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Amnesty International Jahresbericht: Kritik an Big Tech, generativer KI und dem globalen Spyware-Handel

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Amnesty International JahresberichtKritik an Big Tech, generativer KI und dem globalen Spyware-Handel

Bewaffnete Konflikte, Geschlechterungerechtigkeiten und die Auswirkungen von Krisen auf marginalisierte Gruppen kritisiert Amnesty in seinem diesjährigen Bericht. Außerdem im Fokus: die Gefahren, die neue Technologien mit sich bringen.


Lea Binsfeld – in Demokratiekeine Ergänzungen
Die Amnesty-Generalsekretärin Agnès Callamard erinnert an Back To The Future: Eine Welt, die universelle Menschenrechte hinter sich lässt, während sie von unregulierter Technologie überholt wird. CC-BY-SA 2.0 Ministerie van Buitenlandse Zaken

Amnesty International veröffentlichte heute seinen Bericht für das Jahr 2023 über die Lage der Menschenrechte weltweit. Darin hebt die Nichtregierungsorganisation auch zunehmende Bedrohungen durch neue und bestehende Technologien hervor. Zentrale Themen sind der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI), der anhaltende Handel mit Spionagesoftware sowie die Machenschaften der großen Tech-Unternehmen.

Wichtige Anliegen sind der Menschenrechtsorganisation auch die Rechte auf Privatsphäre und freie Meinungsäußerung. Durch den Bericht wird deutlich: In beunruhigend vielen Teilen der Welt hat es im vergangenen Jahr Angriffe auf diese Grundrechte gegeben. Die Gesetzeslage hat sich vielerorts verschlechtert, nur in wenigen Bereichen gab es Fortschritte.

Verfügbar ist der Bericht in mehr als 40 Sprachen. Die Analysen über die 155 untersuchten Länder können auf der Website auch einzeln abgerufen werden.

KI verschärft Ungleichheiten

Spätestens die Einführung des Chatbots ChatGPT-4 hat die Debatte darüber entfacht, wie generative KI die Arbeitswelt und die Plattformen im Internet verändern wird. Während diese Technologie zweifellos Chancen biete, bestehe ohne angemessene Regulierung allerdings die Gefahr, dass sie die Risiken für die Menschenrechte verstärke, merkt Amnesty an. Insbesondere Bereiche wie Sozialhilfe, Bildung und Datenschutz könnten davon betroffen sein.

Bereits bestehende KI-Systeme haben laut dem Report Ungleichheiten gefördert und marginalisierte Gruppen in Bereichen wie dem Zugang zu staatlichen Dienstleistungen, Polizeiarbeit, Sicherheit und Migration beeinträchtigt.

So führte beispielsweise ein teilautomatisiertes Sozialhilfesystem in Serbien möglicherweise dazu, dass Tausende von Menschen ungerechtfertigt den Zugang zu wichtigen Sozialleistungen verloren haben, wobei Roma und Menschen mit Behinderungen überproportional betroffen waren. In den USA habe die New Yorker Polizei Technologien wie Gesichtserkennung eingesetzt, um Black-Lives-Matter-Proteste zu überwachen, kritisiert die Menschenrechtsorganisation.

Überwachungssoftware wird nicht ausreichend reguliert

Ein weiterer Schwerpunkt des Berichts liegt auf dem globalen Handel mit Spionagesoftware. Amnesty International und andere Organisationen stellten fest, wie die Spionagesoftware Pegasus gegen Journalist:innen und zivilgesellschaftliche Gruppen eingesetzt wurde. Zudem hat eine „Predator Files“-Untersuchung der Menschenrechtsorganisation aufgedeckt, wie der europäische Staatstrojaner frei in der ganzen Welt verkauft wurde.

Laut Amnesty International haben Staaten es versäumt, diesen Handel einzudämmen. Die EU hat nun erste, wenn auch nur zaghafte Schritte unternommen: Im November 2023 verabschiedete das Europäische Parlament eine unverbindliche Resolution, in der es Missbrauch durch die Spyware-Industrie kritisierte. Für Amnesty reicht das nicht aus – weitere Maßnahmen seien dringend erforderlich.

Big Tech fördert Hass und Desinformation

Der Report verurteilt auch Geschäftspraktiken der großen Tech-Unternehmen. Ihre überwachungsbasierten Geschäftsmodelle gefährdeten nicht nur die Privatsphäre allgemein, sondern auch die Rechte von Kindern und Jugendlichen. Plattformen wie TikTok und X würden depressive und suizidale Inhalte verstärken und Hassrede gegen beispielsweise LGBTQ-Personen ermöglichen. Zudem begünstigten diese Unternehmen die Verbreitung von politischer Fehlinformation. Insbesondere vor dem Hintergrund vieler bevorstehender Wahlen im Jahr 2024 sei dies besorgniserregend, so der Bericht.

Positiv hebt Amnesty die Bemühungen mancher Gerichte und Regulierungsbehörden hervor, Missbräuche zu bekämpfen. Ein Beispiel sei das Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen die Verarbeitung sensibler Daten durch Meta sowie die Maßnahmen norwegischer Behörden gegen personalisierte Werbung auf den Plattformen des Konzerns. Auch der Digital Services Act der EU zielt darauf ab, die Macht von Big Tech zu regulieren – geht jedoch nach den Maßstäben von Amnesty nicht weit genug.

