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Wie das Märchen vom „Fleischverbot“ aufkam: ein „Fake des Theseus“

Du kannst dich freuen: Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, genau wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) lassen dich so viel Fleisch essen, wie du das möchtest. Sie könnten es auch gar nicht, selbst wenn sie es wollten. Niemand schränkt dich in irgendeiner Weise ein, du genießt vollständige Freiheit dabei. Man könnte sagen, es ist genau das Gegenteil von einem „Fleischverbot“ – „Fleischfreiheit“ vielleicht? Falls du das Gegenteil von dieser Wahrheit gehört haben solltest, dann weil rechte Desinformationsverbreiter wieder erfolgreich waren. Die Methode hierbei ist ein Phänomen, das den „Fake des Theseus“ nennen will. Ich erkläre dir, wie du diese Fake-Methode durchschaust.

Fake des Theseus

Heute möchte ich eine Fake-News-Technik beschreiben, die oft vorkommt, aber vielen gar nicht so bewusst ist. Denn einen „Fake“ oder „Desinformation“ kann man auf mehrere Arten konstruieren. Selten ist eine Sache schlicht und ergreifend einfach ausgedacht. Die Fake-Verbreiter müssen ihre Desinformation auch vor sich selbst rechtfertigen. Sie müssen eine „Ausrede“ dafür besitzen, eine falsche oder irreführende Meldung zu verbreiten. Und wenn es nur „Es hätte ja aber so sein können!“ oder „Ähh … Das war natürlich Satire!“ ist.

Eine dieser Methoden möchte ich den „Fake des Theseus“ nennen. Oder vielleicht auch einfach: Stille Post. Und das am relativ aktuellen Beispiel vom Märchen vom „Fleischverbot“. Zuerst einmal eine kurze Erklärung: Das Schiff des Theseus (oder das Theseus-Paradoxon) ist ein philosophisches Paradoxon aus der Antike. Theseus, ein athenischer Held, reiste viel mit seinem Schiff. Und auf seinen Reisen mussten immer wieder Planken seines Schiffes ausgetauscht werden. Laut Plutarch gab es damals bereits den Streit über die Frage, ob das Schiff noch dasselbe, ursprüngliche Schiff sei, wenn nach vielen Jahren kein einziges der ursprünglichen Planken noch übrig sei.

Es ist ein philosophisches Paradox und nein, da gibt es keine eindeutige Antwort, sonst würden wir nicht seit tausenden Jahren darüber diskutieren. Aber ich argumentiere, dass es mit Fake News ähnlich laufen kann: Eine ursprünglich wahre Geschichte wird immer weiter erzählt, und dabei stets nur leicht verändert. Hier möchte ich aber eine eindeutige Antwort liefern: Das, was am Ende herauskommt, ist nicht mehr das gleiche Schiff.

Maximal negativ Framen

Hier spielt noch eine weitere Sache mit rein: Der Versuch vieler politischer Akteure (und da will ich uns auch gar nicht herausnehmen), jede Forderung eines politischen Gegners maximal empörungswürdig und dramatisch darzustellen. Das ist nicht per se verwerflich, auch wenn ich es gerade so geframed habe. Denn zum Beispiel Faschisten basteln stets viele Euphemismen, um ihre menschenverachtenden Ideologien zu verharmlosen. Sie sprechen beispielsweise von „Remigration“ oder „geregelter Migrationspolitik“ oder dergleichen, meinen aber brutale Massendeportationen.

Es ist also nicht zwingend falsch, zu versuchen, hinter die Kulisse von verharmlosendem Framing zu blicken. Es führt aber oft dazu, dass das „Umframen“ bereits nicht mehr richtig ist und in einer bloßen Unterstellung oder einem Strohmann-Argument mündet. Auch das ist eine Waffe im rechten Meinungskampf und eine Fake-Methode in sich. Ein absichtliches Falschverstehen, wenn man so möchte. Wenn ich sage, dass ich es okay finde, wenn jemand gendert, heißt das nicht, dass ich allen Gendern aufzwingen möchte, zum Beispiel.

