Es gibt nicht nur immer mehr Prozesse gegen Demokratiefeinde – es gibt auch immer mehr Urteile. Im Mai ging es unter anderem um Good News aus Österreich – das rechtsextreme identitäre Magazin „Heimatkurier“ musste bezahlen. Im Juni urteilte unter anderem das Verwaltungsgericht Berlin, dass eine selbst gemalte Pride-Flagge in einer Berliner Grundschule hängen bleiben darf. Dazu gleich mehr!
1. Pride-Flag darf in Grundschule hängen – und im Bundestag nicht?!
Weil die Eltern einer Grundschülerin geklagt hatten, kam es Ende Juni beim Verwaltungsgericht Berlin zu einer Entscheidung (Az. VG 3 K 668/24): Die „Progress-Pride“- Flagge darf im Hort einer Grundschule hängen bleiben. Zuvor hatten die Eltern die Schule aufgefordert, die Flagge abzuhängen, was die Schule nicht getan hatte. Die Eltern klagten daraufhin und beriefen sich auf das staatliche Neutralitätsgebot, das sie verletzt sahen. Die Argumentation: Durch die Flagge käme es zu einer “unzulässigen Beeinflussung” der Kinder.
Das Verwaltungsgericht urteilte darauf hin, dass das Neutralitätsgebot nicht erfordere, auf „wertende Inhalte zu verzichten“. Die Flagge sei „mit verfassungsrechtlichen und auch schulgesetzlichen Vorgaben [vereinbar], soweit diese ‘das Selbstverständnis bestimmter Gruppen und deren Recht zur freien Identitätsbildung’ symbolisiere”, so LTO. Gegen das Urteil kann noch ein Berufungsantrag gestellt werden.
Auf das staatliche Neutralitätsgebot berief sich auch Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) in ihrer Entscheidung, zum Christopher Street Day die Pride-Flagge über dem Bundestag nicht hissen zu lassen. Doch das Verwaltungsgericht Berlin zeigte: Neutralität bedeutet nicht, wichtige Symbole für Vielfalt zu verbannen.
2. AfD-Aktivist darf nicht Volljurist werden
Das Verwaltungsgericht Koblenz hat im Fall des langjährigen AfD-Mitarbeiters John Hoewer entschieden: Er darf kein Volljurist werden. Hoewer scheiterte damit, sich in die Ausbildung einzuklagen – er wollte sein Rechtsreferendariat beginnen. Für keinen anderen als AfD-Fraktionsvize Sebastian Münzenmaier arbeitete Hoewer als Mitarbeiter; dies deckte der BR letztes Jahr auf. Ob Hoewer auch im aktuellen Bundestag für Münzenmaier arbeitet, ist unklar. Eine Anfrage von t-online ließ der AfD-Bundestagsabgeordnete unbeantwortet, es sei denn, t-online würde sich „allgemein (und vielleicht sogar kritisch) mit den Maßnahmen im Kampf gegen die AfD beschäftigen“. Medien müssen also neuerdings auf Linie mit der AfD berichten, um Informationen zu erhalten? Die AfD entlarvt selbst, wie es um die Pressefreiheit stünde, wäre sie an der Macht. Nämlich miserabel.
Mehr rechtsextreme Mitarbeiter der AfD-Bundestagsfraktion findest du in unserem Deep Dive:
Alle rechtsextremen Verbindungen der AfD-Fraktion im Bundestag
Hoewers Liste der Verfassungsuntreue ist lang: Er war in der Vergangenheit für den gesichert rechtsextremistischen Verein “Ein Prozent” aktiv. Auch in der rechtsextremen Jungen Alternative war er aktiv. Ebenfalls knüpfte Hoewer Kontakte zu italienischen Faschisten und zur Identitären Bewegung. Das Gericht führte darüber hinaus diverse Texte Hoewers an, die die Menschenwürde verletzen. In einem seiner Romane beispielsweise werden insbesondere Schwarze Menschen durchwegs herabgewürdigt.
