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Wie du die vielen Lügen zu Gaza durchschaust – 6 Faktenchecks

Der Krieg in Israel geht weiter und so leider auch die Flut an Fake News zum Krieg. Fest steht: die Hamas hat verifizierte Kriegsverbrechen gegen Zivilist*innen begangen. Die Belege dazu haben wir schon in diesem Artikel zusammengetragen:

In Reaktion darauf hat die Israelische Armee Ziele im Gazastreifen angegriffen, mit dem Ziel, Hamas-Strukturen zu treffen. Dabei wurden auch Zivilist:innen getötet. Außerdem hat Israel humanitäre Lieferungen nach Gaza von der Befreiung der Geiseln abhängig gemacht. Da die Hamas die Befreiung Geiseln verweigert, wird die humanitäre Situation dort immer schlimmer. 

Ärzte ohne Grenzen kritisiert nun Israel für ihre “kollektive Bestrafung” Unschuldiger. Es ist korrekt, dass “kollektive Bestrafung” im Völkerrecht verboten ist. Genauso ist auch die Geiselnahme im Völkerrecht verboten. Das Völkerrecht gilt aber in jedem Fall auch dann, wenn die Gegenseite es verletzt. Ärzte ohne Grenzen fordert daher ein Ende der „unterschiedslosen“ Gewalt.

In diesem Faktencheck debunken wir einige der Fakes, die rund um den Gaza-Streifen verbreitet werden. Ganz wichtig: Wir wollen hier Fakes aufklären – nicht die Situation in Gaza beschönigen oder eine Seite als die ausschließlich Gute oder Böse darstellen. Bitte lest den Artikel damit im Hinterkopf.

Diese Liste hat jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es kursieren auf Social Media so viele Fakes, dass wir nicht jeden davon entlarven können. Das ist aber auch nicht unser Anspruch. Ihr seht hoffentlich schon, nachdem ihr diesen Artikel gelesen habt, wie einige Fakes entstehen und wie vorsichtig ihr sein solltet, bevor ihr irgendwelche Posts weiterverbreitet. Insbesondere, wenn sie euren Feindbildern entsprechen.

1. Israel soll Evakuierungs-Route in gaza bombadiert haben

Nach den Terrorangriffen der Hamas forderte Israel die Räumung von Nord-Gaza an. Circa 1,1 Millionen Zivilist:innen sind von dem Evakuierungsaufruf betroffen. Die Vereinten Nationen und die Weltgesundheitsorganisation riefen Israel dazu auf, die Evakuierungsanordnung aufzuheben. Ein humanitäres Desaster bahne sich an. Bislang kam Israel diesem Aufruf nicht nach. Am 13. Oktober gab es auf einer der Evakuierungsrouten mehrere Explosionen an einem Evakuierungs-Konvoi von palästinensischen Zivilist:innen.

In Folge der Explosionen machten sich die Hamas und IDF (Israel Defense Forces, also Israels Militär) jeweils gegenseitig für den Angriff und die Explosionen verantwortlich. Es kann nicht mit 100%iger Sicherheit gesagt werden, welche Seite schlussendlich für den Angriff und die Explosionen verantwortlich war. Experten sagen, dass die Explosionen wahrscheinlich auf einen Raketeneinschlag zurückzuführen sind und weniger wahrscheinlich auf eine Autobombe oder schwerere Bomben. Ohne das abschließend zu wissen, scheint bisher Israel hier die Verantwortung zu tragen.

Quelle

2. anderer angriff auf gaza-evakuierungsroute vermutlich auf hamas zurückzuführen

Auch an anderer Stelle der Evakuierungsroute, die eigentlich sicher sein sollte, kam es zu einer Explosion. Genauer gesagt auf der Salah Al Deen Route. Hamas machte auch an dieser Stelle reflexhaft Israel für den angeblichen Angriff verantwortlich und sprach von einem Raketeneinschlag. Die Art der Explosion, die auf Videos zu sehen ist, ist jedoch sehr untypisch für einen Raketeneinschlag. Auch ist zu keinem Zeitpunkt eine einfliegende Rakete zu sehen. Das wird als sehr unwahrscheinlich eingestuft. Alle Zeichen deuten auf eine Gaskanisterexplosion hin. Die wahrscheinlichste Erklärung für die Explosion ist, dass die Hamas die Evakuierungsroute mit einer fahrzeuggetragenen improvisierten Sprengladung traf.

Quelle

3. alte bilder werden für propaganda genutzt

Kommen wir zur beliebten Methode von Fake-News-Verbreitern, irgendwelche Bilder oder Videos aus den Untiefen des Internets aufzutreiben und diese in einen neuen Kontext zu setzen. Das passiert im Ukrainekrieg und es passiert wieder im Israelkrieg. Unzählige solcher Fälle sind auf Social Media derzeit zu finden. Erstes Beispiel: Auf X kursieren Behauptungen, dass die IDF Hunderte palästinensischer Kinder massakriert hätten. Als angeblicher „Beleg“ wird ein Bild toten Kindern gepostet unter anderem vom Fake Verbreiter Shaykh Sulaiman.