Das ist ein wichtiger Baustein im „Fake des Theseus“. Denn stell dir vor, du tauschst jede Planke des Schiffes nicht gegen eine gleichwertige Planke aus, sondern gegen einen Stein zum Beispiel. Am Ende wird es ganz sicher nicht das ursprüngliche Schiff sein, sondern eine Festung. Und man versucht dir zu verkaufen, dass das das Schiff des Theseus sei. Also: Wenn auf mehreren Schritten – durchaus von verschiedenen Personen – immer ein Aspekt der ursprünglichen Meldung leicht, aber dennoch unzulässig verkürzt oder übertrieben wird. Steigen wir gleich in das Beispiel ein, damit du verstehst, was ich meine.

Das Fleischverbot des Theseus

Vorab: Du darfst alles essen, was und wie viel davon du willst. Niemand verbietet euch irgendetwas. Unabhängig davon sind das allerdings Fakten: Wir essen mehr Fleisch, als gesund ist, und Fleisch ist eines der größten Klimakiller. Rund 87 Prozent der Emissionen von Methan und Lachgas in der Viehwirtschaft entstehen durch Rinderhaltung. Auch im Vergleich mit anderen Lebensmitteln schneidet besonders Rindfleisch mit Abstand am schlechtesten ab, was die CO₂-Emissionen angeht.

#Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaftdie Verbraucherschutzzentrale sagen alle: Die Deutschen essen zu viel Fleisch. Die Verbraucherzentrale sagt: „Fleisch sollte maximal 3 bis 4 Mal pro Woche auf den Tisch kommen.“ Sie weisen, darauf hin, dass ein hoher Konsum von Fleisch und Wurstwaren mit einem erhöhten Risiko für bestimmte Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Darmkrebs verbunden sein kann. Die Verbraucherzentrale empfiehlt, Fleisch bewusst zu genießen und öfter auf pflanzliche Alternativen zurückzugreifen.

Auch aufgrund dieser Dinge hatte sich das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) überlegt, neue Empfehlungen zu bringen. Sie beziehen sich dabei auf den Koalitionsvertrag. Das Eckpunktepapier ist hier. Eine Sprecherin sagte:

„Der durchschnittliche Fleischkonsum in Deutschland liegt seit Jahren deutlich über der von der DGE empfohlenen Menge von 300 bis 600 g pro Woche. Ziel der Ernährungsstrategie ist nicht eine rein pflanzliche, sondern eine pflanzenbetonte Ernährung, bei der Fleisch und tierische Produkte in Maßen ihren Anteil haben können.“

Die DGE empfehlung – Das Echte Schiff

Die 300 g bis 600 g pro Woche ist die Empfehlung der DGE schon seit Jahren. Und auch hier: Wenn dir jemand etwas empfiehlt – und sei es eine Autorität – ist das immer noch eine Empfehlung und kein „Fleischverbot“. Das mag zwar offensichtlich klingen, scheint es aber für einige nicht zu sein. Nun: Auf Anfrage erklärte die DGE, es gebe derzeit weder eine neue Empfehlung für die Menge des Fleischverzehrs noch einen Entwurf dafür.

Was wirklich passiert ist: Es gab offenbar interne Berechnungen und Überlegungen, zu denen man Fachkreise und Wirtschaftsverbände hinzuzog. Dabei nutzte man verschiedene wissenschaftliche Methoden zur Errechznung der Ernähungsempfehlungen, die man vorstellte, die gesundheitliche und ökologische Aspekte vereinen. Eine Methode hätte 10 Gramm Fleisch pro Tag ergeben. Doch das war keine Empfehlung, die DGE hatte sich nicht einmal auf eine Methode geeinigt.

Das. Das hier ist das ursprüngliche Schiff. Das ist die Wahrheit, die quasi niemand erfährt: Die DGE überlegt, ob und wie man ihre Empfehlungen (!) anpassen könnte und berät dabei mit verschiedenen Leuten und probiert verschiedene Errechnungsmethoden. Offenbar kommt bei einer davon 10 Gramm Fleisch pro Tag raus. Klingt das schlimm? Ist das ein „Fleischverbot“? Jeder vernünftige Mensch wird wissen: Nein.

