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Breakpoint: Von Bären und Bestien

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

BreakpointVon Bären und Bestien

Ob Hassnachricht oder Morddrohung – viel zu oft werden Frauen Opfer digitaler Gewalt. Kein Wunder, dass viele von ihnen lieber mit einem Bären im Wald als mit einem Mann im Internet wären. Betroffene müssen endlich besser vor digitaler Gewalt geschützt werden.

Frauen ziehen einen wilden Bären anderen Bestien vor. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com mana5280

Wärst du lieber allein im Wald mit einem blutrünstigen Raubtier oder mit einem gewöhnlichen Mann? Diese Frage stellen sich seit einigen Wochen tausende Frauen online. Das denkwürdige Ergebnis: Die meisten Frauen in den Kommentarspalten entscheiden sich für den Bären. Denn der Bär könnte dich schlimmstenfalls töten. Was aber ein Mann einer Frau allein im Wald antun kann, sei dagegen kaum vorstellbar.

Doch um als Frau Opfer von Gewalt zu werden, muss sie nicht in den Wald gehen. Sie muss noch nicht einmal das Haus verlassen. Sie muss nur ihren Computer hochfahren und den Browser öffnen.

Digitale Gewalt gibt es überall

Täglich erfahren Frauen überall auf der ganzen Welt Gewalt im Netz. Sexualisierte Bilder der Ex-Partnerin werden versendet oder intime Nachrichten geteilt. Die andersdenkende Userin in der Kommentarspalte wird sexistisch beleidigt. Das Schulmädchen auf Instagram wird von fremden Erwachsenen gegroomt. Über die Lokalpolitikerin werden Gerüchte erfunden und zigfach auf Twitter verbreitet. Die persönlichen Daten der Netzaktivistin werden gegen ihren Willen geteilt – samt Vergewaltigungs- und Mordaufruf. Möglichkeiten, sich zu schützen, haben Frauen kaum. Und jede kann es treffen.

Ich selbst habe mein erstes ungefragtes Dickpic mit 13 Jahren erhalten – von einem gleichaltrigen Mitschüler. Fast jede Freundin von mir hat schon einmal Ähnliches erlebt: Sei es die sexualisierte Belästigung im Web, die Beleidigung in den Gruppenchats mit Mitschüler:innen oder das Teilen intimer Informationen in sozialen Medien. Belastbare Erhebungen zu dieser Form der Gewalt gibt es nicht.

Neue Diskussion, alte Frauenfeindlichkeit

Die Diskussion über Gewalt gegen Frauen, die derzeit in sozialen Medien geführt wird, ist längst überfällig. Das zeigen auch die verstörenden Reaktionen zahlreicher männlicher User: Statt anzuerkennen, welchen Bedrohungen Frauen ausgesetzt sind – nur weil sie Frauen sind –, setzen einige Männer bestehende Muster fort.

Sie fantasieren öffentlich darüber, was sie einer Frau im Wald antun würden. Gleichzeitig machen sie sich über deren angeblich irrationale Angst vor Männern lustig. Oder sie beschimpfen Frauen in den Diskussionsforen, wenn diese sich für den Bären entscheiden.

Vor wenigen Tagen sah ich die Comic-Zeichnung eines Twitter-Users. Sie zeigte eine Frau, die von einem Bären zerfleischt wird. Männlich gelesene Accounts applaudierten in der Kommentarspalte: Da könnten die Frauen ja mal sehen, was sie davon hätten, hieß es sinngemäß.

Diese Reaktionen zeigen vor allem eines: den tief verwurzelten Frauenhass in unserer Gesellschaft. Dieser Hass zeigt sich nicht nur in zum Teil lebensbedrohlicher digitaler Gewalt, sondern auch im alltäglichen Umgang mit Frauen, auch und gerade im Netz.

Der Nährboden für Gewalt

Der Frauenhass in neuen Medien ist meist unterschwellig. Oft verbirgt er sich unter dem Deckmantel des Humors. Oder er kommt im Gewand einer vermeintlich normalen Meinungsäußerung daher. Es sind die subtilen Handlungen, die die Misogynie so offensichtlich machen.