Deswegen hier zuerst eine kurze Trigger-Warnung: schaut euch dieses Bild am besten nicht an. Und wenn ihr es wirklich sehen wollt, dann am besten nicht alleine. Wir posten es hier ausnahmesweise nicht, aber es stammt aus diesem Artikel.

Zurück zum Kontext: Das Bild hat überhaupt nichts mit dem Israelkrieg zu tun. Es wurde 2013 veröffentlicht, und zwar im Syrienkrieg. Es handelt sich um Kinder, die in Folge von Assads Giftgaseinsatz ums Leben gekommen sind. Abscheuliche Kriegsverbrechen werden also genutzt, um Propaganda zu verbreiten.

Hinter dem Narrativ, Israel würde gezielt Kinder ermorden, steckt übrigens eines der ältesten judenfeindlichen Bilder, nämlich die Ritualmordlegende. Diese hat ihren Ursprung im Mittelalter, als das Gerücht verbreitet wurde, Jüdinnen und Juden würden (christliche) Kinder zum Zweck religiöser Rituale entführen und töten.

Gleichzeitig ist es korrekt, dass auch Kinder in Gaza durch israelische Luftangriffe getötet worden sind, wie Ärzte ohne Grenzen bestätigt.

4. dieses video stammt aus einem flüchtlingslager im libanon, nicht Gaza

Weiteres Beispiel für ein falsches Video: Um die prekären Bedingungen im Gaza-Streifen seit Kriegsbeginn zu “belegen”, wird auf X ein Tiktok-Video veröffentlicht, das jedoch wieder nichts mit dem Krieg in Israel zu tun hat. Das Video stammt wahrscheinlich aus einem Flüchtlingslager von syrischen Geflüchteten im Libanon. Das Video wurde bereits am 21. Juli 2023 auf die Plattform hochgeladen, also vor dem terroristischen Angriff der Hamas. Es zeigt die Folgen eines Brandes in erwähntem Flüchtlingslager.

Quelle

Versteht uns nicht falsch: auch wir erkennen an, dass sich die humanitäre Lage für Zivilist:innen im Gazastreifen extrem zuspitzt seit der Blockade Israels. Dieser Blockade vorausgegangen sind jedoch die brutalen Terrorangriffe der Hamas und die Geiselnahme israelischer Zivilist:innen. Gerade deshalb ist es so sinnlos, dazu auch noch Fakes zu verbreiten.

5. auch dieses video wurde in den falschen kontext gesetzt

Drittes Beispiel: Auch hier wird wieder ein Video, das dem syrischen Kontext zuzuordnen ist, fälschlicherweise dem Israelkrieg zugeordnet. Auf X kursiert ein Video, das eigentlich aus dem Syrienkrieg stammt und bereits 2020 auf YouTube hochgeladen wurde. Fälschlicherweise wird es als nun als “Quelle” für einen angeblichen Raketenangriff der Hamas auf den Flughafen in Tel Aviv verwendet.

Gleichzeitig ist es korrekt, dass die Hamas weiterhin Raketen auf Israel abfeuert. Eine davon traf wahrscheinlich versehentlich ein Krankenhaus in Gaza:

6. fake videos zu phosphorbomben

Seit den Bombardierungen des Gaza-Streifens als Reaktion Israels auf die Hamas-Terrorangriffe mit über tausend Toten kursieren in den Sozialen Medien viele Bilder und Videos, die den angeblichen Einsatz Israels von Weißem Phosphor belegen sollen. Zum Hintergrund: Völkerrechtlich ist es verboten, Brandbomben, zu denen Weiße Phosphor-Bomben gehören, gegen die Zivilbevölkerung einzusetzen. Genauer geregelt wird dies im sogenannten Protokoll III. Länder, die dieses Protokoll unterschreiben, verpflichten sich, keine Brandwaffen oder Brandmunition als Waffe gegen Zivilist:innen einzusetzen. Israel hat das Protokoll nicht ratifiziert, Palästina hingegen schon.  Bereits in der Vergangenheit setzte Israel Weiße Phosphorbomben im Gazastreifen ein.

Aus humanitärer Sicht sind Weiße-Phosphorbomben eine Katastrophe. Weißer Phosphor verursacht schwere Verbrennungen, oft bis auf die Knochen, die nur langsam heilen und zu Infektionen führen können. Verbrennungen durch weißen Phosphor auf nur 10 Prozent des menschlichen Körpers sind oft tödlich. Diejenigen, die ihre anfänglichen Verletzungen überleben, haben oft ein Leben lang zu leiden. Die durch weißen Phosphor verursachten Brände können auch zivile Einrichtungen und Eigentum zerstören, Ernten beschädigen und Viehbestände töten. Darüber hinaus verschlimmern die unzureichenden Ressourcen, die den medizinischen Dienstleistern in bewaffneten Konflikten zur Verfügung stehen, den ohnehin schon schwierigen Prozess der Behandlung schwerer Verbrennungen.