Auch wenn Hoewer bislang keine Straftaten begangen hat, sah das Verwaltungsgericht Koblenz eine ausreichende Verfassungstreue nicht gegeben.
3. Waffenverbot gegen „Die Heimat”-Rechtsextremisten
Weil er Mitglied bei der rechtsextremen Partei „Die Heimat“ ist, darf ein Mann keine Waffen besitzen. Das entschied noch Ende Mai und nach Redaktionsschluss der vergangenen Ausgabe das Verwaltungsgericht Braunschweig. Nach Informationen von Endstation-Rechts handelt es sich dabei um Sebastian Schmidtke. Bis vor rund zwei Jahren hieß „Die Heimat“ noch NPD, sie ist also die Nachfolgepartei der Neonazis. Bei seiner Mitgliedschaft in einer gesichert verfassungsfeindlichen Partei ist es laut Gericht unerheblich, ob auch auf individueller Ebene verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Allein die Mitgliedschaft reicht bei Schmidtke aus, um nicht über die erforderliche Zuverlässigkeit für einen Waffenbesitz zu verfügen.
Bereits im Februar dieses Jahres verhängte die Stadt Braunschweig ein Waffenverbot für Schmidtke. Hintergrund ist, dass dieser bis zum Verbot einen Online-Shop betrieb, in dem er zahlreiche Waffen zum Verkauf anbot. In YouTube-Videos gab er Tipps zum Umgang mit Waffen. Beide Aktivitäten dürften nun nach der Ablehnung Schmidtkes’ Eilantrag gegen das Waffenverbot der Vergangenheit angehören. Das Gericht begründete unter anderem: „Die Allgemeinheit habe ein besonderes Interesse am Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit und vor den Folgen eines Waffenbesitzes unzuverlässiger Personen.“ Eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren steht noch aus.
4. Hat rechtswidrig persönliche Daten abgefragt: Polizist und AfD-Anhänger darf trotzdem im Dienst bleiben
Weil er rechtswidrig persönliche Daten abgefragt hatte, wollte das Polizeipräsidium Neubrandenburg einen Polizeibeamten und ehemals bekennenden AfD-Anhänger – Dan R. – aus dem Polizeidienst entfernen. Zum Hintergrund: 245 Personenabfragen aus verschiedenen Polizeisystemen im Zeitraum von Oktober 2018 bis Juni 2019 wurden überprüft; 37 davon galten bislang als unberechtigt. Das Verwaltungsgericht Greifswald geht inzwischen von nur 20 Abfragen zu insgesamt sieben Personen aus. Wie die SZ schreibt, habe der Polizist zwar versucht, an bestimmte persönliche Daten zu gelangen, dies sei aber aufgrund einer Auskunftssperre nicht gelungen. In der Facebook-Gruppe “Greifswalder Meinungsplatz“, die von Personen aus dem eher linken Spektrum ins Leben gerufen wurde und in der Dan R. ebenfalls Mitglied war, tauchten private Daten (z.B. Klarnamen und Wohnort) auf, ein Forumsmitglied stellte Strafanzeige gegen Dan R.
Kurz nach dem Vorfall wurde er suspendiert und es wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. 2024 musste er ein Bußgeld in Höhe von 800 Euro bezahlen. Bis zur Suspendierung war Dan R. AfD-Mitglied.
Dass es Datenabfragen gab, ist unstrittig, so die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Greifswald. Ihm konnte damals jedoch nicht nachgewiesen werden, dass er die illegal abgefragten Daten weitergegeben oder selbst genutzt hätte. Auch seine Motivation sei unklar gewesen. Das Verwaltungsgericht Greifswald urteilte nun, dass er nicht aus dem Polizeidienst entfernt werden darf. Während das Polizeipräsidium ein schweres Dienstvergehen sah, handelte es sich laut Gericht nur um ein mittelschweres. Obwohl der Polizist keine Reue zeigte, glaubte ihm das Gericht, dass er seit dem Zeitpunkt der Suspendierung von der AfD Abstand genommen hätte. Er ist jetzt auf die Position des Polizeimeisters zurückgestuft worden und darf für drei Jahre nicht befördert werden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Zurecht wurde es heftig kritisiert – viele in der Region äußerten ihren Unmut über die Entscheidung und sprachen von einem Vertrauensverlust in die Polizei.
