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Digitale-Dienste-Gesetz: Bloß kein Zuständigkeitsgerangel

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.Der Autor ist…
Weniger als ein halbes Jahr bleibt der Bundesregierung, um eine neue Aufsicht über Online-Plattformen zu schaffen. Wir haben uns ausgewählte Stellungnahmen zum ersten Entwurf des Digitalministeriums angesehen. Vor allem braucht es eine starke Aufsicht aus einer Hand, so der Tenor der Zivilgesellschaft.
Noch bleibt unklar, wer die bei der Bundesnetzagentur angesiedelte Koordinierungsstelle künftig unterstützen soll. Im Bild der Behördenchef Klaus Müller. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Political-MomentsDen großen Brocken hat bereits die EU aus dem Weg geräumt. Der lange verhandelte Digital Services Act harmonisiert die Regeln für Online-Dienste, nimmt die Anbieter dabei stärker in die Pflicht und soll zugleich die Rechte von Nutzer:innen im Netz sicherstellen.
Ob die EU-Verordnung dieses Versprechen einlösen kann, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Der Erfolg wird auch maßgeblich davon abhängen, wie gut die EU-Länder noch verbleibende Details klären: Sie sind unter anderem für weite Teile der Aufsicht zuständig, sollen die Zivilgesellschaft einbinden und müssen dabei viele Fragen von der scheinbaren Resterampe beantworten – etwa, ob die Störerhaftung zurückkommt oder ob Beiratssitzungen im Internet gestreamt werden sollen.
All dies und mehr soll für Deutschland das geplante Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) regeln. Einen Referentenentwurf hatte das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) Anfang August vorgestellt. Das Gesetz soll das deutsche Recht an die EU-Verordnung anpassen, über Bord fliegen dabei etwa das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und das Telemediengesetz.
Ende August ging die Frist für Stellungnahmen für Verbände zu Ende, fertig beschlossen muss das Vorhaben am 17. Februar 2024 sein. Ab dann gelten die Regeln für alle Online-Dienste und nicht nur für sehr große Anbieter, die sich jetzt schon daran halten müssen. Noch sind nicht alle Stellungnahmen öffentlich abrufbar, sie sollen sich „zeitnah“ auf der BMDV-Webseite finden lassen, wie ein Ministeriumssprecher mitteilt. Wir haben uns bereits jetzt eine Auswahl an Papieren angesehen und fassen die Vorschläge aus der Zivilgesellschaft und der Internetwirtschaft zusammen.
Gebündelte Aufsicht statt Durchsetzungsdefizit
In einem Punkt sind sich die allermeisten einig: Deutschland braucht eine schlagkräftige Plattformaufsicht aus einer Hand. „Die Koordinierungsstelle darf nicht zur Poststelle verkommen, indem Zuständigkeiten auf zu viele verschiedene Behörden verteilt werden“, schreibt etwa die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) warnt vor einem „Zuständigkeitsgerangel“. Und der Wirtschaftsverband Eco befürchtet „eine überschießende Komplexität bei den Zuständigkeiten“, sollten zu viele Behörden mitmischen.
Diese sogenannte Koordinierungsstelle ist das Herzstück des Gesetzentwurfs. Dem DSA nach muss jedes EU-Land eine oder mehrere zuständige Behörden benennen, die den Online-Anbietern auf die Finger schauen. Bei einer dieser Behörden, der Koordinierungsstelle, sollen alle Fäden zusammenlaufen: Sie soll eigene Untersuchungen anstoßen, mit Koordinierungsstellen anderer Länder sowie der EU-Kommission zusammenarbeiten und zudem Nutzer:innen als zentrale Anlaufstelle für Beschwerden dienen.
Stand heute will das BMDV für diesen Zweck eine neue Abteilung in der Bundesnetzagentur (BNetzA) abstellen, punktuell zuarbeiten sollen ihr zwei weitere Behörden: Um den Online-Schutz Minderjähriger soll sich die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz kümmern, um Online-Werbung und Profilbildung der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit.
Medienanstalten fordern Befugnisse ein
Diese Aufteilung schmeckt jedoch den Medienanstalten nicht. Der Gesetzentwurf trage „weder der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern“ noch dem „verfassungsrechtlichen Grundsatz der Staatsferne Rechnung“, heißt es in ihrer Stellungnahme. Zudem würde der Vorschlag die bestehende Expertise der Medienanstalten bei der Rechtsdurchsetzung im Bereich des Jugendmedienschutzes außer Acht lassen, mahnen die Aufseher:innen.
