorithmen habe. „Für alle, die Social Media für mehr als das reine Geplauder in der kleinen eigenen Community benutzen, ist das ein Problem“, sagt Roth. Wer nicht den ganzen Tag davorsitze, verpasse viele wichtige Infos. „Twitter hatte für viele auch den Zweck, sich über Nachrichten zu informieren, die nicht über den dpa-Ticker gelaufen sind: internationale und Bewegungs-News und spezifische Themen. Über die Algorithmen konnte ich relativ sicher sein, dass ich relevante Entwicklungen auch mitkriege, wenn ich tagsüber arbeiten muss.“
Das fehle ihr persönlich am meisten, sagt Roth – und vermutlich geht das auch vielen Journalist:innen so, die Mastodon auch wegen der bis vor Kurzem fehlenden Suchfunktion nur schlecht für ihre Arbeit nutzen können.
„Musk wird als Ausnahme gesehen“
Unklar ist auch die Frage, warum nun so viele Menschen zu Bluesky wechseln, obwohl es sich doch wieder um eine mit Venture Capital finanzierte Plattform handelt, während mit dem Fediverse eine Alternative besteht, die nicht vom nächsten Milliardär gekauft werden kann.
Hammer sieht hier einerseits ein Unwissen bei den neuen Nutzer:innen und ist der Meinung, dass Musk von vielen als Ausnahme gesehen würde. Die meisten Social Media Plattformen würden andererseits zwar nicht die Interessen der Nutzer:innen in den Mittelpunkt stellen, aber eben doch indirekt darauf achten, weil ihre kommerziellen Interessen davon abhängen würden.
Anne Roth erklärt es mit der Benutzbarkeit: „Weil es einfacher zu benutzen ist und ansprechender aussieht. Weil die Menschen andere Themen haben im Leben und ihnen das einfach nicht so wichtig ist.“
„Da tut sich was“
So schätzt das auch Ingrid Brodnig ein: „In vielen Fällen siegt Usability über hehre Netz-Ideale.“ Viele Menschen seien eben keine Technik-Afficionados, denen Open Source oder eine nicht-kommerzielle Ausrichtung digitaler Angebote ein Herzensanliegen ist. Solche idealistischen, nicht-kommerziellen Angebote fänden zwar viele in der Theorie gut, in der Praxis setzten sich aber oft jene Angebote durch, die besonders leicht zu benutzen sind und die bereits von vielen Bekannten im eigenen Umfeld genutzt würden.
„Für sie sind womöglich technische Details gar nicht ausschlaggebend, sondern sie wechseln einfach dorthin, wo sie das Gefühl haben, da tut sich etwas, da findet man genügend Leute ähnlich wie auf Twitter“, so Brodnig weiter.
Anne Roth ist gespannt, ob der aktuelle Bluesky-Hype anhält und die neue Plattform hält, was sich viele von ihr versprechen: „Ich glaube, die Karten werden nochmal neu gemischt, wenn die Invites wegfallen und sich bestimmte Dynamiken wiederholen, die es bei Twitter schon gab.“
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Author: Markus Reuter