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Die Wahrheit hinter der Briefwahl-Lüge der AfD in Nordhausen

Der parteilose, demokratische Kandidat Kai Buchmann gewann am 24.09. die Oberbürgermeister-Stichwahl im thüringischen Nordhausen gegen Jörg Prophet, den Kandidaten der rechtsextremen AfD Thüringen [PDF, S. 18]. Rechte wollen diese Niederlage nicht anerkennen und verbreiten deshalb manipulative Grafiken. Sie bringen damit ein Problem, welches die USA seit einigen Jahren beschäftigt, auch in die deutsche politische Landschaft ein: Wie sollte die Demokratie reagieren, wenn Teile der politischen Rechten sich weigern, Wahlergebnisse anzuerkennen?

Wahlsieg des demokratischen Kandidaten in Nordhausen

Nordhausen ist eine Kleinstadt im nördlichen Thüringen. Die Stadt liegt in einem Wahlkreis, in dem die AfD bei der Bundestagswahl 2021 die CDU knapp übertreffen konnte und im selben Bundesland, in dem die rechtsextreme Partei seit Juni erstmals einen Landrat stellt. Dementsprechend alarmiert reagierten viele, als am 10.09. beim ersten Wahlgang zur Wahl des Oberbürgermeisters von Nordhausen AfD-Kandidat Prophet eine relative Mehrheit der Stimmen erhielt. Für die Stichwahl unterstützten dann alle demokratischen Parteien dessen Gegner, den parteilosen Amtsinhaber Kai Buchmann, sodass dieser mit 10 Prozentpunkten Vorsprung gewann. Doch manche Rechte aus dem Dunstkreis der AfD lehnen demokratische Prozesse offenbar schon so stark ab, dass sie lieber manipulative Grafiken verbreiten, als eine Niederlage einzugestehen. So auch in diesem Fall.

Manipulierte Grafik lügt über Auszählung!

So postete der offensichtlich AfD-nahe Twitteraccount „AfD News“ eine manipulative Grafik, die nicht auf tatsächlichen Zahlen und Fakten beruht, sondern offensichtlich nur der Meinungsmache dient. Darin wird fälschlicherweise suggeriert, der AfD-Kandidat habe während der gesamten Auszählung vorne gelegen – bis die Briefwahlstimmen eingetroffen seien, mit denen Buchmann „plötzlich“ einen Sprung nach oben gemacht habe. Das ist allerdings eine manipulative Darstellung.

Screenshot twitter.com, Bearbeitung Volksverpetzer

Ein exakter „Auszählungsverlauf“ lässt sich ohnehin nicht rekonstruieren (und wäre auch gar nicht nötig, gäbe es diese rechte Hetze nicht). Allerdings kann man nachvollziehen, wann welche Stimmbezirke ihre Ergebnisse gemeldet haben. Und da zeigt sich schon, dass „AfD News“ skrupellos gelogen hat. Das können wir sehr einfach anhand der Dokumentation der Landtagsabgeordneten Katharina Köning-Preuss (LINKE) belegen. Demnach lag der demokratische Kandidat Buchmann schon nach vier ausgezählten Stimmkreisen vorn:

Siegreicher Kandidat lag schon sehr früh vorne

Nach 7 Stimmkreisen lag Prophet von der AfD vorn, nach Stimmkreis Nummer 8 wieder Buchmann und so weiter. Nach 31 Stimmkreisen stand es sogar genau 50/50. Entgegen der rechten Manipulation war es in Wahrheit also lange ein Kopf-an-Kopf-Rennen, welches am Ende der demokratische Kandidat dann doch für sich entscheiden konnte.

Allerdings stimmt es, dass der demokratische Kandidat Buchmann bei den Briefwahlergebnissen besonders gut abschnitt. Aus den Ergebnissen der einzelnen Stimmbezirke von Nordhausen [PDF] lässt sich ablesen, dass der Kandidat der rechtsextremen AfD bei den Briefwahlstimmen im Schnitt um die 35 % der Stimmen erhielt, während es bei Buchmann im Schnitt fast 65 % waren. Das könnte man nun einfach so hinnehmen, wie es die AfD bei den Bürgermeisterwahlen in Raguhn-Jeßnitz im Juli getan hat. Dort stellt die rechtsextreme Partei seit den Wahlen erstmals einen Bürgermeister. Und auch in diesem Fall unterlag ihr Kandidat in der Briefwahl deutlich. Doch damals gab es seltsamerweise kein derartiges Verschwörungsgeraune. Offenbar haben die AfD und ihre Unterstützer:innen kein Problem mit demokratischen Prozessen – solange sie selbst am Ende gewinnen.

Briefwahl-Lügen von rechts – nicht erst seit Nordhausen

Tatsächlich steckt aber hinter der Hetze gegen die Briefwahl mehr als nur trotziges „Ich kann nicht verlieren“. Die Diskreditierung der Briefwahl durch rechte Stimmungsmacher:innen ist bereits seit ein paar Jahren ein größeres Thema – und das liegt an Donald Trump und den USA. Die US-Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 waren stark vom Umstand der Corona-Pandemie beeinflusst, über 65 Millionen Wähler:innen stimmten per Briefwahl ab. Der rechtsextreme Kandidat der Republikaner, Donald Trump, versuchte schon im Vorfeld, dies mit Klagen zu verhindern. Außerdem begannen er und andere Konservative schon früh damit, den Verschwörungsmythos zu verbreiten, durch Briefwahl sei es einfacher, die Wahl zu manipulieren. Dadurch forderte er seine Wähler:innen implizit dazu auf, nicht per Briefwahl zu wählen, sondern in Person.