Um die Meinungsfreiheit steht es schlecht

In großen Teilen der Welt wurden auch die Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt oder verletzt. 
Die Regierungen verstärkten ihre Angriffe auf Medien, Menschenrechtsverteidiger:innen und Oppositionsparteien, berichtet die Menschenrechtsorganisation.

Im von den Taliban regierten Afghanistan wurden etwa Medienschaffende Opfer von Belästigung und willkürlicher Inhaftierung, während die Militärjunta in Myanmar Journalist:innen in unfairen Prozessen zu langen Haftstrafen verurteilte. Die kommunistische Regierung von Nordkorea behielt ihre totale Kontrolle über den öffentlichen Raum bei und verhängte harte Strafen gegen jene, die die Regierung kritisierten.

In Bangladesch nutzte die Regierung den sogenannten „Digital Security Act“, um Menschenrechtsverteidiger:innen zu bedrohen und zum Schweigen zu bringen, während in China die nationale Sicherheit als Vorwand diente, um die Ausübung von Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit zu verhindern. Die Regierung setzte sowohl online als auch offline strenge Zensurmaßnahmen ein und griff zudem auf biometrische Überwachungssysteme zurück, um die Bevölkerung zu überwachen und zu kontrollieren.

Auch im Iran herrschte weiterhin die Zensur: Die Behörden blockierten Satellitenfernsehkanäle und viele mobile Apps und Social-Media-Plattformen. Repressive Maßnahmen – wie die Unterbrechung von Internet- und Mobilfunknetzen während und im Vorfeld erwarteter Proteste – sollten landesweite Aufstände verhindern.

Russland setzte seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine fort und beging dort zahlreiche Verbrechen gegen die Menschenrechte. Auch im eigenen Land verschlechterte sich die Lage unterdes – das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde weiter eingeschränkt. Regierungskritiker:innen sahen sich willkürlicher Verfolgung und langen Haftstrafen ausgesetzt. Medien und Einzelpersonen mussten mit Geldstrafen, Sperrungen oder strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Zum Teil wurden Meinungsäußerungen als „Verbreitung falscher Informationen”, „Diskreditierung“ oder „Aufstachelung zum Hass“ diffamiert. Menschen, die sich im Land gegen den Einmarsch in die Ukraine aussprachen, wurden besonders hart verfolgt.

Das Recht auf Privatsphäre

Der Report gibt ein paar Lichtblicke beim Thema Privatsphäre: Mehrere Städte und Kantone in der Schweiz haben Verbote für die Gesichtserkennung im öffentlichen Raum erlassen. In Polen urteilte eine Kommission des Senats immerhin im Nachgang, dass der Einsatz von Pegasus-Spähsoftware gegen Oppositionelle und Regierungskritiker:innen unrechtmäßig war und die Parlamentswahlen im Jahr 2019 deshalb unfair verliefen. Hierzulande legte das Bundesverfassungsgericht hohe Schwellenwerte für den Einsatz automatisierter Datenanalysen bei Polizeieinsätzen fest.

In Frankreich hingegen erlaubt ein neues Gesetz die massenhafte und KI-gestützte Videoüberwachung der Olympischen Spiele 2024. Die moldawische Regierung verabschiedete Gesetze zur Sicherheits- und Geheimdiensttätigkeit, die die zwar einige Verbesserungen mit sich bringen – aber immer noch Raum für Missbrauch und Überwachung bieten. Außerdem steht Spanien im Fokus der Kritik, nachdem öffentlich wurde, dass mindestens 65 Personen, darunter Journalist:innen und Politiker:innen, mit der Pegasus-Spionagesoftware ins Visier genommen wurden. Indes wurden laufende Gerichtsverfahren gegen den Einsatz der Software aufgrund mangelnder Kooperation der israelischen Behörden vorerst eingestellt.

In der kenianischen Bevölkerung haben die Digitalisierung von Regierungsdiensten und eine darauf folgende Cyberattacke Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes verstärkt. In Lesotho wurde aufgedeckt, wie die Regierung verfassungswidrig Mobiltelefone von Oppositionspolitiker:innen beschlagnahmte.

Es bleibt ein Appell

Amnesty International fordert von Regierungen, invasive Software und Gesichtserkennungstechnologien sofort zu verbieten. Es seien solide gesetzgeberische und regulatorische Maßnahmen nötig, um die durch Künstliche Intelligenz bestehenden Risiken anzugehen. Staaten müssen zudem Big Tech mehr in die Schranken weisen – insbesondere im Kontext ihrer Überwachungpraktiken.

Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International, reflektiert über den Zustand der Menschenrechte im Jahr 2023. Für sie sind vor allem die Rückkehr zu autoritären Praktiken und die Erosion grundlegender Rechte besorgniserregend – sowohl historisch als auch im Kontext moderner Technologien. Callamard hebt jedoch auch die globale Solidarität hervor, betont die Bedeutung des Widerstands und ruft zum gemeinsamen Einsatz für unsere Menschlichkeit auf.

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Author: Lea Binsfeld

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