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Darum lügt Friedrich Merz über die Zähne von Migranten

CDU-Chef Friedrich Merz hat sich mal wieder in einer Talkshow blamiert. Nicht zum ersten Mal wiederholte er rechtsextreme Narrative, nicht zum ersten Mal stellte er dabei die politische Haltung über die Fakten. Doch es geht hier nicht nur um Lügen über die Zähne von Migrant:innen. Hinter Merzs Statement steckt ein weiterer Versuch der Diskursverschiebung nach Rechts, der die Tür für die AfD weit aufmacht. Denn eine Lösung für das scheinbare Problem bietet auch Merz nicht an. Man kann nicht einfach Leute abschieben, nur weil es Herrn Merz gerade so gefällt. Dagegen stehen moralische Gründe – aber eben auch rein pragmatische Hindernisse.

„Erbärmlicher Populismus auf dem Rücken der Schwächsten“

„Das ist erbärmlicher Populismus auf dem Rücken der Schwächsten.“ – so fasste Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Äußerungen des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz zusammen. Merz hatte sich im WELT-Talk einen faktenfernen Fail geleistet – und rückt seine Partei damit nicht zum ersten Mal im politischen Diskurs ein bisschen weiter nach Rechts. Im Januar bezeichnete er in der Talkshow von Markus Lanz arabischstämmige Schüler bereits als „kleine Paschas“, im Juli verlor er den Rückhalt in der eigenen Partei, indem er die Tür für eine Zusammenarbeit mit der rechtsextremen AfD auf kommunaler Ebene öffnete. Und schon im September 2022 verbreitete Friedrich Merz das hetzerische NPD(!)-Schlagwort von Flüchtlingen als „Sozialtouristen“.

Talkshow-Eklat: Merz lügt über – Zähne von Migranten?!

Nun also wieder ein Talkshow-Fail, in dem Merz gegen Migrant:innen hetzt und dabei komplett die Faktenlage ignoriert. Was war passiert?

Am Mittwoch versuchte CDU-Chef Friedrich Merz im WELTTalk zur sogenannten „Migrationskrise“, sich mit Stammtischparolen als rechter Hardliner zu profilieren – und lieferte einen blamablen Fail auf mehreren Ebenen. Zunächst einmal versuchte Merz das rechte Feindbild des „illegalen“ Migranten zu bedienen und Achtung Spoiler – in der folgenden Aussage ist fast jedes Wort falsch:

„Wenn die sehen, dass 300.000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen, die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine“.

Transkribiert nach twitter.com

Zerlegen wir diese Aussage erst Mal Stück für Stück. Tatsächlich lebten mit Stand Ende Juni in Deutschland laut Bundesinnenministerium [PDF] 279.098 ausreisepflichtige Personen, von denen allerdings 224.768 eine Duldung besaßen. Das heißt, es lag ein pragmatischer Grund vor, sie nicht abzuschieben. Bleiben also von den 300.000 noch 54.330 übrig – Merz hat sich hier schon um den Faktor 6 vertan. Die Zahl der Ausreisepflichtigen ist auch seit Jahren ziemlich konstant:

Screenshot mediendienst-integration.de

Noch dazu kommt, dass nicht alle Ausreisepflichtige auch abgelehnte Asylbewerber:innen sind, wie Merz es suggeriert. Blickt man also nur auf die Menschen, die sich um Asyl in Deutschland beworben haben, abgelehnt wurden und nun ausreisepflichtig sind, sinkt die Zahl, wiederum laut Bundesinnenministerium [PDF], auf 13.784. Das sind noch 4,6% der von Merz ausgedachten 300.000.

Außerdem scheint Merz §4 I des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht gelesen zu haben. Dort heißt es:

(1)[…] Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.

§4 I AsylbLG

Erst, wenn Asylbewerber:innen länger als 18 Monate in Deutschland waren, werden sie rechtlich gleichgestellt mit Sozialhilfeempfänger:innen (§2 AsylbLG). Das heißt selbst von den 13.784 können einige nur im Notfall zum Zahnarzt gehen – die Zahl sinkt noch weiter.

