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BETA in der Deutschen Oper: „Wir müssen die Zukunft lieben“

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Die Deutsche Oper bringt die Macht von Big Tech auf die Bühne. Im Musiktheater BETA will ein Silicon Boy die Welt mit KI retten und führt sie an den Abgrund. Eine sehens- und hörenswerte Dystopie, die oft höchstens einen kleinen Schritt von unserer Realität entfernt ist.

– Alle Rechte vorbehalten Mit freundlicher Genehmigung: Thomas Aurin

Julian Zapp verkauft sich gerne als Genie und seine Produkte als Lösung für eine bessere Welt. BETA heißt sein marktbeherrschender Konzern und nicht nur der Name erinnert an Mark Zuckerbergs Meta. Im gleichnamigen Musiktheaterstück, das am Samstag in der Deutschen Oper Premiere feierte, ist Julian der Prototyp des Tech Bro. Sein Outfit: Weiß wie das Gewand eines Gurus. Seine Antwort auf alle Fragen: Künstliche Intelligenz. Seine Versuchslabor: Die ganze Welt.

Mit KI besiegen wir Krebs und Klimawandel. KI trennt unseren Müll und füllt den Kühlschrank. Ein KI-Begleiter kümmert sich um unsere Kinder und schließt die Betreuungslücke. „Wir müssen die Zukunft lieben“, fordert Julian das Publikum auf. Der Imperativ ist kein Versehen, sondern eine Drohung. Diesem „Silicon Boy“ geht es nicht um Profit, sondern um Macht. Julian will die Welt umgestalten. „Es gibt keinen Fortschritt ohne aggressiven Charakter.“ Demokratie steht da nur im Weg. „Ein veraltetes Betriebssystem“, das die freien Geister von Unternehmern einschränkt.

Wie praktisch, dass Julian einen guten Draht in die Politik hat, auch zur smarten Clara Sanders. Die deutsche Digitalministerin betont zwar gerne die Grundwerte ihrer Partei, aber sie will auch Innovationen nicht im Weg stehen. Ihre Devise: Bloß nicht überregulieren, sondern selbst davon profitieren. „Clara, Sie sind European Leader bei KI“, flüstert Julian ihr ein. Mit der Technik von BETA lässt sich jedes Problem lösen.

Die Ministerin ist technologieoffen

Kurz darauf verspricht die Ministerin den Bürger:innen: „Wir machen Ihr Leben einfach und praktisch“. Mit innovativen Abstimmungswürfeln – powered by Beta – kann das Publikum die Handlung des Stücks beeinflussen. Soll es lieber um Science gehen oder um Fiction? Soll Beta zum Betriebssystem des Staates werden? Ein innovatives Update für die Demokratie. Dumm nur, dass das System Sicherheitslücken hat und leicht manipuliert werden kann.

Das demonstriert Hackerin Untitled. Als Datenschützerin bleibt ihr Name natürlich unbekannt. Sie ist Julians Gegenspielerin im schwarzen  Kapuzenpullover – und hat doch erstaunliche Parallelen mit ihm. Auch sie glaubt daran, dass Technologie die Welt verbessern kann. Nur lautet ihr Mantra nicht KI, sondern Open Source. Am stärksten ist Untitled dann, wenn sie Big Tech kritisieren kann: die libertäre Ideologie, den digitalen Kolonialismus im globalen Süden, die Sicherheitsrisiken.

Ihre eigenen Zukunftsvisionen bleiben dabei seltsam vage. Eine Parole wie „Wir fordern Kommunikationsräume, in denen wir nicht überwacht werden“ lässt sich schlecht mitgrölen. Natürlich dringen ihre Warnungen bei Clara Sanders nicht durch. Als Untitled der Ministerin an den Kopf wirft, sie habe jeglichen Gestaltungswillen bei der Digitalisierung längst aufgegeben, antwortet diese nur lapidar: „Ich bin technologieoffen.“

Das Stück strotzt vor Fakten

Es ist einer von unzähligen Momenten, in denen deutlich wird: Die Dystopie, die Autorin und Regisseurin Christiane Mudra in BETA entwirft, sie ist höchstens einen kleinen Schritt von unserer Realität entfernt.

Tatsächlich strotzt das Stück nicht nur vor Referenzen an futuristische Popkultur – das Bühnenbild erinnert an Tron, einige Kostüme an Blade Runner und manche Dialoge an Matrix – sondern auch vor Fakten. Mehr als 90 Prozent der deutschen Verwaltungen nutzt Microsoft. Am Berliner Bahnhof Südkreuz experimentiert die Polizei mit automatisierter Erkennung von Gesichtern und auffälligem Verhalten. Der Chaos Computer Club kauft alte Biometriegeräte des US-Militärs auf Ebay und findet darauf Daten von mehr 2600 Afghan:innen.