Ein sexualisierter Witz hier, ein frauenfeindliches Stereotyp dort und natürlich darf der abfällige Kommentar über den Körper der Protagonistin nicht fehlen. Um in den sozialen Medien diskreditiert, beleidigt oder bedroht zu werden, reicht es oft schon, als Frau eine Meinung zu äußern. Oder einfach nur als Frau zu existieren. Dabei sind die sexistischen Sharepics, gehässigen Einlassungen und reaktionären Kommentare so alltäglich, dass sie manchmal kaum noch auffallen.

Es ist diese Atmosphäre, die den Nährboden für Gewalt gegen Frauen schafft. In der die Existenz von Frauen immer wieder delegitimiert wird, Frauen gedemütigt und entmenschlicht werden. Es ist nicht verwunderlich, dass diese Hetze in andere Formen von Gewalt umschlägt.

Gefahr für geschützte digitale Räume

Diese Taten – seien es Morddrohungen oder der misogyne „Witz“ – zielen auch darauf ab, Frauen aus digitalen Räumen zu verdrängen. Diese Räume bieten all jenen eine Plattform, die in der analogen Welt nur selten Gehör finden. Neben Frauen sind das queere Menschen, Menschen mit Behinderungen, von Armut Betroffene oder People of Color. Soziale Medien sind ein Brennglas für gesellschaftliche Debatten. Denn die Anonymität und räumliche Distanz ermöglichen es marginalisierten Gruppen, offener ihre Meinungen zu äußern und ihre Interessen zu vertreten als in vielen analogen Räumen.

Digitale Gewalt in Form von menschenfeindlicher Hetze, Einschüchterung oder Verletzung der Intimsphäre bedroht die Sicherheit marginalisierter Gruppen. Und damit auch den demokratischen Austausch, der auf den Plattformen stattfindet. Das zeigt der Umgang zu vieler Nutzer mit der Mann-gegen-Bär-Debatte: Mit frauenfeindlicher Hetze versuchen Männer die Debatte um die Sicherheit ins Lächerliche zu ziehen – während die meisten Frauen sie für bedrohlicher halten als einen wilden Bären.

Betroffene brauchen mehr Unterstützung

Deshalb ist es so wichtig, Betroffene vor allen Formen digitaler Gewalt besser zu schützen – sowohl für ihre persönliche Sicherheit als auch für den demokratischen Diskurs.

Doch ein Gesetz des Bundes gegen digitale Gewalt lässt weiter auf sich warten. Und das, obwohl das Bundesjustizministerium bereits im April 2023 seine Eckpunkte vorgestellt und die Vorlage eines zweiten Referentenentwurfs für die zweite Hälfte dieses Jahres angekündigt hat.

Mindestens ebenso wichtig ist es jedoch, die Strafverfolgung digitaler Gewalttaten zu verbessern. Derzeit sind die Hürden für eine Strafverfolgung hoch und die Aufklärungsquote gering. Es braucht mehr Unterstützung, wenn Betroffene Anzeige erstatten und Strafverfahren einleiten. Diese Verantwortung darf nicht auf den Schultern von gemeinnützigen Organisationen wie HateAid abgeladen werden. Und auch die Mitarbeiter:innen in Polizei und Staatsanwaltschaften müssen stärker für das Thema digitale Gewalt sensibilisiert werden. Nur dann werden sich Betroffene sicher genug fühlen, um Gewalt gegen sie zur Anzeige zu bringen.

Es braucht Zivilcourage

Es liegt auch in unser aller Verantwortung, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem sich Angehörige marginalisierter Gruppen sicher fühlen. Das bedeutet auch, dass sich Menschen, die Hass und Hetze verbreiten, nicht sicher fühlen dürfen. Wir dürfen nicht wegschauen, wenn Frauen „zum Spaß“ herabgewürdigt werden. Stattdessen müssen wir für Opfer von digitaler Gewalt einstehen – gerade auch im Netz, damit Betroffene nicht aus digitalen Räumen verdrängt werden.

Das heißt zum Beispiel, es nicht hinzunehmen, wenn sich ein Kollege abfällig über queere Menschen äußert. Oder im Zug laut zu widersprechen, wenn eine Frau mit Hijab wegen ihrer Religion beschimpft wird. Oder einen rassistischen Kommentar in den sozialen Medien zu melden. Oder Freundschaften zu beenden, wenn „Witze“ über Jüd:innen gemacht werden. Es braucht diese Zivilcourage, damit sich andere Menschen sicher fühlen. Und um den Hass zu stoppen, der diese Gewalt antreibt.

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Author: Carla Siepmann

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Über den autor thomas herzberg.