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Bundeswehr: Digitale Großoffensive

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Die Bundeswehr will durch aufwendig produzierte Web-Serien und eine starke Präsenz auf sozialen Medien neues Personal locken. Unterstützung gibt es von Influencer:innen auf Tiktok und Instagram. Nach der „Zeitenwende“ zeigt sich die Truppe im Netz selbstbewusst und ungewohnt martialisch.
Mittlerweile gibt es diverse Web-Serien der Bundeswehr auf YouTube zu sehen. – Alle Rechte vorbehalten Screenshots: Bundeswehr ExclusiveSeit Ende der Wehrpflicht kämpft die Bundeswehr mit Personalmangel. Die Bewerber:innenzahlen sinken kontinuierlich. Im Pandemiejahr 2022 haben sich nur 43.000 Menschen beworben, rund zehntausend weniger als im Vorjahr. Dabei soll die soll die Zahl der Soldat:innen bis 2031 von 183.000 auf 203.000 steigen. Ob das realistisch ist, stellen inzwischen selbst Verteidigungsminister Boris Pistorius und die Wehrbeauftragte Eva Högl infrage.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, plädiert daher im hauseigenen Podcast „Funkkreis“ für einen Wechsel des „Mindsets“. Die Bundeswehr müsse kämpfen wollen und sich noch präsenter zeigen. Auch Marcel Bohnert, Offizier und Bundeswehr-Aktivist, sagt im Interview mit Deutschlandfunk, dass die Bundeswehr provokanter werden müsse. Laut Bohnert solle die Truppe mit ihrer Werbung herausstechen und Diskussion erzeugen. Bei einem Bewerber:innenrückgang von elf Prozent gelte es, „offensiv nach außen zu gehen“.
Mit ihren plattformübergreifenden Werbekampagnen will sich die Bundeswehr als attraktiver Arbeitgeber präsentieren. Insgesamt 35,3 Millionen Euro jährlich stehen der Bundeswehr aktuell für „Nachwuchswerbung“ zur Verfügung.
Das Herzstück der Online-Kampagnen bildet eine Reihe an Web-Serien, die auf dem hauseigenen Kanal „Bundeswehr Exclusive“ auf YouTube erscheinen. Sie entstehen in Zusammenarbeit mit einem Verbund aus Marketingagenturen, die auch Werbeprojekte für das Kreuzfahrtschiff AIDA, die Stadt Köln und die katholische Ordensgemeinschaft der Jesuiten realisieren.
Web-Serien im Reality-Show-Format
Über fünfhunderttausend Abonnent:innen folgen „Bundeswehr Exclusive“. 2016 landete der Kanal mit „Die Rekruten“ einen großen Erfolg. Die Serie kletterte regelmäßig an die Spitze der YouTube-Trends, einige der Folgen haben mehr als zwei Millionen Klicks. Junge Rekrut:innen durchlaufen von Kameras begleitet eine als hart, aber herzlich inszenierte Grundausbildung. Nach der Ausstrahlung der Serie soll die Bewerber:innenzahl kurzzeitig um zwanzig Prozent gestiegen sein.
Es folgten weitere Serienformate über den Bundeswehr-Einsatz in Mali, ein Survivaltraining für Offiziere oder den Drill des Berliner Wachbattallions. Immer stehen die offiziell angestrebten Werte der Truppe im Fokus. Häufig fallen Stichworte wie Kamerad:innenschaft, Zusammenhalt und Mut.
Insbesondere „Die Rekruten“ bemühen sich um eine ungeschönte Abbildung der Grundausbildung. Im Vordergrund stehen die jungen Soldat:innen, die durch ihre sympathische Darstellung einen hohen Unterhaltungswert liefern. Unter den Videos beantwortet ein engagiertes Moderationsteam beinahe alle Kommentare der Zuschauer:innen.
Der Ton wird rauer
Die Serie „KSK – Kämpfe nie für dich allein“ erschien zwei Jahre nach dem Erstling. Sie soll offenkundig Lust machen auf militärische Abenteuer im Ausland. Influencer Robert Marc Lehmann, Instagram-Schwergewicht mit rund 400.000 Follower:innen, begleitet die Kommandospezialkräfte der Bundeswehr in den Dschungel. Lehman tritt als Werbefigur, und nicht als kritischer Beobachter auf. Hier wird schnell klar, dass es sich um Auftragskommunikation handelt, die sich als Dokumentation präsentiert – eigentlich ist Lehmann als Forscher, Fotograf und Biologe bekannt.
„KSK – Kämpfe nie für dich allein“ ist bereits weitaus actiongeladener als „Die Rekruten“. Bei der Vorstellung mit der Eliteeinheit schluckt der betont beeindruckte Lehmann erst einmal: „Da stehen Typen mit Masken, superkrassen Waffen, alle zwei Meter groß, superkrasse Schränke, ich werde nervös“.
