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Vorratsdatenspeicherung: Sachverständige uneins über Sammlung von IP-Adressen

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Eigentlich ist die Sache klar: Der Europäische Gerichtshof hat die Vorratsdatenspeicherung gekippt und die Ampel hatte sich auf Alternativen verständigt. Doch die Union und Teile der SPD wollen „Spielräume“ nutzen. Eine Anhörung im Rechtsausschuss brachte kaum neue Argumente und doch spannende Erkenntnisse.
Seit langem umstritten: Die Vorratsdatenspeicherung (Foto einer Demo im Jahr 2015) – Alle Rechte vorbehalten Imago / epdDer Bundestag hat sich wieder einmal mit der Vorratsdatenspeicherung (VDS) beschäftigt. Am Mittwoch lud der Rechtsausschuss zu einer öffentlichen Sachverständigenanhörung und nicht nur Tom Jenissen vom Verein Digitale Gesellschaft wunderte sich, „dass wir im Jahre 2023 immer noch über die Vorratsdatenspeicherung diskutieren“. Anlass war dieses Mal ein Antrag der CDU/CSU, doch auch die SPD lud Sachverständige ein, die für anlasslose Massenüberwachung trommelten.
Eigentlich hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die deutsche Vorratsdatenspeicherung vor etwa einem Jahr gekippt. Sie war 2015 von SPD und CDU eingeführt, wegen rechtlicher Bedenken aber ausgesetzt worden. Der EuGH ließ wenig Zweifel daran, dass die Komplettüberwachung unverhältnismäßig und grundrechtswidrig ist. Allerdings ließ der Gerichtshof ein kleines Fenster für die Überwachung offen und formulierte Bedingungen, nach denen eine Speicherung von Meta-Daten, insbesondere IP-Adressen, keinen Verstoß gegen EU-Recht darstellt.
Der Antrag der Union fordert ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, in welchem „die durch den Europäischen Gerichtshof eröffneten Möglichkeiten vollumfänglich genutzt werden“. Konkret sollen Provider verpflichtet werden, IP-Adressen und Portnummern anlasslos für sechs Monate zu speichern. Das Thema ist heikel, denn nicht nur die Oppositionspartei wünscht sich die IP-VDS, sondern auch Innenministerin Nancy Faeser von der SPD und Teile der SPD-Fraktion. Ihnen entgegen stehen der Koalitionsvertrag der Ampel und Justizminister Marco Buschmann von der FDP, der mit dem Quick-Freeze-Verfahren einen weniger eingriffsintensiven Alternativvorschlag vorgelegt hat. Diesem können auch die Grünen, die FDP-Fraktion und andere Teile der SPD-Fraktion etwas abgewinnen.
Justiz und Polizei fordern mehr Daten
Wenig überraschend argumentierten vor allem die von CDU und SPD geladenen Polizist*innen und Staatsanwälte unter den Sachverständigen, dass ihre Behörden die Speicherung der Daten dringend benötigen. So zum Beispiel die Vizepräsidentin des BKA, Martina Link, und Oberstaatsanwalt Benjamin Krause von der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internet- und Computerkriminalität. Sie nannten IP-Adressen „den werthaltigsten und wichtigsten Ermittlungsansatz.“
Staatsanwalt Oliver Piechaczek vom Deutschen Richterbund sieht auch bei der Terrorabwehr Argumente für die Vorratsdatenspeicherung. Er führte im Ausschuss ein hypothetisches Szenario an: Wenn ein ausländischer Nachrichtendienst eine acht Tage alte IP-Adresse übermittele, könne diese von deutschen Behörden nicht zugeordnet werden, da diese bereits vom Provider gelöscht sei. Dies geschehe in der Regel spätestens nach sieben Tagen. Damit wendete sie Piechaczek gegen das Quick-Freeze-Verfahren als Alternative zur Vorratsdatenspeicherung, das in einem solchen Fall ins Leere laufe.
Mit einem Beispiel aus dem Jahr 2018 argumentierte Marina Hackenbroch vom Bund Deutscher Kriminalbeamter, einer Polizeigewerkschaft. Damals seien bei internationalen Ermittlungen gegen eine Kinderporno-Plattform im Darknet auch 200 deutsche IP-Adressen ermittelt worden. „Hätten wir die anlasslose Speicherung gehabt, hätten wir die Adressen zuordnen können oder zumindest weitere Ermittlungsansätze gehabt“, beklagte sich Hackenbroch. Die Deutschen Ermittlungsbehörden würden international an Ansehen verlieren, so die Polizistin.
