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Breakpoint: Alles für die Likes

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Was würdest du für Likes tun? Eier an der Stirn deines Kleinkinds aufschlagen? Deinen Sohn nach dem Kindergarten vor der TikTok-Kamera tanzen lassen? Oder freizügige Bilder deiner Tochter präsentieren? Am besten alles drei! Denn Likes sind Geld.
Wie viele Eier braucht es für ein Like? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Peter WerkmanEltern klatschen ihren Säuglingen Käsescheiben ins Gesicht. Oder sie erschrecken die Kinder mit unnatürlichen Gesichtsfiltern ihrer Handykameras– es gab schon etliche solcher Trends in den sozialen Medien. Seit vergangener Woche gibt es einen neuen Trend: Eltern schlagen unvermittelt rohe Eier an der Stirn ihrer kleinen Kinder auf.
Die Clips, die derzeit auf TikTok viral gehen, folgen der immergleichen Aufstellung: Ein Elternteil steht mit dem Kind am Tisch, vor der platzierten Kamera. Auf dem Tisch steht eine Schüssel. Das Elternteil nimmt ein rohes Ei und gibt vor, dieses an der Schüsselkante aufschlagen zu wollen – um es dann überraschend gegen die Stirn des Kindes zu stoßen.
Während die Eltern in Gelächter ausbrechen, reagieren die Kinder auf die „Egg Crack Challenge“ ähnlich: Sie schauen einen Moment lang verwirrt, verziehen das Gesicht, viele fangen an zu weinen oder sagen „Das tat weh“. Einige Kinder schlagen ihre Eltern ebenfalls mit einem Ei, die älteren Kinder lachen gelegentlich mit.
Ein schneller Selbstversuch zeigt: Ja, es tut weh, wenn ein rohes Ei an der Stirn aufgeschlagen wird. Kindern sicher mehr als Erwachsenen. Das eigene Schmerzempfinden ist jedoch zweitrangig – denn: Gerade bei kleinen Kindern ist es gefährlich, harte Gegenstände gegen den noch weichen Schädel zu schlagen. Je nachdem, wie hart der Stoß erfolgt und welche Region getroffen wird, können Hirnschäden die Folge sein. Alleine deshalb ist die neue TikTok-„Challenge“ völlig verantwortungslos.
Es geht schließlich um den Spaß, oder nicht?
Aber darüber kann man hinwegblicken – es geht schließlich um den Spaß! Oder etwa nicht? Ich hatte keinen Spaß, dabei zuzusehen, wie ein kleiner Junge zu weinen beginnt, nachdem seine Mutter ihm ein Ei an den Kopf geschlagen hatte. Ebenso wenig musste ich lachen, als ein junges Mädchen mit geistiger Behinderung sich selbst schlug, nachdem ein Ei an ihrem Kopf aufgeschlagen wurde.
Worin die „Challenge“ bestehen soll, ist unklar: Anders als etwa bei der bekannten „Ice Bucket Challenge“ dient der Trend weder einem guten Zweck noch fordert er Überwindung – außer natürlich jene, seinem eigenen Kind Schmerzen zuzufügen.
Welchen Zweck verfolgt der neuste Videotrend dann? Wie auch schon frühere Trends will die „Egg Crack Challenge“ vor allem eines: eine möglichst amüsante Reaktion des Kindes hervorrufen. Das Kind schaut verdattert? Ein Gummipunkt! Das Kind macht ein lustiges Geräusch? Zwei Gummipunkte! Das Kind beginnt zu weinen? Zehn Gummipunkte!
Dabei ist die Währung nicht Gummipunkte, sondern Likes – oder genauer: Interaktionen. Denn Interaktionen bringen Geld. TikTok bezahlt Creators sobald sie eine bestimmte Followerzahl erreichen. Und Werbedeals werden umso besser vergütet, je mehr Nutzer:innen die Creators erreichen und zur Interaktion bewegen. Gleichzeitig befriedigt man auch noch das eigene Geltungsbedürfnis. Win-win also!
Die Gelddruckmaschine gerät in Gang
Wenn derartige Posts viral gehen, sind Nachahmer:innen nicht fern. Schnell entwickelt sich dann ein Trend – wodurch wiederum mehr Menschen mit den Inhalten in Berührung kommen, interagieren und auf den Trend aufspringen. Die Gelddruckmaschine gerät in Gang.
Deswegen ist es attraktiv, bei diesen Trends mitzumachen – egal um welchen Preis: Ganz gleich, ob man dabei seine eigenen Kinder öffentlich bloßstellt, ob man ihm wehtut oder das Eltern-Kind-Verhältnis beschädigt.
Laut der UN-Kinderechtskonvention sollen unter anderem Privatsphäre und Ehre von Kindern geschützt werden. Zudem will der General Comment Nr. 25 des UN- Kinderrechtsausschusses, das „Wohl des Kindes“ in „digitalen Welten“ sichern. Doch nur weil die UN etwas fordern, muss man sich ja lange noch nicht daran halten! Schließlich gibt unzählige Wege, das eigene Kind online für Likes auszubeuten – Käse und Eier sind nur zwei davon.
Wie Eltern ihre Kinder ausbeuten
Es gibt zahllose Accounts, auf denen junge Kinder ihre Tagesroutine teilen, tanzen, ihre Outfits zeigen und mit ihren Followern kommunizieren – oftmals „gemanagt von Mama“. Auch Elternaccounts, die hauptsächlich Fotos ihrer Kinder und deren persönliche Details posten, finden sich massenweise auf TikTok, Instagram und Co.
Dabei lautet offenbar das Motto: Je intimer, desto besser. Es sind vor allem die Bilder kleiner Mädchen in Badeanzügen, Geschichten über die Darmprobleme der
Kleinen und Videos von Krabbelkindern in Windeln, die bei den Followern besonders gut ankommen.
Dass User unter dem Foto der kleinen Tochter beim Yoga „Da könnte ich reinpassen“ kommentieren, dass Babybilder regelmäßig von anderen Accounts gestohlen werden und Personen unter Kindervideos genaue Zeitangaben posten, wo die Kinder im Clip in vermeintlich erregenden Posen zu sehen sind – all das nehmen Eltern offenbar für den einen höheren Zweck hin: um Aufmerksamkeit und damit Geld zu generieren.
Ob es das Weinen ist nach einem Schlag ins Gesicht oder das Foto beim Baden: Eltern nutzen ihre nicht-einwilligungsfähigen Kinder aus. Für Views, Likes, Kommentare und Abonnements – oder was auch immer sie für wertvoller halten als die Würde ihrer Kinder. In diesen Fällen sind es die Eltern, die versagen: Sie versagen, die Rechte ihres Kindes zu achten. Und sie versagen, das Wohl ihres Kindes auch im digitalen Raum zu schützen.
Es gibt jedoch ein einfaches Mittel, derartigen Trends ein Ende zu setzen: Das Video nicht zu liken, es nicht zu kommentieren und es bestenfalls nicht einmal anzuschauen – und damit die Verantwortung zu übernehmen, die die Eltern missachten. Denn fehlen Interaktionen und Views, schwindet auch der Anreiz, bestimmten Content in den sozialen Medien zu verbreiten.

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Author: Carla Siepmann

Meine begegnung mit der traditionellen aleppo seife von.