Der Wechsel im Ton zeigt sich auch im Detail: Auf dem Titelbild der „Rekruten“ sind nur die schwarzen Silhouetten der Protagonist:innen zu sehen. Der Cast der Nachfolgeserie „Die Rekrutinnen“ posiert stattdessen in Kampfmontur und mit Sturmgewehr. Auch die 2021 erschienene Serie „Airteam“, zeitgemäß im Hochformat für Smartphone-Bildschirme optimiert, liefert schon im Trailer markante Sprüche: „Kein Feind, keine andere Nation will mit uns in diesen Luftkampf hinein.“
Die Wehrbeauftragte Eva Högl plädiert unterdessen für realistische Werbung, es komme weniger auf bunte Plakate und YouTube-Filme an. Denn für Högl, so sagt sie dem SWR, seien die besten Werbefiguren immer noch die eigenen Soldaten.
Social-Media-Guidelines für Soldat:innen
Auch die machen online Werbung für die Truppe. Die Bundeswehr hat Social-Media-Guidelines veröffentlicht, die den Soldat:innen nahelegen „sich, ihren Arbeitgeber und ihren dienstlichen Alltag authentisch, stolz und mit Freude“ zu präsentieren. Für Inhalte auf persönlichen Profilen empfiehlt sie Hashtags wie , #Bundeswehrkarriere oder #SocialMediaDivision – „Seien Sie dabei und zeigen Sie sich und Ihren Berufsalltag, verlinken Sie andere Mitglieder“, heißt es in den Guidelines.
Der längste Absatz der Guidelines legt den Umgang mit Werbung fest. In Zivilkleidung ist es Soldat:innen grundlegend gestattet, kommerzielle Werbung zu machen. Ein dienstlicher Bezug zu den beworbenen Produkten darf nicht bestehen. Dabei gilt alles, was aufgrund einer Vereinbarung oder in Kooperation mit einem Unternehmen geschieht, als Werbung.
Politische Meinungsäußerungen sind erlaubt, solange sie verfassungs- und gesetzeskonform sind. Um die Trennung zwischen Dienst und Freizeit zu verdeutlichen, soll von Fotos in Uniform und politischen Aussagen dennoch abgesehen werden.
Wenn Bundeswehrangehörige auf sozialen Medien als solche zu erkennen sind, müssen sie ihr Profil als „privater Account“ oder „kein offizieller Account der Bundeswehr“ kennzeichnen. Für das Engagement gibt es keine Bezahlung. Die Guidelines versprechen dafür viel Spaß bei der Community-Pflege.
Große Reichweite auf TikTok und Instagram
Wegen datenschutzrechtlicher Bedenken hat sich die Bundeswehr offiziell von TikTok zurückgezogen. Präsent ist die Truppe dort dennoch. Influencer „Soldatenwissen“ mit fast 100.000 Follower:innen liefert regelmäßig Informationen rund um die Bundeswehr, bietet kostenlose Vorbereitungskurse für die Grundausbildung an und wirbt mit Rabattcodes für Softwareprodukte.
Auf Instagram sticht Jan Dammenhain mit knapp einer halben Million Follower:innen heraus. Er selbst bezeichnet sich als „Soldat, Athlet und Entrepreneur“. Der Influencer ist Markenbotschafter für einen zuckerfreien, „no-carb“ Performance-Drink und bietet Online-Coaching für Muskeltraining und Fettreduktion an. Zwischen Selfies und oberkörperfreien Trainingsvideos zeigt sich Dammenhain immer wieder in Uniform. Unter seinen Posts finden sich dann Hashtags wie und . Im Zusammenspiel mit anderen Influencern, die mitunter auf der Titelseite der Fitnesszeitschrift Men‘s Health zu finden sind, erzielt Dammenhain immense Reichweiten.
Eher traditionell agiert Marcel Bohnert auf seinem persönlichen Instagram-Kanal, dem rund 26.000 Menschen folgen. Bohnert macht sich hauptsächlich für die Veteranen- und Gedenkkultur stark, zum Beispiel im Rahmen der „Invictus-Games“, einem Sportereignis für verwundete und traumatisierte Soldat:innen.
„wir.dienen“, ein selbsternannter „Soldatentreff“ mit 29.000 Follower:innen, postet Selfies und Portraitfotos aktiver Soldat:innen in Uniform auf Instagram. Darunter verlinkt „wir.dienen“ die gezeigten Soldat:innen und bedankt sich für deren Dienst. Die offizielle Karriere-Website der Bundeswehr ist prominent in der Profilbiografie verlinkt.
Anonyme Akteure wie „spezialeinheitenDACH“ inszenieren auf TikTok Eliteeinheiten, zum Beispiel die Kommandospezialkräfte, mit eindrucksvollen Aufnahmen in Slow Motion, die maskierte Soldaten in voller Kampfmontur zeigen. Der Clickzähler steht auf knapp zwei Millionen. Im Hintergrund läuft düsterer Post-Punk der belarussischen Band Molchat Doma, die aus viralen TikTok-Trends bekannt ist.