5. Haftstrafen für mutmaßliche Neonazis nach Attacke auf Ehepaar
Wieder wurden Menschen aufgrund ihrer politischen Gesinnung attackiert. Im Juni kam es zu einem Urteil bezüglich eines Angriffs auf ein Ehepaar, das SPD-Mützen trug. Das Ehepaar war zuvor an einem Informationsstand der SPD zur Bundestagswahl 2025 tätig gewesen. Der Fall trug sich Ende 2024 zu, als mutmaßliche Neonazis im Alter von 17 bis 20 Jahren das Ehepaar an einer Bushaltestelle attackierten. Der Vorsitzende Richter des Jugendschöffengerichts des Amtsgerichts Tiergarten sagte, dass kein Zweifel bestehe, dass die vier Männer das Ehepaar aus politischer Gesinnung angriffen.
Nun wurden die Angeklagten zu Freiheitsstrafen zwischen einem Jahr und neun Monaten sowie zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Es wurde das Jugendstrafrecht angewandt. „In zwei Fällen will das Gericht in einem halben Jahr entscheiden, ob die Jugendstrafen zur Bewährung ausgesetzt werden können“, wie t-online schreibt. Die beiden unterstehen bis dahin der Aufsicht eines Bewährungshelfers. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.
6. Update zum Fall Stein & Schult (AfD) vs. Bruhn (Linke)
Schon in der Mai-Ausgabe der Urteile ging es um den Streit zwischen der AfD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und dem Linken-Politiker Bruhn. Zum Hintergrund: Anfang April kam es wohl zu einem Eklat im Landesparlament von Mecklenburg-Vorpommern. Während einer Debatte im Landtag sollen zwei AfD-Abgeordnete den Linkenpolitiker Bruhn imitiert haben, der aufgrund seiner Parkinson-Erkrankung zittert. Bruhn sprach seine Beobachtung offen an und las den beiden AfD-Politikern ordentlich die Leviten.
Die beiden AfD-Abgeordneten, um die es geht, nämlich Thore Stein und Enrico Schult, haben dann eine einstweilige Verfügung gegen Bruhn beantragt. Sie wollten damit erreichen, dass Bruhn nicht mehr sagen darf, sie hätten die Symptome seiner Parkinson-Erkrankung nachgeäfft. Sie leugnen die Nachahmung und legten sogar eine eidesstattliche Erklärung ab. Im Video der entsprechenden Landtagssitzung sind Stein und Schult nicht zu sehen, daher stand am Ende Aussage gegen Aussage. Das Landgericht Schwerin wies schließlich die AfD-Klage zurück. Die Klägerseite hätte im Zivilverfahren ihren Vorwurf glaubhaft machen müssen, das sei nicht ausreichend geschehen.
Nun kam es im Juni zu einem weiteren Urteil und einem Teilerfolg für die genannten AfD-Politiker. Das Landgericht Rostock entschied, dass der Rostocker Linken-Kreisverband AfD-Politiker nicht pauschal als „politische und menschliche Arschlöcher“ bezeichnen darf. Bei einem Verstoß gegen das aktuelle Urteil, das bislang nicht rechtskräftig ist, droht ein Bußgeld von bis zu 250.000 Euro oder ersatzweise Haft von bis zu sechs Monaten. Das Landgericht Stralsund hatte zuvor ähnliche Anträge der AfD-Fraktion gegen den Linken-Kreisverband Vorpommern-Rügen zurückgewiesen.