Vielzahl an Alternativen
Gegen diese Argumentation wendete sich unter anderem der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber. Er wies darauf hin, dass 200 IP-Adressen nicht automatisch 200 Täter*innen bedeuten. Durch Anonymisierungsdienste wie den Tor-Browser und VPN-Dienste gebe es genug Möglichkeiten, die eigene IP-Adresse zu verschleiern.
Geschlossen gegen den Antrag argumentierten die Expert*innen aus der Zivilgesellschaft. So stellte etwa Bijan Moini von der Gesellschaft für Freiheitsrechte klar: „Die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen ist anlasslose Massenüberwachung.“ Sowohl Tom Jenissen von der Digitalen Gesellschaft als auch Mayeul Hiéramente vom Deutschen Anwaltverein erinnerten daran, dass die Vorratsdatenspeicherung seit Jahrzehnten diskutiert, aber immer wieder von Gerichten gekippt wurde.
Hiéramente sprach sich deshalb für die von Justizminister Buschmann vorgeschlagene Quick-Freeze-Lösung aus. „Wir bevorzugen eine anlassbezogene Sicherung, da wir eine sechs-Monatsfrist für europarechtswidrig halten“, sagte Hiéramente. Neben der Frist wurde im Ausschuss vor allem die zusätzliche Speicherpflicht für Portnummern kritisiert. Tom Jenissen betonte, dass Portnummern keineswegs ein Beiwerk zur IP-Adressdatenspeicherung sind, sondern „nochmal ein ganz schwerwiegenderer Eingriff“.
Dazu erklärte die Rechtswissenschaftlerin Sabine Witting von der Universität Leiden, dass Portnummern einerseits notwendig seien, um dynamische IP-Adressen zuordnen zu können. Andererseits würden Portnummern aber eine noch genauere Profilbildung ermöglichen. Diese Daten ebenfalls zu speichern, berge „das erhebliche Risiko, dass eine entsprechende Regelung in diesem Punkt einer Überprüfung durch das EuGH nicht standhalten würde“, warnt die Juristin.
Es gebe eine „Vielzahl grundrechtsschonenderer und zugleich wirksamerer Maßnahmen“ zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Sie nannte in diesem Kontext ebenfalls das Quick-Freeze-Verfahren, aber auch die konsequentere Löschung von bekannten Missbrauchsdarstellungen sowie eine stärkere Prävention.
Bekannte Argumente
So verlief die Anhörung überwiegend entlang bekannter Argumentationsmuster und politischer Linien. Wer darauf gehofft hatte, die Anhörung könne den Ausschlag in die eine oder andere Richtung geben, wurde wenig überraschend enttäuscht.
Das musste auch Volker Ullrich von der CSU erfahren, der den von seiner Fraktion geladenen Jura-Professor Ferdinand Wollenschläger fragte, ob sich aus der Schutzpflicht des Staates nicht geradezu eine Pflicht ergebe, die IP-Adressen aller Bürger*innen zu speichern. Das verneinte Wollenschläger, der sich ansonsten durchaus pro VDS äußerte. „Es besteht natürlich keine Pflicht des Gesetzgebers, eine solche Speicherung einzuführen.“
Die Entscheidung über die Einführung einer neuen Vorratsdatenspeicherung, das machte die Anhörung unmissverständlich klar, bleibt also eine politische. Interessant ist deshalb nicht nur der Blick auf die inhaltlichen Argumente der Anhörung, sondern auch auf die politische Zusammensetzung der Sachverständigen. Bemerkenswert ist hier vor allem, dass die SPD neben dem Datenschutzbeauftragten mit Polizeigewerkschafterin Hackenbroch und Staatsanwalt Krause gleich zwei Vertreter*innen betroffener Behörden lud. Beide stellten sich erwartbar hinter den Antrag der CDU.
„Es ist gut, dass wir von Experten bestätigt werden, die wir gar nicht geladen haben“, freute sich entsprechend der CDU-Abgeordnete Günter Krings. Das dürften die Koalitionspartner der SPD genau gehört haben.

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Author: Leonhard Pitz

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