Wie die Planken ausgetauscht wurden

Laut einem Artikel der „Lebensmittel Zeitung“ fanden es Vertreter der Fleischindustrie aber völlig überraschend ungut, wenn die Menschen weniger Fleisch essen würden und protestieren. Das eine Beispiel von vielen, das nicht einmal eine Empfehlung war, mit den 10 Gramm, wurde zum Schreckensgespenst. In dem Artikel passierte der erste Plankenaustausch: Sie kritisierten heftig die 10 Gramm und spekulieren, ob in diesem Fall Kantinen mit DGE-Zertifizierung dann kein Fleisch mehr anbieten dürften oder dergleichen.

Hier wurde aber schon unzulässig überspitzt: Die 10 Gramm wurden als gegeben und geplant gezeichnet – was sie nie waren. Aufbauend darauf kam die nächste Planke: Wildes Fantasieren, was für Auswirkungen eine Empfehlung auf Kantinen haben könnte. Und das Ausmalen eines Ernstfalles. Hier wird einfach nur der Extremfall vom Extremfall genommen für ein Szenario, das es nicht einmal gibt. Und hier sind wir schon extrem vergaloppiert. Und dann kam die BILD dazu. Die dreht den Regler noch mal 11, wie immer.

Wie das Märchen vom „Fleischverbot“ aufkam: ein „Fake des Theseus“

Die BILD weiß genau, wie sie täuschen kann, ohne direkt zu lügen – und dass das gewünschte Framing ankommt, sieht man ja auch an den Reaktionen. Sie titelt „Nur noch eine Wurst pro Monat für jeden“ – das hat niemand gefordert, ist nicht geplant und ist lediglich das Ergebnis einer SPEKULATIVEN, unverbindlichen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung DGE, an die sich auch niemand halten müsste, selbst wenn sie geplant wäre.

BILD gibt buchstäblich weiter unten im Text zu: Es müsse „sich per se keiner an die Richtlinie halten.“ Die, die es nicht gibt und nicht mal geplant ist. Sie spekuliert jedoch, dass es sein KÖNNTE, dass Kantinenbesitzer „faktisch gezwungen werden, wenn sie ihr DGE-Zertifikat behalten wollen“. Das hat rein gar nichts mehr mit der Realität zu tun. Das ist alles frei erfunden.

CEci n’est pas un Bateu!

Und wenn die BILD eine Lüge in die Welt setzt, geht natürlich bekanntlich das Geschrei los. Wie so oft schreibt der Focus direkt bei BILD ab:

Wie das Märchen vom „Fleischverbot“ aufkam: ein „Fake des Theseus“

Und auch rechte Desinformationmedien plappern die Fake-News nach und sprechen die Unwahrheiten noch deutlicher aus und spinnen die rechten Wahnvorstellungen noch weiter aus. Hier kam das „Fleischverbot“ dazu.

Wie das Märchen vom „Fleischverbot“ aufkam: ein „Fake des Theseus“

Auch natürlich dieser systematische Desinformationsverbreiter:

Wie das Märchen vom „Fleischverbot“ aufkam: ein „Fake des Theseus“

Und natürlich darf Bayerns Ministerpräsident Söder nicht fehlen, der wie so oft in letzter Zeit zu Unwahrheiten und Lügen greift, um bayerischen Wahlkampf zu betreiben. Und sich über das nie existente Fleischverbot aufregt. Er suggeriert natürlich wieder einmal, dass „Verbote“ im Widerspruch zur Demokratie stünden. Erst vor wenigen Wochen wiederholte er auch ein weiterer Fake von einem „Fleischverbot“ in einer Münchner Kita. In Wahrheit gab es einfach ab und zu mal auch ein vegetarisches Gericht. Völlig ohne Scham, nachdem er regelmäßig selbst Verbote gefordert hatte, wie weiterhin das von Cannabis.

Wie das Märchen vom „Fleischverbot“ aufkam: ein „Fake des Theseus“

Aus internen Überlegungen und möglichen Berechnungen wurde jetzt nach dem Austauschen jeder Menge Planken aus dem ursprünglichen Schiff ein „grüner Überwachungsstaat“ und ein „Fleischverbot“. Und auch demokratische Politiker wie Söder befeuern diese Hetze fleißig mit. Falls sich jemand fragt, wieso die AfD so stark wird: Genau wegen sowas.

