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Breakpoint: Variante Alpha – Eine Epidemie toxischer Männlichkeit

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Andrew Tate ist bekannt für seine frauenfeindliche Hetze und chauvinistischen Parolen im Netz. Über soziale Medien verbreitet der ehemalige Kickbox-Weltmeister ein Weltbild, das geprägt ist von einem unverkennbaren Frauenhass, Verschwörungstheorien, Leistungsfetischismus und der Idee, dass einige Menschen anderen überlegen sind.

Am 12. März wurde Tate erneut in Rumänien verhaftet: Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung und Vergewaltigung lauten einige der Vorwürfe gegen den 37-Jährigen. Auch sein Bruder ist angeklagt. Andrew Tate betrieb unter anderem ein Webcam-Unternehmen. Vor den Kameras arbeiteten Frauen, die Andrew Tate vorher „rekrutiert“ hatte.

Bereits im Dezember 2022 wurde Andrew Tate in Rumänien verhaftet, wo er lebt. Er kam 2023 jedoch mit der Auflage frei, das Land nicht verlassen zu dürfen. Tate hat die amerikanische und britische Staatsbürgerschaft, ihm droht eine Auslieferung nach Großbritannien. Eine Gerichtsverhandlung fand bislang nicht statt.

Mit Zigarren zum Erfolg

Jung, männlich und unzufrieden: Das ist die Zielgruppe, mit der Andrew Tate arbeitet. Er präsentiert sich seinen Fans, wie er Zigarre raucht, Gewichte im Gym drückt und dabei die Tattoos auf seinem nackten Oberkörper zeigt. Er redet energisch auf die Zuschauer ein. Er spricht darüber, wie sie erfolgreich werden, wie sie Geld verdienen können, wie oft sie trainieren sollten und wie sie mit Frauen umzugehen haben. Dabei spricht Tate unverblümt davon, Frauen zu schlagen, zu erniedrigen, sie auszubeuten. Er beleidigt mutmaßliche Opfer seiner Gewalt und ermutigt andere Männer, es ihm gleich zu tun.

Doch mit Postings in sozialen Medien ist es nicht getan: Tate betreibt eine Website namens „Hustler’s University“ – frei übersetzt: „Universität der Macher“. Dort verkauft er Online-Kurse, in denen die Teilnehmer angeblich lernen, wie man „Geld generiert“; erfolgreich, gar ein Millionär wird – wie er selbst einer sei. Für 49 Euro im Monat ist man dabei. Wer andere davon überzeugt sich anzumelden, erhält einen Teil des Abopreises.

Auch wenn man von dem angeblich alpha-igsten Alpha-Male aller Zeiten mehr hätte erwarten können als das tausendste Schneeballsystem, geht seine Strategie auf: Tates Bekanntheit ist enorm. Auf TikTok wurden Videos mit dem Hashtag „Andrew Tate“ über 13 Milliarden Mal geklickt.

Millionen folgen dem Frauenhass

Andrew Tate schafft die Vorstellung einer neuen Männlichkeit: Härter, brutaler, reicher, skrupelloser. So inszeniert sich der bekennende Gewalttäter als Vorbild für zahllose junge Männer.

Dazu nutzte Tate seine Präsenz in verschiedenen sozialen Medien, auf denen er mehrere Millionen Follower versammelte. Seine Parolen sind gezielt prägnant, er adressiert die Emotionen der Zuschauer; gar von „Meme-Baiting“ ist die Rede. Das bedeutet, so plumpe bis hin zu lächerlichen Aussagen zu vermarkten, dass diese aufgrund ihrer „Memehaftigkeit“ geteilt und so immer weiter verbreitet werden.

Im August 2022 reagierten die großen Plattformen auf seine Hassreden und Aufrufe zu Gewalt: Facebook, Instagram und Twitter sperrten seine Accounts. Auch auf TikTok und Youtube wurden mit ihm assoziierte Profile später deaktiviert. Doch Tate ist mittlerweile wieder teilweise zurückgekehrt.

Ende des Jahres 2022, nachdem der bekannte Tech-Milliardär Elon Musk die Plattform gekauft hatte, ist Tates Account auf Twitter wieder freigeschaltet, genau wie die Accounts vieler anderer Hassverbreiter und Rechtsradikaler. Dort sendet Tate nun im Stundentakt an seine mittlerweile über neun Millionen Follower.

Sperren für die Freiheit?

