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Breakpoint: Warum Löschen keine gute Lösung ist

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Im digitalen Raum verbreiten sich Informationen rasend schnell. Dazu gehören auch Falschmeldungen und Desinformation. Die Forderung, solche Inhalte bereits beim leisesten Verdacht auf Unwahrheit zu löschen, greift aber zu kurz und birgt Gefahren.
Wir können mutmaßlich falsche Inhalte löschen – oder anders damit umgehen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Addictive Stock„Hunderte Tote bei israelischem Luftangriff auf Krankenhaus in Gaza befürchtet“, schrieb der britische „Guardian“ am vergangenen Dienstag. Die Schlagzeilen zahlreicher deutscher und internationaler Medien lauteten ähnlich.
Die Veröffentlichungen bezogenen sich auf eine „Meldung“, die Vertreter der Terrororganisation Hamas sowie ihr nahestehende Medien zuvor publiziert hatten. Demnach hatte die israelische Armee das Krankenhaus Al-Ahli aus der Luft bombardiert, dabei hunderte Menschen getötet und viele weitere verletzt.
Diese Meldungen sind mittlerweile zu großen Teilen gelöscht. Denn nur wenige Stunden, nachdem Rundfunk, Zeitungen und Social-Media-Nutzer:innen diese Information weltweit verbreitet hatten, wuchsen Zweifel an deren Richtigkeit.
Israel bestreitet, das Krankenhaus bombardiert zu haben; die Ausprägung der Schäden, die auf Bildern zu sehen ist, würde das belegen. Stattdessen habe vermutlich eine fehlgeleitete Rakete der Hamas die Klinik getroffen, so israelische Regierungsvertreter. Vertreter der Hamas und arabischer Staaten wie Saudi-Arabien halten an der ursprünglichen Aussage fest. Bislang ist noch immer unklar, was tatsächlich rund um das Al-Ahli-Krankenhaus geschehen ist. Die Vereinten Nationen fordern eine „lückenlose Aufklärung“.
Kleine digitale Welt
Die „Meldung“ der Hamas wurde in den sozialen Medien verbreitet. Diese machen Geschehnisse quasi zeitgleich und weltweit für Milliarden von Menschen sichtbar. Sekundenschnell können Inhalte geteilt werden – und ebenso schnell können Nutzer:innen, Medien und offizielle Stellen auf diese Informationen reagieren.
Soziale Netzwerke ermöglichen es Opfern und Zeugen, unmittelbar zu dokumentieren, was ihnen widerfährt. Vor allem Minderheiten und benachteiligte Gruppen können so ihre sonst häufig unbeachteten Darstellungen teilen. Und: Ebenso sind soziale Medien der ideale Ort für Propaganda.
In sozialen Medien können die Akteure selbst zu Berichterstattern werden und Informationen verbreiten. Diese lassen sich nur schwer auf ihre Richtigkeit prüfen. Und wie das Beispiel vom Al-Ahli-Krankenhaus zeigt: Selbst sogenannte Qualitätsmedien prüfen diese Informationen nicht immer ausreichend und abschließend, bevor sie diese weiterverbreiten.
Seit dem erneuten Aufflammen des Nahostkonflikts vor gut zwei Wochen häufen sich die Des- und Misinformationen in den sozialen Medien – insbesondere auf der Plattform X (ehemals Twitter). X trat vor knapp einem halben Jahr aus dem EU-Pakt gegen Desinformation aus. EU-Kommissar Thierry Breton drängte die Betreiber von Online-Plattformen vor gut zehn Tagen dazu, schneller gegen Falschinformationen und illegale Inhalte vorzugehen. Erst im Sommer hatte Breton mit der Drohung für Aufregung gesorgt, soziale Netzwerke in Krisenzeiten im Extremfall abklemmen zu wollen.
