Junge Neonazis griffen in den vergangenen Tagen eine Geflüchtetenunterkunft in Stahnsdorf und einen alternativen Jugendclub in Senftenberg an. Sind die Baseballschlägerjahre zurück?
Planen decken an einer Unterkunft für Geflüchtete die beschädigten Scheiben einer Tür ab. Das Übergangswohnheim für Asylsuchende wurde in der Nacht des vergangenen Samstags angegriffen.
(Quelle: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow)
In der Nacht von Freitag auf Samstag wird eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Stahnsdorf (Brandenburg) von einer Gruppe junger Männer attackiert. Ein Sicherheitsmitarbeiter wird verletzt und muss im Krankenhaus behandelt werden. Auch Bewohner*innen der Unterkunft werden angegriffen.
„Heil Hitler“-Rufe
Kurz nach Mitternacht ziehen etwa sechs bis sieben Jugendliche durch die Stahnsdorfer Straße in der Nähe der Gemeinschaftsunterkunft in der Ruhlsdorfer Straße, südlich von Berlin, die knapp 300 Menschen Platz bietet. Die mutmaßlichen Jung-Nazis rufen rechtsextreme Parolen, etwa „Heil Hitler“ und greifen dann offenbar das Gebäude an. Fensterscheiben gehen zu Bruch. Die Polizei wird alarmiert. Die reagierte mit einem Großeinsatz, bei dem laut MAZ auch ein Helikopter und Spürhunde eingesetzt wurden. Wenig später nimmt die Polizei drei Verdächtige in der Nähe des Tatortes fest. Einer von ihnen führte ein Messer mit sich.
In den letzten Tagen und Wochen häufen sich die bekanntgewordenen Fälle, in denen mutmaßlich rechtsextreme Gruppen Angriffe begehen.
Senftenberg: „Willkommen in den 90ern, es ist 5 vor 1933!!!“
Am 1. März 2025 wird der Jugendclub „Jamm“ in Senftenberg (Oberspreewald-Lausitz) von einer Gruppe Vermummter angegriffen. Der Club berichtet nach dem Angriff von etwa „30 bis 40 vermummten Personen aus dem Cottbuser Fußballumfeld“, die „Scheiß Zecken“ gerufen und versucht hätten, gewaltsam ins Gebäude einzudringen. Das Team habe jedoch „geistesgegenwärtig“ reagiert, alle Gäste ins Haus geholt und die Türen verschlossen, sodass niemand verletzt worden sei. Die alarmierte Polizei rückte mit zahlreichen Kräften, unterstützt von Streifenwagen der Bundespolizei, aus. Bei ihrem Eintreffen konnten jedoch weder vor Ort noch in der Umgebung Tatverdächtige angetroffen werden.
Zeug*innen berichteten, dass bereits vor dem Angriff mehrere fremde Autos in der Nähe des Clubs geparkt hätten. Eine Gruppe vermummter Personen sei vom Bahnhof aus auf den Club zugekommen, woraufhin die Anwesenden ins Gebäude flüchteten und die Tür rechtzeitig schließen konnten. Kurz darauf seien Steine gegen Tür und Hauswand geflogen. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich etwa 15 Gäste im Club, von denen insbesondere die jüngeren unter Schock standen.
In einem Statement warnten die Betreiber*innen des Jugendclubs: „Willkommen in den 90ern, es ist 5 vor 1933!!!“
Autonomes Zentrum in Salzwedel
Doch nicht nur Brandenburg ist ein Hotspot rechter Gewalt. In der Nacht zum Sonntag, vom 16. Februar 2025, greifen mehrere Personen das Autonome Zentrum in Salzwedel in Sachsen-Anhalt an. Ein Video zeigt fünf Männer, die gegenüber dem selbstverwalteten Zentrum stehen. Einer von ihnen wirft einen Stein gegen ein Fenster, während andere gegen die Eingangstür treten und Personen im Eingangsbereich attackieren.
Baseballschlägerjahre reloaded?
Unbestreitbar häuft sich derzeit die Vehemenz der rechten Gewalt. Junge Neonazis fühlen sich offenbar beflügelt, ungehemmt Gewaltphantasien gegen politische Gegner*innen auszuüben. Auf den Straßen, besonders in den ostdeutschen Provinzen, hat sich seit der Corona-Pandemie eine neue Generation Neonazis etabliert, die ihre Ideologie nicht mehr versteckt. Rein optisch beziehen sich diese Jung-Nazis auf den Stil der Nazis der 90er Jahre: Bomberjacke, Springerstiefel, Glatze, plus menschenfeindlichen Sprüchen auf Pullover und Shirts. Teilweise sind sie die Kinder der 1990er Jahre Nazis.
Baseballschlägerjahre heißen heute eben jene 1990er im jüngst wiedervereinten Deutschland, in denen Neonazi-Mobs durch Dörfer, Groß- und Kleinstädte zogen und Menschen, die nicht in ihr politisches Weltbild passten, wie etwa Schwarze, Migrant*innen, Punker*innen und Obdachlose, verprügelten – sogar ermordeten. An diesem Punkt, dass wir beinahe monatlich von einem erneuten Neonazi-Mord hören, sind wir zum Glück noch nicht. Aber wie viel fehlt noch, bis Neonazi-Gruppen wieder auf die Jagd nach Menschen gehen und so lange auf sie einschlagen, bis sie sterben?
Dass sich diese neue Generation Nazis momentan beflügelt fühlt, ihre Gewalt auszuleben, hängt vermutlich auch mit den starken Wahlergebnissen der AfD in Ostdeutschland zusammen. Die rechtsextreme Partei hat sich etabliert und ist mit Abstand stärkste Kraft. Wenn die AfD auf Social Media und in den Parlamenten gegen Geflüchtete und Migrant*innen hetzt und sie permanent entmenschlicht, und die Zivilgesellschaft und alternative Jugendkultur immer wieder als Hort gefährlicher Interessen darstellt, ermutigt das junge Rechtsextreme, Taten folgen zu lassen. Die quasi Legitimation erfahren sie durch die Reden und Post der AfD-Politiker*innen.
Bei Fällen von rechter Gewalt müssen wir hinsehen, sie benennen, sie immer wieder thematisieren, denn sie darf nicht normalisiert werden. Im Gegensatz zu den 90er Jahren haben wir eine starke und selbstbewusste Zivilgesellschaft – noch.
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