Dabei geht es um das teil-automatisierte Aufspüren von Rechtsverstößen im Netz, um Maßnahmen gegen Desinformation oder um Netzsperren für Porno-Dienste, die das Alter ihrer Besucher:innen nicht ausreichend genug kontrollieren. Die im BMDV-Entwurf genannte „Qualifizierte Zusammenarbeit mit den Landesmedienanstalten“ stellt sie offensichtlich nicht zufrieden.
Dem stellt das Mainzer Medieninstitut entgegen, dass die Regierung die Grenzen zu wahren habe, die ihr dabei „durch das verfassungsrechtliche Mischverwaltungsgebot gesetzt sind.“ Soll heißen: Von wenigen Ausnahmen abgesehen können Bund und Länder nicht gleichzeitig für eine bestimmte Aufgabe zuständig sein.
Ein reiner Informationsaustausch zwischen den Medienanstalten und der Koordinierungsstelle wäre verfassungsrechtlich unproblematisch, alles darüber hinaus hingegen sehr wohl, wenn dies „auf eine landesbehördliche Mitentscheidungsbefugnis hinausliefe“, argumentiert das Medieninstitut. Die Ampelkoalition werde letztlich einen Kompromiss finden müssen, der um eine gewisse Neujustierung der Aufgabenverteilung in der deutschen Jugendmedienschutzaufsicht nicht umhinkomme, so die Stellungnahme.
Expertise beim Bundesamt für Justiz
Neben den Medienanstalten bleibt auch das Bundesamt für Justiz (BfJ) weiter im Gespräch. Die dem Justizministerium unterstellte Behörde war bislang für die Durchsetzung des NetzDG zuständig und führte in den letzten Jahren Verfahren etwa gegen Facebook oder den ursprünglich als Messenger gestarteten Telegram-Dienst.
Hierbei habe das BfJ einen „Erfahrungsschatz aufgebaut, von dem die gesamte Europäische Union profitieren könnte“, schreibt die Hilfsorganisation HateAid. Zwar sei es wünschenswert, dass die Zuständigkeit für die DSA-Aufsicht nicht an eine unübersehbar große Zahl von Einrichtungen übertragen werde. Dennoch sollte die Regierung sicherstellen, dass das beim BfJ gesammelte Wissen nicht verloren geht: „Dies spricht für eine Beteiligung des BfJ oder wenigstens einen Transfer von Wissen und Ressourcen in die neu geschaffene Aufsichtsstruktur“, so HateAid.
Mageres Forschungsbudget
Außer Zweifel dürfte jedoch stehen, dass der Bundesnetzagentur der Löwenanteil der Aufsicht zufallen wird. Dafür muss sie aber angemessen ausgestattet sein, fordert Wikimedia Deutschland. Der Verein schätzt, dass die dafür vorgesehenen 62 Stellen bei der BNetzA nicht ausreichen werden. Ähnlich sieht dies AlgorithmWatch – auch wenn sich heute noch nicht konkret beziffern lasse, mit welchem Aufwand und welchen Kosten in den kommenden Jahren für die Umsetzung des DSA zu rechnen sein wird. Um herauszufinden, ob die geplanten Personalstellen und die 1,1 Millionen Euro für anfallende Sachkosten ausreichen, müsse die Koordinierungsstelle regelmäßig evaluiert werden, fordert die Nichtregierungsorganisation.
Sie begrüßt auch die Absicht, einen Forschungsetat einzuführen. „Mit 300.000 Euro ist das Budget allerdings sehr klein angesetzt“, hält sich die Freude von AlgorithmWatch in Grenzen. Auch bleibe im DDG-Entwurf offen, welchen Anteil die BNetzA für eigene Forschungszwecke zu verwenden plant und welcher für externe Expertisen ausgegeben werden soll. Unklar bleibe zudem, wie sich Forschende auf Gelder aus dem Forschungsetat bewerben können. Notwendig sei nicht nur ein deutlich größeres Budget, sondern auch ein unbürokratischer Zugang für Forschung im öffentlichen Interesse.