Große soziale Netzwerke gehen laut den eigenen Richtlinien zwar gegen Falschinformationen vor, indem sie diese kennzeichnen oder löschen. Doch der EU geht das offenbar nicht schnell genug, sie ruft nach schnellerer Reaktion.
Ist Löschen der richtige Weg?
Die Plattformen übersetzen das teils mit: löschen, löschen, löschen. TikTok erklärte zum Beispiel, in der Zeit vom 7. bis 15. Oktober 500.000 Videos gelöscht zu haben. Aber ist das der richtige Weg, um Desinformation zu bekämpfen?
Im Falle des Al-Ahli-Krankenhauses wäre das schnelle Löschen der ursprünglichen Beiträge der Hamas wohl kaum wirksam gewesen. Bereits innerhalb weniger Stunden hatten zahlreiche Medien die mutmaßliche Falschinformation geteilt. Die entsprechenden Medien handelten zumindest fahrlässig. Die Aufgabe der Journalist:innen wäre es gewesen, die Hamas-„Meldung“ zu prüfen und zu kontextualisieren. In diesem Fall ist das zu spät geschehen.
Das Beispiel zeigt aber auch, dass eine mutmaßliche Falschinformation ohne weiteres nicht immer als solche zu erkennen ist. Die Tatsachen schälen sich oftmals erst im Laufe von Tagen, Wochen oder gar Monaten heraus.
Besonders heikel ist außerdem die Frage, wer wann eine Information als falsch einstufen darf. Auf welcher Grundlage und nach welchen Kriterien erfolgt eine solche Einordnung? Ist bereits eine abweichende Auslegung einer Meldung „falsch“? Und was, wenn sich ein gelöschter Inhalt später doch noch als wahr herausstellt?
Wer auslegt, was wahr und was unwahr ist, gewinnt enorme Macht. Es geht um nicht weniger als die Frage, was gesagt werden darf und was nicht. Das Löschen von Inhalten ist dabei ein kompromissloses Vorgehen, während Wahrheit selten objektiv oder gar absolut als solche zu beurteilen ist.
Drohende Zensur
Das massenhafte Löschen von als falsch eingestuften Informationen – jenseits von strafrechtlich relevanten Inhalten – kann für die betroffenen Personen und deren Meinungen Zensur bedeuten. Denn gerade Minderheiten und unterdrückte Bevölkerungsgruppen sind auf die Öffentlichkeit angewiesen, die soziale Medien ihnen bieten.
Insbesondere im aktuellen Konflikt in Israel oder auch im Krieg in der Ukraine wäre es mitunter fatal, Inhalte leichtfertig zu löschen. Damit wird Opfern die Möglichkeit genommen, die gegen sie gerichteten Taten zu dokumentieren oder eine Gegendarstellung zu veröffentlichen.
Die mediale Berichterstattung rund um das Al-Ahli-Krankenhaus verdeutlicht, dass die gründliche Prüfung und Kontextualisierung von Inhalten entscheidend ist, um einen aufgeklärten und demokratischen Diskurs zu gewährleisten. Dabei ist es egal, ob die Informationen zuerst von einer Presseagentur oder von einem beliebigen Account auf einer sozialen Plattform geteilt wurden. Den Wahrheitsgehalt von Informationen zu prüfen, ist eine fundamentale Aufgabe von Medien und Journalist:innen. Im Falle des Al-Ahli-Kankenhauses wurde das zu spät getan.
Werden Inhalte aus sozialen Medien vorschnell gelöscht, besteht immer die Gefahr, dass dies die Grundrechte der Urheber:innen beschneidet. Eine möglichst rasche Löschung ist fehler- und manipulationsanfällig – und damit bedroht sie den demokratischen Diskurs.
Statt auf Eile zu setzen, sollten wir stärker gegen Desinformation vorgehen, indem mutmaßlich falsche Inhalte gekennzeichnet und kommentiert werden. Ansonsten droht eine Zensur des digitalen Raums. Und das sollte nicht in der Absicht der EU-Kommission liegen.

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Author: Carla Siepmann

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