Auf Social Media werden diese Merz-Fails genüsslich zerrissen – und das ist auch gut und richtig so. Doch dabei geht oft unter, dass der eigentliche Fail sogar noch viel größer ist. Eine der größten Ängste von rechten und konservativen Politiker:innen ist es nämlich, dass ihren Wähler:innen auffällt, wie wenig nüchterne Expertise sie eigentlich beim Thema Migration haben. Na dann, auf zur Konfrontationstherapie.

Konservative und Abschiebungen: Viel heiße Luft

Konservative und rechte Politiker:innen lieben es, sich mit scheinbar radikalen Forderungen nach Abschiebungen in den Medien zu profilieren. Des Beifalls von rechts können sie sich dabei genauso sicher sein wie der weitreichenden Empörung aus der Mitte der Gesellschaft und von links. Diese Empörung ist auch gerechtfertigt, angesichts der brutalen Gewalt, mit der Abschiebungen immer wieder durchgeführt werden. Dabei wurde schon mal die Tür eines Pfarrhauses aufgebrochen, ein Grundschüler statt in den Hort nach Tschetschenien geschickt und auch vor schwangeren Frauen nicht Halt gemacht. Doch mit Hilfe dieser Empörung machen Rechte und Konservative wie Merz aus politischen Debatten ums Asylrecht emotionale Streitigkeiten. Denn sie wissen, dass die Fakten und pragmatischen Argumente nicht auf ihrer Seite stehen.

Das zeigt sich immer wieder, wenn Rechte nach großspurigen Ankündigungen dann die Macht übernehmen und abliefern müssen. Im Vereinigten Königreich hetzten rechte Stimmungsmacher:innen die Bevölkerung gegen Migrant:innen aus nicht-EU-Ländern auf. Dies wurde zu einem Hauptargument für den Brexit – bis der Brexit wirklich kam. Als sie den Brexit dann tatsächlich umsetzen mussten, hatten sie keinen Plan, wie sie das machen sollten – die Anzahl der Migrant:innen aus nicht-EU-Ländern stieg sogar an. Und auch die faschistische italienische Regierungschefin Giorgia Meloni redet zwar gern darüber, hart gegen Migrant:innen durchzugreifen, kann aber in der Realität nichts daran ändern, dass weiterhin tausende Menschen übers Mittelmeer nach Italien flüchten.

Sie alle haben sich am Thema „Abschiebungen“ die Zähne ausgebissen – genau wie Friedrich Merz und die CDU. Denn auch ihre Position zu Abschiebungen basiert auf der bequemen Lage, in der sie sich momentan befinden. Sie entfachen aus der Opposition heraus emotionale Debatten, Linke empören sich darüber, ihre Anhängerschaft empört sich über die Empörung der Linken und so weiter. So können sie geschickt kaschieren, dass sie buchstäblich keine Ahnung haben, wie sie das Thema gestalten wollen.

Was Merz nicht versteht: Wir können viele buchstäblich nicht abschieben

Denn es geht hier nicht nur darum, was wir moralisch für richtig oder falsch halten. Erinnert ihr euch noch an die Zahlen von oben mit 224.768 Ausreisepflichtigen, die eine Duldung haben? Rechte könnten nun sagen (und sie tun es ja auch): „Dann dulden wir die eben nicht mehr! Weg damit!“. Doch selbst wenn das nicht moralisch komplett verwerflich wäre – es ist Ergebnis einer realitätsfernen Herangehensweise an das Thema. Denn „Duldung“ heißt nicht, dass wir aus menschlicher Großzügigkeit mal „ein Auge zudrücken“. Mit Großzügigkeit hat unser Asylsystem wirklich wenig zu tun, wie einem die meisten Menschen bestätigen, die da mal drin gesteckt haben. Nein, „Duldung“ bedeutet, dass es konkrete Gründe gibt, warum die Person nicht abgeschoben werden kann.

