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Deutscher Anwaltverein: Chatkon­trolle ist ein „massiver Eingriff in die Freiheits­rechte“

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Die geplante Chatkontrolle untergrabe die Vertraulichkeit von Kommunikation, die IT-Sicherheit und widerspreche zudem geltendem EU-Recht. In einer Stellung­nahme geht der Deutsche Anwaltverein mit den Überwachungsplänen hart ins Gericht.
Behörden könnten Nutzer:innen über die Schulter schauen, sollten die Pläne einer Chatkontrolle zur Realität werden. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Adem AYDer Deutsche Anwaltverein (DAV) übt scharfe Kritik an den Plänen der EU-Kommission für eine sogenannte Chatkontrolle. Der Vorschlag sei in weiten Teilen unverhältnismäßig und würde unter anderem „auf eine automatisierte, massenhafte Analyse von Kommunikations(inhalts-)daten aller Nutzer“ hinauslaufen, heißt es in einer letzte Woche veröffentlichten Stellungnahme des Anwaltvereins. Auch die derzeit im EU-Parlament diskutierten Änderungen seien nicht geeignet, sämtliche rechtliche Bedenken auszuräumen.
„Die Chatkon­trolle bedeutet letztlich eine vollständige Aufhebung der Vertrau­lichkeit der Kommunikation im digitalen Raum“, sagt Rechts­anwalt David Albrecht, Mitglied im Ausschuss Gefahren­ab­wehrrecht des DAV, in einer Pressemitteilung. Insgesamt seien die Pläne nicht mit der Grundrech­te­charta der Europäischen Union vereinbar, so Albrecht. Ohne Änderungen würde der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Regelungen in einigen Jahren wieder „kassieren“, warnt der Jurist.
Vorgestellt hatte die EU-Kommission ihren Vorschlag vor rund einem Jahr. Mit einer Verordnung will sie den sexuellen Kindesmissbrauch im Internet bekämpfen, was der DAV grundsätzlich begrüßt. Der Kommissionsentwurf enthält neben der vieldiskutierten Chatkontrolle noch weitere Maßnahmen, dabei geht es etwa um Altersverifikation oder Pflichten von App-Store-Betreibern. Sinnvoll seien etwa die geplante bessere Koordinierung von Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten oder einheitliche Regeln für die Löschung strafbarer Inhalte, schreibt der DAV.
Angeordnete Massenüberwachung
Im Mittelpunkt der Kritik steht jedoch die Aufdeckungsanordnung. Mit diesem Instrument sollen Behörden Online-Dienste verpflichten können, die Inhalte ihrer Nutzer:innen anlass- und unterschiedslos automatisiert auszuwerten. Für eine solche Anordnung muss ein „erhebliches Risiko“ vorliegen, dass über den Dienst etwa Missbrauchsdarstellungen verbreitet werden. Kritiker:innen befürchten, dass dieser Begriff de facto auf jeden Dienst zutreffen könnte, auf dem Nutzende Inhalte teilen. Diese Sicht teilt der DAV: Die Bestimmungen seien „hochgradig unbestimmt und zudem so niedrigschwellig, dass sie im Regelfall“ auf sämtliche Hosting- und Kommunikationsdienste und insbesondere soziale Netzwerke anwendbar wären, so der Anwaltsverein.
Die dadurch begründete Pflicht zur massenhaften Auswertung von Kommunikationsinhalten sei mit den Freiheitsgrundrechten unvereinbar, würde besonders schwere Eingriffe in die Vertraulichkeit der Kommunikation darstellen und überdies sämtliche Nutzer:innen von E-Mail-, Chat- und Hosting-Diensten unter Generalverdacht stellen, führt der DAV aus. Es würden erhebliche „chilling effects“ drohen, also eine Selbstzensur von EU-Bürger:innen. Zudem wären Eingriffe in das Vertrauensverhältnis zu Berufsgeheimnisträgern wie Rechtsanwältinnen, Ärzten und Journalisten zu befürchten.
Diese vorgesehene massenhafte Auswertung von Kommunikationsinhalten würde auch im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung stehen. Wiederholt hat das Gericht allzu weit gefasste Speicherpflichten für rechtswidrig erklärt. Dabei bewertete der EuGH den Umgang mit Verkehrs- und Standortdaten. Eine anlasslose und massenhafte Auswertung von Inhalten, wie es der aktuelle Kommissionsentwurf vorsieht, würde „erheblich über die bisher diskutierten Maßnahmen der Vorratsdatenspeicherung hinausgehen“, heißt es in der DAV-Stellungnahme. Entsprechend schlecht stünden die Chancen für das Gesetz, einen Rechtsstreit zu überleben.
Mit dieser Schlussfolgerung steht der DAV nicht alleine da. Ähnlich bewerten auch der Juristische Dienst des EU-Rats, der Wissenschaftliche Dienst des EU-Parlaments oder die EU-Datenschutzbehörden die rechtlichen Erfolgsaussichten der Überwachungspläne. Kritisch stehen dem Vorhaben auch Kinderschutz-Verbände, Bürgerrechtler:innen und so mancher Strafverfolger gegenüber.
Außer Spesen nichts gewesen
Neben der massenhaften Überwachung warnt der DAV auch vor einer Aushöhlung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, was eine Folge des sogenannten Client-Side-Scanning wäre. Client-Side-Scanning wäre eine der technischen Möglichkeiten, beispielsweise verschlüsselte Messenger-Kommunikation zu untersuchen. Dabei werden die Inhalte vor ihrer Verschlüsselung auf dem Gerät der Nutzenden gescannt, um etwaiges Missbrauchsmaterial aufzuspüren.
Ebenso befürchtet der Anwaltsverein eine zu hohe Zahl falsch-positiver Treffer: „Harmlose Inhalte, zum Beispiel im Rahmen von einvernehmlichem Sexting oder Aufnahmen zu medizinischen Zwecken, könnten zum Teil irrtümlicherweise als missbräuchlich identifiziert werden.“ Werden sie als vermeintlich verdächtig identifiziert, landen die Inhalte auf dem Tisch von Ermittler:innen.
Insbesondere beim sogenannten „Grooming“, also der Kontaktanbahnung Erwachsener mit Minderjährigen, lägen die Falsch-Positiv-Raten derart hoch, dass „täglich milliardenfach Kommunikationsinhalte zu Unrecht als strafbar identifiziert und gemeldet würden.“ Schon der Rechtsausschuss des irischen Parlaments hatte davor gewarnt, dass eine Flut an falschen Alarmen die Strafverfolgungsbehörden lahmlegen würde.
Darüber hinaus wäre nicht zu erwarten, dass die geplante Verordnung die Verbreitung von Missbrauchsmaterial signifikant eindämmen würde, resümiert der DAV. Bereits jetzt finde dessen Austausch überwiegend abseits des „Clear Web“ statt. „Die geplanten Maßnahmen würden voraussichtlich lediglich dazu führen, dass entsprechende illegale Aktivitäten in noch größerem Umfang in das einer Regulierung kaum zugängliche Dark Web verlagert werden.“

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Author: Tomas Rudl

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