Etwas anders akzentuiert die Amadeu Antonio Stiftung ihre Kritik an diesem Punkt. Ihrer Einschätzung nach scheint die Einbindung der Wissenschaft in DDG-Prozesse „sowohl gut geregelt als auch inhaltlich und finanziell unterfüttert“. Allerdings mangle es an einer Einbindung zivilgesellschaftlicher Gruppen, die abseits von Universitäten zu Hassrede und verwandten Phänomenen forschen. Beim Zugang zu Netzwerkdaten seien NGOs höchstens als „mitgemeint“ eingestuft, bedauert die Stiftung. „Dabei ist es in der Regel tagesaktuelles zivilgesellschaftliches Monitoring, das Gefährdungslagen als erster Seismograph erkennt und publiziert“, verweist die Amadeu Antonio Stiftung auf ihre Funktion als Frühwarnsystem.
Starke Zivilgesellschaft im Beirat gefordert
Klärungsbedarf besteht auch beim neuen Beirat, der die Koordinierungsstelle künftig beratend unterstützen soll. Er soll aus 16 Vertreter:innen der Wissenschaft, Zivilgesellschaft, einschließlich Verbraucherverbänden, und Wirtschaftsvertreter:innen bestehen, wie es im Gesetzentwurf heißt. Seine Aufgaben müssten jedoch näher spezifiziert werden, fordert die GFF.
Zugleich gelte es „unbedingt zu verhindern, dass der Beirat durch Wirtschaftsinteressen vereinnahmt wird“, schreibt die GFF. Wenigstens eine gesetzliche Fixierung von Quoten sollte sicherstellen, dass Vertreter:innen aus vorrangig gemeinnützigen zivilgesellschaftlichen Organisationen mindestens gleichberechtigt zu Vertreter:innen der Wissenschaft und Wirtschaftsvertreter:innen auszuwählen sind. Eine starke Beteiligung der Zivilgesellschaft ist auch für die Amadeu Antonio Stiftung Pflicht. Sonst bliebe wieder nur der Weg über die „informellen Hintergrundgespräche, um die eigene Expertise über Umwege noch einfließen zu lassen“.
Defizite bei Störerhaftung und Impressumspflicht
Die Wogen muss die Bundesregierung auch in puncto Störerhaftung glätten. Lange Zeit waren in Deutschland freie WLANs Mangelware, weil potenzielle Betreiber:innen berechtigte Sorge haben mussten, beispielsweise für Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer:innen abgemahnt zu werden. Diesen Missstand hat Deutschland erst vor wenigen Jahren abgeschafft – und nun könnte er wieder durch die Hintertür zurückkehren.
So überführt der Gesetzentwurf die jeweiligen Regelungen aus dem Telemediengesetz, lässt aber einen entscheidenden Satz außen vor: Dieser schreibt fest, dass reine Diensteanbieter für rechtswidrige Handlungen ihrer Nutzer:innen nicht verantwortlich sind und sie nicht auf Schadensersatz oder Beseitigung oder Unterlassung einer Rechtsverletzung in Anspruch genommen werden können. Wie aber die Stellungnahmen von Eco, dem vzbv oder auch der GFF deutlich machen, ließe sich das Problem einfach lösen – indem sich der betreffende Satz auch in der finalen DDG-Fassung findet.
Eine weitere, verhältnismäßig kleine Änderung fordert HateAid ein – eine Änderung, die für Betroffene aber große Auswirkungen haben könnte. So findet sich auch die Impressumspflicht aus dem Telemediengesetz im DDG wieder, also die Verpflichtung für alle, die eine Website betreiben, ihren Namen und ihre Anschrift auf der Seite zu veröffentlichen. Auch Journalist:innen, selbstständige Unternehmer:innen oder Aktivist:innen müssten dabei oft ihre Privatadresse angeben.
„Dies ist seit langem als Einfallstor für digitale Gewalt bekannt“, mahnt HateAid. Die Ampel sollte die Gelegenheit nutzen und sich die EU-Vorgaben in Erinnerung rufen. Demnach komme es vorrangig auf die Erreichbarkeit an, so HateAid. „Diese kann auch durch die Angabe einer Erreichbarkeitsanschrift gewährleistet werden, die den Empfang postalischer Sendung ohne erhebliche Verzögerung zulässt und unter der*die Diensteanbieter*in erreicht werden kann.“

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Author: Tomas Rudl

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