Die Frage ist nun: setzte Israel im laufenden Krieg weiße Phosphorbomben ein, wie beschuldigt? Viele der Fotos und Videos, die in den Sozialen Medien kursieren, sind Fake. Eines dieser Fotos beispielsweise stammt aus dem Syrienkrieg und ist dem Jahr 2018 zuzuordnen. Unsere Kolleg:innen von Correctiv entlarvten einen weiteren Fake zu den Weißen Phosphorbomben – ein Video aus dem Ukrainekrieg wurde genutzt, um einen angeblichen Angriff fälschlicherweise zu “belegen”.

aber: israel setzte vermutlich wirklich weisse phosphorbomben ein

Es existieren jedoch auch seriös verifizierte Videos, die belegen, dass Israel weißen Phosphor in Gaza eingesetzt hat. Genauer gesagt handelt es sich um Videos, die den mehrfachen Einsatz von weißem Phosphor über dem Hafen von Gaza-Stadt zeigen. Auch in der Grenzregion zum Libanon wurde der Einsatz von weißem Phosphor gefilmt. Human Rights Watch verifizierte die Videos und holte Zeugenaussagen ein. Auch die Washington Post verifizierte das Video von Gaza-Stadt, ebenso wie Amnesty International. Der Seriosität der Quellen zufolge muss davon ausgegangen werden, dass Israel tatsächlich weißen Phosphor eingesetzt hat, was gegen das Völkerrecht verstößt.

fazit: hinterfragt, was ihr auf social media seht!

In all den Beispielen, die wir euch gezeigt haben, ist erkennbar: man kann bei Social Media Beiträgen meist nicht auf den ersten Blick erkennen, ob die Informationen in einem Post wahr oder gelogen sind. Selbst zu Dingen, die stimmen – wie dem Einsatz von Phosphormunition oder dem Tod von Kindern durch israelischen Beschuss – werden noch zusätzlich Fake Videos verbreitet. Oder ob, wie wir euch mehrfach gezeigt haben, wichtiger Kontext fehlt oder Inhalte falsch zugeordnet werden. Uns ist natürlich bewusst, dass die allermeisten Menschen gar nicht die Zeit und die Mittel haben, jeden einzelnen Beitrag, den sie sehen, zu factchecken. Was kannst du trotzdem tun?

Wenn du viel auf X unterwegs bist, kannst du auch die Community Notes aktivieren. Community Notes oder auch „kollektive Anmerkungen“ sind das Faktencheck-Programm von X. Dabei können normaler User Anmerkungen zu Tweets schreiben, von denen sie glauben, dass sie falsch sind. Die Anmerkungen werden nur angezeigt, wenn verschiedene Nutzer, die sich vorher mal uneinig waren, die Notiz als „hilfreich“ bewerten. Aber Vorsicht: Auch Community Notes können falsch liegen.

Die Wahrheit ist wichtiger als unser Tribalismus!

Gerade emotionale Inhalte verbreiten sich oft ungeprüft weiter. Gerade, wenn du eher ein emotionaler Typ Mensch bist oder emotional in die Situation involviert bist, heißt du bist anfälliger für Fakes. Es ist wichtig sich da selbst zu kennen, und selbst zu hinterfragen.

Und das allerwichtigste: Vertraue Informationen aus unbekannten Quellen im Netz auf keinen Fall. Auch nicht, wenn viele deiner Freund:innen Tweets reposten oder Stories auf Instagram teilen. Oft vertraut man Informationen von Freund:innen im Netz stärker, allerdings sind diese oft genauso ungeprüft. Nur, weil eine Information von einem Account mit blauem Häkchen stammt oder weil du ihn schon mehrmals im Netz gesehen hast, bedeutet das nicht, dass diese Information wahr ist. Gerade im Israelkonflikt bewährt sich die Devise: Teilt im Zweifel erst mal nichts. Oder eben am besten seriösen Faktenchecks.

Und gerade in einem undurchsichtigen Konflikt wie diesem ist es wichtig, nicht einfach jede Meldung ungeprüft zu glauben, die der „eigenen Seite“ Recht gibt und die Gegenseite verteufelt. Sonst wird die Spirale des Hasses und der Gewalt nie druchbrochen, weil sich jede Seite hinter ihrer Propaganda verstecken kann, und sich nie für seine Taten rechtfertigen muss. Wir müssen tatsächliche Taten kritisieren – und anerkennen. Ohne Fakten keine Demokratie und kein Frieden.

Artikelbild: Screenshot Financial Times

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