Diese Detailtiefe ist kein Zufall. Investigatives Theater nennt Mudra ihren Ansatz, der auf journalistische Langzeitrecherchen und Arbeit mit Originalquellen setzt. Auch für dieses Stück hat Mudra lange recherchiert, Quellen ausgewertet und Interviews geführt. Auch meine Kollegin Constanze Kurz und mich hat sie in diesem Rahmen befragt. Wir sprachen über Technik und den Kampf um Regulierung. Deshalb war ich doppelt gespannt auf das Stück. Verbraucherschutz, Datenschutzgrundverordnung, Digital Services Act, KI-Act – das ist das tägliche Schwarzbrot unserer Redaktion. Aber funktioniert das als Musiktheater?

Singende KIs an ihrer Seite

Ja, es funktioniert. Dank der rasanten, mal bitterbösen, mal aberwitzigen Texte. Und dank einer musikalischen Inszenierung von Dariya Maminova, die unter die Haut geht. Schon beim Betreten des weitläufigen Spielraums in der Tischlerei der Deutschen Oper wird man von einer nervösen Mischung aus analogen und digitalen Klängen begrüßt. Flügel, Violine, Viola, Kontrabass, Percussion und Synthesizer begleiten uns durch das Stück, in dem sich gesprochene und gesungene Passagen abwechseln.

Die beiden Antagonist:innen werden von singenden KIs unterstützt. Julian hat die blonde Scarlet an seiner Seite, gut gelaunt und unterlegt mit Wohlfühlsound. Sie singt Popsongs, fast schon Balladen wie „Daten sind das Blut in den Adern dieser Welt“ oder „Don’t be evil“. Und sie erinnert ihren Menschen: „Vergiss nicht, deine Vitamine zu nehmen, Julian. Heute hast du das körperliche Alter eines 21-Jährigen.“

Hackerin Untitled hat Lou an ihrer Seite, eine kahlgeschorene und eigenwillige Cyberpunk-Fantasie, die noch nicht ganz ausgereift scheint. Ihr Ton ist düster und schrill. Auch ihre Texte klingen anders als die der gefälligen Scarlet. „Niemals up to date, immer nur reizüberflutet“, singt Lou zum Beispiel. Oder „Copy, acquire, kill“. Manchmal abgehackt, manchmal unverständlich. Immer warnt sie vor Gefahren. Das ist mitunter so anstrengend, dass man froh ist, wenn Untitled ihre KI in den Schlaf versetzt.

Wer denkt sich sowas aus?

Doch genau das soll es sein: Anstrengend. Denn das ist unsere Zeit. Wenn man dem Stück etwas vorwerfen will, dann am ehesten, dass es sich recht wenig Mühe gibt, die Zuschauer:innen an die Hand zu nehmen. Im Stakkato aus sich abwechselnden düsteren Informationen und dystopischen Visionen müssen sie bisweilen etwas orientierungslos bleiben.

Als Hackerin Untitled zum Beispiel das Publikum darüber aufklärt, dass die Datenfirma Palantir ihr System für Predictive Policing „Gotham“ genannt hat, so wie die verlorene Metropole in den Batman-Geschichten, lacht jemand eine Reihe vor mir ungläubig auf. Wer denkt sich denn so einen Quatsch aus? Ob die Person verstanden hat, dass es wirklich Peter Thiel war, der sich so einen Quatsch ausdenkt?

Die digitale Realität klingt allzu oft wie ein schlechter Witz. Wer nicht solidem Vorwissen in dieses Stück geht, dürfte deswegen manchmal Schwierigkeiten haben, Fakt und Fiktion auseinanderzuhalten. Gleichzeitig ist wohl auch das ein adäquates Spiegelbild unserer Zeit. Aufklärung verspricht das 40-seitige Programmheft, man muss es nur lesen.

Digitalministerin Clara Sanders jedenfalls wirkt nicht so, als habe sie sich besonders tief mit der Materie auseinandergesetzt. Kurz vor der Wahl steht die rechtsextreme Oppositionspartei Patriotische Liste bei 33 Prozent, Dank zielgerichteter Werbung und Desinformation auf BETA. „Auf unserer Plattformen dürfen alle werben, das ist Freiheit“, feixt Tech-Boss Julian. „Sie waren gegen das Verbot von Microtargeting“, erinnert Assistent Hannes die Ministerin.

Erst als sie persönlich betroffen ist, schwant Clara Sanders Übles. Doch ein Kartellverfahren der Europäischen Union wird BETA wohl nicht aufhalten. Ist es vielleicht schon zu spät?

Beta läuft noch bis zum 2. März an der Deutschen Oper in Berlin.


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Author: Ingo Dachwitz