Drücken Sie „Enter“, um den Inhalte zu überspringen

Degitalisierung: Dann fährt den Zug halt die KI

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

Was wäre, wenn wir statt Lokführer*innen einfach KIs die Züge fahren lassen? Die würden niemals streiken und aufmucken, oder? Toll? Eine Idee, bei der das Problem schon an der überalteten Infrastruktur losgeht.

Außenansicht des Hauptbahnhofs Stuttgart
Mehr Automatisierung, weniger Probleme? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Christian Lue

Die heutige Ausgabe von Degitalisierung kann sich nach dieser streiklustigen Woche ja eigentlich nur mit Zügen beschäftigen. Genauer gesagt mit deren Digitalisierung. Aber vielleicht beschäftigt sich diese Kolumne auch mit hochnäsigen Ansichten, falschen Projektionen und Sparen am falschen Ende. Vielleicht kommt auch Claus Weselsky zu Wort und vielleicht geht es auch nur im übertragenen Sinne um Züge.

Aber immer der Wagenreihung nach, wobei das heute aus Sicht der Digitalisierung vielleicht eher in umgekehrter Reihenfolge losgeht. Kommen wir zu Menschen und ihren Ansichten, wie uns Digitalisierung vielleicht bald helfen könnte, mit so schwierigen Situationen wie Bahnstreiks umzugehen.

Streikbruch durch Technik

Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass man mit fahrerlosen Zügen in Zukunft auch im deutschen Bahnsystem unterwegs sein kann.

Mit dieser Aussage wurde Professor Christian Schindler, Leiter des Instituts für Schienenfahrzeuge und Transportsysteme an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen, zumindest im Januar dieses Jahres zitiert. In etwa 15 Jahren sei es möglich, zumindest einen Teil des Bahnverkehrs zu automatisieren.

Flankiert hat diese Aussage ein Forderungspapier der FDP, das eine Automatisierung im Schienenverkehr von 20 Prozent in den nächsten 15 Jahren fordert. „Dadurch könnten Züge künftig autonom und somit flexibler sowie effizienter eingesetzt werden, ohne auf Lokführer angewiesen zu sein“, sagte der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Bernd Reuther, einer Publikation aus der Springerpresse zum Zeitpunkt eines der letzten längeren Bahnstreiks im Januar.

Das passt rein digitalpolitisch natürlich vortrefflich in den Zeitgeist von Fortschritt durch Technik. Uns es reiht sich nahtlos in den Hype um generative Systeme sogenannter künstlicher Intelligenz ein, die bald ganz viel Veränderung und Kostenoptimierung und was noch alles auf dem Arbeitsmarkt auslösen werden.

Nur verhält sich das mit Zügen etwas anders als mit belanglosen Bildchen und Texten und die Forderung nach selbstfahrenden Zügen könnte eher zum politischen Boomerang werden. Denn im System Bahn ist der oder die einzelne Lokführer*in zwar gar nicht mal so mächtig wie manch komplett virtualisierter Bot zur Erstellung von Texten oder Bildern. Mit dem Ersetzen menschlicher Zuglenkung allein ist es eben auch nicht getan.

Intelligenz der Infrastruktur

Das Ansinnen, einen Zug automatisch fahren zu lassen, ist als solches eigentlich schon relativ alt.

Züge als solche sind eigentlich bereits länger zumindest automatisch beeinflusst. Folgt man den verschiedenen Graden von Automatisierungen (GoA) im Bereich des automatisierten Fahrbetriebs von Zügen, ist eigentlich sehr vieles auch in Deutschland bereits teilautomatisiert.

Das dürfte Bahnfahrer*innen spätestens dann auffallen, wenn etwa ein ICE einmal „auf Sicht“ fahren muss, weil zum Beispiel Signale ausgefallen sind. Von der Geschwindigkeit wird dann so ein Hochgeschwindigkeitszug eher zu einer gemütlichen Trambahn. Damit Züge überhaupt schneller als eine Trambahn unterwegs sein können, braucht es Signaltechnik, Sicherungssysteme zur Zugbeeinflussung, falls mal Signale übersehen werden, und sehr viel Infrastruktur um den Zug herum.