In der Praxis sind das oft ganz banale Gründe. In manche Länder gibt es schlicht und ergreifend keine sichere Flugverbindung. Auch, wenn eine Person aufgrund von Krankheit nicht reisefähig ist, kann sie natürlich erstmal nicht abgeschoben werden. Ein häufiger Grund sind auch schlicht und ergreifend fehlende Dokumente. Konservative wie Merz würden jetzt hier sofort wieder einwerfen „Die Migranten werfen ihre Dokumente ja absichtlich weg“ – und das kann niemand überprüfen. Es gibt nämlich durchaus Berichte über Schlepper, die Flüchtenden ihre Pässe abnehmen, worüber es logischerweise keine Statistiken gibt. Ergebnis: Die emotionale, moralische Debatte beginnt von vorn.

Doch wir wollten ja realpolitisch bleiben. Wenn wir also buchstäblich nicht wissen, wo eine Person herkommt, wohin sollen wir sie denn dann abschieben? Also mal abseits aller Kommentarspalten und Talkshows: Selbst wenn man eine Person abschieben wöllte – müsste man doch wissen, wohin? Wie stellen sich Konservative das vor? Der Verweis auf das Dublin-III-Abkommen ist dabei müßig, denn dieses könnte, selbst wenn es korrekt umgesetzt werden würde, das Problem nur verlagern, nicht lösen.

Fazit: Merz lenkt von realpolitischen Fehlern ab

Die Antwort auf diese und viele andere Fragen ist: Merz hat keine Antwort. Deswegen werden seine Aussagen immer polemischer, deswegen treibt die Union den politischen Diskurs in Deutschland immer mehr in rechtspopulistische Gewässer. Und das, obwohl die Zahl der Abschiebungen schon auf einem Höchststand ist. Darum verbreitet er komplett unsinnige Zahlen wie angeblich 300.000 Migrant:innen, die alle nach Deutschland kommen um sich die Zähne machen lassen. Offensichtlich ist das kompletter Unsinn, natürlich kann und muss man so etwas widerlegen – das ist auch unsere Aufgabe als Anti-Fake-News-Blog. Doch wir müssen auch im Blick behalten, dass das aus einer inhaltlichen Verzweiflung heraus entsteht.

Durch solche emotional und moralisch geführten Debatten versucht Merz zu überdecken, dass seine Partei inhaltlich keinen Plan hat, wie sie das Thema Asyl behandeln soll. Friedrich Merz kann auch nicht zaubern und plötzlich Flüge in Regionen stattfinden lassen, in die kein Pilot fliegt oder Pässe wiederfinden, die in einem Bürgerkrieg oder auf der Flucht verloren gegangen sind. Um trotzdem wenigstens ein paar Anhänger:innen hinter sich zu behalten, entzündet er immer wieder polemische Diskussionen, sodass man sich dann in den Kommentarspalten um irgendwelche theoretischen Überlegungen zerstreiten kann, die in der Praxis weder den überforderten deutschen Behörden, noch den Migrant:innen helfen.

Wem dieser Diskussionsstil dagegen hilft, das ist die AfD. Merz eröffnet das diskursive Spielfeld, auf dem die AfD am besten spielen kann. Er baut quasi ein Fußballstadion und hofft, dass sein überaltetes Eishockeyteam dort gegen Bayern München gewinnen kann. Offensichtlich kann das nicht funktionieren. Als Merz im Januar 2022 zum CDU-Parteichef gewählt wurde mit seinem schon früher geäußerten Ziel, die AfD zu halbieren, stand die AfD in den Umfragen bei rund 10%. Aktuell sind wir bei über 20% für die rechtsextreme Partei angekommen. Wir sollten wirklich schleunigst wieder über Sachpolitik diskutieren – und nicht über die Zähne von Migrant:innen.

Titelbild: canva.com/Screenshot twitter.com (@Doener_Keks, @NancyFaeser)

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Das kommt davon, wenn die bildungspolitik in der eigenen landesregierung nur nebenfach ist.