Personalmangel und Imageproblem trotz Werbung
Im letzten Jahrzehnt hat die Bundeswehr ihre Ausgaben für Nachwuchswerbung verdoppelt und zeigt starke Präsenz auf den sozialen Medien. Mehr Bewerbungen gibt es trotz der langfristigen Werbeoffensive bisher nicht. Dafür gibt es viele Gründe: Fachkräftemangel, demografischer Wandel, große Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, bürokratische Hürden, schlechte oder fehlende Ausrüstung. Nicht zuletzt machen der Bundeswehr negative Schlagzeilen zu schaffen, etwa zu Übergriffen oder diskriminierendem Verhalten.
Besonders die Nachrichten über rechtsradikale Umtriebe, beispielsweise innerhalb der Kommandospezialkräfte, schaden dem Ansehen der Truppe schwer. Hinzu kommen politische Skandale wie die massiven Ausgaben für externe Beratungsfirmen und immer wiederkehrende Meldungen über Probleme mit der Beschaffung neuer Waffen und Geräte.
Neues Selbstverständnis der Truppe
Die Lobby der Bundeswehr fordert seit der russischen Invasion der Ukraine mit Nachdruck und Empörung mehr Priorität für die Armee, trotz der Bereitstellung von über 100 Milliarden Euro zu Kriegsbeginn. Nach wie vor beklagen Politiker:innen und reichweitenstarke Medien den desolaten Zustand der Truppe.
Dabei hat sich die Stellung der Bundeswehr in der Gesellschaft seit Kriegsbeginn auch jenseits des Sondervermögens verändert. Die vom Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende hat kulturelle Folgen. Der Krieg rüttelt an der pazifistisch ausgerichteten Grundeinstellung der deutschen Bevölkerung. Eine relative Mehrheit unterstützt die Waffenlieferungen an die Ukraine, die Zustimmung für eine Aufrüstung der Bundeswehr stieg deutlich an.
Der Stimmungsumschwung ist auch in der Werbung der Bundeswehr spürbar. Das aktuelle Werbevideo mit dem Titel „Was zählt?“ schlägt Töne an, die von einem neuen Selbstverständnis der Truppe zeugen. Zwischen Ausschnitten von rollenden Panzern, Infanteriesoldat:innen mit Tarnschminke und Kampfflugzeugen heißt es: „Was zählt, wenn wir wieder Stärke zeigen müssen? Wenn Sicherheit plötzlich wieder Thema ist? Wenn wir über den Wolken Grenzen aufzeigen müssen? Was zählt, wenn unsere Freiheit auf dem Spiel steht? Deutschland braucht eine starke Bundeswehr.“
Das sind harte Worte im Vergleich zum Vorgänger-Clip „Mach, was wirklich zählt“. Damals rief eine eher sanfte Werbestimme aus dem Off dazu auf, „ans Limit zu gehen“ und „Verantwortung zu übernehmen“. Die Zuschauenden sollen sich bereit machen, ihre Stärken zu finden. Im aktuellen Clip wurde aus der Du-Ansprache kurzerhand ein „Wir“.
Werbung ohne militaristische Tendenzen
Ein Verantwortlicher, der die Bundeswehr von Agenturseite aus mitbetreut hat und deshalb lieber anonym bleiben will, sieht das kritisch. Junge Menschen erreiche man mit Authentizität, „Purpose“ und einem „Bigger Picture“ – nicht mit martialischen Botschaften. Von der Bundeswehr über soziale Medien und YouTube zu erfahren, sei nur der erste Schritt. Letztendlich müsse der Gesamtapparat funktionieren, damit es tatsächlich zu einer Bewerbung kommt.
Die Grenze zwischen der Inszenierung militärischer Wehrhaftigkeit und der Befeuerung von Militarismus ist schmal. Das größte NATO-Mitglied, die Vereinigten Staaten von Amerika, haben diese Grenze in ihrer Werbung unlängst überschritten. Eine Mischung aus bombastischer Kriegsverherrlichung und identitätspolitischer Schaumschlägerei dominieren die Rekrutierungsclips der US Army. Die Videos erinnern an Trailer für Hollywood-Blockbuster, fernab der Realität.
Das kann kein Vorbild für die Bundeswehr sein, auch wenn sich die Verantwortlichen der Truppe noch offensivere Medienpräsenz und mehr Pathos für Soldat:innen im Einsatz wünschen.
Unlängst hat die russische Invasion der Ukraine das Narrativ der „Friedensarmee“ aufgeweicht. Die anstehende Neuausrichtung des Bundeswehr-Images ist eine Herausforderung, die eine immense Verantwortung gegenüber der Gesellschaft mit sich bringt. Action-geladene Videos werden dieser Verantwortung nicht gerecht.

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Author: Vincent Först

“der baby waschbär braucht keine windel mehr” von britta sabbag und igor lange : lebendige, motivierende illustration.