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Autoplay, Infinite Scrolling & Co.: Süchtig machende Designs

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Online-Plattformen wie TikTok, YouTube oder Instagram versuchen mit Design-Tricks, Nutzer:innen permanent zu beschäftigen. Das ist gut für ihr Geschäft, kann aber schlecht für die Gesundheit der Menschen sein, sagt eine EU-Abgeordnete. Sie will die Kommission dazu bringen, neue Regeln zu erlassen.
Online-Dienste können ähnlich stark abhängig machen wie Alkohol oder Tabak, sagt die EU-Abgeordnete Kim van Sparrentak. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Panama PicturesEndloses weiterscrollen, automatisch abgespielte Videos, permanente Benachrichtigungen: Die Liste der Design-Tricks, mit denen Online-Plattformen die Aufmerksamkeit von Nutzer:innen binden wollen, ist lang. Doch derart süchtig machendes Design ist gesundheitsschädlich, sagt die niederländische EU-Abgeordnete Kim van Sparrentak. In einem Berichtsentwurf für das Europäische Parlament [PDF] fordert sie neue Richtlinien der EU, um Nutzer:innen besser davor zu schützen.
Es müsse den Menschen möglich sein, von Online-Diensten zu profitieren, ohne von ihnen manipuliert und abhängig gemacht zu werden, fordert die Politikerin von der Partei GroenLinks. „Wir können uns nicht darauf verlassen, dass eine Industrie gegen ihre eigenen finanziellen Interessen das Problem löst, das sie selbst geschaffen hat.“
Die bestehenden Digitalvorgaben der EU würde das sogenannte Addictive Design bislang nicht adressieren, so van Sparrentak. Deshalb müsse die EU-Kommission tätig werden und neue Richtlinien erlassen. Noch im Oktober soll der Parlamentsausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) den Initiativbericht beschließen.
Dopamin-Schübe und sozialer Druck
Kim van Sparrentak definiert süchtig machendes Design in dem Bericht als eine absichtliche Gestaltung von Online-Diensten, die zu verhaltensbezogener digitaler Sucht führen. Darunter würde beispielsweise endloses Scrollen fallen, genauso wie Lesebestätigungen oder Punkte, die erscheinen, wenn jemand eine Nachricht schreibt. Die Design-Entscheidungen führen zu sozialem Druck, erreichbar sein zu müssen, so van Sparrentak.
Streaming-Dienste wie YouTube oder Netflix nutzen standardmäßige Autoplay-Funktionen und Push-Benachrichtigungen, um Nutzer:innen vom Aufhören abzuhalten. Likes in Sozialen Medien würden im Gehirn Dopamin-Schübe auslösen, die süchtig machen. Die Unternehmen setzen derlei Tricks ein, um Nutzer:innen möglichst lange bei der Stange zu halten – vor allem, damit sie möglichst viel Aufmerksamkeit erzeugen, die die Plattformen an Werbekunden vermarkten können.
Gefahren für die psychische Gesundheit seien die Folge, so van Sparrentak. Unter anderem nennt der Berichtsentwurf Depressionen, Angstzustände, hohen Stress und Schlafmangel. Eine übermäßige Bildschirmzeit könne zudem zu Aufmerksamkeitsdefiziten oder neurologischen Entwicklungsstörungen führen. Es reiche nicht aus, Nutzer:innen eine Zeitbeschränkung bei Online-Diensten zu ermöglichen. Dies verlagere „die Last auf Einzelne, anstatt das Kernproblem der absichtlich süchtig machenden Gestaltung aus Profitgründen zu adressieren”.
Blinder Fleck der bestehenden Online-Regulierung?
Der nicht-bindende Initiativbericht fordert die EU-Kommission auf, Regulierungslücken zu schließen. Die EU hatte in den vergangenen Jahren zahlreiche Regeln zur Gestaltung der Digitalen Wirtschaft verabschiedet. Dabei werden bisweilen auch Design-Tricks adressiert. So etwa Dark Patterns, mit denen Nutzer:innen zu bestimmten Entscheidungen bewogen werden, etwa den Klick auf einen farblich hervorgehobenen „Alles akzeptieren“-Button bei Cookie-Bannern.
Doch gesetzgeberische Bemühungen wie der Digital Services Act oder der Ai Act beziehen sich nicht auf süchtig machende Faktoren, sagt Kim an Sparrentak.
Konkret fordert ihr Berichtsentwurf, Empfehlungssysteme zu verbieten, die auf Interaktion basieren. Whistleblower hätten gezeigt, dass neutrale Empfehlungssysteme, beispielsweise in chronologischer Reihenfolge, möglich sind. Außerdem fordert der Bericht “ein Recht, nicht gestört zu werden”. Es soll ermöglicht werden, alle aufmerksamkeitssuchenden Benachrichtigungen auf einfachem Wege auszuschalten.
EU-Kommission will Verbraucherschutz verbessern
Am 25. Oktober soll der IMCO-Ausschuss über den Bericht abstimmen. Die Mitglieder des Ausschusses haben diverse Änderungsvorschläge gemacht. So wird etwa darüber diskutiert, ob mehr Forschung in diesem Bereich benötigt wird und wie beteiligte Stakeholder konsultiert werden sollten. Auch die Frage, wie bewiesen werden kann, dass ein Online-Dienst unethisch handelt, steht im Raum. Andere Abgeordnete schlagen zudem vor, dass man erst die Auswirkungen bestehender Gesetze abwarten soll.
Falls der Bericht verabschiedet wird, ist die Kommission trotzdem nicht an die Empfehlungen gebunden. Allerdings begrüßte die Kommission die Initiative des IMCO-Ausschuss bei einer Aussprache grundsätzlich. Zudem verwies sie auf eigene Pläne, das Verbraucherschutzrecht zu aktualisieren. Ein Fitness-Check solle überprüfen, wo das EU-Verbraucherrecht verbessert werden müsse. Dabei geht es zum Beispiel um unlautere Geschäftspraktiken und missbräuchliche Vertragsklauseln. Addictive Designs würden bei der Überprüfung eine wichtige Rolle spielen, so die Kommission.

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Author: Hasset Tefera-Alemu