Es ist also wenig überraschend, dass sein demokratischer Kontrahent Joe Biden in den meisten Staaten einen großen Vorsprung bei den Briefwahlstimmen hatte. In der folgenden Tabelle sieht man das für einige Staaten besonders deutlich: In der linken Spalte das Ergebnis, wenn nur „Absentee“-Stimmen, also größtenteils Briefwahlstimmen, gezählt hätten, in der rechten Spalte das Ergebnis, wenn nur die Stimmen am Wahltag selbst gezählt hätten. In manchen Staaten betrug der Unterschied über 80 Prozentpunkte!

Screenshot fiverthirtyeight.com

Teufelskreis der Briefwahl-Lüge

Dadurch entsteht eine Art „Teufelskreis der Briefwahl-Lüge“. Wenn rechte Parteien ihren Wähler:innen einreden, dass die Briefwahl unsicher sei, dann werden diese natürlich lieber am Wahltag und in Person wählen. Das führt dann dazu, dass rechte Kandidat:innen oder Parteien in der Briefwahl scheinbar erstaunlich wenig Stimmen erhalten. Damit kann dann wiederum gemunkelt werden, da müsse doch etwas faul sein – und so weiter.

Der Teufelskreis der Briefwahl-Lüge

Wie so oft geht es dabei auch gar nicht darum, dass das Zielpublikum eine konkrete Desinformation glaubt oder nicht glaubt. Das Ziel ist es vielmehr, ein generelles Gefühl der Unsicherheit zu erschaffen, das Vertrauen in demokratische Prozesse zu untergraben. Genau dieses Schema muss man sich auch vor Augen halten, wenn man Social Media-Posts rechter Accounts wie den zur Wahl in Nordhausen verstehen möchte. Sie behaupten nicht offen, dass hier manipuliert worden sei – das ist Teil ihrer Taktik. Niemand würde ihnen glauben, wenn sie verzweifelt versuchen würden zu beweisen, dass irgendwer in Nordhausen konkret Stimmzettel bei den Briefwahlen gefälscht hätte. Und das müssen sie auch gar nicht. Denn ihr großes Ziel ist es nicht, den Bürgermeister der Stadt Nordhausen zu stellen. Ihr Ziel ist es, Unsicherheit gegenüber der Demokratie zu verbreiten. Und wenn das funktioniert, wird es richtig gefährlich.

Nordhausen nur ein Beispiel der rechten Irreführungstaktik

Denn was passiert denn, wenn Menschen anfangen, diesen Gedanken weiterzudenken? Wir könnten dahin kommen, dass ein signifikanter Teil der Bevölkerung Wahlergebnissen nur noch dann vertraut, wenn das Ergebnis eintritt, das sie sich erhoffen. Und das wäre eine katastrophale Entwicklung – denn dann hätte es letztlich die AfD in der Hand, zu entscheiden, welche Wahlergebnisse sie anerkennt und welche nicht. Wir sind noch nicht an diesem Punkt, die demokratischen Institutionen halten noch. Und ein paar Tweets zu einer Wahl in Nordhausen schaffen noch nicht gleich die Demokratie ab.

Aber sie zeigen mal wieder, wie wichtig es ist, wachsam zu sein. Wir sollten nicht dahin kommen, dass auch bei uns irgendwann ein rechter Mob demokratische Institutionen stürmt, wie in den USA. Demokratische Politiker:innen und Parteien sollten wirksame Gegennarrative setzen, die das Vertrauen in die Demokratie wiederherstellen. Und da reicht es nicht nur, die immer gleichen Floskeln noch ein zehntes Mal zu wiederholen. Es müssen Probleme offen und ehrlich benannt werden, aber gleichzeitig vernünftige Lösungen gebracht werden. Auf rechte talking points sollte man sich gar nicht erst einlassen. Die AfD muss als Hauptgegner der Demokratie klar benannt werden – und das auch von der CDU/CSU. Statt über Zähne von Migrant:innen zu palavern, sollte man lieber daran arbeiten, dass die Brandmauer nach Rechtsaußen steht.

Fazit: Demokratie unter Beschuss – was tun?

Doch was können wir tun, was könnt ihr tun? Unsere Demokratie steht unter Beschuss von rechts – das dürfte mit diesem Artikel ein weiteres Mal klargeworden sein. Die AfD ist aktuell eine große und reale Bedrohung für die freiheitliche Grundordnung, die sich die Bundesrepublik nach dem Ende des Nationalsozialismus gegeben hat. Darum ist es wichtig, dass die rechtsextreme Partei nicht die Möglichkeit erhält, die Demokratie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Das Bundesverfassungsgericht sollte endlich prüfen, ob die AfD eine verfassungswidrige Partei ist. Den Anstoß dafür können die politischen Organe liefern – doch es liegt an uns, sie dazu zu bringen. Deswegen haben wir eine Petition gestartet, in der wir genau das fordern. Falls ihr noch nicht unterschrieben habt, dann kommt ihr hier direkt zur Petition. Und wenn ihr aus Hessen oder Bayern seid, dann geht auf jeden Fall am Sonntag wählen!

Falls ihr jetzt noch mehr über die Gründe wissen wollt, warum wir unsere Petition gestartet haben, findet ihr hier unseren Artikel dazu:

Artikelbild: Screenshot; canva.com

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Die sozialdemokratie im stadtbezirk köln chorweiler.