Diese toxische Form der Maskulinität, die Tate propagiert, ruft völlig frei und unverhohlen dazu auf, Frauen Gewalt anzutun oder queere Menschen auszugrenzen. Seine Hassrede im Netz hat das Potenzial, Millionen junger Männer aufzuwiegeln.

Wäre es da nicht naheliegend, eine erneute Sperrung seines Accounts zu fordern – und ähnliche Hassredner gleich mit ihm aus den sozialen Medien zu verbannen?

Die Möglichkeit, Accounts zumindest zeitweise zu sperren, wenn von diesen beispielsweise Straftaten begehen, forderte auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) 2022 auf der re:publica in einem Vortrag mit dem Titel „Sperren für die Freiheit“. Sie argumentierte dafür, dass Accountsperrungen in Deutschland richterlich angeordnet werden sollen. Das trüge vor allem zum Schutz marginalisierter Gruppen vor Gewalt im Netz bei.

„Es geht darum, effektiv und rechtsstaatlich sauber Accounts jedenfalls vorläufig auszuschalten, mit denen digitale Gewalttaten begangen werden“, schreiben Sina Laubenstein und Ulf Buermeyer von der Organisation.

Seine Jünger verbreiten seine Ideologie weiter

Ein Problem dabei ist allerdings immer, dass eine Person, die eine Straftat durch das Internet verübt hat, nicht nur (hoffentlich) angemessen bestraft wird. Ihr Recht, ihre Meinung frei zu äußern, wird zusätzlich präventiv durch die Accountsperrung eingeschränkt. Die Sperrungen greifen also in digitale Freiheitsrechte ein.

Strafanzeigen jedoch laufen oftmals ins Leere, weil beispielsweise die Identität der User nicht festgestellt werden kann oder sich diese im Ausland aufhalten. Bei der von der GFF vorgeschlagenen Methode der Sperrungen ist irrelevant, wo sich die Person hinter dem betroffenen Accounts aufhält und ob die Identität der User ermittelt werden konnte.

Im konkreten Fall von Andrew Tate ist unklar, wie wirksam eine solche neuerliche Sperrung tatsächlich wäre. Schließlich konnte Tate seit seiner Entsperrung auf Twitter seine Popularität signifikant ausbauen. Auch auf den Plattformen, auf denen Tate weiterhin nicht selbst einen Account betreiben kann, trenden Videos von ihm. Er wird in rechte Talks eingeladen und die Videos veröffentlicht.

Seine Jünger tun schon lange das für ihn, was eine Accountsperrung vermeiden sollte: Seine Aufrufe zu Gewalt, seine Beleidigungen und seinen Hass weiterverbreiten. Haben Accounts also bereits eine große Reichweite oder andere Wege, Menschen zu erreichen, sind sie wenig effektiv.

Eine schnelle Lösung gibt es nicht

Wie also umgehen mit Andrew Tate und Co.? Auch wenn die Ahndung Tates mutmaßlicher Verbrechen in Rumänien und Großbritannien Erfolg haben sollte, wird das die Weiterverbreitung seines Hasses kaum verhindern können. Accountsperrungen sind, zumindest in diesem Fall, ebenso nicht vielversprechend. Das Löschen von mit Tate assoziierten Inhalten in den sozialen Medien ist bei der schieren Menge nicht umsetzbar – und bei fehlender strafrechtlicher Relevanz ebenso wenig legitim.

Es ist erschreckend zu beobachten, wie Galionsfiguren wie Andrew Tate Millionen junger Menschen mit ihrer Hetze animieren, es ihnen gleich zu tun. Doch kaum eine staatliche Maßnahme scheint geeignet, das zu verhindern. Der toxischen Männlichkeit und der damit verbundenen Misogynie sowie Queerfeindlichkeit kann langfristig nur entgegen gewirkt werden, wenn Politik und Gesellschaft gegen diese Formen des Menschenhasses aktiv werden.

Ein möglicher Lösungsweg muss staatliche Maßnahmen mit mehr ziviler Aufmerksamkeit für das Thema vereinen: Es braucht eine konsequentere Strafverfolgung, mehr Anlaufstellen für die Opfer von Gewalt im Netz sowie verbesserte Meldefunktionen auf den Plattformen. Gemeinsam könnten sie helfen, die Gefahr zu lindern, die von Andrew Tates Ideologie ausgeht. Die Hoffnung auf eine schnelle Lösung des Problems scheint aktuell jedoch unbegründet.

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Author: Carla Siepmann