Fazit: Die Landgerichte Schwerin und Stralsund wiesen AfD-Anträge zurück, das Landgericht Rostock entschied teils zugunsten der AfD. Ob AfD-Politiker „politische und menschliche Arschlöcher” sind, muss nun wohl jede:r selbst entscheiden.
7. Freiheitsstrafe für Politiker der rechtsextremen “Freien Sachsen“ wegen Wahlfälschung
Wegen Wahlfälschung und anderen Delikten wurde Michael Schleinitz, Kandidat der rechtsextremen Partei “Freie Sachsen”, vom Landgericht Dresden zu einer Haftstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt.
Was sich Schleinitz alles zuschulden hat kommen lassen, bezeichnete der Vorsitzender Richter einen “Streifzug durchs Strafgesetzbuch”. Doch von vorne: Schleinitz manipulierte sowohl die Landtags- als auch die Kommunalwahlen in Sachsen im letzten Jahr. Wie er das tat, erläutert Endstation-Rechts: Er „öffnete mithilfe eines Postschlüssels Briefkästen mit Briefwahlunterlagen, ergänzte dort Kreuze zugunsten der Freien Sachsen und entfernte teilweise bereits vorhandene Stimmabgabe (…). Insgesamt manipulierte er rund 280 Wahlzettel.“ Er erschlich sich so ein Mandat im Ortschaftsrat Dresden-Langebrück, welches er nach zwei Sitzungen niederlegte.
Doch damit nicht genug: Auch wegen zweifacher versuchter Brandstiftung wurde er schuldig gesprochen. „In den Nächten zum 30. September sowie zum 19. Oktober 2023 wollte er demnach jeweils Feuer an einer früheren Schule im Stadtteil Klotzsche legen. Die Flamme sollte von der gelegten Lunte auf das Gebäude übergreifen, es zumindest teilweise zerstören und verhindern, dass dort Asylbewerber einziehen – sie erlosch in beiden Fällen von selbst“, wie der Spiegel schreibt. Und es kommt noch mehr: In die Liste von Straftaten reihen sich auch der unerlaubte Anbau von Cannabis, unerlaubter Erwerb sowie Abgabe von Betäubungsmitteln und versuchter Diebstahl ein. Außerdem erschlich er sich nicht nur sein Mandat, sondern auch Stellen als Pflegekraft mit gefälschten Abschlüssen. Strafverschärfend wirkten sich außerdem frühere Vorstrafen aus. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
8. Urteil für Ex-Landratskandidat der “Freien Sachsen” auch in zweiter Instanz bestätigt
Das letzte Urteil der Reihe betrifft ebenfalls einen Politiker der “Freien Sachsen“, und zwar Stefan Trautmann, Stadtrat für die rechtsextremen “Freien Sachsen“ in Döbeln und Ex-Landratskandidat für die rechtsextreme Partei. Er legte Berufung ein gegen eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30 Euro (3.000 Euro insgesamt), die das Amtsgericht Döbeln in erster Instanz wegen Betrug verhängte. Das Landgericht Chemnitz (Akt.-Z.: 4 NBs 950 Js 6783/24) sah es nun als erwiesen an, dass Trautmann des Sozialbetrugs schuldig ist.
Zum Hintergrund: Trautmann hatte für drei Monate gleichzeitig Lohn als Bürokraft von der Partei „Freie Sachsen“ erhalten und Sozialleistungen vom Jobcenter bezogen. Trautmann hat darüber hinaus 16 Einträge mit Vorstrafen, die in das Gerichtsurteil mit einflossen. Darunter Verurteilungen wegen Diebstahls, Betrugs, falscher Versicherung an Eidesstatt und gefährlicher Körperverletzung. Erst 2024 bekam Trautmann eine Geldstrafe wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es kann noch Revision eingelegt werden.
Artikelbild Gregor Fischer/dpa