Du siehst, wie hier nach und nach die ursprüngliche Wahrheit immer weiter entfremdet wurde, überspitzt, weiter erzählt. Stille Post der schlimmsten Sorte. Aber die Flüsterer profitieren davon gewaltig. Die CSU schlug übrigens weiter in diese Kerbe mit einer anderen, ebenso absurden Geschichte.

Fast alle Geimpften seit 2 Jahren tot

Erinnerst du dich noch, dass der Oberschwurbler Michael Wendler 2021 verkündete, dass im September 2021 „fast alle Geimpften“ tot sein würden? Ok, wir haben brav gewartet, jetzt ist bald September 2023. Und wir leben alle noch.

Wie das Märchen vom „Fleischverbot“ aufkam: ein „Fake des Theseus“

Solche peinlichen Fakes sind selbstevident völliger Blödsinn. Na gut, vielleicht nicht so selbstevident, leider. Aber auch ein Michael Wendler denkt sich nicht ALLES einfach so aus. Denn auch das ist das Ergebnis von jeder Menge stiller Post und einem Fake des Theseus. Das hat ja nicht der Wendler direkt gesagt, sondern ein gewisser Dr. Coldwell. Das hat Wendler wirklich so entschuldigt. Es sei ja nicht seine Schuld, dass die „Vorhersage“ von Coldwell – einem bekannten Hochstapler, der keinen seinen fünf akademischen Titel nachweisen kann – nicht eintraf. Behauptet Wendler.

Coldwell selbst hatte nämlich von einem angeblich geschwächten Immunsystemen nach einer Impfung gesprochen, was er aus einer Studie habe. Die das aber auch nicht belegt. Also haben wir am Anfang eine Studie, die von jemandem falsch interpretiert wird. In diesem Fall: Bei vielen Geimpften sei angeblich einige Monate nach der Impfung das Immunsystem lebensgefährlich geschwächt. Quatsch, natürlich. Aber dann kommt ein Wendler und schlussfolgert daraus (wieder unzulässigerweise), dass „fast alle Geimpften“ spätestens im September tot seien. Dieses Schiff ist gesunken, bevor es den Hafen verlassen hat, denn es war eine Badewanne.

Augen auf bei Fake News

Und trotzdem finden sich immer noch Leute, die diese Fake-News weiter glauben. Klar, weil sie nun mal die Lügen gehört haben und sie glauben wollen. Aber auch manche, die die Erklärung gehört haben, glauben es weiter. Und rechtfertigen diese Lügen, obwohl sie die Wahrheit kennen. Sie möchten an ihrem Framing festhalten. Denn du irrst, wenn du denkst, rechte Demagogen, die von „grüner Überwachungsstaat“ fantasieren, wären nur auf ein Missverständnis hereingefallen.

Ein großes Geheimnis bei Fake News ist nämlich, dass nicht eine falsche Meldung zu einem falschen Glauben führt. Sondern umgekehrt. Die Leute glauben bereits an „Fleischverbot“ und „Überwachungsstaat“ und „Diktatur“. Die Lügen werden im Nachhinein dazu konstruiert, um diese weinerlichen Emotionen zu rechtfertigen. Sie sehnen sich verzweifelt danach, dass ihre irrationalen Einstellungen legitimiert werden. Und daher ist ihnen egal, ob es wahr ist oder wie die Fake-Meldung zustande kam.

Der Fake des Theseus kommt da als persönliche Rechtfertigung gut gelegen. „Technisch gesehen“ stimmt es schon. Man muss halt nur an jeder Stelle die Gehirnakrobatik rechtfertigen und die Logiksprünge. Deshalb laufen diese Fakes so gut. Das Problem ist, dass diese Fakes letztlich viele dann doch „anstecken“. Die dann anfangen, doch ein wenig daran zu glauben. Denn wenn so viele Leute das sagen, dann muss doch zumindest ein bisschen was dran sein, oder? Und völlig egal, ob das Schiff des Theseus am Ende noch das gleiche Schiff war, wie am Anfang. Oder doch inzwischen ein Kupferkessel ist. Die Passagiere darin kommen bei der rechtsextremen AfD an.

Artikelbild: canva.com

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