Vollständig selbstfahrende Züge, Züge mit einem Grade of Automation 4, gibt es dank der passenden Infrastruktur um sie herum eigentlich schon relativ viele. Auch in Deutschland. Bekanntestes und größtes Beispiel sind vielleicht die Linien U2 und U3 der Nürnberger U-Bahn, die seit 2008 vollautomatisch fahrerlos fahren.

Nur sind die meisten dieser Systeme von selbstfahrenden Zügen eher sehr überschaubare und geschlossene Systeme. U-Bahnen, Metros oder Schwebebahnen auf isolierten Strecken wie etwa dem Übergang zwischen Terminals am Münchner Flughafen seit 2016.

Die Intelligenz für selbstfahrende Züge kommt also weniger von irgendwelcher magischer Technik, die ganz allein „einfach“ streikende Lokführer*innen ersetzen könnte, sondern die Intelligenz des automatischen Zuges kommt aus dem Zusammenspiel mit der gesamten Infrastruktur.

Größere Abschnitte von Bahnstrecken jetzt vollständig zu automatisieren, ist deswegen noch ein längerer Weg. Beispiele für größere Bahnknoten, an denen gerade zumindest der teilautomatische Betrieb von Zügen vorbereitet wird? Der digitale Knoten in Stuttgart. Zielsetzung GoA 2 (von maximal 4). Die dafür notwendige Signaltechnik könnte sich aber verzögern – und damit den ganzen Tiefbahnhof Stuttgart 21.

Die ambitionierten Versprechungen nach Teil- oder Vollautomatisierung des Bahnverkehrs sind also absurderweise nur dann irgendwie haltbar, wenn die Bahn ihre Infrastruktur rundherum auf die Reihe bekommen würde.

Eine Kaskade von Problemen

Beim Thema Infrastruktur beginnt im Kontext der Deutschen Bahn aber eine ganze Reihe von Problemen. Viele davon haben auch mit Geld und dem Versuch von Kostensenkung zu tun.

Die Bahn muss selbst in ihrem jährlichen Netzzustandsbericht zugeben, dass der generelle Zustand des Schienennetzes schlechter wird. Dazu kommt eine nicht besonders hohe Elektrifizierungsquote der Bahn von etwas mehr als 60 Prozent, Probleme mit Weichen, Brücken und Signalen und so weiter und so fort.

Politisch ebenso bemerkenswert: dass die Bahn mit dem mangelhaften Management der Infrastruktur lange Zeit erst einmal so verfahren konnte wie sie wollte und dass jetzt so langsam klar wird, dass es das Problem nicht lösen wird. „Wir sitzen in der Tinte und da wird auch keine Strukturreform kurzfristig helfen“, sagte Prof. Dr. Christian Böttger, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, dazu letzten Sommer, als ein Auftrennen der Bahn in die Unternehmen Infrastruktur und Bahnverkehr vorgeschlagen wurde.

Damit ist aber nur der schlechte Zustand des Bestandnetzes beschrieben. Die notwendige Aktualisierung des Schienennetzes, um immer mehr Züge (teil-)automatisiert fahren lassen zu können, ist damit aber oft noch gar nicht genannt.

„5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig.“ So wurde zumindest die ehemalige Bildungsministerin Anja Karliczek 2018 zitiert. Naja, angenommen, so ein Zug soll teilautomatisch an jeder Milchkanne halten, würde eine stabile Verbindung beispielsweise über 5G schon helfen. So wird dies zumindest auf einer Teststrecke im Erzgebirge erprobt. Züge aus dem Homeoffice könnten damit irgendwann Wirklichkeit werden. Vorausgesetzt, dass eine digitale Technik außen herum aufgebaut wird.

Politisch populäre Forderungen nach automatischen Zügen entgleisten also sehr viel schneller am generell schlechten Zustand der gesamten digitalen Infrastruktur um die Züge herum. Das wird auch eine magische KI nicht lösen.

Keine Techbro-Heldengeschichten

Die Bahn und ihre Modernisierung sind also keine klassische Techbro-Heldengeschichten aus dem Silicon Valley. Natürlich gibt es diese Techbro-Visionen von ganz neuen Zügen, auch durch digitale Technik ermöglicht.

Elon Musks Hyperloop ist vielleicht das bekannteste Beispiel einer Techbro-Vision von Zug: ein Zug, der in einer Vakuumröhre auf Magnetfeldern mit nahezu Schallgeschwindigkeit schnell von A nach B fährt. Seit dem ursprünglichen Whitepaper von 2013 ist viel gescheitert, viel wurde versucht, aber vollständig greifbar ist davon wirklich nichts. Schlimmer noch: Ein Hyperloop mit „sehr geraden Strecken“ ließe sich in Deutschland nur immens teuer umsetzen, weil dies nur in sehr langen Tunneln möglich wäre.

Auch in anderen Bereichen der Mobilität zeigen sich Grenzen: Die fixe Idee vom selbstfahrenden Auto, das durch künstliche Intelligenz einfach nur mit genug Daten irgendwann selbst fahren könnte, musste inzwischen auch ein Riesenkonzern wie Apple leise begraben. Andere versuchen es weiter, brauchen aber noch viel länger als anfangs versprochen.

Vermeintliche Digitalvisionär*innen, oftmals aus dem Silicon Valley, scheitern häufig am Transfer von Ideen in die Realität. Es projizieren hier Digitalunternehmer*innen den digitalen Fortschritt in komplett unrealistischer Weise auf alltägliche Probleme in der echten Welt. Diese Elitenprojektion ist oft komplett falsch und eben nicht von der Umsetzungsgeschwindigkeit getrieben, die im digitalen Raum immer noch streng nach Moore’s Law abläuft: dass sich die Zahl der Transistoren von Computerchips und damit ihre Leistungsfähigkeit alle paar Monate bis Jahre bei gleichen Kosten verdoppelt.

Es ist eines, in einer komplett virtuellen Welt massenhaft geklaute Daten in Rechenzentren zu werfen und danach mit immensem Rechenaufwand neu zusammengesetzte digitale Ergebnisse zu erzeugen. Es ist etwas vollkommen anderes, mit digitaler Technik Probleme wie die Mobilität der echten Welt zu lösen.

Dennoch glauben Techbros (und auch Techgirls) in ihrer hochnäsigen Überheblichkeit oftmals, alle Probleme der Welt lösen zu können – weil sie ja ein digitales System gebaut haben, das scheinbar intelligent ist. Ahnung von den echten Problemen gibt es dabei oftmals wenig.

Claus Weselsky und der Bahntower

Diese überhebliche Attitüde des Managements führt uns wieder zu autonomen Zügen und dem Bahnstreik. Forderungen nach 35 Stunden Wochenarbeitszeit und all das können Bahnreisende zwar vielleicht nicht mehr hören, aber Streik ist nie bequem.

Automatisierung und KI können in diesen Zeiten aber immer mehr zu einem Druckmittel werden, um bei Arbeitnehmer*innen immer schlechtere Bedingungen durchsetzen zu können, wie etwa auch tante festhält. „Dann bist du halt raus und die KI macht das für dich.“

Diese Überheblichkeit und aufkommende Verachtung menschlicher Fähigkeiten, die auch durch KI angetrieben wird, sind gefährlich. Denn am Ende schafft ein verhärteter Diskurs mit diesen technischen Mitteln nur Spaltung.

Sinnige Digitalisierung, von welchem ganz realen Problem auch immer, kann nur im Konsens passieren. Automatisieren und digitalisieren lassen sich echte Probleme nicht von allein, auch wenn Techbros das versprechen wollen. Dafür braucht es Infrastruktur, die von Menschen geschaffen werden muss. Und Wissen, das Menschen wertschätzend einbringen können. Zu für Menschen sinnigen Bedingungen. Erst dann kann Digitalisierung für uns alle zum Vorteil werden.

Schließen möchte ich daher ausgerechnet mit einem Zitat von Claus Weselsky aus dem letzten Jahr:

Nieten in Nadelstreifen, mit Millionengehältern, sitzen im Bahntower, machen sich einen Fetten und haben keine Ahnung, wie man eine Eisenbahn organisiert.

Es passt leider auch vortrefflich auf den KI-Hype und die Entwicklungen in der digitalen Welt.

Thank you for travelling with this column.


Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.

Zur Quelle wechseln
Zur CC-Lizenz für diesen Artikel

Author: Bianca Kastl